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"Tschüss, Maurice. Und viel Spaß", verabschieden sich meine Freunde von mir.
Heute ist Freitag und ich gehe mit Michael in irgendein Café in der Nähe. Manuel und Patrick haben jetzt noch eine Stunde Englisch, bevor auch Manu nach Hause gehen kann. Normalerweise hätte er gemeinsam mit Michael und mir noch Geschichte gehabt und war auch ziemlich beleidigt, zumindest hat er so getan, als ich ihm mitgeteilt habe, dass ich ihn für Michael sitzen lasse.
Ich begebe mich an die Stelle, an welcher ich mit Michael vorgestern unseren Treffpunkt ausgemacht habe und sehe schon von weitem, dass er dort bereits steht und auf mich wartet. Lächelnd begrüßt er mich und gemeinsam machen wir uns auf den Weg zu dem Café, welches nicht weit von unserer Schule entfernt ist.
"Gab es eigentlich wieder Vorfälle?", fragt Michael, als wir die Straße entlang laufen, in der sich unser Ziel befindet. "Also wurdest du wieder blöd angemacht?"
"Nein, du hast am Mittwoch wahrscheinlich so bedrohlich gewirkt, dass sie sich zurückgehalten haben."
"Das freut mich. Wenn es wieder dazu kommen sollte, dann sagst du mir Bescheid, ja?"
Michael öffnet die Tür zu dem Gebäude und lässt mich als erstes hinein. Ich nicke währenddessen bloß als Antwort auf seine Bitte und bevor wir überhaupt weiter über das Thema sprechen können, werden wir von einer Kellnerin empfangen, die uns zu einem der vielen leeren Tische am Fenster führt. Um diese Uhrzeit sind nicht sonderlich viele Menschen hier, nur vereinzelt Leute, die entweder lernen oder an ihrem Laptop arbeiten und zwei ältere Pärchen.
Wir setzen uns und holen unsere Texte heraus.
"Frau Bieneck meinte übrigens, dass ich meine Rolle großartig spiele und bei der letzten Probe sehr gut war", erzähle ich stolz, was Michael erneut zum lächeln bringt.
"Du bist auch sehr gut. Und es macht auch sehr viel Spaß mit dir zu arbeiten."
Ich werde rot, weshalb ich meinen Blick senke und ein leises Danke murmele.
"Also gut, dann lass uns anfangen. Welche Szene willst du üben?"
"Ist mir egal. Meinetwegen können wir da weitermachen, wo wir letztes Mal aufgehört haben. Wir können aber auch noch einmal von vorne beginnen."
"Wir sind fast durch mit dem Stück. Was hälst du davon, wenn wir den Rest zu Ende machen und dann noch einmal von vorne beginnen. Dann können wir schauen, welche Szenen wir noch einmal üben sollten."
Ich nicke und suche nach der Stelle, bei der wir letztes Mal aufgehört hatten. Inzwischen habe ich so viele Stellen mit einem Knick, einem bunten Strich oder einem Post-it markiert, dass ich keinen Überblick mehr darüber habe, welche die aktuelle Seite ist.
Wir beginnen damit, die Texte vorzulesen, bis wir irgendwann von der Bedienung unterbrochen werden.
"Habt ihr euch schon entscheiden?", fragt diese, weshalb ich zu ihr aufschaue.
Gleichzeitig liest Michael die nächsten Sätze vor. Er hat die Bedienung wahrscheinlich noch gar nicht bemerkt, da er ziemlich konzentriert auf seinen Text schaut.
Schnell greife ich nach der Speisekarte, suche mit meinen Augen nach etwas, was ich bestellen möchte und antworte Michael währenddessen, ohne vorher noch einen Blick auf die Zettel werfen, mit den passenden Worten.
Also antworte ich, ohne vorher auf die Zettel vor mir zu schauen, mit den passenden Worten und schaue die Bedienung überfordert an.
"Ich hätte gerne einen Kakao. Und du, Michael?"
Michael schaut mich inzwischen perplex an, ehe er den Kopf schüttelt und der Kellnerin seine Bestellung mitteilt, woraufhin sie wieder verschwindet.
"Kannst du deinen Text etwa schon auswendig?", kommt es dann erschrocken von meinem Gegenüber.
Ich nicke schüchtern und werde wieder ein bisschen rot.
"Hast du deinen Text etwa jeden Tag geübt?"
"Ab und zu, aber ich bin ziemlich gut darin Texte auswendig zu lernen. Es ging also relativ schnell. Meine Freunde haben mir geholfen."
"Wow",kommt es bloß von Michael. "Aber dann ist das hier doch voll unnötig. Hättest du etwas gesagt, dann hättest du das nicht machen müssen. Ich kann den Text auch alleine lernen."
"Unsere Treffen haben doch auch dazu beigetragen, dass ich meinen Text jetzt schon auswendig kann. So hast du mir geholfen und jetzt helfe ich eben dir. Außerdem hat es doch immer Spaß gemacht zusammen den Text zu lernen."
"Warum hast du das nie erwähnt? Oder im Unterricht gezeigt?"
"Ich war in den letzten Stunden so unsicher, da habe ich es mir nicht zugetraut. Außerdem wollte ich nicht wirken wie irgendein Angeber."
Spielerisch verdreht Michael seine Augen.
"Du wirkst doch nicht wie ein Angeber", meint er dann und ich zucke bloß mit den Schultern.
Einen kurzen Moment lang herrscht Stille.
"Darf ich dich etwas fragen, Maurice?"
Fragend ziehe ich meine Augenbrauen in die Höhe, um Michael zu zeigen, dass er seine Frage stellen kann.
"Wie kann es sein, dass du mit deiner Sexualität so offen umgehst und mir direkt davon erzählst, dir die Sachen, die dir diese Jungs an den Kopf werfen, aber so zu schaffen machen?"
"Weißt du, ich schäme mich nicht für das, was ich bin. Meine Sexualität kann ich nicht ändern. Das bin ich. Und wie du schon gesagt hast, sollten wir Menschen nicht aufgrund des Geschlechts, das sie lieben, verurteilen. Aber wenn Menschen mich dann tatsächlich damit konfrontieren könnten und mich doch dafür verurteilen, dann verunsichert mich das natürlich. Jede Situation, in der sich Menschen auf irgendeine Art und Weise über mich lustig machen oder mich beschimpfen, ist unangenehm für mich. Ist es für jeden. Und oft ziehe ich dabei auch den Kürzeren. Ich habe nicht das Selbstbewusstsein mich gegen diese Sachen zu wehren. Trotzdem kann ich ja zu meiner Sexualität stehen, verstehst du was ich meine?"
Nachdenklich nickt Michael und die Kellnerin bringt unsere Getränke, die wir bestellt haben. Stumm ziehe ich die große Tasse ein Stück zu mir, rühre mit dem Löffel darin herum und packe den Keks, welcher auf dem kleinen Teller unter der Tasse liegt, aus.
"Eigentlich sollte es mir, oder allen, egal sein, was andere Menschen von mir denken. Irgendwie ist es das auch. Solange ich nicht mit den Gedanken von anderen über mich konfrontiert werde."
Ich beiße von dem Keks, den ich inzwischen ein paar Mal in das heiße Milchgetränk getaucht habe, einmal ab und schaue Michael an.
Er rührt ebenfalls mit seinem Löffel in seinem Getränk herum, jedoch macht er keine Anstalten, damit in den nächsten Minuten aufzuhören, denn er starrt einfach nur auf die sich nun bewegende Flüssigkeit und hängt in seinen Gedanken fest.
Irgendetwas scheint ihn zu beschäftigen. Und ich wüsste zu gerne was es ist.
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