
10 | Der Lavatunnel
Trigger: Enge, Dunkelheit, Atemnot
Emilio schwamm vor und suchte unter Wasser die Felswand mit der Taschenlampe ab. Nachdem er zwei Mal abgetaucht war, wies er schließlich auf eine Stelle unter uns. „Da ist es. Ich tauche vor und du folgst. Folge immer der Lampe. Ich kann nicht helfen, wenn dir was passiert", sagte er und sah mich ernst an. „Aber wenn du hinter mir bleibst, kann dir nichts passieren. Ich würde dich nicht in Gefahr bringen, Jamie! Vertrau mir!"
Stumm nickte ich und sah mir Emi noch einmal genau an. Wenn uns jetzt was passieren würde, hätte ich wenigstens einmal jemanden geküsst, den ich wirklich gern hatte. Noch ein letztes Mal atmete ich tief aus und sog dann so viel Luft in meine Lungen wie ich konnte. Dann folgte ich Emilio in die Tiefe.
Mit zwei kräftigen Zügen war ich bei der Öffnung, in die Emilio eine Sekunde vor mir verschwunden war.
Schwach sah ich das Licht der Taschenlampe vor mir, als ich mich durch den engen Durchlass zwängte. Bei dem Versuch, die Arme wie beim Schwimmen zu benutzen, stieß ich mir hart die Schulter an den Felsen und ließ vor Schmerz ein paar Luftblasen aus meiner Lunge entweichen, die vergnügt vor mir durch das Wasser tanzten und dann Emilio folgten, der bereits ein paar Meter vor mir schwamm und dabei nur seine Beine benutzte. Ich versuchte den Schmerz zu ignorieren und folgte Emi, dessen Schein der Taschenlampe langsam schwächer wurde. Würde sie ausgehen?
Angestrengt versuchte ich Emilio einzuholen und dabei nicht an die Felswände zu stoßen, die ich in der Dunkelheit kaum erkennen konnte. Das Licht der Lampe flackerte und für einen Moment konnte ich nur noch schwach die Umrisse der Person vor mir erkennen, die ich erst seit ein paar Tagen kannte und der ich in dieser Situation mein Leben anvertraute. Die Luft in meinen Lungen brannte und ich hatte das Bedürfnis tief einzuatmen.
Wie lange waren wir schon unterwegs? Wie weit war es noch bis zur Wasseroberfläche? Würde mir schon vorher die Luft ausgehen?
Mit aller Kraft konzentrierte ich mich auf das Flimmern der Lampe, als plötzlich totale Finsternis über mich kam und ich für einen Moment innehielt.
Die Lampe war erloschen und ich befand mich in schwarzer, kalter Dunkelheit. Ich hörte mein Herz in meiner Brust laut pochen und das Brennen in meiner Lunge wurde immer stärker.
Ich versuchte mich an den Gedanken zu klammern, dass Emilio immer noch über mir war und stieß mich, mit den Händen nach oben, in die Richtung, in der ich ihn das letzte Mal gesehen hatte. Meine Augen suchten die Finsternis ab und versuchten etwas zu erkennen, das ihnen Orientierung gab. Meine Finger stießen an eine Wand und ich zwang mich, nicht aufzuschreien, um nicht meine letzte Reserve zu verlieren.
Plötzlich sah ich etwas, das mir neue Hoffnung gab: Knapp über mir konnte ich endlich Licht sehen. Es kam nicht von der Taschenlampe, sondern musste von dem Ausgang kommen.
So schnell sie konnten strampelten meine Füße, bis das Licht immer näherkam und ich endlich mit dem Kopf durch die Wasseroberfläche brach.
Mein Mund und meine Nase öffneten sich, soweit sie konnten und sogen gierig die lebensrettende Luft ein, bis sich das schmerzende Gefühl in meiner Brust langsam legte und ich mich nach Emilio umsah.
Er saß auf einem Vorsprung neben mir und sah mich erleichtert an. Er schien kaum nach Atem ringen zu müssen, was mich auch nicht sehr verwunderte. Für ihn war diese Tortur wahrscheinlich ein Spaziergang gewesen.
„Alles gut, Jamie?", fragte er, während er mir die Hand reichte und mich an den Vorsprung heranzog.
„Nie wieder!", erwiderte ich und brachte das letzte bisschen Kraft auf, um mich neben Emi auf den Felsen zu ziehen. Erschöpft folgte ich ihm noch bis zu der obersten Ebene, von der man schon den Ausgang erkennen konnte und legte mich dann einfach auf den Rücken und schloss die Augen. Müdigkeit überkam mich und ich wollte einfach nur ein paar Minuten liegen bleiben, um wieder zu Kräften zu kommen.
Es dauerte eine Weile, bis ich mich wieder gesammelt hatte. Ich hatte noch nie in meinem Leben so eine Angst gehabt, wie in diesen Minuten, in dem dunklen, engen Tunnel ohne Luft, nicht sicher, ob ich es noch rechtzeitig bis zum Ausgang schaffen würde.
Während ich auf dem Rücken, alle Viere von mir gestreckt, auf dem Felsen lag, ließ Emilio die gesammelten Münzen neben mir aus dem Säckchen fallen und begann sie zu zählen.
Da ich kaum noch Kraft hatte, mich zu rühren, kam der nächste Satz leise und schwach aus meinem Mund. „Reicht es?", fragte ich und hoffte, dass Emilio mich erlösen würde. Ich hatte keine Kraft und Lust, noch einmal in die Höhle hinabzutauchen und es beim nächsten Mal eventuell nicht wieder hinauszuschaffen. Doch den Gefallen tat er mir nicht.
„Ich muss noch mal runter. Morgen?", fragte er und sah mich bittend an.
„Bestimmt nicht", hauchte ich beinahe und war selbst erstaunt, dass meine Stimme so zaghaft klang.
„Alles in Ordnung?", fragte Emilio nun doch besorgt und kroch auf mich zu. Sein Gesicht tauchte über mir auf und seine dunklen Augen fixierten mich. „Du siehst blass aus!", stellte er fest und fühlte meine Stirn.
„Ich bin müde", brachte ich heraus und meine Augen begannen zuzufallen. Ich spürte, wie Emilio mich aufrichtete und sanft schüttelte.
„Nicht einschlafen, Jamie", befahl Emi laut und klopfte mir sanft auf die Wange. Meine Augen wollten sich am liebsten wieder schließen, doch Emilios Bemühungen halfen mir, sie offen zu halten.
„Scheiße!", fluchte Emi, „Du hast wohl zu lange die Luft angehalten, atme jetzt tief ein und aus. Okay, einatmen, ausatmen", wiederholte er und legte seine Hand auf meine Brust, um meine Atmung zu kontrollieren.
Ich tat, was er von mir verlangte und merkte, wie ich mich langsam besser zu fühlen begann. Die Hand auf meiner Brust beruhigte mich zusätzlich zu der tiefen Atmung und ich fand endlich die Kraft, mich aufzurichten.
Emi sah erleichtert aus und reichte mir mein Shirt und einen Schokoriegel aus dem Beutel. „Man, du hast mir grade echt Angst eingejagt", sagte er und strich sich eine dunkle Locke aus seinem hübschen Gesicht. Ich versuchte mich an einem Lächeln, während ich mein Shirt überstreifte.
„Ich hatte auch eine Scheißangst in dem Tunnel", gab ich zu. „Es war echt knapp, ich dachte schon, das war's."
Emilio schien erstaunt zu sein. „Du übertreibst", meinte er. Seine Einschätzung erschreckte mich.
„Ich übertreibe?", gab ich ziemlich bissig zurück. „Ich hatte Todesangst!", beharrte ich.
Emilio wusste anscheinend nicht, wie er mit meiner plötzlichen Wut umgehen sollte und schwieg. Mein Herz fing plötzlich erneut an zu rasen, mir wurde schwindelig und vor meinen Augen tanzten Sterne. Ich konnte mich nicht dagegen wehren, dass mir die Augen zufielen. Alles war schwarz. Aus der Ferne hörte ich noch Emilios panische Stimme. „Jamie!"
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