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Kapitel V

Kühler Wind lässt das Laub der Bäume rascheln, vereinzelt segeln Blätter zu uns herab und werden von unseren Stiefeln zu feinem Staub zermalmt. Wie auch die letzten Tage wandern wir bereits seit Stunden durch Waldgebiet und über verwilderte Wiesen. Wir haben weder Kompass noch Karte, sondern folgen einfach nur dem sanften Plätschern des Flusses Gudana. Tagsüber wacht die blasse Januarsonne über unsere buntzusammengewürfelte Truppe, nachts tut es der silbrige Mond. Wir sind eine Gemeinschaft, die sich erst zurechtfinden muss, um bestehen zu können. Doch es dauert nicht lange, bis erste Rollen verteilt werden und ungewollte Hierarchien entstehen. Keiner spricht es auch, aber jeder weiß, dass Clarice der rohe Diamant ist, der um jeden Preis beschützt werden muss. Sie ist die Verbindung zwischen Königin Charis und Zinariya; sie ist der einzige Grund, warum wir nun hier stehen. Ich bin so etwas wie der Stratege der Gruppe, lasse die anderen an meinen Plänen teilhaben und halte mich ansonsten im Hintergrund. Meine verdammte Paranoia lässt mich bei kleinsten Bewegungen im Gebüsch aufschrecken.
Und wenn nicht der Drang, die Umgebung nach möglichen Verfolgern abzusuchen, meine ganze Aufmerksamkeit beansprucht, dann beobachte ich die anderen. Wie sie miteinander sprechen, welche Emotionen über ihre Gesichter huschen, wenn niemand hinsieht außer ich.
Janae überrascht mich am meisten. Es ist fast, als wäre sie geboren dazu, sich unangenehmen Situationen anzupassen und trotzdem ihre Heiterkeit nicht zu verlieren. Fröhlich pfeifend teilt sie unsere spärlichen Vorräte ein, kümmert sich um Verletzungen und drängt Clarice und mich dazu, ihr den Umgang mit Waffen zu lernen.
Ganz im Gegensatz dazu stellt sich Xanthio als die herbste Enttäuschung heraus, doch das würde ich nie laut aussprechen – am wenigstens vor Clarice. Ich beobachte, wie ihre sorgenvollen Blicke immer wieder zu Xanthio wandern, der wenig spricht und völlig in Gedanken versunken zu sein scheint.

„Wo genau wohnst du in Dasos?", höre ich Clarice Xanthio fragen und ich lasse mich ein Stückchen zu ihnen zurückfallen, um dem Gespräch zu lauschen.
Heute haben wir unsere Pause tagsüber eingelegt und wandern seit Einbruch der Dämmerung. Inzwischen muss es mitten in der Nacht sein, vielleicht beinahe Morgen. Eine frische Prise lässt die Bäume knarzen, während sich der Wald um uns herum langsam lichtet. Soweit mein Zeitgefühl mich nicht enttäuscht, sollten es nur mehr wenige Stunden Marsch bis nach Dasos sein. Beinahe ertappe ich mich dabei, wie ich zu den Göttinnen bete, dass wir noch vor Morgengrauen bei Xanthios Eltern Unterschlupf gefunden haben.
„Ich wohne eher am Stadtrand", meint Xanthio hinter mir; ich höre, wie er mit der Schuhspitze gegen eine aus dem Boden ragende Wurzel tritt, „Gemeinsam mit meinen Eltern und meiner kleinen Schwester. Mein Vater hat eine Tischlerei, die ich einmal übernehmen werde."
„Das hört sich toll an", ermutigt Clarice ihn, „Bestimmt wird sich deine Schwester freuen, wenn wir kommen."
Ich lasse meinen Blick in die Ferne wandern, wo die letzten Baumstämme des Hains wie graue Schatten in die Höhe ragen. Schummriges Mondlicht fällt zwischen ihren schmalen Ästen hindurch und erlaubt uns den Blick auf eine bergablaufende Wiese, die nach einigen hundert Metern in einen weiteren Wald verläuft.
„Seht ihr das Wäldchen hinter dem Feld?", fragt Xanthio unnötigerweise und drängt sich ein Stückchen nach vorne; er ist der Einzige, der sich hier auszukennen scheint, „Wenn wir zuerst die Wiese und dann den Wald überqueren, erreichen wir Dasos."
Hintereinander kämpfen wir uns durchs dichte Unterholz. Dornige Äste schneiden mich an den Wangen und Ranken umschlingen meine Beine, als wollten sie uns nicht freilassen.
„Wenn wir das heil überstehen, spreche ich ein Gebet", verkündet Janae und umklammert ihren Speer so fest sie kann. Es ist die einzige Waffe, die man schnell und ohne wenig Material bauen kann, und Janae kann relativ gut damit umgehen. Im Gegenteil zu Xanthio, der alle Waffen, die wir ihm in die Hand drücken, strikt ignoriert und verabscheut.

Endlich entkommen wir den Fängen des Waldes. Hinter mir taumelt Clarice aus dem Dickicht, das Haar zerzaust und voller Blätter. Ich lege die Finger fester um den kühlen Griff meines Messers, bevor wir das offene Feld betreten. Wir kommen gut voran; der Boden ist gefroren und wir hinterlassen kaum Fußspuren im Gras. Trotzdem fühle ich mich seltsam verfolgt, immer wieder schwenkt mein Blick den Hang hinauf hinter meine Schulter.
Als ein lauter Pfiff die Stille zerschneidet wie die Klinge eines Messers, zucke ich vor Schreck zusammen. Es ist kein Tierlaut, sondern ein gewöhnlicher, menschengemachter Ton. Ich bleibe schlagartig stehen. Im nächsten Moment kracht Clarice leise fluchend gegen meinen Rücken. Ich kann von Glück sprechen, dass sie ihr Messer nicht gezückt in der Hand hatte.
„Habt ihr das gehört?", zische ich, die anderen mustern mich aus geweiteten Augen.
Wie zu Eissäulen erstarrt lauschen wir in die Stille, bis auf einmal Hufgetrappel ertönt. Mein Blick flattert über die vor uns liegende Ebene und bleibt an den schemenhaften Umrissen in einiger Entfernung hängen. Mein Herz pocht laut und schmerzhaft gegen meine Rippen, als mir klar wird, dass sich die Schatten in unsere Richtung bewegen.
„Auf den Boden!", wispere ich, packe Clarice am Arm und ziehe sie mit mir nach unten. Ich vergrabe meinen Kopf in meinem Ellbogen und presse das Gesicht ins frostige Gras. Clarices Haar kitzelt mich am Hals, ich bete, dass die hohen Halme und die Dunkelheit uns verbergen werden.
„Das sind die Reiter von Königin Charis", höre ich Janae wispern. Ich hebe den Blick ein winziges Stück. Gerade hoch genug, um zu sehen, wie Clarice sich vor Angst in die Hand beißt, die Augen fest zusammengekniffen. Ich sollte die Hand nach ihrer ausstrecken, doch ich wage es nicht, mich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Sie suchen nach uns und das genau in dem Moment, in dem wir uns ungeschützt auf einer weiten Ebene befinden.
Wahrscheinlich werden sie und zu Tode trampeln, wenn sie uns nicht schon vorher entdecken. Beinahe kann ich schon den heißen Atem der Pferde in meinem Nacken spüren und die weichen Nüstern, die mich abtasten. Wir sind ihnen ausgeliefert und können nichts anderes tun, als still dazuliegen.

In dieser Sekunde ertönt ein weiterer Pfiff. Laut und deutlich und in einiger Entfernung. Wahrscheinlich dort, wo wir den schützenden Wald verlassen. Das Hufgetrappel hält inne und für einen winzigen Moment steht die ganze Welt still und wartet. Wartet darauf, dass die königlichen Reiter dem Laut folgen und zu kleinen Punkten in der Ferne werden. Wartet darauf, dass unsere geschockte, kleine Gruppe sich aufrappelt, erleichtert aufatmet und weiterzieht. Wartet darauf, dass sie das nächste Wäldchen erreicht und es sicher durchquert. Wartet darauf, dass sie tatsächlich bei Morgengrauen aus dem Schatten des Waldes tritt; voller Erleichterung und mit der Erwartung die Stadt Dasos vorzufinden. Das alles passiert, tritt der Reihe nach ein. Der zweite Pfiff rettet uns vor den Fängen der königlichen Reiter, wir ziehen weiter. Doch es ist die Erwartung, Dasos vorzufinden, die nicht erfüllt wird. Nicht ganz.
Denn Dasos war gefallen.
Ruinen ehemaliger Häuser ragen in den Himmel wie Denkmäler an eine vergangene Zeit, Rauch von längst gelöschten Bränden hängt noch wie festgeklebt über dem Kern des Dorfs und Steine, die über Generationen hinweg Dachbalken trugen, säumen den Weg.
Sie zeigen uns den Weg in eine tote Stadt.

~~~~

Es ist ein trauriges Bild, das sich vor unseren Augen auftut. Der Zaun aus hölzernen Pfeilern, der die wenigen Häuser zusammengehalten hat wie eine schützende Blase, liegt an vielen Stellen in Trümmern. Dadurch gelangen wir ohne weitere Umstände ins Dorfinnere. Die ersten Hütten, an denen wir vorbeigehen, befinden sich in den unterschiedlichsten Stadien der Zerstörung. Manche sind noch ganz, andere können ihrem einstigen Zustand nur noch nachtrauern. Halbe Haushälften, die verzweifelt versuchen, ihre Holzmauern aufrechtzuhalten. Halbe Kinderzimmer, in denen am Regal noch die Puppen sitzen und halbe Schlafzimmer, die weißen Laken noch im Wind flatternd. Scherben liegen im Gras zwischen den Häusern, nur der staubige Schotterweg schlängelt sich unversehrt durchs vernarbte Dorf.

Wer oder was auch immer Dasos zerstört hat, kannte keine Gnade. Wir ziehen orientierungslos zwischen den Häusern umher, Xanthio ist leichenblass, Clarice stützt ihn.
„Wo sind die Menschen?", fragt er und seine Stimme zittert. „Wo ist meine Familie?"
Janae legt vorsichtig ihren Arm um seine schmalen Schultern.
„Lass uns zuerst euer Haus suchen, bevor wir Schlüsse ziehen. Dieser ... dieser Angriff schien überraschend zu kommen, aber sie konnten bestimmt fliehen."
In diesem Punkt gebe ich ihr Recht. Dasos scheint menschenleer zu sein. Die Tatsache, dass wir bis jetzt keine Leichen gefunden haben, sollte uns beruhigen, aber seltsamerweise löst sie ein beklemmendes Gefühl in meiner Brust aus.
Xanthio führt uns durch eine schmale Seitengasse zwischen zwei Häusern hindurch, an denen wir inzwischen schon zwei Mal vorbeigekommen sind. Das Dorf ist klein, jeder muss jeden kennen, doch niemand ist mehr hier.
„Hier ist es", krächzt Xanthio und deutet auf ein dunkles Holzhaus, das von der schlimmsten Zerstörung verschont geblieben ist. Dem kleineren Schuppen, der sich an die Seitenwand schmiegt, fehlt ein ganzes Stück der Frontmauer, als hätte jemand sie mit Gewalt herausgerissen, doch das Wohnhaus ist in gutem Zustand.
Wir betreten gemeinschaftlich die kleine Veranda und sofort springen mir tausenden Details ins Auge. Ein umgeworfener Blumentopf am Fensterbrett, ein Schaukelstuhl auf der Terrasse und eine Fußmatte vor der Tür. Wer auch immer hier gewohnt hat, war nicht reich, aber eine anständige, völlig gewöhnliche Familie.
Xanthio schlingt seine Finger um die Türklinke und stößt sie auf. Wir landen in einem winzigen Flur, der in eine Küche führt.
„Mama? Papa?", fragt Xanthio vorsichtig und läuft von Raum zu Raum. Clarice bleibt bei ihm, während Janae mir ins Obergeschoss unter dem Dach folgt, wo ich die Schlafräume vermute. Wir scheinen beide denselben Gedanken zu haben. Janae spricht aus, was ich denke.
„Wir nehmen uns nur mit, was wir brauchen", meint sie und ich stimme ihr zu.
Es überrascht mich, mit welcher Gelassenheit sie die Situation nimmt.

Janae nimmt sich die erste Tür rechts im ersten Stock vor und ich die zweite. Es scheint Xanthios ehemaliges Zimmer gewesen zu sein. Nachdem er in den Schattenwald kam, wurde kaum etwas verändert. Das Bett ist gemacht und füllt fast den gesamten Raum aus, am Schreibtisch liegen alte Schulbücher herum und an der Dachschräge stoße ich mir beinahe den Kopf. Ich öffne die Kastentür, auch wenn mir unwohl bei dem Gedanken ist, in dem Kleiderschrank eines Fremden herumzuwühlen. In einem der Regalbretter liegt eine Ledertasche, die ich herunterangle.
„Was tust du da?", fragt jemand und ich drehe mich langsam um wie ein Dieb, der auf frischer Tat ertappt wurde. Es ist Clarice, die mich stirnrunzelnd mustert.
„Wir brauchen Vorräte. Hier können wir nicht bleiben."
„Wieso nicht? Ein menschenleeres Dorf, genügend zu essen, Betten. Hier ist alles, was wir brauchen."
Ich verrate ihr nicht, dass ich mich nicht wohl bei dem Gedanken fühle, hier zu bleiben. Der Geist des toten Dorfs hängt in der Luft und raubt mir den Atem.
„Wir können wenigstens jetzt alles für unsere Weiterreise vorbereiten", bestimme ich, „Geh zu Janae und hol dir etwas Frisches anzuziehen. Es gibt bestimmt etwas im Kleiderschrank von Xanthios Mutter."
Clarice sieht mich fassungslos an, dann schnaubt sie. „Wie kann man nur so herzlos sein!"
Sie stürmt aus dem Zimmer und knallt die Tür ins Schloss.
Einen Moment starre ich auf die Stelle, an der sie eben noch stand, die blonden Haare verfilzt und die Augen vor Wut blitzend. Auch wenn ich meinen Herzschlag laut in meinen Ohren dröhnen höre, weiß ich, dass ich mich nicht weiter darum kümmern kann. Außergewöhnliche Umstände erfordern außergewöhnliche Maßnahmen.
Und so bediene ich mich an Xanthios Kleiderschrank.

Als ich in die Küche gehe, um den Vorratsschrank abzuchecken, sitzen Clarice und Janae am Esstisch. Sie sind frisch gewaschen – ich vermute einen Brunnen hinter dem Haus – und in saubere, warme Kleidung gehüllt, die Janae wie angegossen passt und Clarice eine winzige Spur zu groß ist.
Als ihr kühler Blick mich trifft, melden sich die Schuldgefühle in mir erneut.
„Wir können ein paar Tage bleiben", verspreche ich ihr schließlich, „Aber wir müssen vorsichtig sein und im Haus bleiben. Ich werde dieses Kaff so bald wie möglich erkunden, um zu sehen, ob es sicher ist."
Janae hat sofort verstanden, worauf ich hinauswill. Sie runzelt besorgt die Stirn.
„Meinst du, das ist eine Falle?"
„Von wem denn?", fragt Clarice bissig, „Meint ihr etwa, Königin Charis zerstört ihre eigenen Städte? Und die Gestaltenwandler können es nicht gewesen sein. Ihnen fehlt es an Material und Kämpfern. Ich schaue jetzt nach Xanthio."
Schwungvoll erhebt sie sich und rauscht die Treppe nach oben, dass das Holzhaus nur so erzittert.
„Sie ist eine zarte Seele", meint Janae mit einem besorgten Unterton in der Stimme, „Genau wie Xanthio. Ich mache mir Sorgen um die beiden."
„Ich werde nach den beiden sehen", gebe ich mich seufzend geschlagen und lege die Ledertasche auf der Küchenzeile ab.

Diesmal schleiche ich die Stufen beinahe nach oben, das Holz knarzt kaum merklich unter meinen schweren Stiefeln. Vorsichtig luke ich in ein Zimmer nach dem anderen. Alle sind leer. Am hinteren Ende des Gangs befindet sich eine weitere Tür, an der ein hellrosa bemaltes Schild angebracht wurde. Gabriella steht in schön geschwungener Mädchenhandschrift darauf. Xanthios Schwester, schießt es mir durch den Kopf und ich öffne leise die Tür. Mitten im Raum steht Clarice, die ihre Arme um Xanthio geschlungen hat. Sie sehen so vertraut aus, wie sie ihren Kopf in seiner Halsbeuge vergräbt und er ihren Rücken tätschelt, dass ein heftiger Stich durch meine Brust fährt.
Beißende Wut keimt in mir auf und raubt mir den Atem. Ich hasse ihn. Ich hasse diesen Menschen, der ich bin. Ich hasse seine ruppige Art, seine kalten Gedanken und den verformten Klumpen, den er als sein Herz bezeichnet. Jetzt schmerzt er, drückt in meiner Brust wie ein Fremdkörper.
Sie ist eine zarte Seele. Und ich bin mit Abstand der herzloseste Mensch. Beinahe entweicht mir ein trockenes Lachen. Stattdessen trete ich hinaus in den Flur und schließe leise die Tür hinter mir.

~~~~

Ich hatte Recht mit dem Brunnen hinter dem Haus. Das Wasser ist so eisig, dass es an meiner Haut beißt und die bösen Gedanken aus meinem Kopf vertreibt. Als ich mir einen gesamten Kübel über den Schädel leere, wird meine Sicht endlich wieder klar. Erleichterung steigt in mir auf, als ich wieder Herr über meine Gefühle bin. Es wäre dumm, sich von ihnen steuern zu lassen, ihnen die Oberhand zu geben. Ich wasche mir den Dreck aus dem Gesicht und den Haaren, schütte Wasser über meinen Körper, bis er vor Kälte taub wird. Nur eine Hülle, denke ich, und reibe mich mit einem Handtuch trocken, bis meine Haut rot ist. Dann schlüpfe ich in frische Klamotten, die ich mir von Xanthio genommen habe. Die Hose ist mir ein Stück zu kurz und dem weißen Leinenhemd fehlt der oberste Knopf, aber ich beschwere mich nicht. Über das Hemd stülpe ich noch einen kratzigen Pullover, der mich warmhalten soll.

„Wenn du ins Dorf gehst, komme ich mit."
Ich halte inne, mein Spiegelbild tanzt unter mir an der unruhigen Oberfläche des Brunnens. Von meinen nassen Haaren tropft Wasser auf mein Abbild. Ich drehe mich um, lehne mich rücklings gegen die hüfthohe Brunnenmauer. Clarice steht dort vor der Hintertür von Xanthios Elternhaus, die Haare fallen ihr in weichen Wellen über die Schultern, sie kaut nervös auf ihrer Lippe. Mein Blick wandert zu ihren Händen. Hände verraten viel über die Gefühle von Menschen. Ihre sind in den Taschen des Pullovers vergraben, bestimmt zu Fäusten geballt. Vor Kälte oder vor Aufregung?
Mein Herz pocht gegen meinen Brustkorb, ich bewege die Finger, um die Starre zu lösen.
„Wenn du willst."
Sie nickt, die Lider gesenkt. Ich greife nach meinen schmutzigen Klamotten und forme sie zu einem Ball, den ich mir unter den Arm klemme. Als ich mich vom Brunnenrand abstoße, hebt sie den Kopf. Unsere Blicke treffen sich, landen aufeinander wie zwei Magnete. In meinem Magen kribbelt es seltsam und ich verschränke die Arme vor der Brust, als könnten sie mich schützen. Zwischen uns liegt etwas Unausgesprochenes, etwas, was den Platz ausfüllt, eine unüberwindbare Barriere.
„Es tut mir leid, dass ich während der Gefangenschaft nicht stärker darauf bestanden habe, die anderen zu überzeugen, auch dir zu helfen", sagt sie leise, die Worte gehetzt und wirr, als hätte sie Angst, sie auszusprechen.
„Schon in Ordnung", bringe ich hervor, meine Stimme ist rau, aber ich habe sie unter Kontrolle, „Ich bin es gewohnt, auf mich alleine gestellt zu sein."
Clarice weicht meinem Blick aus, ihre Unterlippe erzittert. Ich brauche dich, Arkyn. Ich schlucke, reißende Hitzewellen überschwappen meinen Körper. Vielleicht braucht sie mich tatsächlich; das Problem ist, dass ich niemanden brauche. Ich brauche doch nicht einmal meinen eigenen Körper, er ist eine Hülle, in der ich gefangen bin.
„Vielleicht sollten wir ehrlich miteinander sein. Wir stecken hier alle im selben Boot, das können wir nicht ändern", beginnt sie und unsere Blicke treffen erneut aufeinander.
„Worüber sollte ich ehrlich sein? Wir beide wissen, wie tief wir in der Scheiße stecken."
Meine Stimme ist so klirrend kalt, dass ich nicht anders kann, als das Gesicht zu verziehen. Doch entgegen meiner Erwartung ist es nicht die Enttäuschung, die in Clarices Augen blitzt, sondern blanker Zorn. Beinahe bin ich erleichtert.
„Na schön, wenn du lieber wieder den unnahbaren Idioten spielen willst, nur zu!", schnauzt sie mich an und ich kann mir ein winziges Grinsen nicht verkneifen, doch das scheint sie nur noch mehr zu ärgern. Schnellen Schrittes kommt sie auf mich zu, ihre Finger ballen sich zu Fäusten, als wäre sie jederzeit bereit, auf mich loszugehen. Beschwichtigend hebe ich die Arme und sie boxt mit ihrer rechten Faust auf meine Handfläche. Wie aus einem Reflex heraus, umschließen meine Finger ihre Faust. Sie will sich losreißen, doch ich halte sie fest.
„Willst du wissen, was ich denke?", wispere ich und die roten Lichtpunkte der aufgehenden Sonne spiegeln sich in ihren Augen, „Ich halte Xanthio für einen Schwächling, Janae für klug, aber zu impulsiv und dich für naiv. Glaubst du, wir sind hier in Sicherheit? Denkst du wirklich, wir werden bei deinen Eltern in Sicherheit sein?"
Ich lasse ihre Faust los, ihre Augenbrauen verdichten sich.
„Was ist mit deinen Eltern?", zischt sie und ich halte in der Bewegung inne. Erneut überrollt mich eine Welle, diesmal sprüht sie vor lauter Hass. Er scheint mich von innen zu zerfressen.
„Ich habe keine Eltern."
Ich spucke das letzte Wort aus, als handle es sich um einen Fluch, der einen jeden in den Tod bringen kann. Clarices Miene wird weich, sie beißt sich auf die Lippe. Ein zischendes Schnauben entweicht mir, mein Herz trommelt unaufhaltsam gegen meine Rippen, als wolle es freibrechen. Ich stoße mich vom Brunnenrand ab und weiche ihr aus, als sie nach meinem Arm greifen will.
„Arkyn, ich wollte nicht ...", beginnt sie, doch ich unterbreche sie.
„Ich habe keine Eltern und ich brauche auch keine", rufe ich und gehe rückwärts zurück zum Haus, um ihre rotglühenden Wangen noch einen Moment länger betrachten zu können, „Es ist großartig, weißt du? Keine Verpflichtungen, keine Menschen, die glauben dir vorschreiben zu können, wie du zu sein hast."
Ihre Augen weiten sich erschrocken, die Hände wandern zurück in die Taschen ihres Pullovers. Ich hole tief Luft, die Kälte beißt mich in den Lungen.
„Ich erwarte nicht von dir das zu verstehen, Clarice", sage ich und meine es ernst.
Sie ist ein zahmer Vogel, der im behüteten Nest aufgewachsen ist, aber ich bin ein Raubvogel. Und so ist es am besten.

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