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Kapitel IX

Ich eile planlos durch die nächtlichen Straßen, mein keuchender Atem vermischt sich mit den Schluchzern, die mir über die Lippen purzeln. Tränen ziehen ihre Spur über meine Wangen. Der Schock sitzt mir noch tief in den Knochen, ich schaffe es nicht, auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen. Das Einzige, was ich weiß, ist, dass ich nicht zurückkann. Was, wenn die Wachen mir erneut auflauern?
Ich drossle mein Tempo und versuche mich in dem unübersichtlichen Gewirr an Seitengassen zu orientieren, in die ich mich vollkommen gedankenlos gestürzt habe. Ich bete, dass ich irgendwo auf Janae oder Panduk stoße, doch bis auf das Heulen des Windes, der mir die Haare ins Gesicht bläst, bin ich ganz alleine.
Wo sind meine Eltern? Wo sind meine Freunde?
Ich sinke hinter einer stinkenden Mülltonne zusammen und vergrabe den Kopf in den Händen. Meine Haut fühlt sich rot und geschwollen zwischen meinen Fingern an, in meinen Augen brennt es. Der Gedanke an die Wachmänner im Haus meiner Eltern lässt mich erschaudern. Es fühlt sich an wie Vertrauensbruch, dass Charis ihnen den Einlass in mein Heim gewährt hat. Dass sie mit ihren dreckigen Stiefeln über den blankpolierten Boden gehen durften, vielleicht sogar mein eigenes Zimmer durchsuchten.
Erneut plagen mich die Tränen in den Augen. Was bleibt mir über, als zurückzugehen?
Als ich eine Ratte neben mir quieken höre, kämpfe ich mich schnell zurück auf die Beine. Blindlings verändere ich meine Gestalt, bevor ich mir den ganzen Weg zurück erschließe. Wie in Trance biege ich ab, Ecke um Ecke, eile weiter, Straße um Straße.

Ein zweites Mal an diesem Tag tut sich das rote Ziegelwerk meines Elternhauses vor mir auf, diesmal verhüllt es die Dunkelheit. Ich lege die letzten Meter zum Gartentor zurück, quietschend öffnet es sich und erinnert mich daran, wie sehr es meine Mutter geärgert hat, weil mein Vater es nie ölen wollte. Es gibt wichtigeres im Leben als ein geöltes Gartentor, Camille, hatte er zu ihr gesagt, was meiner Mutter nur ein wutentbranntes Schnauben entlocken konnte.
Der Kies knirscht unter meinen Füßen, im Wind rascheln die Blätter meines Harita-Baumes.
Ich halte an, als mich eine Welle aus Erinnerungen beinahe von den Füßen reißt.
Ich sehe mein fünfjähriges Selbst, das im Vorgarten in der Erde wühlt und einen leuchtenden Samen vergräbt, der einmal zu einem stattlichen Baum heranwächst. Ich sehe meine Eltern, die auf der Veranda stehen und mir nachwinken, als ich das erste Mal meinen Schulweg beschreite. Ich sehe mich durch die Fensterscheibe im ersten Stock, wo ich sitze und lese. Geborgen und gut behütet, aber auf der Suche nach Abenteuern, die ich nur in meinen Büchern finden kann. Denn im echten Leben passiert all dies nicht. Dachte ich zumindest.
Und jetzt stehe ich hier, am Kiesweg zur Eingangstür hinauf, den ich schon tausende Male bestritten habe. Ich stehe hier und bin eine Gestaltenwandlerin, werde von den Wachen der Königin gesucht, während mir Zinariya und ihr Gefolge den Tod wünschen. Ich stehe hier und bin ganz alleine. Meine Freunde sind weg, meine Eltern nicht mehr dort, wo ich aufgewachsen bin. Wie konnte das alles passieren?

Die Tränen quellen erneut aus meinen Augen, klammern sich einen winzigen Moment an meine Wasserlinie, bevor sie loslassen und meine Wange benetzen. Ihr salziger Geschmack landet auf meinen Lippen.
„Clarice?"
Vor Schreck zucke ich zusammen. Träume ich? Ich trage eine veränderte Gestalt, wer hat mich trotzdem erkannt? Mein Herz stolpert in meiner Brust, als sich die schemenhaften Umrisse einer Person aus dem Schatten der Hauswand lösen und nähertreten. Ich muss die Augen zusammenkneifen, um Arkyn in der Dunkelheit auszumachen. Zögerlich lasse ich die veränderte Gestalt fallen und nehme wieder meine eigene an. Der Kies knirscht unter Arkyns Stiefeln, als er näherkommt, mindestens so misstrauisch wie ich.
Hier stehen wir also, mustern einander kritisch. Ich höre meinem eigenen Herzschlag zu, der so laut durch meinen Körper pulsiert, dass ich das Gefühl habe, ohnmächtig zu werden.
Es ist wirklich Arkyn.
„Geht's dir gut? Bist du verletzt?", fragt er, sein Blick wandert prüfend über mein Gesicht und meinen Körper, während ich wie betäubt in seine Augen starre.
„Nein", murmle ich, als mir klar wird, dass die Stille zwischen uns schon zu lange wird, „Nein, bin ich nicht."
Schnell wische ich mir übers Gesicht, versuche erneut, die Spuren meiner Trauer zu vernichten. Arkyns ernste Miene schüchtert mich ein. Wie in aller Welt schafft er es, eine solche Distanz zu allem zu halten, was in seiner Umgebung passiert?
„Ich hatte Angst, dass ich alleine bin", gebe ich zu und hole erstmals wieder tief Luft. Mein Atem zittert vom erschöpfenden Weinen.
„Bist du nicht", meint Arkyn, die Stimme nun doch eine Spur kratzig.
Das dunkle Onyxfarben seiner Augen trifft mich mit voller Wucht. Ich schaffe es nicht, meinen Blick zu halten. Er wandert die schmale Nase hinunter zu seinen geschwungenen Lippen. Als ich merke, was ich da tue, reiße ich den Blick wieder hinauf zu seinen Augen. Das Funkeln in ihnen lässt ein Kribbeln in meiner Magengrube aufstieben.

„Wenn ihr euch jetzt küsst, kotze ich."
Erschrocken reiße ich herum und erblicke ein Paar schwarzer Stiefel, die direkt aus meinem Harita-Baum zu baumeln scheinen. Es dauert nicht lange, da folgen die dazugehörigen Beine und der Oberkörper. Es ist Panduk, die sich abstößt und geräuschlos wie eine Katze wieder auf den Beinen landet. Sie streicht sich imaginären Dreck von der Hose und lacht leise, als sie unsere erschrockenen Gesichter sieht. Akryn vergräbt die Hände in den Hosentaschen.
„Ich dachte mir schon, dass ihr beide wieder hierher zurückkommen werdet", meint sie und fährt sich mit den Fingern durchs kinnlange Haar, „Jetzt fehlen nur noch Janae und Xanthio."
„Ist Xanthio nicht bei dir geblieben?", frage ich Arkyn und ich merke, wie sich sein Kiefer anspannt. Ob er wütend ist, weil ich ihm die Aufgabe, Xanthio zu retten, zugeschoben habe?
Ich will gerade nachhaken, doch eine Bewegung, die ich im Augenwinkel wahrnehme, lenkt mich ab. Es ist ein wildhüpfender, roter Schopf, der sich auf uns zubewegt, und eine Millisekunde später habe ich Janae auch schon in die Arme geschlossen.
„Ich dachte schon, wir finden uns nie wieder", seufzt sie erleichtert und löst sich aus der Umarmung. Ich will nachfragen, wie sie es geschafft hat, sich vor den Wachen zu verbergen, doch da hat Panduk schon das Wort ergriffen.
„Drei Fragen: Wie finden wir Xanthio? Wo schlafen wir heute Nacht? Und wieso konnten uns Charis' Wachen auflauern?"
Ihr fragender Blick wandert durch die Runde und bleibt kurz bei Arkyn hängen, bevor er zu mir weiterzieht. Ich zucke die Schultern.
„Wir können auf jeden Fall nicht in Clarices Elternhaus bleiben. Die Wachen können genauso gut denselben Gedanken haben wie wir und zurückkehren", meint Janae und ich nicke zustimmend.
„Mein Gefühl sagt mir, dass wir die nächsten Stunden unsere Ruhe haben werden. Wir können uns genauso gut drinnen aufwärmen und die weitere Vorgehensweise besprechen", lenkt Arkyn ein und so kommt es, dass ich ein Rudel Gestaltenwandler ins Haus meiner Eltern lasse. Ich lasse es zu, dass sie mit ihren Straßenschuhen über die blankpolierten Fliesen stapfen, die Eckbank im Speisezimmer in Beschlag nehmen und ihre Ellbogen auf den Tisch aufstützen, während sie sich verstohlen in meinem Reich umsehen.

Seufzend lasse ich mich neben Arkyn nieder, der aufmerksam die Vasen meiner Mutter am Regal betrachtet. Dazwischen schummeln sich immer wieder ein paar Bücher meines Vaters.
„Wo könnten meine Eltern sein?", rutscht es mir heraus und bevor die Worte auch nur über meine Lippen kommen, weiß ich schon, dass es erbärmlich klingt.
„Königin Charis muss geahnt haben, dass du zurückkommst. Wir sind direkt in die Falle getappt", klinkt sich Janae ein und streicht mir tröstend über den Arm.
„Wahrscheinlich wurden deine Eltern anderswo untergebracht, aber es geht ihnen bestimmt gut", fügt sie hinzu, „Sie kann ihnen nichts tun, sie sind der Köder. Der Köder, dass du dich ihr auslieferst."
Arkyn sagt nichts, er sieht mich nicht einmal an. Stattdessen spielen seine Finger mit dem Tischtuch und immer wieder fährt er sich durch die Haare. Arkyn Anduru ist nervös und der freie Platz in unserer Runde, an dem Xanthio hätte sitzen sollen, macht mich ganz unruhig.
„Frage eins", sage ich leise und Arkyns Augen funkeln schwarz wie die Nacht, als er den Kopf langsam zu mir dreht, „Wo ist Xanthio, Arkyn?"
„Nicht hier", quetscht er hervor und mir schwant Böses.
„Hat die Königin ihn?"
Meine Stimme ist kaum mehr als ein Zittern. Ich will auf die Beine springen und jede einzelne Vase vom Regal fegen, doch in diesem Moment habe ich nur Augen für Arkyns Blick. Seine Brauen verdichten sich und ein Schatten huscht über sein Gesicht, aber er bleibt still.
Sein Schweigen ist Antwort genug und bevor ich mich beherrschen kann, donnert meine Faust bereits auf das massive Holz des Tischs. Die leere Teekanne samt der beiden Tassen, die noch am Tisch stehen, springen in die Höhe und Janae mustert mich aus großen, erschrockenen Augen an.
„Verdammte Scheiße", entfährt es mir und ich vergrabe den Kopf in den Händen. Das Rauschen in meinen Ohren übertönt Janaes beruhigendes Gemurmel. Ich war mir so sicher, dass Arkyn mit irgendeinem Trick aus den Fängen der Wachen befreien konnte. Ich war mir so sicher, dass Arkyn alles schaffen könnte. Als ich den Blick hebe, sehe ich den Schmerz in seinen Augen aufblitzen.
„Charis wird ihm nichts tun, hörst du, Liebling? Das ist ein Köder", flüstert Janae mir ins Ohr und drückt meinen Arm. Ich nicke, starre in Panduks versteinerte Miene und mustere Arkyns knirschenden Kiefer.

Janae erhebt sich vom Tisch und verschwindet in unserer Speisekammer. Schweigend sehe ich zu, wie sie Teller sucht und verteilt. Arkyn greift nach dem Brotlaib, den sie ihm hinhält und beginnt, ein paar Scheiben abzuschneiden. Ich mustere seinen konzentrierten Blick, lasse mir von Janae eine Scheibe Käse aufs Brot legen und beiße dann ab. Die Welt um mich herum fühlt sich unecht an, wie ein Alptraum.
Unser gleichmäßiges Kauen erklingt, eine Weile lang essen wir einfach nur schweigend und warten, bis sich der Sturm gelegt hat. Nachdem wir uns gestärkt haben, zwinge ich mich auf die Beine und helfe Janae, alles abzuräumen.
Als Panduks Stimme ertönt und sie uns zu sich ruft, kehren wir zurück an den Esstisch.
Ihre Augen blitzen, als sie mit einem zerfledderten Haufen Papier vor unseren Nasen herumwedelt.
„Was hast du da?", frage ich misstrauisch und sie grinst.
„Die Zeitung, die Janae mitgenommen hat", meint sie und da fällt es mir wieder ein. Janae nimmt Panduk das zerfledderte Ding aus der Hand. Ich werfe einen Blick über ihre Schulter.
Auf der Titelseite prangt riesengroß eine Schlagzeile.

Dasos dem Erdboden gleichgemacht! Flüchtende in Satied untergebracht!

„Lies vor", bestimmt Panduk und Janae beginnt.
„In der Nacht von Mittwoch, dem 5. Jänner, auf Donnerstag, den 6. Jänner, wurde das nördlich von Satied gelegene Dorf Dasos dem Erdboden gleichgemacht. Laut mehrerer Quellen gilt die Zerstörung der Stadt als Teil eines Planes der Gestaltenwandler, die vermutlich wenige Tage zuvor aus dem Schattenwald fliehen konnten und dabei die Mauer zerstörten, die das gesamte Land vor den Schattenkreaturen schützt. Die Anzahl der Toten ist unklar. Während ein kleiner Teil der Bewohner in der Stadt blieb, werden derzeit Bemühungen unternommen, die Flüchtenden in Satied unterzubringen. In dieser schweren Zeit ist es besonders wichtig, sich vor den Schattenkreaturen schützen zu können, denen es nun möglich ist, im ganzen Land Schaden anzurichten. Das Heer hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Bestien ausfindig zu machen und zu vernichten, aber wie sie sich selbst schützen können, erfahren sie auf Seite 7. Gesucht sind auch Satianer, die sich bereit erklären, einer Familie aus Dasos ein Heim zu bieten. Mehr hierzu erfahren sie auf Seite 8."

Als Janaes Worte verebben, ist es mucksmäuschenstill.
Panduk ist die Erste, die ihre Stimme wiederfindet.
„Das kann nicht sein, oder?", entfährt es ihr und sie reißt Janae die Zeitung aus der Hand, „Die Gestaltenwandler haben das Tor zum Schattenwald geöffnet, um diese widerwärtigen Kreaturen freizulassen?"
„Wann war das?", falle ich ihr ins Wort, „Was war am fünften Jänner?"
Arkyn verengt die Augen zu Schlitzen, als müsse er zurückdenken, wo wir an diesem Tag waren.
„Das war ein paar Tage, bevor wir aus Fatalwa geflohen sind", meint er schließlich und ich sinke beinahe etwas erleichtert in die Bank zurück.
Für einen Moment dachte ich, dass es meine Schuld ist, dass nun auch noch die Schattenwesen auf unser Land losgelassen wurden. Kurz glaubte ich, dass Zinariya sie vor rasender Wut nach meiner Flucht aus der Geisterstadt auf Duniya gehetzt hat. Aber in Wahrheit waren die Kreaturen schon frei, während wir Richtung Dasos zogen.
„Wir sind verdammte Glückspilze, dass wir keiner dieser Bestien begegnet sind ", entfährt es Panduk und ein trockenes Lachen rutscht ihr über die Lippen. Sie hat Recht. Bei unseren Wanderungen durch verlassene Wälder wäre es ein leichtes für diverse Schattenwesen gewesen, uns zu attackieren.
„Niemand hier ist mehr sicher", flüstert Janae und presst ihre blassen Hände auf den Mund. In ihren Augen spiegelt sich das blanke Entsetzen.
„Was tun wir jetzt?", frage ich und mein Blick wandert automatisch zu Arkyn, der sich kurz räuspert.
„Nichts. Warten."

~~~~

Aus Angst, jemand könnte unsere Anwesenheit in meinem Zuhause bemerken, wandere ich von Raum zu Raum und ziehe jeden einzelnen Vorhang zu. Ich höre die anderen im Obergeschoß rumoren, wo sie sich auf die Gästezimmer aufteilen, einander eine gute Nacht wünschen und klackend die schweren Türen schließen. Ich lösche das Licht im Speisezimmer und husche durch den schmalen Gang in die Küche, wo ich einen prüfenden Blick in die angrenzende Speisekammer werfe. Halbvolle Porzellangefäße reihen sich akribisch an Gläser in allen Größen und Formen. Mein Blick gleitet zu den Körben mit Gemüse, die meine Mutter auf den Boden unter den Aufbewahrungsbrettern platziert hat. Ich gehe neben einem mit Karotten gefüllten Korb in die Hocke. Braune Flecken zeichnen sich auf der schrumpeligen, orangefarbenen Haut ab, die grünen Enden hängen welk zu Boden.
Ächzend erhebe ich mich, mein Herz trommelt vor Aufregung gegen meine Brust. Wenn das Gemüse hier schon welk ist, muss das bedeuten, dass meine Eltern schon länger weg sind.

„Plagt dich eine nächtliche Hungerattacke?"
Ich zucke zusammen.
„Erschreck mich nicht so!", schimpfe ich und drehe mich zu Arkyn um, der im Türrahmen erschienen ist.
„Du spielst also Detektivin", errät er, ein winziges Schmunzeln ziert seine Lippen.
„Was willst du, Arkyn?"
Meine Stimme klingt distanzierter als beabsichtigt und das vorsichtige Lächeln tropft von Arkyns Lippen wie klebriger Honig. Ich löse die verschränkten Arme. Weil sowieso keine Antwort von ihm kommt, beschließe ich, ihm entgegenzukommen.
„Willst du mein Zimmer sehen?"
Er zögert kurz, dann nickt er. Gemeinsam huschen wir die Treppe hinauf. Meine Finger umklammern die letzte Stange des Treppengeländers, die an genau dieser Stelle schon ganz abgegriffen ist, weil ich sie immer nutze, um mich in vollem Karacho um die Kurve zu schwingen. Ich höre Arkyns leises Lachen im Rücken, als er versucht, mich einzuholen.
Völlig außer Atem erreiche ich das Ende des Gangs und reiße die letzte Tür auf der linken Seite auf, die in mein Reich führt.

Mit einem ratsch entzünde ich ein Streichholz und lasse die kleine Flamme dann auf die drei Dochte der Kerzen auf meiner Kredenz überwandern. Ein schummriger Lichtschein wabert durch den Raum und wirft große Schatten an die Wand. Mit unverhohlenem Interesse lässt Arkyn den Blick durch den Raum gleiten, von dem Himmelbett aus dunklem Mahagoniholz, zum Kleiderschrank, der die Hälfte einer Wandseite annimmt, und weiter zu meinem ganzen Stolz: einem Erkerfenster, das hinaus in den Garten hinter dem Haus zeigt. In der runden Ausbuchtung steht mein weißer Chintz-Stuhl, der mit einem blassrosa Blütenmuster überzogen ist; am Fensterbrett stapeln sich die Bücher.
„So lebt es sich also als geborene Ovun", scherzt Arkyn, aber der bittere Klang seiner Stimme ist unüberhörbar. Ich habe keine Eltern. Vorsichtig lasse ich mich auf der Bettkante nieder, während Arkyn die Umschläge der Bücher mustert. Er legt den Kopf schief, um die Titel auf den Buchrücken entziffern zu können, und mir läuft ein Schauer über den Rücken. Es fühlt sich falsch an, ihn in meinem Zimmer stehen zu sehen. Meinem Zimmer. Es ist beinahe so, als würde das alles eine unsichtbare Grenze überschreiten. Doch ich sage nichts, sehe schweigend zu, wie er die Sachbücher, auch welche von meinem Vater, und meine heißgeliebten Gruselbücher mustert.

„Ein Märchen- und Sagensammelband?", fragt Arkyn belustigt und hebt ein Buch mit rotem Samtumschlag und goldenem Schriftzug hoch. Ich verziehe gespielt böse das Gesicht.
„Leg das nieder! Ich würde für dieses Buch sterben", entrüste ich mich.
Als Arkyn keine Anstalten macht, mir zu gehorchen, springe ich vom Bett auf, um ihm das Ding aus der Hand zu reißen. Mit einem gewaltigen Satz umrunde ich den Lesesessel und greife nach meinem Schatzstück, doch Arkyns Reflexe sind wie immer unbezwingbar. Er reckt den Arm mit dem Buch in die Höhe und grinst selbstgefällig.
Ich schnaube. „Wenn du glaubst, dass ich springe, hast du dich geschnitten."
Er zieht eine Augenbraue hoch und erwidert: „Ein einfaches Bitte, lieber Arkyn würde mir schon reichen."
Bevor er noch etwas hinzufügen kann, hole ich mit dem rechten Fuß aus und trete ihm auf die Zehen. Obwohl er Stiefel trägt und wahrscheinlich überhaupt nichts gespürt hat, lenkt ihn der Tritt zumindest so weit ab, dass ich nach seinem Arm greifen und ihn zu mir herunterziehen kann. Geschickt entwende ich ihm mein Märchenbuch und presse den roten Samteinband an meine Brust, als wäre er mein wertvollster Schatz.
„Nicht schlecht, Ovun", gibt Arkyn zu und mein Herz stolpert hinter meinen Rippen. Wie kann es sein, dass diese zarte Stimme in mir immer noch nach ihm verlangt? Meine Finger verkrampfen sich um den Einband, als sein Blick den meinen trifft. In seinen dunklen Pupillen flackert das Kerzenlicht. Am liebsten würde ich mir die Augen zuhalten, denn mein Blick ist unaufhaltbar. Er gleitet einfach hinunter zu seinen Lippen. Wie auf Kommando laufen hunderte Gedankenschleifen durch meinen Kopf. Sie legen sich wie eine Schlinge um meinen Hals, rauben mir den Atem.
Ich bin wie in Trance, als er vorsichtig nach dem Märchenbuch greift und meinen festen Griff löst. „Wir wollen ja nicht, dass du es zerquetschst", meint er heiser.
Der Klang seiner Stimme macht mich verrückt, doch ich nicke und lasse zu, dass er es auf seinen rechtmäßigen Platz am Fensterbrett legt. Es fügt sich zu den anderen Büchern hinzu wie das fehlende Puzzleteil.
„Ich sollte jetzt gehen", sagt Arkyn, die Stimme gehetzt, als wolle er eine Stille verhindern, „Ich hoffe, euer Diwan im Wohnzimmer ist bequem."
Mein Herz trommelt gegen meinen Brustkorb wie verrückt, aber ich versuche, die Ruhe zu bewahren. Ganz locker, Clarice, ermahnt mich eine innere Stimme.
„Absolut bequem", bestätige ich aus vollster Überzeugung und geleite ihn zur Zimmertür, „Vor drei Jahren musste ich eine ganze Woche dort schlafen, weil ich mir den Fuß verknackst hatte und die Stufen nicht hochgehen konnte."
Was rede ich denn da? Arkyn grinst und ich will nach der Türklinke greifen, während mir eine leichte Röte in die Wange kriecht.
„Gut zu wissen", meint er bloß und ich hätte am liebsten den Kopf gegen die Tür geschlagen.
„Ja, das ist es tatsächlich", plappere ich auch schon weiter, „Immerhin war ..."

Ich drehe mich um, will die Tür aufziehen, als ich gegen ihn stoße.
Da wären wir wieder. Der Wortschwall, der eben noch drohte, aus mir herauszubrechen, versiegt. Das Blut rauscht mir in den Ohren, jede Stelle meines Körpers scheint zu kribbeln, doch ich wage es nicht den Blick zu heben. Es ist nicht ratsam in Arkyns Augen zu sehen, wenn mich dabei ein jedes Mal das Bedürfnis überkommt, ihn zu küssen.
„Entweder du lässt mich jetzt gehen oder ...", beginnt Arkyn, doch da treffen unsere Blicke auch schon aufeinander. Er verstummt. Ich schlucke. Seine Augen funkeln golden, ich könnte jeden einzelnen Sprenkel zählen, wenn ich wollte.
„Verdammter Mist, oder?", wispert er und bevor ich nachhaken kann, spüre ich schon seinen Daumen an meiner Wange und die Handfläche am Hinterkopf.
„Absoluter Mist", flüstere ich, da treffen seine Lippen auch schon auf meine. Ein Feuer jagt durch meinen gesamten Körper, lässt mein Herz vor Schreck stolpern. Ich merke, wie sich mein Gehirn herunterfährt, spüre nur seinen Mund auf meinem. Wieso kann es nicht immer so sein? Die harte Klinke bohrt sich in meinen Rücken, als er mich gegen die Tür drückt.
Ein leises tschuldigung rutscht ihm über die Lippen und landet direkt auf meinen. Ich schlinge meine Arme um seinen Hals und lasse mich von ihm ein Stück nach rechts schieben.
Als er sich leise keuchend von mir löst, entweicht mir ein nervöses Lachen. Nicht gut, denke ich. Mein Herz rast in meiner Brust, als wäre ich einen verdammten Marathon gelaufen.
„Ähm, ich sollte ...", beginnt Arkyn und nimmt die Hände von der Tür, wo er sich eben noch abgestützt hat. Schnell nicke ich.
„Ja, du solltest ... ähm, du solltest tun, was du ... tun solltest", bringe ich lahm hervor und versuche, dem Blick in seinen dunkelglänzenden Augen standzuhalten.
Als mein zusammenhangsloses Gestotter ihm ein Lächeln ins Gesicht zaubert, merke ich, wie meine Beine endgültig unter mir nachgeben. Sicherheitshalber lehne ich mich wieder mit dem Rücken gegen die Tür. Arkyn räuspert sich.
„Naja, was ich tun sollte, ist, ins Bett zu gehen, also genauer gesagt in euer Wohnzimmer. Von daher müsstest du einen Schritt zur Seite treten, dass ich durch die Tür kann."
„Weiß ich doch", entfährt es mir und ich lache nervös, bevor ich mein Matschgehirn es endlich auf die Reihe bekommt, die verdammte Tür zu öffnen.
Als Arkyn im Gang verschwunden ist, schließe ich die Tür gerade rechtzeitig, bevor meine Beine den Geist aufgeben. Wie wackliger Pudding gleite ich an der Türinnenseite hinunter, bis ich am Boden lande. Nicht gut, denke ich, aber ich werde den Geschmack von Arkyns Lippen auf meinen nicht mehr los.

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