Deine Reaktion hat dich verraten
Während wir den Weg zum Arcadia entlangschreiten, überkommen mich Zweifel. Was, wenn Finnick mich in eine Falle lockt? Ich glaube nicht daran. Aber argwöhnisch zu sein, ist eine der Eigenschaften, die mir seit Jahren so vehement eingetrichtert wurden, dass es schwer ist, sie abzulegen.
Sona und Nyx treten gerade aus der Tür, als wir diese erreichen und sehen Finnick fragend an.
Ich mustere im Gegenzug die beiden. Diese Leute sind Fremde, was immer sie verbergen, eine gefährliche Unbekannte. Mein Herz schlägt schneller. Ich zwinge mich trotzdem dazu, ruhig zu bleiben.
„Ich möchte Mona gerne einweihen." Finnicks Stimme ist fest und entschlossen, seine Augen lassen keinen Raum für Zweifel. Ohne Umschweife, ohne breite Erklärungen sagt er es. So, wie er meine Hand am ersten Abend genommen hat. So, wie er mir gesagt hat, dass er mich mag. So scheint er zu sein. Direkt. Irgendwie gefällt mir das.
Sona und Nyx scheinen gerade nicht so begeistert von Finnicks direkter Art zu sein. Die Spannung in der Luft ist fast greifbar, als Sona und Nyx ihn und dann mich mit stechenden Blicken mustern. Ihre Gesichter verziehen sich in missmutiger Skepsis, als würden sie einen Verrat befürchten. Sona hebt eine Augenbraue, ihr Blick bohrt sich in Finnicks, als wolle sie sein Innerstes durchdringen. Wenn Estera, Mirea oder Severin mich so mustern würden, würde ich ganz schnell meine Worte zurücknehmen und mich verkriechen, doch Finnick sieht sie lediglich an. Nicht herausfordernd, sondern ganz sachlich. Die Atmosphäre ist geladen, jeder Augenblick scheint zu knistern vor unausgesprochener Spannung.
Bis Nyx theatralisch seufzt. „Mona, versteh das nicht falsch", sagt er und kratzt sich am Kopf. Er scheint in seinem raspelkurzen Haar nach dem zu suchen, was ich nicht falsch verstehen soll. Erwartungsvoll starre ich ihn an.
„Wir wissen nichts über dich." Sona beendet den Satz für ihn. Ich nicke. Dass sie ebenso misstrauisch zu sein scheint, wie ich, erleichtert mich auf perfide Weise. Finnick scheint ehrlich, aber kann ich Sona und Nyx wirklich vertrauen? Jeder Schritt fühlt sich an, als würde ich mich weiter in ein Netz aus Lügen und Geheimnissen verstricken, aus dem es kein Entkommen gibt.
Doch die Erinnerung an die letzte Mission lauert permanent in meinem Hinterkopf. Ich kann nicht einfach zu einem Leben zurückkehren, in dem solche Gräueltaten Alltag sind. Eigentlich wollte ich nur Finnick einweihen. Aber falls er recht hat und Sona und Nyx mir vielleicht helfen können - wenn nur ein Funke von Hoffnung besteht, die Schattentänzer zu verlassen – muss ich ihnen vertrauen.
Meine Instinkte und Menschenkenntnis zusammenkratzend entscheide ich, dass sie nicht wirken, als wenn sie mich verraten würden. Wie ich darauf komme, kann ich nicht erklären, aber sie scheinen vertrauenswürdig. Auch wenn ich noch nicht sicher bin, was hinter ihrer zum Teil seltsamen Kommunikation steckt.
„Ich habe Finnick alles erzählt, was es über mich zu wissen gibt." Ich versuche möglichst wenig meiner Unsicherheit in meiner Stimme hörbar zu machen, ohne dabei unverschämt zu klingen. Finnick nickt neben mir und sagt dann etwas, was meine Neugier endgültig entfesselt: „Und ich glaube, dass wir sie gut gebrauchen können." Finnicks Worte schneiden durch die Spannung wie ein scharfes Messer. Sona und Nyx tauschen Blicke, ihre Gesichtszüge werden nachdenklich, als sie die Bedeutung seiner Worte erfassen.
„Na gut", sagt Sona knapp und setzt sich in Bewegung. Nyx nickt in ihre Richtung und wir folgen zu dritt. Finnick drückt noch einmal meine Hand und lächelt mir aufmunternd zu. In was für eine Situation habe ich mich da hineinmanövriert?
Die große Lagerhalle erhebt sich wie ein stählernes Skelett inmitten der alten Fabrikgebäude des östlichen Fertigungsviertels. Neonlichter blinken an den rostigen Fassaden und werfen ein gespenstisches Licht auf die nassen Pflastersteine. Dicker Nebel zieht durch die verlassenen Straßen, vermischt mit dem Geruch von Asphalt und Elektronik. Das Brummen von Drohnen in der Ferne und das Rauschen des Windes erzeugen eine unheimliche Atmosphäre. Die riesige Halle selbst ist dunkel, doch aus dem Inneren glimmen vereinzelte Lichtpunkte von Terminals und Bildschirmen hervor, die dem Ort eine gespenstische Aura verleihen. Ich halte unwillkürlich den Atem an.
Nyx gibt einen Zugangscode in das holografische Terminal an der Wand ein. Die große Lagerhalle öffnet sich vor uns wie das Herz eines riesigen Cyberorganismus. Überall flackern Monitore, und Lichtschleier projizieren Hologramme von Datenströmen an die Wände. Ein kaltes, blaues Licht taucht den Raum in eine unwirkliche Atmosphäre, als ich meine Sinne schärfe und jeden Winkel der Halle mustere. Mikro-Drohnen flitzen durch die Luft, ihre metallischen Augen scannen unablässig die Umgebung. Eine große Konsole, von der unzählige Kabel wie Schlangen abgehen, steht im Zentrum des Raumes, umgeben von einem chaotischen Durcheinander aus Technologie und surrenden Geräten. Fassungslos versuche ich zu verstehen, was das hier für ein Ort ist. Es sieht aus wie der Serverraum in unserem Loft, aber in aufgeblasener Dimension.
„Willkommen im Schlangennest", verkündet Nyx, als wir die Halle betreten. Mein Kopf schnellt zu ihm herum und ich gehe in Verteidigungspose: Knie gebeugt, die Arme leicht vom Körper abgespreizt und bereit, eine Waffe zu zücken. Sona und Nyx runzeln die Stirn, deutliche Zeichen von Anspannung zeigen sich in ihrer Körpersprache, als sie meine Reaktion sehen. Erst Finnicks Lachen entschärft die Situation.
„Du musst uns für eine kriminelle Bande halten", erläutert er mir lächelnd. Ich blicke mich nur misstrauisch um. Sona und Nyx schauen mich immer noch skeptisch, aber nicht mehr misstrauisch an.
„Entgegen unserem Ruf sind wir keine Assassinen." Sonas Stimme klingt zwar freundlich, aber ihr Blick analysiert jede meiner Bewegungen. Sie spricht es nicht aus, doch der Vorwurf hängt in der Luft. Ich presse die Lippen zusammen und richte mich wieder auf. Entspanne meine Schultern.
„Du meinst, im Gegensatz zu mir." Da. Die Worte sind raus. Sonas Gesicht bleibt undurchdringlich, ihre Augen fixieren mich wie ein Raubtier, das seine Beute beobachtet. Jede Bewegung von mir scheint ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, als würde sie jede noch so kleine Regung in ihrem Kopf analysieren. Ich bemühe mich, meine Körpersprache so entspannt wie möglich zu halten, meine Schultern zu senken und meine Hände ruhig an meinen Seiten herabhängen zu lassen. Doch innerlich kämpfe ich gegen den Drang, mich zu verteidigen oder zu fliehen. Der Raum um uns herum wirkt plötzlich enger, die Luft schwerer, als wäre jede Entscheidung, die ich treffe, von Bedeutung. Nyx und Finnick sehen einander und dann uns an. Unschlüssig, als wüssten sie nicht, ob sie lachen oder eingreifen sollten. Ich weiß es ja selbst nicht.
„Deine Reaktion hat dich verraten. Nur Schattentänzer reagieren so auf Schlangen." Sie zuckt mit den Schultern und lächelt entschuldigend. Die Situation entspannt sich merklich.
„Aber lass uns doch an einen gemütlicheren Ort gehen, um das zu besprechen." Ihre Stimme klingt jetzt wieder wirklich herzlich. Ich scheine irgendeine Art von Test bestanden zu haben. Nyx und Sona gehen vor, Finnick und ich folgen. Finnick drückt mir dabei zuversichtlich die Hand. Ich sehe ihn an und sein Lächeln muntert mich auf. Wir betreten durch eine stählerne Schiebetür eine Wohnküche, deren Aufteilung mich unangenehm an die Mission von heute Abend erinnert. Dieser Raum sieht so absurd normal aus im Vergleich zu der großen Lagerhalle nebenan. Mir wäre es lieber gewesen in diesem pulsierenden Moloch aus Überwachungstechnik zu stehen, als die Gemütlichkeit dieses Zimmers zu ertragen. Zur Beruhigung atme ich tief ein und aus und lasse mich von Finnicks Hand in meiner im Hier und Jetzt verankern. Gemeinsam verteilen wir uns auf den hellgrau gepolsterten Sesseln und dem Sofa, die im hinteren Teil des Raumes stehen. Finnick und ich setzen uns nebeneinander auf das Sofa, wobei er sich so nah neben mir platziert, dass sich unsere Oberschenkel berühren.
„Erzähl uns doch etwas von dem, was du Finnick vorhin erzählt hast, damit wir entscheiden können, wie viel wir dir erzählen wollen." Dieses Mal ist es Nyx der spricht. Die offene Körperhaltung und Entspanntheit seiner massiven Schultern zeigen jedoch, dass die ernsten Worte eher eine Formalität sind. Er ist sich seiner Überlegenheit in einem möglichen Kampf ganz offensichtlich so sicher, dass er es nicht für nötig hält, kampfbereit zu sein. In Gedanken gehe ich alle möglichen Szenarien durch, wie ich ihn in diesem Raum trotz seiner Kraft überwältigen und niederstrecken könnte und entspanne mich ebenfalls.
Dann fange ich an. Ich erzähle erneut, wer ich bin, wo ich herkomme, dass ich bei den Schattentänzern aufgewachsen bin. Was ich nicht erzähle, ist, was heute Abend passiert ist. Das kann ich einfach nicht. Dafür erzähle ich, warum ich mir Maskenteile ins Gesicht kleben muss. Finnick mustert mich von der Seite. Vielleicht stellt er sich vor, wie ich ohne die Gesichtsmodifikationen aussehe. Ich lächle ihn an und hebe eine Augenbraue, wie um zu sagen: Später vielleicht.
Sona und Nyx tauschen ebenfalls einen Blick aus und scheinen zufrieden mit dem, was ich ihnen erzählt habe, denn sie nicken und Sona beginnt mir zu erzählen, wer die Schlangen sind und was sie eigentlich tun:
„Es gibt Menschen in dieser Stadt, die von der Regierung verfolgt werden. Sie werden gesucht und getötet, weil sie in der Lage sind das System der Überwachung zu unterwandern, indem sie ihr Aussehen verändern." Den bedeutungsvollen Blick auf meine Maskenteile bemerke ich kaum, da mein Herz plötzlich ganz langsam pocht.
„Sie ändern nicht nur, wie ihr Gesicht aussieht, sondern können ihr gesamtes Äußeres modifizieren, was der Regierung natürlich nicht gefällt. Seit mehreren Jahren versuchen wir also, diese Menschen ausfindig zu machen und in Sicherheit zu bringen, bevor der Staatsapparat und seine offiziellen und inoffiziellen Häscher es tun." Die Art, wie sie die inoffiziellen Häscher betont, lässt mich japsend eine Hand vor meinen Mund schlagen. Finnick sieht mich alarmiert an und fragt mich, was los sei, doch ich kann nicht antworten.
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