XX
Der Schnee ist rot. Er erinnert mich an die Flüsse aus Blut, durch die ich gewatet bin. Warm und klebrig. Das Gefühl ist noch da, irgendwo tief in mir. Ich fahre mit den Fingern über die rote Decke. So kalt... Der Tumpaw öffnet die Augen, starrt mich an. Dieser stechende Blick... Eine stumme Bitte. Ein Flehen. Das Sternenzeichen auf seiner Stirn flackert.
Ich stemme mich hoch. Komme ihm näher, immer näher. Spüre die Wärme unter seinen Schuppen, das leichte Zittern der Stacheln, das Flattern der Federn. Die Knochen sind Wachs unter meinen Händen. Ich schiebe sie, forme sie, lasse sie heilen. Der Tumpaw windet sich. Vor Schmerz. Vor Angst. Doch die Schwingen sind fest. Sie sind ein Teil von ihm.
Ich trete zurück. Mein Blick verschwimmt. Die Welt ist ein dichter Nebel, ein undurchdringlicher Schleier. Der Wind stößt mich zu Boden. Kälte empfängt mich, nimmt mich gefangen. Bin ich wirklich so schwach? Der warme Atem des Tumpaw berührt meine Wange, lässt den Schnee schmelzen. Er wird zu einem Fluss aus Blut. Und zwei Stiefel waten durch ihn hindurch. Auf mich zu. Bleiben stehen. Zwei Hände umfassen mein Gesicht.
Dieses Funkeln in den Augen. In den blaugrauen Augen. Ich kenne diese Farbe. Ich habe sie nicht vergessen. Nie. Nicht in den Flüssen aus Blut, nicht in seinem Verlies, nicht unter den Peitschen der Wächter. Was passiert, wenn Verrat und Liebe verschmelzen? Aber da ist nur Wut. Brennender Zorn in mir.
Ich öffne meine Lippen zu einem Schrei und sie versiegelt sie mit ihrem Kuss. Die Schatten klammern sich an mein Herz, wollen mich nicht loslassen. Die Welt schmilzt dahin, verschwindet in einem unendlichen Strudel. Ich fühle nur ihre Haut, sehe den Sternenglanz in ihrem Haar.
»Jehvana«, flüstere ich.
Sie löst sich von mir. Ihre Hände streicheln meine Wangen. Warm. Heiß. Wie ein Feuer. Das Sternenzeichen auf ihrer Stirn, ich kann es nicht sehen. Sie versteckt es hinter ihren Haaren. Wie damals, als ich sie das letzte Mal berührt habe. Und sie mich.
»Wie?«, frage ich. Suche nach einer Antwort. In den Augen. Doch sie funkeln nur.
»Unwichtig.« Ihre Stimme ist anders. Älter. Sie nimmt meine Hand. Hebt sie hoch. Küsst sie. Ihre Lippen sind kühl und heiß zugleich. Ihre Arme gleiten unter meinen Körper, heben mich hoch. Die Rüstung aus schillernden Schuppen liegt eng an. Ich höre ihren Herzschlag. Schnell, so schnell. Es pocht und pocht. Der Rhythmus des Lebens. Sie lebt. Aber... Sie ist gestorben. Unmöglich. Die Wunde, die leeren Augen. Blaugrau, ohne Glanz.
»Wie?«, frage ich wieder, doch ihr warmer Atem küsst meine Stirn, liebkost mich.
»Unwichtig.«
»Wohin gehen wir?«
»Nach Hause.«
Ich schließe die Augen, kämpfe die Wut nieder. Weiß sie es nicht? Weiß sie nicht, was er, der gesiegt hat, mit Feywor gemacht hat? »Unser Zuhause ist vernichtet.«
Ich höre ihr helles Lachen. So klar wie der Sternenhimmel in einer wolkenlosen Nacht. »Unser neues Zuhause.«
Ich seufze, atme ihren Duft ein. Sie duftet nach Gewitterluft, leicht und frisch. Erneuert. Ich höre das Plätschern des Blutes, durch das sie mich trägt. Und dahinter, weit entfernt, das kehlige Brummen des Tumpaw. Er ist unwichtig. Er ist nur ein Werkzeug in meinen Händen. Aber Jehvana... Jehvana ist alles.
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