Ein Shetty namens Jonah
Den Sonntag schlafe ich meinen Rausch aus und für Montag habe ich mir frei genommen, damit ich mit Zoe nach Blackpool fahren kann. In der Nähe der schönen Küstenstadt habe ich ein anthroposophisches Internat gefunden, das meine Tochter vielleicht aufnehmen könnte. Es ist schweineteuer und eigentlich hoffe ich, dass Zoe es nicht mögen wird, andererseits habe ich kaum noch Möglichkeiten. Ich fahre nicht gerne lange Strecken, also nehmen wir den Zug. Während der dreistündigen Fahrt daddelt Zoe mit ihrem iPhone herum und ignoriert mich, wie immer.
„Bist du immer noch sauer auf mich, weil ich Papa damals verlassen habe?" frage ich sie.
Sie schüttelt den Kopf.
„Ich habe kein Bock, darüber zu sprechen. Ist es noch weit? Mein Akku ist gleich alle."
„Hättest das Handy ja aufladen können, du wusstest ja... ach, vergiss es. Wir könnten uns doch unterhalten, wie früher?"
„Nö. Was ist nun mit dem Wochenende, darf Mika Charlotte mitbringen?"
„Ja, klar. Das weiß sie doch." murmele ich, während das Kind ihrer Schwester eine Antwort tippt.
Ich sehe Englands schöne Landschaft an mir vorbeiziehen. Diesen Schritt hatte ich nie bereut, ganz im Gegenteil. Meinen Job bekam ich durch Christopher, den ich auf einer Fortbildung in Manchester kennengelernt hatte und ich bin ihm sehr dankbar dafür. Und vor drei Jahren sprach mich Olivia auf einer DM- Party an. Wir schwatzen die ganze Nacht und waren danach unzertrennlich. Wir mögen so ziemlich die gleichen Serien und Filme und sie ist geschieden, genau wie ich. Der einzige Unterschied zu mir ist, dass Oli bei Männern nix anbrennen lässt und dass sie eine Abneigung gegen Kinder hat. Zum Glück hatte sie den Popstar am Samstag im Club nicht bemerkt. Ich hatte ihr gesagt, ich wäre solange auf Klo gewesen, weil mir vom Hugo schlecht geworden war. Sie hatte gegrinst und war dann mit Derek, ihrer neuen Eroberung, abgezogen.
Zoe weckt mich kurz vor Blackpool. Ein Taxi bringt uns zum Internat, das ziemlich weit außerhalb der schönen Stadt liegt. Mir fällt die Kinnlade runter, denn es ist wunderschön und idyllisch hier. Katzen, Hunde, Schafe, Ziegen und sogar Pferde laufen frei herum, wie in einem Streichelzoo. Keine Uniformen, kein „Nicht rennen auf den Gängen", sondern nur fröhliche Kinder. Dann schellt eine Glocke und alle sammeln sich artig vor den Klassenzimmern, die wie Wohnräume aussehen. Zoe darf zur Probe mit in den Unterricht und ich unterhalte mich mit dem sympathischen Direktor, der hemmungslos mit mir flirtet. Er zeigt mir alles, erklärt viel zu viel, doch ich lasse ihn. Dieser Ort hat bereits mein Herz gestohlen, der einzige Nachteil sind die horrenden Kosten, da die Schule nicht staatlich gefördert wird. Ich verdiene zwar ganz gut, aber der Unterhalt in London ist teuer. Meine Wohnung, Lebensmittel... und durch die verschiedenen Klienten ist mein Monatseinkommen nie gleich, die staatlichen Aufträge halten mich über Wasser. Ich kann es mir eigentlich nicht leisten, Jonah Crawley abzugeben. Aber andererseits wäre es noch schlimmer, seinetwegen meine Lizenz zu verlieren!
„Nun, was sagen sie, Mrs. Grieger?" unterbricht der Direktor, Mr. Barnes, meine Gedanken.
„Hört sich gut an."
Zugegeben, die letzte halbe Stunde habe ich nichts mehr mit bekommen, weil ich an den Lockenkopf denken musste. Und an unsere heiße Knutscherei. Zoe kommt fröhlich angelaufen und ich habe das leise Gefühl, dass sie einer Gehirnwäsche unterzogen wurde.
„Mama, das ist der Hammer hier! Ich habe einen Freund gefunden, er heißt Jonah Crawley und ist ein Shetland- Pony! Er hat mich gebissen! Aber ist nicht schlimm, nur in den Ärmel. Und dann waren wir Ziegen füttern und das war der Unterricht! Ich will hierher, biiitteee!"
Jonah Crawley, das Shetty, das kann ja nur in die Hose gehen! Ich antworte:
„Ja, gut. Überlegen wir uns auf der Rückfahrt, wie ich einen Millionär zum Heiraten finde."
„Dachte, du wolltest nicht mehr heiraten?"
Ich seufze.
„War auch nur Spaß. Aber ehrlich, das Internat ist sehr teuer. Ich sage Mr. Barnes, dass ich mich am Mittwoch melde und kläre das mit der Bank, okay?"
„Das wäre so toll. Ich sag kurz Jonah Tschüß."
Und weg ist sie. Ob Shetty- Jonah auch so gut küsst wie sein Namensvetter?
Auf der Rückfahrt quatscht mich meine süße Tochter dermaßen voll, dass ich trotz des Erlebnisses am Wochenende überglücklich bin. Wir kommen erst spät in London an, sodass ich den Bankbesuch auf morgen verschiebe.
Am nächsten Tag muss ich feststellen, dass meine treue Sekretärin einen fiesen Virus abbekommen hat. Morgens ist sie bis auf Husten und Schnupfen noch einigermaßen auf der Höhe, doch als ich vom Mittagessen zurück komme, sind ihre Augen glasig und ihre Haut ist völlig überhitzt. Ich seufze.
„Laura, du hast Fieber! Geh doch besser heim."
Sie nickt müde und ich bin überrascht. Ich hatte mit mehr Widerstand gerechnet, denn sie ist dafür bekannt, noch mit dem Kopf unterm Arm zur Arbeit zu kommen. Sie berichtet mir kurz, was sie gestern erledigt hätte, denn sie war im Gegensatz zu mir im Büro, um die Warteliste zu bearbeiten. Ich höre nur mit halben Ohr zu, denn ich bin in Gedanken schon beim Bankbesuch. Heute habe ich den Nachmittag frei, da Jonah's Termin ja weg fällt. Nachdem Laura raus ist, bemerke ich, dass ich sie nicht gefragt hatte, ob sie Jonah gestern die Telefonnummer von Chris gemailt hat. Nun gut, ich frage sie morgen. Nachdem der Afghanistan- Veteran gegangen ist, fahre ich noch schnell die Rechner runter. Plötzlich geht die Tür und der hübsche Lockenkopf schlendert herein. Sofort werde ich rot. Jonah legt den Kopf schief und fragt:
„Was ist los? Bin ich zu spät?"
Er schaut auf seine iWatch.
„Nein, zwei Minuten zu früh. Wieso sehen sie so aus, als wären sie auf dem Sprung, Dr. Grieger?"
Ich schaue ihn irritiert an.
„Ich meinte das am Samstag ernst, Mr. Crawley! Ich kann sie nicht mehr behandeln!"
Jetzt guckt er verwirrt.
„Was meinten sie ernst? Wieso Samstag? Ich durfte beim letzten Mal früher gehen und sie sind mir noch zehn Minuten Therapie schuldig. Zusätzlich zu den anderen."
Ich hole tief Luft. Kann ja wohl nicht wahr sein, jetzt tut er so, als wäre seine Zunge nie in meinem Hals gewesen?
„Das, was ich ihnen im Club gesagt habe, meine ich ernst! Sie können mir nicht einfach unter den Rock fassen und denken, alles wäre beim Alten!" fauche ich.
Ich muss nicht mehr Profi sein. Das ist vorbei! Jonah schüttelt den Kopf.
„Wovon reden sie bitte? Verwechseln sie jetzt Wunschdenken mit Realität?"
Ich nicke.
„Ja, klar. Spielen sie nur weiter das Ha...Ha... Hatschi!"
"Gesundheit." lächelt der Schuft.
"Danke. Warten sie..." entgegne ich und kritzle Chris' Nummer auf einen Post- it. Dann reiche ich es ihm. „Dr. Grady wird sie weiter behandeln. Und nun gehen sie, ich habe einen Termin."
Jonah guckt immer noch irritiert.
„Was habe ich ihnen denn bloß getan? Schauen sie mal, ich..."
Jonah hält einen Knautschball hoch.
„..den habe ich ihnen mitgebracht, sozusagen als Friedensangebot. Ihr alter Ball sieht ja wirklich nicht mehr schön aus..."
Er grinst so süß, dass ich mich fast anstecken lasse. Aber dann erinnere ich mich an diesen fiesen Blick und den Schmerz, den Jonah mir zugefügt hatte. Und der Banktyp wartet.
„Mr. Crawley... Das ist nett von ihnen, aber es wird meine Meinung nicht ändern. Sie... und ich, wie ich schon sagte... sind zu weit gegangen. Ich wünsche ihnen alles Gute."
Ich will an ihm vorbei, doch er hält mich am Arm fest und schüttelt den Kopf.
„Nein, ich lasse mich nicht einfach so abservieren für gar nichts."
„Sie haben mir weh getan!" fauche ich und mache mich energisch los.
„Ich hab sie nicht mal angefasst!" bölkt Jonah zurück.
Ich verdrehe die Augen und zur Strafe muss ich wieder niesen. Dann zische ich:
„Oh, hören sie doch mit der Show auf! Oder wollen sie sagen, dass sie so stoned waren, dass sie Samstag Nacht vergessen haben?"
Jonah blinzelt. Er öffnet den Mund, holt tief Luft und schließt ihn wieder. Plötzlich entspannen sich seine Gesichtszüge, als würde er etwas begreifen, was außerhalb meines Wissens liegt.
„Ja. Das kann sein. Ich...war wohl...ziemlich betrunken." murmelt er.
„Nein. Sie haben nicht nach Alkohol geschmeckt." entgegne ich leise.
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