5. Türchen
Hermine rieb sich die müden Augen und erlaubten ihnen, den Blick vom Pergament abzuwenden und ihn zum Fenster zu lenken. Es war bereits dunkel, aber der weiße Schnee erhellte die Dunkelheit. Die Bäume des verbotenen Waldes schwankten im mäßigen Wind.
Vier Tage waren zwischen Dracos und Hermines erster Übungsstunde, oder wie man es sonst nennen sollte, vergangen; gestern hatte die letzte stattgefunden. Mitten in der Nacht, was zur Folge hatte, dass sie komplett übermüdet war. Und nun saß die hier, in der hintersten Ecke der Bibliothek, tief über ihre Hausaufgaben gebeugt und kaum fähig, ihre Augen offen zu halten. Und das alles für einen neuen Schutzzauber, der zwar schwarzmagisch war, aber sehr gut schützte, sogar besser als der, den sie in ihren regulären Schulstunden beigebracht bekommen hatte. Aber sie konnte sich nicht beschweren, sie bekam endlich die Sicherheit, die sie gewollt hatte.
Auch wenn sie nicht wusste, wie weit sie Draco vertrauen konnte. Was nütze es ihm, ihr beizubringen, wie sie sich verteidigen konnte? Wie sie sich wehren konnte? Gegen ihn? Das wäre doch eher ein Nachteil für ihn, als ein Vorteil. Sie verstand das einfach nicht.
"Hermine", unterbrach eine Stimme ihre Gedanken. Sie drehte ihren Kopf und sah Harry auf sie zu kommen. "Wusste ich doch, dass ich dich hierfinde."
"Harry. Was tust du denn hier?", fragte sie, als er sich auf den Stuhl gegenüber von ihr sinken ließ. "Ich war gerade bei Dumbledore", antwortete er. "Und?" Sie setzte sich neugierig auf. "Er hat mir eine Erinnerung gezeigt. Slughorns Erinnerung, um genau zu sein. Sie zeigt Voldemort in jungen Jahren, damals noch Tom Riddle", fing er an. "Slughorn hat ihn unterrichtet und Tom war Mitglied in seinem Club. Nach einem Treffen blieb er mit Slughorn allein im Raum." Sie nickte aufmerksam. "Und Tom meinte, dass er in der verbotenen Abteilung über etwas gelesen hätte. Dann passierte etwas seltsames."
"Was denn?" Sie beugte sich ein wenig vor und legte ihre Arme auf der hölzernen Tischplatte ab. "Der Ton fehlte. Ich konnte sehen, wie sie miteinander sprachen, wie sich ihre Lippen bewegten, aber ich konnte nichts hören. Und dann war der Ton wieder da und Slughorn meinte, dass er nichts mit dem, was er gesagt hatte, zu tun haben wollte."
"Und dann?"
"Dann war die Erinnerung vorbei. Und Dumbledore möchte, dass ich sie ihm beschaffe."
"Das dürfte nicht leicht gehen", meinte sie stirnrunzelnd. "Das hatte ich auch nicht erwartet. Und ich weis auch nicht, wie ich das anstellen soll. Aber deswegen sollte ich mich bei ihm einschleimen und Mitglied in seinem Club zu werden. Wenigstens ist mir das klar. Gott, ich fühle ich mich wie ein Spion." Da war er nicht der einzige. "Du musst deine Position, deinen Ruf ausnutzen. Du bist das beste und wertvollste Stück in seiner Sammlung. Machs wie Riddle und frage ihn nach seinen Treffen oder nach dem Unterricht."
Der schwarzhaarige Brillenträger nickte. "Ja. So werde ich das wohl anstellen müssen. Es schien Dumbledore ziemlich wichtig."
"Nun", antwortete sie, "wenn es Dumbledore wichtig ist, dann ist es auch wirklich wichtig. Also streng dich an. Weiß Ron schon davon?", fügte sie hinzu. Er schüttelte den Kopf und ein paar dunkle Haare fielen ihm ins Gesicht. "Nein, ich konnte ihn nicht finden. Bestimmt ist er bei Lavender."
"Das war ja klar", sagte sie mit schnalzender Zunge. Harry seufzte. "Hermine..." Sie schüttelte den Kopf. "Nein, lass es. Ich mag Lavender einfach nicht, ihre anhängliche, kindische Art. Lächerlich. Und dass sie Ron für keine einzige Sekunde allein lassen kann und dass er das auch noch mitmacht." Sie fuhr sich durch die Haare.
"Hast du denn immer noch Gefühle für ihn?", halkte er vorsichtig nach und erntete dafür einen Todesblick. "Ich weiß es nicht. Ich habe absolut keine Ahnung, was ich momentan fühle, also können wir bitte über etwas anderes reden?" Sie wusste wirklich nicht, wie sie momentan zu Ron stand und wollte auch nicht darüber nachdenken. Es gab so viele wichtigere Dinge. Wie zum Beispiel Draco und Slughorns Erinnerung.
*
Und wie den Apparierkurs.
Harry und Hermine befanden sich gut eine Woche später auf dem Weg zu ihrer ersten Stunde, nachdem sie den Zaubertränkeunterricht verlassen hatten. "Ehrlich, ich weiß wirklich nicht, ob das Buch so gut ist. Du schummelst." Harry hatte wie in jeder Zaubertrankstunde seit Schuljahresbeginn mit einem perfekten Trank geglänzt. Alles nur erlogen. "Du bist doch nur neidisch", gab ihr bester Freund zurück. "Außerdem musst du zugeben, dass es behilflich dabei ist, Slughorn auszuhorchen."
"Und trotzdem hat er abgeblockt."
"Es braucht nur noch ein wenig Zeit." Sie verdrehte die Augen. Das war doch nicht die Lösung. Und sie traute dem Buch immer noch nicht, aber da sie keinen Streit provozieren wollte, wechselte sie das Thema. "Ich freue mich schon auf den Kurs. Endlich lernen wir, wie man appariert. Das wurde auch Zeit." Harry nickte zustimmend. "Ja. Ich bin einmal mit Dumbledore appariert und ich musste mich fast übergeben", witzelte er. "Ich denke, das ist gewöhnungsbedürftig."
Inzwischen waren sie im Speisesaal angekommen, der mit vielen Schülern des 6. Jahrganges gefüllt war. Die Tische waren an die Seite geschoben worden, vor der Menschenmenge stand ein kleiner Mann, der bestimmt der Apparierlehrer war. Die Schüler standen alle vor Reifen, die auf dem Boden lagen. Sie konnte Rons feuerrote Haare in der Menge ausmachen, ziemlich weit vorne. Da Harry und sie sehr spät gekommen waren, waren nur noch zwei Reifen frei. Direkt hinter Draco Malfoy. Harry und Hermine sahen sich an und traten vor die Reifen.
Der Lehrer begrüßte alle Schüler und prägte ihnen die goldene Dreierregel ein: Ziel, Wille und Bedacht. Danach erklärte man ihnen, wie man apparierte und zeigte es ihnen, in dem er für eine Sekunde verschwand und in der nächsten ein paar Meter weiter auftauchte. Er erntete einen kleinen Applaus, ehe er die Schüler dazu aufforderte, es selbst zu probieren, wofür die Reifen gedacht wären. Sie machten es ihm nach, doch bei niemanden funktionierte es. Sie sprangen eher in die Reifen, als hineinzu apparieren.
"Wieso denn ich schon wieder?", hörte sie plötzlich eine Stimme vor ihr und sah auf. Crabbe, der neben Draco stand, sah wütend zu jenem. "Willst du mich etwa in Frage stellen?", zischte der zurück. "Du bist in letzter Zeit so oft darin. Ich will nicht immer Wache stehen müssen, vorallem nicht abends."
"Erzähl du mir nicht, dass du ein Privatleben hättest", spottete der Blonde. Crabbe gab sich mit einem Kopfschütteln geschlagen und gab sich wieder den Apparierversuchen hin. Draco wollte also wieder in den Raum der Wünsche, anscheinend abends. Und Crabbe sollte Wache halten. Sie konnte von Glück reden, dass Draco nicht wusste, dass sie und Harry hinter ihm standen und alles hören konnten.
Apropos.
Sie drehte den Kopf. Und sah, dass Harry alles gehört hatte. Das, was sie nicht unbedingt gewollt hatte.
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