17 - Eifersucht und Schmerz
Hermine hielt nicht viel davon, dass Harry beim Spiel betrog, nur um Ron zu beruhigen, aber viel ausrichten konnte sie dagegen jetzt auch nicht mehr. Sie befanden sich bereits auf dem Weg zum Spielfeld hinunter, um sich umzuziehen und noch einmal Taktiken durchzugehen. Sie würde die Zeit des Spiels nutzen, um weiter zu forschen. Ihr war bewusst, dass das Ron gegenüber unfair war, der doch zuvor so auf ihre Unterstützung gezählt hatte. Doch das hier ging eindeutig vor.
Die Gefahr, dass sie erwischt werden würde, war gering. Alle Schüler und Lehrer befanden sich auf dem Quidditchfeld, mit Ausnahme von ein paar Geistern und Madam Pomfrey, die sich laut fluchend in ihr Büro im Krankenflügel verzogen hatte. Und auf Draco würde sie auch nicht treffen, da der auf dem Spielfeld damit beschäftigt war, den kleinen goldenen Schnatz zu fangen.
Sie eilte den Gang im 7. Stock entlang, bis sie zum Wandteppich von Barnabas dem Bekloppten kam. Vor der Wand, hinter der sich der Raum der Wünsche befand, ging sie dreimal auf und ab. Das Problem war nur, dass sie keine Ahnung hatte, was sie sich vorstellen sollte. Oder besser gesagt, was Draco sich vorstellte. Eine gefühlte Ewigkeit lang lief sie immer wieder auf und ab, stellte sich die verrücktesten Räumlichkeiten vor und bat den Raum immer wieder, ihr das zu zeigen, was Draco Malfoy sah. Doch so sehr sie sich auch konzentrierte, es funktionierte nicht.
Plötzlich hörte sie Schritte, die nicht zu ihren zählten. Überrascht blieb sie stehen und horchte. Wer schritt um diese Zeit durch das Schloss? Müsste nicht alle Aufmerksamkeit auf dem Quidditchfeld liegen? Die Schritte kamen näher, hallten von den Wänden wieder, bis plötzlich eine schwarz gekleidete Person um die Ecke bog, die sie nur zu gut kannte.
,,Granger", stellte er tonlos fest, die Hände in den Hosentaschen vergraben. ,,Was tust du hier? Soweit ich mich erinnere, bist du in der Slytherin-Mannschaft, und die hat gerade ein Spiel." Er zuckte die Schultern. ,,Das gleiche könnte ich dich fragen." Schnaubend verschränkte sie die Arme vor der Brust. ,,Das ist etwas anderes, ich bin ja auch nicht Sucher." Was um Himmels Willen tat er hier? ,,Und was mit deinem geliebten Wiesel? Oder Sankt Potter?" Er sah sie abwertend an und drehte sich dann um, ohne eine Antwort abzuwarten. Aber so leicht ließ sie ihn nicht davonkommen.
Hermine rannte ihm hinterher und blieb vor ihm stehen. Er zog eine seiner hellen Augenbrauen hoch. ,,Was denn noch, Granger? Willst du dich mir in den Weg stellen, in der Hoffnung, ich würde mich an dir vorbeischieben müssen? Wenn du Körperkontakt willst, dann musst du es nur sagen." Sie machte ein Würgegeräusch. ,,Du wirst auch mit jeder Sekunde dreister. Ich will wissen, was du hier im Schloss machst, während du eigentlich draußen auf dem Quidditchfeld sein solltest." Für einen kurzen Moment weiteten sich seine Pupillen panisch, ehe er sie wieder unter Kontrolle hatte. ,,Das geht dich nichts an, Granger." Er wollte an ihr vorbei, doch sie versperrte ihm den Weg.
,,Doch, es geht mich schon etwas an, wenn mein Mitbewohner, der zufällig auch noch gemeinsam mit mir Schulsprecher ist und eigentlich ein Vorbild sein sollte, die Regeln bricht." Er verdrehte die Augen. ,,Ist das dein Ernst? Du hältst immer noch die Masche der braven Streberin aufrecht? Das kauft dir doch niemand mehr ab." Sie kam nicht mehr mit. Warum fing er jetzt davon an? ,,Wie meinst du das?", fragte sie verdutzt. Ihr war klar, dass das ein Ablenkungsmanöver war, doch es hatte funktioniert. Er hatte sie mit seinen Worten gründlich durcheinander gebracht.
Spottend schob seine eh schon erhobene Augenbraue sich weiter hoch. Sein Blick wurde dunkel, und ehe sie begriff, hatte er sie an die Wand gedrängt, die Hände neben ihr an der Wand aufgestützt, sodass sie zwischen seinen Armen gefangen war. Sein Gesicht näherte sich ihrem, sie konnte seinen heißen Atem auf ihrem Gesicht spüren, während sie sich fest an die Wand presste, um so weit weg wie möglich von ihm zu sein. Er war gefährlich. Er wollte Dumbledore umbringen. Seine Familie war Voldemort treu ergeben. Und sie stand hier ganz allein auf dem Gang mit ihm, sie, als Muggelstämmige, gefangen zwischen seinen kräftigen Armen. Wenn sie schrie, würde niemand sie hören.
Panik stieg in ihr auf. Ihr Gehirn fing an, einen Fluchtplan zu entwerfen, mit den Augen kundschaftete sie mögliche Fluchtwege aus. Da war er wieder. Der Geruch von Minze. Sie hatte ihn schon einmal gerochen. In einer Zaubertrank-Stunde am Anfang des Schuljahres, als sie alle einmal den Geruch des Felix Felicis beschreiben sollten. ,,Hast du Angst, Granger?" Seine Lippen berührten ihr Ohrläppchen. Sie bekam Gänsehaut und ihr ganzer Körper verkrampfte sich. Sie spürte seine kräftige Brust, die sich gegen ihren Oberkörper drückte. Ihr wurde abwechselnd warm und kalt und ihr Atem beschleunigte sich.
Von ihm ging eine ganz bestimmte Atmosphäre aus. Er verströmte Macht und Gefahr, doch genau das zog sie an. Sie konnte sich nicht gegen ihn wehren. Und das wusste er. Seine Lippen wanderten von ihrem Ohrläppchen weiter, strichen sanft ihre Wange entlang und berührten schließlich fast ihre Lippen. ,,Malfoy", hauchte sie mit zittriger Stimme. Sie gab zu, dass sie Angst hatte. Angst vor ihm. Es war ihr Plan gewesen, ihm näher zu kommen. Doch sie spürte, wie ihr ganzer Körper zitterte. Doch er ging nicht auf sie ein und schloss schließlich die schmale Lücke zwischen ihren Lippen.
Hermine stützte die Hände an der Wand ab, ließ den Kuss zu, erwiderte ihn jedoch nicht, obwohl sie ihre Augen geschlossen hatte. Es fühlte sich so gut an. Seine weichen Lippen waren auf ihren, seine Zunge erkundete ihren Mund. Doch sie hatte zu viel Angst. Sie hatte keine Ahnung, was für ein Spielchen er mit ihr spielte. Aber sie durfte es auf keinen Fall mitspielen.
Der Kuss dauerte eine gefühlte Ewigkeit. Aber er fühlte sich gut an. Unterbewusst merkte sie, wie sie ihre Lippen leicht bewegte. Dann ließ Draco von ihr ab und ging, ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, davon. Schwer atmend strich sie sich mit dem Zeigefinger über ihre Lippen, die ein wenig geschwollen waren. Was war das gewesen?
oOoOoOo
Als sie am Abend den Gemeinschaftsraum der Gryffindors betrat, war dort eine laute Party im Gange. Jubelrufe und laute Musik erfüllten den vollen Raum, sodass sie sich durch die vielen Schüler schlängeln musste, um zu Harry und Ron zu gelangen. Es wurde mit Butterbier angestoßen und rote Gryffindor-Bändchen wurden durch die Luft gewedelt, auf denen ein großer, goldener Löwe zu sehen war. Plötzlich fing die Menge an ,,Weasley, Weasley!" zu grölen und hob Ron hoch, der triumphierend die Arme in die Luft streckte. Harry stand ein paar Meter entfernt und klatschte begeistert.
,,Harry", rief sie ihm zu. ,,Hermine", antwortete dieser. ,,Wo warst du beim Spiel? Ich hab dich gar nicht gesehen." Schnell ließ sie sich eine Ausrede einfallen. ,,Ich war doch da", log sie. ,,Du warst bestimmt nur zu abgelenkt und hast mich nicht gesehen." In Wahrheit hatte sie sich in eine leere Besenkammer verkrochen und sich Vorwürfe darüber gemacht, was geschehen war. Sie hatte keinen Nerv mehr für Quidditch gehabt und die Frage, was Draco denn nun auf dem Gang getan hatte, war auch ungeklärt geblieben. Und das nur, weil sie sich durch einen Kuss hatte ablenken lassen.
Harry zuckte die Schultern. ,,Bestimmt." Die Menge setzte Ron wieder auf den Boden. ,,Hat er irgendetwas besonderes getan? Er wird ja ganz schön gefeiert." Harry nickte begeistert. ,,Ja, er war großartig. Er hat so gut wie jeden Quaffel gehalten, du hättest ihn sehen sollen. Ähm, hast du ja, richtig?" Unwillkürlich musste sie lächeln. Sie hatte gewusst, dass Ron großartig sein würde. Nur leider gab es an der ganzen Sache einen Haken, den sie nicht ignorieren konnte. ,,Nur schade, dass er sich diesen Gewinn nicht ehrlich erspielt hat", bemerkte sie. ,,Das wäre noch viel besser für ihn gewesen und er hätte das auch ohne deine Schummelei geschafft." Sie sah den Schwarzhaarigen tadelnd an, der ihren Blick unschuldig erwiderte.
Aus einer Tasche seines Hemdes holte er ein kleines Fläschchen hervor. Jenes Gefäß, das sie auch schon am Morgen bemerkt hatte. Es war noch immer verschlossen und kein Tropfen der goldenen Flüssigkeit fehlte. Sie öffnete den Mund, nur, um ihn dann wieder zu schließen. ,,Du hast mich reingelegt", stellte sie erstaunt fest. ,,Du hast ihm gar nichts davon in seinen Kürbissaft gegeben, sondern du hast nur so getan, damit Ron denkt, er würde Glück haben." Harry nickte grinsend. ,,Genauso war es."
Plötzlich ertönten mehrere freudige ,,Ohs" und ,,Ahs", sodass sie den Kopf wieder Ron zu wandte. Der stand mit geschlossenen Augen in der Mitte und hatte die Hände auf den Hüften Lavenders abgelegt, die ihm gerade die Zunge in den Hals steckte. Mit einem Mal wurde ihr eiskalt und Übelkeit stieg in ihr auf, während sich Tränen in ihren Augen bildeten, die sie nicht aufhalten konnte. Schluchzend wandte sie sich ab und lief aus dem Gemeinschaftsraum.
Sie wusste, dass sie kein Recht darauf hatte, eifersüchtig auf Ron zu sein. Immerhin hatte sie zugelassen, dass Draco Malfoy sie küsste, und sich damit zur Hochverräterin gemacht. Sie hatte Ron angelogen. Und trotzdem tat es weh, ihn mit Lavender knutschen zu sehen.
Ihre Schritte trugen sie in ein leeres Klassenzimmer. Hermine lehnte sich an das Lehrerpult und sank auf den Boden, wo sie die Arme um die Knie schlang. Schluchzend lag sie da, badete in Selbstmitleid und machte sich gleichzeitig Vorwürfe. Wie konnte sie nur diese Gefühle spüren? Sie, als Lügnerin und Hochverräterin, fand es gemein, dass ihr bester Freund nach einem Sieg mit einer anderen Frau knutschte? Sie, wo sie doch genau das selbe mit Harrys Todfeind getan hatte? Sie schloss die Augen und lehnte den Kopf gegen das Pult.
Nach ein paar Minuten betrat jemand anderes den Raum, ließ die Tür ins Schloss fallen und setzte sich neben sie. An den Schritten erkannte sie, dass Harry ihr gefolgt war. ,,Du empfindest etwas für ihn", sagte er schließlich nach ein paar Minuten, in denen sie geschwiegen hatten. Sie nickte schluchzend. Er antwortete nicht. Wenn Harry wissen würde, was sie getan hatte, würde er sie hassen. Doch stattdessen verzichtete er auf die Siegesfeier, um sie zu trösten. Doch es ging hier nicht nur um sie. Dass er ihr gefolgt war, dass er keine ungläubigen Widerworte einlegte, zeigte ihr, dass er sie verstand. Und sie wusste auch ganz genau, warum.
Sie empfand etwas für ihren besten Freund. Er hatte Gefühle für die kleine Schwester seines besten Freundes.
,,Du liebst sie", stellte sie tonlos fest und öffnete die Augen. Er nickte traurig. Hermine fühlte sich schuldig. Sie war eine Verräterin und erlaubte es sich, Mitleid mit sich selbst zu haben. In nur ein paar Stunden war sie zu der Art Person geworden, die sie schon immer gehasst hatte.
Doch trotzdem ließ sie zu, dass Harry sich ihr anvertraute. Legte den Kopf auf seiner Schulter ab, spendete ihm Trost, so, wie er ihr Trost spendete. Und so saßen sie da, stützten sich auf den jeweils Anderen und ließen den Schmerz zu.
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