
Seventeen ~ Call
„Versuch's mal bei ‚C'. Vielleicht sind sie nach Nachnamen gereiht", schlug ich vor und beugte mich weiter über das alte dicke Buch.
Alex, neben mir, runzelte die Stirn und blätterte von ‚I' nach ‚C'. Die Seitenblätter waren federleicht und an den Ecken zerknicket. „Bingo! Du hast ausnahmsweise mal recht!", grinste er und zeigte auf den Namen. Jackson Campbell. Mein Dad.
Mira hatte alte Sachen von Alex' Vater rausgeholt, um uns zu helfen mehr Informationen über die Schach Bande herauszufinden. Dylan hatte abgelehnt in den Sachen herumzuwühlen, während Alex und ich uns über die gefüllten Kartons gestürzt hatten.
Wir saßen schon seit unserer Ankunft in dem Haus fest. Nur Mira ging ab und zu raus, denn Dylan und Alex waren zu bekannt, jeder zweite würde sie bestimmt auf der Straße erkennen und das wollten wir nicht riskieren.
Wir wussten nicht, ob die Polizei schon Kopfgeld auf uns ausgesetzt hatte oder ob sie überhaupt noch hinter uns her waren, da Mira uns von dem Rest der Welt abgetrennt hatte und vorerst auf Jake warten wollte. Der Idiot hatte bisher nichts von sich hören lassen.
Nun saßen Alex und ich in Alex' Zimmer mitten in einem Riesenchaos aus Papierkram und Stoffzeug auf dem Boden und studierten gerade ein Buch mit allen Namen unserer Väter, Großväter und Urgroßväter, die in der Bande waren, während sich Dylan im Wohnzimmer beschäftigte.
„Nimm. Ich suche in Dads Akten nach etwas, was uns mehr verrät", sagte der Blonde neben mir und übergab mir das große Buch, um weiter in den Boxen herumzuwühlen. Im Schneidersitz legte ich das Buch auf meinem Schoss und begann zu blättern.
Jacob Walker. Der Name des Vollpfostens geisterte seit genau zwei Tagen in meinem Kopf herum. Es waren verdammte zwei Tage vergangen und er hatte noch kein Lebenszeichen von sich gegeben. Ich machte mir Sorgen, auch wenn es mir egal sein sollte, was mit dem Mörder geschehen sollte.
Aber es war mir nicht egal. Jake war die erste Person, indessen Gegenwart ich mich wohl und geborgen fühlte. Die Fahrt vor zwei Tagen ohne ihn war für mich tatsächlich weit unruhiger und angespannter gelaufen als das Zusammentreffen mit der Polizei.
Er löste ein Gefühl bei mir aus, das ich bei niemand anderem hatte. Es war beinah beängstigend, aber ich war vermutlich verliebt. Die Verliebtheitssymptome, wie sie mir Dr. Jasmine mal erklärt hatte, bestanden aus Flattern im Bauch, das ständige Denken über eine Person und das Gefühl der Geborgenheit.
Doch empfand Jake dasselbe? War ich überhaupt wirklich verliebt, oder bildete ich es mir ein? Was, wenn Jake es herausfand und sich von mir fernhielt? War es tatsächlich wert, unsere Freundschaft zu ruinieren, nur wegen doofe Gefühle?
Gott, ich wusste nicht mal, ob ich in ihn verliebt war und machte mir schon Gedanken über eine Beziehung mit ihm.
Abwesend blätterte ich in dem Buch und landete bei dem Buchstaben ‚W'. Neugierig suchte ich nach Walker. Tyler Walker, sprang es mir in Großbuchstaben in die Augen.
Kurz zögerte ich. Zählte das nicht als Stalken? Meine Neugierde wuchs, als meine Augen zum Foto von Jakes Dad huschte. Seine Augen hatten dasselbe intensive Grün wie Jakes, das ich überall erkennen würde. Stalken hin oder her, das war es nicht. Das hier nannte sich Recherche.
Mit dem Zeigefinger fuhr ich die Daten nach. Geburtsort, Geburtsdatum, Schachposition, Schachteam und weitere unnützliche Angaben standen in schwarze Tinte mit einer geschwungenen Schrift geschrieben. Schnell überflog ich die Informationen und mein Blick blieb bei Familie hängen.
Ehefrau: Chloé Walker
Kinder: Inessa Walker & Kilian Walker
Verwirrt runzelte ich die Stirn. Moment, wo war denn Jake? Diese Daten waren doch die seines Vaters, oder nicht? Es gab keinen jüngeren Mann mit dem Namen Walker und Jake hieß doch mit Nachnamen Walker, oder irrte ich mich? „Alex, Jakes Nachname ist doch Walker, oder?", fragte ich dem Blonden neben mir.
„Ja, natürlich. Wieso?", fragte er belustigt zurück und nahm sich ein dickes Ordner. Ich brummte ein nichts und starrte die Kindernamen weiter verwirrt an. „Hat er Geschwister?", fragte ich nach einer Weile bemüht beiläufig.
„Ja, glaube schon. Er hat mal von einer Inessa gesprochen, seine kleine Schwester", nuschelte Alex zurück. Zum Glück war er beschäftigt, um meine Fragen zu hinterfragen.
Schwer schluckend sah ich die Namen wieder an. Hatte Jake noch einen Bruder? Und wieso stand sein Name nicht bei Tyler Walkers Kinder? Hatte er eine eigene Seite, wo seine Informationen stehen, weshalb er da nicht stand? Ich wollte Alex meine Entdeckung zeigen, doch eine Stimme kam mir zuvor.
„Alex! Bella! Kommt rüber, das Essen ist fertig!", rief Mira von dem Wohnzimmer aus. „Wir kommen, Nonna!", rief Alex zurück, legte das Buch in seiner Hand auf seinem Bett und eilte aus dem Zimmer. Sobald das Essen rief, legte er alles beiseite.
Ich schwang mein noch vom Duschen nasses Haar über die Schulter und strich das übergroße T-Shirt von Mira, unter dem ich eine Leggins - ebenfalls von ihr – anhatte. Schnell folgte ich Alex nach unten.
In der Küche stand Mira vor dem Herd, während Dylan lustlos in seinem Essen stocherte. Mir fiel auf, wie komisch er in letzter Zeit war. Er war schon immer nicht sehr gesprächig, doch seit Mira uns die Smartphones abgenommen hatte, damit die Polizei uns nicht orten konnte, schmollte er ununterbrochen und tickte bei jeder Kleinigkeit aus. Anscheinend war er süchtig.
Wir setzten uns an dem Esstisch, als das Telefon plötzlich klingelte. Dylan, Alex und ich sahen uns an. Ein Blickduell entstand. „Das Essen wird kalt, Kinder, jemand soll schnell ans Telefon", rief Mira von der Küche aus, während das Festnetztelefon weiter summte.
„Na, gut ich geh ran", verkündigte Alex angesäuert, stand auf und verließ mit schnellen Schritten die Küche. Dabei murmelte er verärgert: „Essen ist immer das Mobbingopfer."
Ich war dabei mein Haar zusammenzubinden, als ich Alex erfreut und zugleich überrascht: „Jake, du Blödmann, endlich!", rief.
Meine Augen fingen an zu leuchten und ich eilte schnell aus der Küche. Alex stand im Wohnzimmer. Er hielt sich das Telefon festgepresst an einem Ohr und hörte konzentriert zu. Aufgeregt hüpfte ich auf und ab und zischte dabei leise: „was sagt er? Wo ist er und wann kommt er endlich?"
Unhöflich, ich weiß, doch ich musste wissen, ob Jake überhaupt gut ging. „Scheiße man, echt jetzt?... nein... alles gut bei uns... Mira war es... ", murmelte Alex.
Meine Geduld hatte ihre Grenzen, doch Alex nahm die Sache gechillt hin. „Wo bist du, man?... heilige Scheiße, spinnst du? Das erinnert mich an Peter Parker, der Spiderman Typ, als – eyy!"
Als Alex von dem Film zu labbern begann, riss ich ihm das Telefon aus der Hand und presste den Hörer gegen mein Ohr. Ich kannte ihn zu gut, um zu wissen, dass er noch lange vor sich quatschen würde und das hatten wir echt nicht nötig.
„Jake? Scheiße, wo bist du?", fragte ich besorgt. „Elfe? Freut mich, dein Stimmchen zu hören", erwiderte er trocken, doch ich konnte sein Grinsen beinah raushören.
Ich ignorierte Alex' beleidigte Blicke und konzentrierte mich auf Jakes Stimme. „Jake, verdammt nochmal, du bist seit zwei Tagen weg und hast uns nicht mal EIN Lebenszeichen von dir gegeben. Wir sitzen seit ZWEI verdammten Tagen in einem Haus fest und warten auf dich. Wir dachten, du seist tot -"
„Nur du dachtest das", unterbrach mich Alex trocken. Ich warf ihm einen bösen Blick, holte tief Luft und fragte Jake besorgt: „Geht's dir gut?" Ein Geräusch ertönte vom anderen Ende der Leitung und ich identifizierte es als Seufzen.
„Mir geht's prima, hab' mir nur ein paar Kratzer geholt. Ich bin in Michigan, weiß nicht genau in welchem Viertel. Wo seid ihr?", fragte er und seine Stimme klang auf einmal erschöpft.
Inzwischen standen auch Mira und Dylan neben Alex und lauschten mucksmäuschenstill meine Worte. „Ferienhaus", antwortete ich knapp und hoffte, dass Jake verstehen würde. Ich wollte nicht die ganze Adresse nennen, um keine Risiken eingehen.
„Miras Haus in Chicago, nicht? Bin in ein paar Stunden bei euch", sagte er. „Pass auf dich auf und lass dich nicht erwischen, ja?", sagte ich unruhig und biss mir auf der Innenseite meiner Wange.
„Mach dir um mir keine Sorgen, Elfe. Richte Mira vielen Dank aus, dass sie uns hilft", sagte er sanft. „Bis bald!" Die Leitung wurde augenblicklich unterbrochen.
„Bis bald!", sagte ich leise und legte das Telefon zurück. Müde rieb ich mir über die Augen und drehte mich zu den anderen um. Ihre ungeduldigen Blicke waren mir während des Gesprächs nicht entgangen.
„Er kommt heute noch. Ist irgendwo in Michigan. Und ihm geht's gut – meint er jedenfalls", berichtete ich knapp. Mira seufzte erleichtert, während Alex und Dylan einen besorgten Blick tauschten. Auch ich war misstrauisch.
Die nächsten Stunden verbrachten wir angespannt im Wohnzimmer. Niemand glaubte Jake, dass bei ihm alles gut war. Es waren mindestens sieben Polizisten da, bestimmt bewaffnet. Er konnte unmöglich ganz ohne Verletzungen aus der Wohnung geschafft haben.
„Er ist stark, der Boy", beharrte Alex jedes Mal und ich wünschte ich konnte ihm glauben. Stunden vergingen, in denen Mira uns Essen und Pokerkarten brachte. Doch keinem war zum Spielen oder zum Essen zumute.
Plötzlich wurde hörten wir die Tür im Flur aufgehen. Alex und ich sprangen gleichzeitig auf und rannten beinah schon zum Gang. Als ich seine Silhouette erkannte, wollte ich erleichtert seufzen, doch bei seinem Anblick brachte ich nur ein entsetztes Keuchen heraus.
„JAKE!", stieß Alex erschrocken hervor und ich riss die Augen auf.
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