Jack
Sie starrten einander an, keiner von beiden unterbrach den Blickkontakt. Als er jedoch anfing zu sprechen, schaute Suzette weg.
»Du brauchst dir nicht die Schuld dafür zu geben. Ich weiß wie sowas ist, meine Mum war selbst daran erkrankt. Schizophrenie – die Krankheit – zwingt einen manchmal dazu Dinge zu tun, an die man eigentlich niemals auch nur im Traum denken würde. Man entwickelt eine Art zweite Persönlichkeit. Meine Mum nahm sich das Leben, weil sie es nicht mehr ausgehalten hat. Die Stimmen machten sie verrückt. Manchmal wachte ich Nachts von ihrem Geschrei auf. Mein Dad konnte sie immer beruhigen. Ich hatte oft Angst davor, mit ihr allein zu sein, während er arbeitete. Aber ich habe sie geliebt. Nach dem Tod beider wollte ich unbedingt wissen wer du bist, Suzette.« er lachte kurz, seine Mundwinkel zuckten. Suzette schaute erschrocken auf. »Und ich fand heraus, dass wir uns sogar kannten.«
Die Blonde legte verwirrt den Kopf schief. »Wir kennen uns?«
»Oh, ja. Deine Mum war einmal ein Fall meines Vaters. Sie ist betrunken Auto gefahren und hat ein Nachbarskind von mir angefahren. Ich glaube Allison- «
»- Allison Fray war ihr Name. Sie war einmal meine beste Freundin, bis sie Angst vor mir und meiner Mum bekam. Ihr wurde es zu viel, als sie bei mir übernachtete und ich mit mir selbst sprach. Eines Abends stritten wir uns deshalb und sie rannte einfach aus dem Haus. In der Nacht wurde sie von Mum angefahren und ein paar Tage später mit einem Schädel-Hirn-Trauma und einem gebrochenen Bein aus dem Krankenhaus entlassen. Seitdem ist Funkstille zwischen uns.« Suzette sprach ohne jegliche Emotionen in den Augen. Jack nickte.
»Deine Mum musste damals mit auf die Wache, wegen Fahrerflucht. Und du musstest bei deiner Tante unterkommen, stimmt's?«
»Ja, genau so war es. Vorher wurde ich mit auf das Revier genommen. Aber meine Mum wollte nicht mit mir sprechen.«
»Ich weiß. Du bist daraufhin an mir vorbei gestürmt und hast mich dabei fast die Treppen hinunter geworfen. Als ich dir hinterher rief, hast du mir nur den Mittelfinger gezeigt.«
»Stimmt, ich erinnere mich.«
Die beiden lachten kurz.
»Nun ja. Ich war auf jeden Fall geschockt, ausgerechnet dich als ... Ist ja auch egal. Tut mir leid, das hätte ich nicht sagen sollen. Ich landete nach dem Tod meines Vaters im Heim, dann bei einer Pflegefamilie. Und mir geht es wirklich gut dort. Mach dir keine Vorwürfe, bitte! Ich gebe dir keine Schuld dafür.«
Er stützte sein Gesicht in die Hände und massierte sich mit den Daumen die Schläfen. Suzette kaute an ihren Fingernägeln, den Blick starr auf den Boden gerichtet.
»Würdest du mit deiner Geschichte fortfahren?« fragte Annie in sanfter Tonlage.
Der Junge nickte. »Mein Name ist Jack und ich bin sechzehn Jahre alt. Ich bin hier, weil ich mich einsam fühle. Krankhaft einsam.
Aber ich bin auch unfähig, Kontakte zu knüpfen oder halten. Ich schaffe es einfach nicht.
Einmal habe ich mich für zwei Wochen in meinem Zimmer eingesperrt und niemanden an mich rangelassen. Nachdem ich zu der Pflegefamilie kam, dachte ich, dass mich nichts und niemand wieder glücklich machen könnte. Ich hatte schließlich alles verloren. Meine Pflegeeltern wussten mir auch nicht zu helfen. Ich wusste, sie meinten alles was sie taten nur gut. Als sie für zwei Wochen verreisen wollten, wollte ich unbedingt zuhause bleiben. Sie ließen mich also da, im Glauben, ich würde etwas Zeit für mich und meinen Freiraum brauchen und es würde mir gut tun. Ihre Eltern würden öfter vorbeikommen.«
Sam meldete sich zu Wort. »Hast du dich wirklich für zwei Wochen eingesperrt? Ohne Essen, ohne trinken?«
»Ja, ich wollte niemanden sehen. Meine neuen Großeltern brachten mir immer etwas zum Essen auf das Zimmer. Sinnlos.« Jack schmunzelt. »Die Teller stapelten sich nur, genauso wie die Anrufe meiner neuen Eltern . Vielleicht wollte ich mir mit dieser Aktion selbst etwas beweisen ... ich hab' keine Ahnung. Ich weiß nur, dass ich danach sechs Kilo abgenommen und einen leichten Schaden hatte.« am Ende lachte er leise und schüttelte leicht den Kopf. »Niemand durfte mich mehr anfassen. Ich wollte Abstand zu allem und jeden. Dann kam ich hierher, wo sie versuchten mir die Angst vor Menschen zu nehmen. Mit Medikamenten und Gesprächstherapien erreicht man jedoch nicht alles. « Jack warf Annie einen komischen Blick zu. »Bis jetzt bin ich so weit, dass ich wieder mit Leuten spreche und sie nicht völlig ignoriere. Obwohl ich das bei manchen wirklich gern tun würde.«
Einige kicherten.
Jack zuckte mit den Schultern und spielte mit dem Saum seines blauen T-Shirts.
»Mehr gibt es eigentlich nicht zu wissen.«
Sein Blick schnellte noch einmal kurz zu Suzette, doch sie schaute schnell wieder weg.
Annie ließ kurz die Stille weilen, bis sie das Wort ergriff.
»Deine Aktion war wirklich ein Fall für sich. Der Doktor war sich nicht sicher darüber, ob du je wieder sprechen würdest.«
»Dann habe ich ihn wohl vom Gegenteil überzeugt.« Jack grinste.
Annie lächelte zurück.
»Allerdings.«
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