19 | heatwave and halleluja
Den Lehrern fiel auf, dass es zu warm, für anständigen Unterricht, war, als im Kunstkurs in der achten Stunde das Mädchen mit den braunen Locken - ich wusste mittlerweile, dass sie Yuqi hieß - von ihrem Stuhl kippte und nicht mehr aufstand.
Mrs. Kim war vor Schreck ganz bleich geworden und konnte sich erst wieder bewegen, als Jimin schon aufgesprungen war, sich mit seiner Wasserflasche neben Yuqi auf den Boden gekniet und den nächstbesten Schüler angefaucht hatte, damit dieser einen nassen Lappen holte.
Die Wettervorhersage für die nächsten zwei Wochen sagte ziemlich konstant aus, dass die Hitzeperiode weiter anhalten würde, weshalb die Leitung der Schule beschloss, dass der Unterricht an der fünften Stunde ausfallen würde.
Durch diese Regelung entging ich meinem kompletten Ethik-, Musik- und Sportkurs und der zweiten Stunde Chemie.
Kein Verlust.
Zum Mittag- und Abendessen sah ich im Speisesaal immer mehr Menschen, die mir bekannt vorkamen, bis mir einfiel, dass ich sie in irgendeinem Kurs gehabt hatte. Nichtsdestotrotz saßen Hoseok und ich weiterhin bei Namjoon und Tao, der an einem Abend sogar ein schüchternes 'Gute Nacht' zum Abschied von sich gegeben hatte. Ansonsten beschränkte sich unsere Kommunikation weiterhin aus Augenverdrehen und Grinsen.
Die Nachmittage verbrachte ich damit, den Unterrichtsstoff zu verstehen und Hoseok zu ignorieren, dessen Beziehung zu Lalisa seit Dienstagabend nur minimal besser geworden war. Ich hatte beschlossen nicht mehr darauf einzugehen, wenn er abends um zehn wiederkam und jedes Mal ein bisschen heißer kochend vor Wut unsere Zimmertür zuknallte.
Ansonsten schien alles so zu verlaufen, wie ich es mir vorgestellt hatte. Keiner beachtete mich im Unterricht oder den Pausen, in denen ich allein war.
Meine Mutter hatte am Donnerstagabend angerufen, um zu fragen, wie es lief und ich erzählte ihr von Hoseok, Jimin und Yuqi, der nach dem Vorfall im Kunstkurs aufgefallen war, dass ich der unbekannte Neue war, dem sie am Samstag von Jongdae erzählt hatte.
Kurz, sie fing an, mich auf den Gängen des Internats zu grüßen, wenn wir aneinander vorbeiliefen.
Meine Lippe war soweit abgeheilt, auch wenn es sich immer noch seltsam anfühlte, wenn ich lachen musste oder aus einer Flasche trank.
Heute, am Freitag, war meine Stunde Ethik ausgefallen, weshalb ich durch die beiden vorherigen Freistunden schon nach dem Mittagessen Schluss hatte, mich in meinem Zimmer verkriechen und mental auf den bevorstehenden Abend vorbereiten konnte.
Über die Woche hatte Hoseok bereits zwei seiner gewählten Zusatzkurse gehabt, was gut war, den andernfalls hätte ich vergessen, dass ich Freitagabend ebenfalls einen Termin hatte.
Der Chor meiner alten Schule war mittelmäßig gewesen. Unruhig, mit Klavierbegleitung und maximal dreistimmig. Das Einzige, was wir wirklich konnten, war Halleluja mit dem stark vereinfachten Satz von Pentatonix.
Ich hatte den Ruf, des Strebers, der immer am richtigsten von allen sang, aber nie sonderlich laut. Keiner wollte sich mit mir unterhalten und ich liebte es.
Es war nicht anspruchsvoll, machte mir Spaß, weil ich beim Singen an nichts dachte, außer die Töne, die in meinem Kopf entstanden und leichter über meine Lippen kamen, als Worte.
Über die Woche hatte ich allerdings Eindrücke von dem Internat bekommen, die mich in meiner Wahl mit diesem Projekt nicht unbedingt bestärkten.
Die Zimmer waren zwar renovierungsbedürftig und die Mahlzeiten gerade nicht eklig genug, dass man es noch essen konnte, aber ansonsten wirkte es, als wären alle auf einem komplett anderen Leistungsstand, als ich.
In jeglichen Hinsichten.
Der Kurs fand in der Aula statt.
Ein Extrahaus, dass am Ende des Campus hinter den Sporthallen lag und man zehn Minuten zusätzliche Wegzeit einrechnen musste, um es zu finden. Das Gebäude wäre beinahe mit den anderen Sporthalle zu verwechseln gewesen, wäre sie etwa doppelt so hoch und hatte statt gläsernen Terassentüren richtige Wände.
Ein Windfang, der mit den Türen zu den Toiletten gesäumt war, führte in die Halle, mit dem Parkettboden. An dessen Ende war eine Bühne aufgebaut. Ein offener Flügel stand davor.
Kleine Grüppchen von Schülern hatten sich bereits gebildet und auf den aufgebauten Halbkreis von Stühlen verteilt. Je nach Stimme. Jungs, wie Mädchen. Wenigstens eine Sache, die hier genauso war, wie an meiner alten Schule.
Das einzige Problem, was ich hatte, war die Wahl des Sitzplatzes. Insgesamt waren es etwa zwanzig Schüler und Schülerinnen. Die meisten unterhielten sich miteinander, manche saßen in ein Buch oder ihr Handy vertieft herum.
Eine weitere faszinierende Entdeckung übrigens. Im Internat waren diese Geräte zwar erlaubt, aber irgendwie schien es, als würden die Schüler sich einen Dreck darum kümmern. Vielleicht funktionierte so umgekehrte Psychologie. Wenn sie verboten wären, wäre es totenstill in der Halle.
In der hintersten Reihe auf der rechten Seite saß ein sehr schmächtiger Junge in einem viel zu weiten T-Shirt und einer Cap. Ein Mädchen mit kurzen blonden Haaren hatte ihre Augen geschlossen und ihren Kopf auf seiner Schulter abgelegt. Das Pärchen hielt Händchen und unterhielt sich nur sehr leise.
Das Lächeln des Jungen sah nett aus.
Außerdem war er der einzige, der bisher in meiner Stimme saß, sodass ich nicht lange zögerte und zu den beiden hinüberlief.
„Ist hier noch frei?"
Meine Stimme war fest und gleichzeitig entspannt.
„Klar."
Der Junge antwortete und setzte sich etwas auf, sodass das Mädchen ihren Kopf von seiner Schulter nahm. „Bist du neu hier? Ich kann dein Gesicht gerade irgendwie nicht zuordnen."
„Ja, ich... ich bin neu."
Ich wollte etwas cooles sagen, aber die Worte wollten nicht aus meinem Kopf herauskommen.
„Und du hast dich freiwillig für den Chor bei Ms. Jeon angemeldet?" Das Mädchen mit den blonden Haaren sah belustigt aus, als ich vorsichtig nickte.
War das hier irgendeine Sekte oder warum wurden die Leute so seltsam, wenn man darüber redete? Hoseok hatte mich heute auch nur mit einem Seufzer verabschiedet, der klang, als würde er sich schon einmal daran machen, mir einen Grabstein zu designen.
„Ist das... schlimm oder so?"
„Nein, es ist nur..." Der Junge mit der Cap konnte den Satz nicht einmal zu Ende bringen, als die Tür zum Windfang geräuschvoll aufgestoßen wurde und alle Gespräche sofort verstummten.
Wie auf ein stilles Zeichen fingen alle an, ihre Stimmen und Plätze zu suchen und ich war froh, ziemlich weit am Rand zu sitzen. Neben und hinter mir war zwar noch ein Stuhl frei, aber der schmächtige Junge und seine Freundin würden bestimmt schon ausreichen, um Leute zu haben, die einem am Anfang etwas helfen konnten.
Die Frau, die die Aula betreten hatte und unter Stillschweigen der Schüler über das Parkett stolzierte, trug hochhackige Schuhe, die auf dem Holzboden klackerten, zu ihrer schneeweißen Bluse einen dunkelroten Seidenschal und eine schwarze Hose. Ihre schwarzen Haare waren zu einem strengen Dutt gebunden, sie war sehr schlank und anmutig und konnte nicht älter als vierzig sein. Allerdings schrie alles an ihrem Charisma und Autorität nach jemanden, der sein ganzen Leben schon hinter sich gehabt haben muss.
Das, was mich jedoch am meisten an dieser ganzen Szenerie verwirrte, war die Sonnenbrille auf ihrer Nase.
Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, als die Frau - Ms. Jeon - am Flügel angekommen war und für ein paar Sekunden so schien, als würde sie die angesammelten Schüler mustern.
Ich traute mich nicht zu atmen.
„Einmal Halleluja. Erste Strophe, Chorus zweimal."
Ms. Jeons Stimme klang angenehm warm und weich und irgendwie, als hätte sie vor Jahren einmal einen sehr starken Akzent gehabt. Ich bekam ungewollt eine Gänsehaut und krempelte schnell die Ärmel meines Hemdes herunter, damit der Junge neben mir es nicht sah.
„Taeyeon?"
Ein hübsches Mädchen im Sopran stand auf und mit ihr alle anderen. Und wie aus dem Nichts heraus, fing sie an zu singen. Halleluja, in einer angenehmen Tonlage, mit einer noch viel angenehmeren Stimme.
Ich glaub, ich hätte ihr das ganze Lied über zuhören können, wenn nicht auf einmal das Mädchen neben ihr und gleich darauf der Junge neben mir eingestimmt wären und jeder eine andere Begleitung zu der Melodie sang. So setzten nach und nach alle anderen ein und ich musste schnell zugeben, dass ich selten etwas beeindruckenderes gehört hatte.
Ich war nie der Beste im Singen gewesen, aber das hier fühlte sich an, als wäre jeder einzelner dieser Teenager ein Spitzenkandidat für einen Gesangswettbewerb. Die Stimmen mischten sich so gut ineinander, als hätte sie es das ganze Jahr über geprobt.
Ich stimmte erst die letzten Takte in der Melodiestimme von Taeyeon ein, fest darauf fokussiert mich durch den Jungen zu meiner linken nicht aus dem Konzept bringen zu lassen.
Als der letzte Ton eines Jungen im Bass verklungen war, fühlte ich die abendliche Sonne, die durch die verglasten Wände in den Saal fiel, um einiges intensiver auf meiner Haut. Zusammen mit dem Kribbeln in meinem Bauch und gleichzeitigem Stechen im Hinterkopf, dass ich niemals so gut sein würde, wie jeder Einzelne von diesen Schülern.
„Danke, setzt euch."
Ms. Jeons Stimme holte mich aus diesen Gedanken heraus.
Sie hatte ihre Sonnenbrille abgenommen und sich an den Flügel gelehnt und ich musste mehrmals blinzeln, bis ich tatsächlich realisierte, dass die leichte Trübung ihrer rehbraunen Augen keine Einbildung war.
„Dann wollen wir einmal sehen, wer alles da ist..."
Ich will wieder Sommer haben... es war jetzt lange genug früher dunkel.
♡
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