15 | so innocent
„Hoseok ist über die Regenrinnen abgehauen. Das macht jeder hier, wenn er jemanden besuchen möchte und nicht die Treppen nehmen will oder kann."
Yoongi's Zimmer sah noch unordentlicher, als bei meiner Ankunft. Bücher waren überall im Zimmer verteilt, auf Yoongi's Schreibtischstuhl lag ein Klamottenberg und die Partitur einer Symphonie war aus dem Regal mit den Noten herausgezogen worden und lag aufgeschlagen auf dem Boden.
Dieses Mal blieb ich zur Sicherheit mitten im Raum stehen und vergrub die Hände in meinen Jackentaschen.
Wer weiß, was passieren würde, wenn ich auch nur einen unscheinbaren Blick an Yoongi's Krempel verschwenden würde. Vielleicht würde er Erbarmen mit mir haben und noch einmal auf meine Lippe raufhauen.
„Wir haben gerade noch rechtzeitig mitbekommen, dass draußen irgendwas los ist, bevor Jongdae die Tür aufgerissen hat." Er kam zurück mit einem Kühlpack, eingewickelt in ein Taschentuch und drückte es mir in die Hand. „Du hast Glück gehabt. Sie hätten sonst was mit dir machen können. Als Yuqi neu hier war und wir sie das erste Mal vor der Tür abgestellt haben, ist sie zwar irgendwie davon gekommen, hat allerdings ihre Eltern anlügen müssen, um Geld für neue Schulbücher zu bekommen, die die Schwachköpfe im Allgemeinmüll entsorgt haben."
Er lachte und ich war froh mit dem Kühlakku meinen Mund verstecken zu können.
Was war daran bitte lustig?
„Auf jeden Fall bin ich gespannt, was sie zu unserem Geschenk sagen werden. Die Textilfarbe hat mich einen Abend meiner wertvollen Zeit gekostet."
Ich zog die Augenbraue hoch. Yoongi sah kurz verwirrt aus, bis er offensichtlich verstand und so breit anfing zu grinsen, dass man sein Zahnfleisch sehen konnte.
„So unschuldig." Er drehte sich um und schmiss sich auf sein Bett, bevor er die Likörfläschchen aus seiner Jacke holte und in seinem Nachtschränkchen verstaute. „Sagen wir es so; es hat lange gedauert in der Lagerhalle vom Baumarkt den passenden Rotton zu finden, Häschen." Den Fläschchen folgten zwei Packungen Zigaretten.
„Hoseok ist übrigens oben."
Er schob das Fach zu und setzte sich aufrechter hin. „Er ist schon ganz gespannt, wie es gelaufen ist. Für dich."
Mir stockte der Atem bei Yoongi's Worten. Wie es für mich gelaufen war? Wie es für jeden Frischling laufen würde?
„Ihr wusstet, dass ich mir irgendetwas einfangen würde."
Yoongi schwieg. Für einen kurzen Moment sah ich Schuldgefühle in seinem Blick schimmern. Doch die verschwanden genauso schnell, wie sie gekommen waren. „Das war... jetzt eigentlich eine stille Aufforderung für dich zu gehen."
Ich wusste nicht, ob ich lachen, weinen, schreien oder ihn einfach nur sprachlos anstarren sollte. Aus Sicherheitsgründen entschied ich mich fürs Letztere.
Trotz seiner guten Laune sorgte der andere Junge mit seiner Ausstrahlung noch immer dafür, dass ich mich fühlte, wie eine Eintagsfliege neben einer Schildkröte.
„Danke für... das..." Ich zwang mich zu einem Lächeln und hielt das Kühlpack hoch, während ich langsam rückwärts aus Yoongi's Zimmer stolperte. Der Schwarzhaarige beobachtete mich dabei so genau, als würde er abwägen noch etwas zu sagen. Mir einen Kommentar hinterherzuwerfen, der vermutlich noch eins auf diese aktuelle Situation drauflegten könnte.
Doch da kam nichts.
Ich schloss die Tür und Yoongi's eindringlicher Blick wurde abgeschnitten. Mehr oder weniger erleichtert kehrte ich zurück zu dem Zimmer, dass ich vor einer halben Stunde nie hätte verlassen dürfen.
Ich war noch nie so schnell gerannt.
Hoseoks Reaktion war ähnlich wie Yoongi's.
Mit der kleinen Ausnahme, dass er meine geschwollene Lippe weitaus schockierter anstarrte und mich sofort zwang zwei Tabletten zu schlucken von denen ich in der Überforderung nicht einmal Zeit hatte, die Packungsbeilage zu lesen.
Er machte weder eine Bemerkung zu der Textilfarben-Geschichte, dass Yoongi klaute, noch dazu, was Jongdae mit mir gemacht hatte und hätte machen können, hätte mein Verstand nicht rechtzeitig eingegriffen.
Die Tabletten machten mich schläfrig und als Hoseok mich für ein paar Minuten allein gelassen hatte, um auf die Toilette zu gehen, dauerte es nur zwei Sekunden, bis ich weg war.
Das nächste Mal wachte ich in der Nacht auf, weil mein Magen knurrte und ich mich irgendwie widerlich fühlte. Das Fenster stand sperrangelweit offen und ich bemerkte erst ein paar Augenblicke später, dass ich halb ausgezogen noch immer auf der roten Couch lag. Hoseoks Arm hing vom oberen Bett herunter und der Wecker zeigte kurz vor elf an.
Die Erinnerungen an alles kamen schneller zurück, als geplant und automatisch fasste ich mir an die Lippe. Sie war immer noch dick und geschwollen. Yoongi's Kühlakku lag neben mir. Warm.
Mein Magen knurrte erneut und ich hatte das dringende Bedürfnis mich zu duschen. Nachdem die böse Vorahnung, dass wir in unserem Zimmer keine eigene Dusche hatten, sich als wahr entpuppt hatte, hatte ich mich nicht mehr getraut Hoseok zu fragen, wo man sich hier um seine Hygiene kümmern konnte.
Zum einen, weil ich nach dem Zustand der Zimmer nicht wirklich wissen wollte, wie die Duschen aussahen und zum anderen, weil ich Gemeinschaftsduschen hasste, wie nichts anderes auf dieser Welt. Bis auf meine dumme Angewohnheit alles ins Lächerliche zu ziehen.
Ich konnte mich nicht vor anderen Menschen ausziehen, bei Schwimmbadbesuchen meiner alten Schule hatte ich meiner Mutter immer Bauchschmerzen vorgetäuscht.
Und manchmal, wenn ich so tief in meinen Gedanken festhing, fing ich an zu singen.
Zwei Sachen, die sich in Gemeinschaftsduschen definitiv negativ auswirken würden.
Allerdings musste ich mich irgendwann einmal waschen. Defizite hin oder her.
Während ich mich aus der Decke pellte, die Hoseok über meinen Beinen ausgebreitet haben musste, beschloss ich den schlafenden Jungen am nächsten Tag darauf anzusprechen. Bis dahin musste ich irgendwie versuchen mein schmerzendes Hungergefühl so weit zu unterdrücken, dass ich wieder einschlafen konnte.
Der Weg von der Couch zu meinem Bett war nicht weit, aber weit genug, dass ich mich in der Decke verhedderte, stolperte und mich gerade noch rechtzeitig an einem der Pfosten des Gestells abstützen konnte. Daraufhin gab das Bett einen Ton von sich, der sich anhörte, als würde eine Ziege geschlachtet werden.
Die Augen fest zusammengekniffen, in der Hoffnung Hoseok würde davon nicht aufgewacht sein, zog ich mich zurück auf die Beine und warf meine Decke zurück auf meine Matratze.
Bevor ich ihr jedoch folgen konnte, stach mir etwas Weißes ins Auge, dass aus dem Laken herausgefallen sein musste und jetzt auf dem Boden lag.
Es war ein Zettel.
Ordentliche Schrift, Englisch, kein Hangul.
Eine Ecke war geknickt und es schien, als wäre er aus einem Block herausgerissen worden.
„Sage", lautete das Wort und mit blieb fast das Herz stehen.
Es war die gleiche Schrift, mit der der Erste dieser Zettel verfasst worden war.
Zumindest soweit ich das erkennen konnte.
Von Panik ergriffen durchquerte ich sofort den Raum und versenkte das Stück Papier in meinem Mülleimer. Dabei fiel mein Blick auf meinen aufgeschlagenen karierten Block, aus dem eine Ecke herausgerissen worden war.
Einer meiner Kugelschreiber lag daneben.
Ich traute mich gar nicht zurückzusehen, sobald ich wieder in meinem Bett lag. Die Decke trotz der Wärme über meinen Körper gezogen.
Hoseok musste sich einen Scherz erlauben.
Wer sonst hätte Interesse daran mir auf diese Weise Angst einzujagen?
Was haltet ihr eigentlich bisher von Hoseok, Yoongi, etc...?
Einen schönen Sonntag, an alle, die das hier noch lesen
♡
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