14 | first fight
Trick sechzehn.
Entwickelt von der Menschheit, Jahrtausende zuvor, zum eigenen Schutz.
Damals, wie heute: Wegrennen.
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Der Rothaarige hatte mich als Erster wieder eingeholt.
Ich war nicht einmal bis zur Tür gekommen.
In Filmen würde ich in Zeitlupe zu Boden gehen und mein Kopf mit einem hässlichen Geräusch auf dem Boden aufschlagen. Für den Effekt.
In der Realität überrannte mich der Rothaarige rigoros und ohne Rücksicht auf Verluste, sodass ich zwar nicht zu Boden ging, die Zeitlupenaufnahme allerdings trotzdem etwas geworden wäre.
Mein Kopf knallte stattdessen gegen die Wand, als der Kerl versuchte mich festzuhalten und ich schaffte es gerade noch mir eine Träne von der Wange zu wischen, die es irgendwie aus meinem Auge geschafft hatte, bevor der Rothaarige meine Arme zu fassen bekam und sie mir auf den Rücken bog. Es fühlte sich schlimmer an, als jede Aufwärmübung, die ich jemals im Sportunterricht absolvieren musste.
„Du hast dich verraten. Es ist nichts zu sehen, aber wärst du nicht weggerannt, wäre ich mir sicher gewesen, dass du die Wahrheit gesagt hast."
Ich musste auf den Boden sehen, um meine Arme etwas zu entlasten. Jongdae beugte sich zu mir herunter und grinste mich von unten an. „Anfängerfehler. Kein Wunder, warum sie dich vor der Tür abgestellt haben."
Provokant wischte er eine weitere Träne von meiner Wange, die sich gegen meinen Willen gelöst hatte. „Ich glaub, es war ganz gut, dass du nichts mit uns zu tun haben wolltest. Wenn du jetzt schon anfängst zu heulen... So einen Waschlappen hält nur den Verkehr auf."
Der Griff um meine Arme verstärkte sich und ich biss mir auf die Zunge, um keinen Laut von mir zu geben. Am liebsten hätte ich dem Typen meinen Fuß zwischen die Beine gerammt. Einfach nur, damit er mich losließ.
Aber irgendwo hörte dann auch meine spontane Entscheidungsfreiheit auf und die Prinzipien fingen an.
Hätte ich es nur gemacht.
In diesem Moment der Unachtsamkeit war Jongdae wieder aufgestanden und hatte mit einer Faust ausgeholt.
Licht ist schneller als alles.
Bis auf Schmerz.
Ich spürte das Brennen in meiner Lippe, noch bevor seine knochige Hand sie berührt hatte. Danach wurde es nur schlimmer. Und realer.
Es fühlte sich warm an, beißend, stechend, als wäre sie eingeschlafen. Dann schmeckte ich Blut und meine Arme wurden losgelassen.
„Du hast dich entschieden, Jeongguk. Und ich respektiere das. Du auch?"
Ich versuchte mit der Zunge über meine Oberlippe zu fahren, um zu testen, ob alles in Ordnung war. Das Blut in meinem Mund sagte mir zwar bereits jetzt schon etwas anderes, aber man konnte immer noch hoffen.
Hoffen, dass meine aufgeplatzte Lippe nicht so geschwollen war, wie es sich anfühlte.
„Ich hab dich was gefragt", zischte Jongdae zu allem Überfluss auch noch und packte mich an dem Stoff meines Hemdes. Ein Knopf sprang ab. Und mit ihm meine Prinzipien.
Meine Lippe fühlte sich an, als wäre sie um das Doppelte aufgespritzt worden.
Das Blut wurde langsam widerlich.
Und ich hatte nicht einmal den Hauch einer verschissenen Ahnung, wie man einen Knopf wieder annähte.
Nichts war befriedigender, als Jongdaes schmerzerfülltes Stöhnen, sobald mein Knie in seinem Schritt landete.
„Was bist du denn für ein Mädchen? Noch nie geschlagen worden oder was?", keuchte der Ältere. Er hatte von mir abgelassen und der Rothaarige war einen Schritt von mir zurückgewichen.
Schisser.
Ich antwortete nicht, auf seinen Kommentar, drehte mich und steuerte die Toiletten auf dieser Etage an.
Eigentlich wartete ich mit einem weiteren frechen Kommentar von irgendwem, doch offensichtlich reichte das Geräusch meiner Turnschuhe auf dem Boden aus, um sie von mir fernzuhalten. Mein Herz pochte schneller, als je zuvor und erst als ich die Türklinke in der Hand hielt, fiel diese Anspannung, dass im letzten Moment, doch noch einer von den dreien ankommen könnte, um mir eine zweite Faust ins Gesicht zu schlagen, ab.
„Wir sehen uns", rief mir jedoch nur der dritte Kerl hinterher, bevor die Tür zu den Toiletten ins Schloss fiel und ich in Tränen ausbrach.
Meine Lippe brannte, wie Feuer und ich hatte noch immer nicht das Gefühl, dass es aufgehört hatte zu bluten. Noch dazu kam, dass ich meinen Mund nicht richtig öffnen, geschweige denn etwas sagen konnte, ohne zu nuscheln.
Die Panik über der Hilflosigkeit kochte immer wieder über und über in Form von Verzweiflungstränen.
Erst, als ich mich etwas beruhigt hatte, wagte ich in den Spiegel zu sehen, der an der Wand hing.
Es war schwer, nicht zurückzuschrecken.
Nicht nur, dass meine Wangen, Augen und Nase komplett gerötet waren. Meine Oberlippe war komplett geschwollen und das Blut tropfte aus meinem Mundwinkel. Reflexartig fasste ich an die Stelle, zog jedoch schnell meine Hand zurück, da die Schwellung sich anfühlte, als würde ich mit jeder kleinen Berührung den Schmerz von Jongdaes Schlag nachempfinden können.
Er hatte Recht.
Ich hatte noch nie eine Faust abbekommen.
Neue Tränen kamen mir hoch und ich spuckte das Blut ins Waschbecken, bevor ich den Wasserhahn anstellte und es schnell von der weißen Keramik wusch.
„Sieht böse aus."
Eine Hand noch unter dem Wasserstrahl fuhr ich zusammen und verteilte die Tropfen auf dem gekachelten Boden. Fest an die Wand gedrückt, sah ich erst nach drei Sekunden wieder auf.
„Sorry... wollte dich nicht erschrecken."
Es war Yoongi.
Am Ende des Ganges mit den Toilettenkabinen war ein kleines Fenster geöffnet, auf dessen Fensterbrett der Junge saß, an seiner Kippe zog und den Rauch durch den schmalen Spalt hinausblies.
Die Wut drängte meinen Schmerz in den Schatten.
„Ist nur ein Kratzer."
Meine Antwort triefte vor Ironie, aber trotzdem schien sich Yoongi nichts anmerken zu lassen. Er sprang vom Fensterbrett hinunter, schnipste seine glühende Kippe in eine Toilette und kam zu mir herüber.
„Jongdae hat Kraft in den Armen, auch wenn es nicht so aussieht", murmelte er. Ich wich zurück und hielt mir eine Hand vor den Mund. Er sollte nicht denken, dass ich versagt hatte, aber noch weniger wollte ich, dass er auf einmal anfing sich um mich zu kümmern.
Nichts war demütigender.
„Es ist wirklich nichts."
„Genau, Jeongguk. Dein Gesicht sieht immer so aus. Verarsch mich nicht."
Er drehte das Wasser wieder auf, zog ein bisschen Papier aus dem Spender und hielt die Blätter unter den kühlen Strahl. Mit einer Hand hielt er mein Handgelenk fest. Mit der anderen tupfte er vorsichtig auf meiner geschwollenen Lippe herum.
Sein Blick war konzentriert und ich gab mir alle Mühe nicht zurückzuweichen.
Das kalte Nass brannte wie Feuer und betäubte gleichzeitig den Schmerz.
„Tut dein Kiefer weh?"
Ich öffnete ihn probehalber und nickte.
„Du solltest es kühlen."
Yoongi nahm den Arm runter und schmiss das rot befleckte Papier weg. „Ich hab einen Minikühlschrank und im Eisfach ein Kühlakku."
„Was habt ihr eigentlich gemacht?", fragte ich leise, um nicht auf diese Aussage einzugehen. Die ganze Sache war mir irgendwie unangenehm. Yoongi und Hoseok wurden nicht erwischt, aber trotzdem hatte ich versagt.
„Wir haben rote Textilfarbe in ihr flüssiges, überteuertes Waschmittel und die Shampooflaschen gefüllt. Und..." Mit einer fließenden Bewegung zauberte er fünf kleine Fläschchen aus der Innenseite seiner Jacke. „Die Kippen und den Alkohol geklaut. Wenn sie petzen gehen, hab ich sowieso erstmal keine Möglichkeit mehr, ins Dorf zu fahren und für Nachschub zu sorgen."
Auch wenn ich keinen Schluck von dem Alkohol nehmen würde, konnte ich nicht anders als stolz zu grinsen. Das war für den Schmerz, der gleich darauf meinen Kiefer durchzuckte.
Jongdae konnte mich mal.
Yoongi schien meine Gedanken erraten zu haben und klopfte mir auf die Schulter.
„Das Adrenalin fühlt sich gut an, was? Wir arbeiten uns Stück für Stück vor. Als nächstes ist Baekhyun dran. Ich hab mit dem Wichser noch eine Rechnung offen."
Es war das erste Mal, dass ich ihn Lächeln sah.
„Aber jetzt sollten wir uns zuerst einmal im deine Lippe kümmern."
Yoongi steckte den Alkohol zurück in seine Tasche und drehte sich um, um die Tür aufzustoßen. Ich zögerte noch einen kurzen Moment und überprüfte die Schwellung noch ein letztes Mal im Spiegel. Es war nur ein kurzer Augenaufschlag, aber trotzdem genau die Sekunde, in der ich noch etwas anderes hören konnte.
Ein Knacken, dann ein Rascheln, was daraufhin immer leiser wurde, als würde es sich entfernen.
Es kam vom angekippten Fenster her.
Vielen Dank für die 1.000 Reads!
Ich weiß, dass sich diese Story zieht, aber zum ersten Mal seit langem schreib ich nicht nur für euch, sondern auch für mich.
♡
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