12 | first day
In all den Situationen, die ich hier bis jetzt durchleben musste, hatte mein Herz nicht so stark geklopft, wie zwei Minuten vor Beginn meiner ersten Mathestunde.
Das Gebäude mit dem Raum für den Kurs lag nicht weit entfernt und trotzdem glich der Gang über die taunasse Wiese einem Trauermarsch. Bis auf vereinzelte Gestalten, die in Sportkleidung die morgendliche Kühle ausnutzten und auf dem Sportplatz hinter den Wohnhäusern ihre Runden drehten, schlurften vereinzelte Schüler mit dem Elan einer Schildkröte und einer Tasche unter dem Arm über die Wiese.
Der Mathekurs G1 gehörte zusammen mit dem Englischkurs zu den beiden ersten Frühstunden der Woche. Alle anderen Kurse begannen um 9:00 Uhr. (Trotzdem war Hoseok schon wach gewesen, um mich auszulachen. Ich hatte beschlossen diese Dinge als gutes Zeichen zu deuten.)
Warum ich als einziger so aufgedreht war und es nicht schaffte meine Füße zum Stillstand zu bringen, lag allerdings nicht daran, dass ich mir einen Kaffee in der Cafeteria besorgt hatte. Wie bereits erwähnt hatte ich schon früher immer meine Taktik, um niemandem seinen Stammplatz wegzunehmen und dadurch unnötigen Stress zu riskieren. Damals wusste ich in etwa, neben wem immer ein Platz frei war, beziehungsweise, neben wem ich mich hinsetzen konnte, ohne dumm angemacht zu werden.
In diesem Internat wusste ich es nicht.
Der Müdigkeitspegel innerhalb des Klassenzimmers lag bei der Siedetemperatur von Methan (beeindruckend niedrig) (danke Wikipedia) und ließ somit keinerlei Platz für Deduktionen.
Zwischen den verschlafenen Gesichtern entdeckte ich zwar Wheein in Jogginghose und T-Shirt, wie sie immer wieder versuchte nicht einzunicken, und neben ihr sogar ein freien Platz, allerdings bezweifelte ich irgendwie, dass sie sonderlich erfreut sein würde, wenn ich mich dorthin pflanzte.
Das Ticken der Uhr wurde mit jeder Sekunde lauter und ich spürte schon die ersten Blicke auf mir, als ich noch immer in der Tür stand, meinen Rucksack geschultert, in Jeans und Hemd. Es hätte keinen Unterschied gemacht, wenn ich in Anzug aufgetaucht wäre. Der Effekt wäre ungefähr derselbe.
Wheein hatte mich jetzt auch entdeckt und ich war beinahe versucht meine erste Unterrichtsstunde zu schwänzen, als auf einmal jemand in mich hineinlief und ich nach vorne stolperte.
„Oh, das tut mir Leid. Alles in Ordnung bei dir?"
Es war der kleine, molliger Junge, den ich schon am Tag meiner Ankunft hier gesehen hatte. Er hatte einen Stapel Bücher fest an sich gedrückt und blickte besorgt zu mir hoch.
„Mir geht's gut. Danke", nuschelte ich etwas verunsichert. In meinen Gedanken tauchte die Szene von gestern wieder auf, wo ich am Fenster gestanden und er zu mir hochgesehen und gelächelt hatte. Ob er mich wiedererkannte.
„Du musst... dieser Neue sein. Der mit Hoseok in einem Zimmer ist. Ich hab dich gestern Nachmittag an seinem Fenster gesehen. Weißt du noch?"
Okay, er erinnerte sich.
„Du kannst dich neben mich setzen, wenn du willst."
Ich lächelte sofort und nickte erleichtert. Eine von Natur aus freundliche Seele auf den Gängen dieses Internats zu treffen, war, wie das Gänseblümchen im Unkrautfeld zu finden.
Allerdings kannte dieser Junge Hoseok. War er ein Freund von Jongdae und Sehun? Oder in diesem Kampf um die Regentschaft der Schule auf der Seite meines Zimmergenossen?
Egal, wie sich das hier entpuppen würde. Der pummelige Junge und ich waren die Einzigen, die sich die Mühe gemacht hatten, eine richtige Hose anzuziehen. Und er führte mich an einen Platz ganz hinten in der Ecke am Fenster, wo tatsächlich noch niemand saß.
„Ich bin Jimin."
Mein Herz machte einen kleinen Sprung und fuhr daraufhin langsam den Puls wieder herunter.
Wenn das der Jimin war, von dem Hoseok vorgestern gesprochen hatte, war er definitiv ein Freund. Soweit ich im Moment Freunde definieren konnte.
„Jeongguk." Er erwiderte mein Lächeln.
„Ich weiß. Yoongi hat gestern schon von dir erzählt."
Den Rest der Stunde führte ich jedenfalls netten Smalltalk mit dem molligen Jungen, der einen erstaunlichen Sinn für Humor besaß und definitiv nicht so durchgeknallt war, wie der Rest der Gruppe.
Glücklicherweise.
Das Einzige, was ich diese Stunde jedoch letzten Endes beschloss, war, dass angemessene Kleidung hier wohl ausnahmslos jedem egal war. Das Problem, wenn man keine Schuluniform hatte und die Schüler unglücklicherweise frühmorgens partout keine Zeit hatten, ihr Hosenfach zu öffnen.
Jimin war genauso alt, wie ich, und somit ein Jahr jünger als alle anderen. Allerdings fühlte es sich an, als wäre er geistig Mitte zwanzig oder zumindest zwei Stunden weiter, als der restliche Kurs.
Während der ganze Raum allein beim Anblick der schlecht gelaunten, hundertjährigen Mathelehrerin in ihren Sitzen versank, in der Hoffnung ihrem feurigen Blicken zu entgehen, konnte Jimin sich bei jeder Frage melden, die sie stellte, um unseren Stand zu prüfen. Als ich an der Reihe war, schrieb er die Lösung auf das erste Blatt meines Blocks.
Die erste Stunde in meiner neuen Schule ging schneller vorbei, als ich es erwartet hatte. Und sie ließ mich zu drei Erkenntnissen kommen.
Erstens, der Anspruch war höher. Mein Vater hatte mir bei unserem letzten Telefonat mehrmals eingebläut, dass ich mich anstrengen müsste, doch dass meine Mathelehrerin gleich in der ersten Stunde einen Test angekündigt hatte, über den ganzen Stoff, den sie als 'selbstverständlich' voraussetzte und wovon ich gerade mal die Hälfte jemals in meinem Leben gehört hatte, hatte ich nicht erwartet. Ich war kein Mensch mit einem fotografischen Kurzzeitgedächtnis. Ich konnte mir keine Vokabeln merken und meine Rechtschreibung war eine Katastrophe. Von logischen Zusammenhängen fang ich erst gar nicht an.
Zweitens, Mädchen in Jogginghose haben etwas. Ich weiß nicht was, aber irgendwie gefällt es mir.
Und drittens, Jimin ist ein Engel. Keine Übertreibung.
Nach allen Drohungen, Verstoßen gegen die Schulverordnung und Dialogen, die ich hier schon bekommen habe, wirkt der Junge wie jemand, den ich am liebsten in eine Decke wickeln und hier wegschaffen würde.
Ich weiß nicht, ob es der Bonus ist, dass seine Wangen etwas aufgeplustert sind und ihn so ein wenig jünger wirken lassen, als er ist, aber es wirkt.
Zumindest bei mir.
Er hat mir kaum Fragen über meine Person gestellt, sondern nur, woher ich komme, was ich gerne mache und was für Kurse ich gewählt hab. Den Rest der Zeit hat er über die Lehrerin gelästert und von seinen Freunden erzählt (es war tatsächlich der Jimin, von dem am Samstag die Rede war).
Sein bester Freund war Yoongi (wie auch immer ein Kerl wie Yoongi einen besten Freund wie Jimin haben konnte) und er hatte mir versichert, dass Wheein alles andere als angsteinflößend ist, wenn man sie einmal in einer Karaoke Bar Despacito singen gesehen hat.
Zu den beiden Anderen sagte er kein Wort, allerdings traute ich mich auch nicht nachzufragen.
Doch für danach hatte sein tröstliches Lächeln vollkommen ausgereicht, um mich wohl zu fühlen.
Und ab da plätscherte der Tag dahin. Mathe, Biologie, Koreanisch. Die Lehrer fragten nicht nach neuen Namen, sondern stiegen sofort in den Unterricht ein. Sie waren streng, aber freundlich und beachteten mich kein bisschen.
Zum Mittagessen war ich mit Hoseok verabredet. Tao begrüßte uns mit einem strahlenden Lächeln und einem zaghaften 'Hallo' auf koreanisch, was mich automatisch grinsen ließ. (Nicht falsch zu verstehen. Sein Akzent war nur irgendwie niedlich.)
Jimin sah ich an diesem Tag erst in meinem Koreanischkurs wieder, allerdings war hier auch Hoseok dabei war, weshalb der Kleinere sich eher weniger mit mir unterhielt und ich die Möglichkeit hatte, mir etwas über Gedichte anzuhören, was ich nie wieder im Leben brauchen würde.
Das war meine letzte Stunde, doch statt danach Hausaufgaben zu machen, wie ich es eigentlich hätte tun müssen, konnte ich nicht anders, als mich hinzulegen und auf der Stelle einzuschlafen. Geweckt wurde ich erst wieder, als die Schatten der Bäume länger geworden waren und Hoseoks Wecker kurz vor fünf anzeigte.
Das schelmisch grinsende Gesicht meines Zimmergenossen über meiner verschlafenen Visage. Eine Hand auf meiner Schulter und in den Augen funkelnden Tatendrang, der nichts Gutes verhieß.
„Es geht los, Jeongguk. Ich hoffe, du bist wach genug."
Top 3 der Kpop Songs 2019?
Ich möchte mal testen, wie tief ich im letzten Jahr in diese Materie gesunken bin...
♡
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