Kapitel 8
Güstrow
Straße
Mittwoch zum Donnerstag
Oh Mann, ich werde morgen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ganz furchtbar müde aussehen. Auch dachte Frank Hartung im Moment nicht an Ina und auch nicht daran, dass wieder jeder für sich dahin schlich. Der Moment der Vertrautheiten war wieder durch die Situation zerstört worden. Das wollte Frank, obwohl für ihn eigentlich keine Veranlassung dazu bestehen sollte, auch Ina zumindest irgendwie so sagen.
„Ich fühle mich irgendwie betreten und leer."
„Ja, mir geht es auch so."
„Eigentlich wollte ich jetzt auch wieder witzig sein, aber es fällt mir schwer."
„Hmm, ja. Schon klar." sagte Ina kurz angebunden.
Beide gingen langsam schlürfen weiter. Unter ihren Schuhen war vernehmbar ein lautes Knacken des Schnees zu hören.
Frank erkannte mehrere Fußspuren auf dem Weg, welche zum Teil schon zugeschneit waren. Vielleicht waren es ja auch Spuren von Ina und ihm, denn andere Personenbewegungen hatte er nicht wahrgenommen. Ach ja, doch- vorhin. Eine Hundebesitzerin. Aber dies war am anderen Ende der rundherum führenden Straßenzüge. Sie hatte auch ihren Hund- so einen kleinen Promenadenhund einfach ein wenig frei laufen lassen, stand selbst mit einer Zigarette in einem Hauseingang am linken Straßenzug. Aber ihre Spuren konnten dies hier nicht sein. Frank stapfte mit dem rechten Fuß blind in eine Schneewehe. Das Profil seines Schuhes stimmte mit dem halbverschneiten Abdruck anscheinend überein. Aber es waren auch noch einige andere Spuren im Schnee auf dem Weg zu sehen. Auch Herrenschuh- Abdrücke.
„Was machst du denn da?" fragte Ina.
„Weiß auch nicht. Ich habe hier grade einen Schuhabdruck von meinem Schuhprofil gemacht, weil ich im Schnee einen anderen Abdruck gesehen habe. Was soll ich dir sagen, es war wohl meiner von der Runde vorhin." Scherzte Frank.
„Ach so."
Nun gingen sie weiter- an der Hauptstraße wieder rechts herum. Hier war es ein wenig heller. Auch Ina wirkte betreten. Die Bommel der Mütze, welche Frank ihr überlassen hatte, wippte stetig nach vorn über. Wieder einmal mehr tat Ina ihm am heutigen Abend leid.
„Ist eine ganz schön blöde Geschichte."
„Ja." Antwortete sie traurig.
Frank Hartung wünschte sich die fröhliche Ina zurück, aber dafür schien es wohl ab dem Moment eben vorbei zu sein.
„Bist du 'Fuchs' oder 'Schmidt'?"
„Was?" fragte sie, als ob sie seine Frage nicht verstanden hatte.
„Na, ich frage nur ob du 'Fuchs' oder 'Schmidt' bist?"
Ina grub ihre Hände tiefer in die Taschen, sah Frank dann hinter Jackenkragen und Bommelmütze versteckt an.
„Schmidt!" sagte sie, sah dabei wieder auf den Gehweg hinunter. Dann mach kurzer Gedankenpause fügte sie hinzu, „Mit 'dt', da lege ich sehr viel Wert drauf.".
Ihre Augen blickten wieder freundlich.
Wir gingen langsam weiter, den Blick gesenkt.
„Schade." sagte Frank mit zum Gehsteig gerichteten Blick und merkte, wie Ina ihren Blick auf ihn richtete. Frank Hartung hoffte auf eine Nachfrage von ihr, um vielleicht die Stimmung wieder durch einen kurzen Spaß lockern zu können. Und Ina tat ihm auch diesen erhofften Gefallen.
„Wieso schade."
„Ich dachte 'Fuchs'."
„Warum denn?"
„Hätte besser auf vorhin gepasst." Merkte Frank belustigt an.
Kurze Pause, aber dann kam doch noch die Nachfrage von ihr: „Wieso denn?"
„Na, so 'Fuchs'- Teufelswild!"
Ina schmunzelte, auch ihre Augen.
Offenbar könnte das Eis gebrochen worden sein?
Der Spaß musste nur unter den halb verfrorenen, nassen blonden Haaren ankommen.
Ina sagte nichts. Sie sah ihn an, lächelte.
Wie ein kleiner Befreiungsschlag brach es nun aus ihr hervor.
Sie stellte sich im Schnee auf ihr linkes Bein und knuffte ihn sacht mit der rechten Faust in die Seite. Beide sahen sich an und lächelten einander zu. Und was viel angenehmer war- schwups- waren ihre Hände wieder an seinen linken Arm geklammert. Und weiter ging die nächtliche Tour- zu Zweit- jedoch wieder irgendwie vereint.
„Du? Frank?" sagte Ina sanft.
„Ja?"
„Mir ist da grade eine Idee gekommen."
„Und was für eine Idee?" brummte er sanft fragend zurück.
„Ich weiß, wo ein Kaffeeautomat ist an der Schule. Vielleicht könnten wir ja dahin gehen?"
Oh ja, dachte Frank. Alles ist besser, als hier sein Dasein in der nassen Kälte zu fristen. Aber was, wenn wir dort so umschlungen über den nächtlichen Campus bewegen? Wenn man mich mit ihr sehen würde? Das könnte mich ins Gerede bringen. Ach egal. Frank schob alle Bedenken in der Aussicht auf einen warmen Kaffee bei Seite.
„Scheint irgendwie eine gute Idee zu sein."
Ina packte ihn nun fester am linken Arm, die drehten sich der Straße und dem Schulkomplex zu. Links schauen- rechts schauen. Wieso eigentlich ? Es war schon länger kein Auto mehr von Frank wahrgenommen worden. Also herüber über diese Straße. Ein ganz eigener Schulweg für Beide. Ihre Schritte wurden ein wenig schneller, trotz aller Vorsicht und Sorge, ausrutschen zu können.
Die Hoffnung auf einen heißen Kaffee, oder besser noch, einen heißen Cappuccino ließen wieder Hoffnung auf Wärme und Abwechslung von den Spazierrunden sowohl bei Ina als auch bei Frank zu.
„Dort drinnen ist einer!" sagte Ina, lenkte Frank am Arm zielgerichtet auf ein Haus zu.
Jedoch diese Hoffnung auf heiße Getränke zerplatzte genau in dem Moment, als Ina an der Tür zu dem Gebäude rüttelte und diese Tür verschlossen war.
„Oh nein." Sagte Ina enttäuscht.
„Irgendwie haben wir heute wohl nicht den glücklichsten Stern über uns Beiden stehen."
Ina sah am Gebäude hinauf und dann sehnsüchtig durch die Tür, blickte in den dunklen, mit Nachtlampen beleuchteten Flur hinein. Aber auch davon würde sich diese Tür nicht für Sie öffnen.
„Ich muss mich unbedingt mal ein wenig aufwärmen!" sagte Ina, „Komm lass es uns noch woanders probieren!"
Ina tänzelte leichtfüßig um Frank herum, hatte dann wieder einen seiner Arme- dieses Mal jedoch den rechten Arm- in einen sanften Griff genommen und sie versuchte nun, Frank nach rechts am Gebäude vorbei zu ziehen.
Jedoch blockierte Frank Hartung ihren Drang in diese Richtung zu wollen, oder ihn weiter zu bewegen.
Das war der Moment, auf den Mephisto bei Doktor Faust gewartet hatte.
Der Moment, indem der Teufel sein diabolisches Selbst in Frank Hartung personifizieren wollte und konnte, denn Frank ließ diesen Gedanken zu.
Doktor Faust- allein mit dem jungen und wunderhübschen Gretchen, fest entschlossen, einem Seeadler gleich auf die Wasseroberfläche hinab zu stoßen, um dort in den ahnungslosen Fisch seine scharfen Krallen hinein zu schlagen und ihn hinfort zu tragen.
Wenn es für Frank also eine Trumpfkarte gab, die es noch auszuspielen galt- und er hatte nur einen einzigen Trumpf im Blatt - und nur diesen einen Trumpf- war es 'Jetzt' an der Zeit, diese alles entscheidende Karte wie beim Poker 'All in' zu setzen und auszuspielen.
„Was ist?" fragte Ina -und das 'liebe, hübsche Gretchen' Ina sah Frank genau so fragend an, wie vermutlich das ahnungslose Gretchen den lieben Doktor Faust.
„Naja."
Frank Hartung holte weit aus.
„Da ist etwas, was ich Dir doch vielleicht lieber sagen sollte."
Inas Mimik zeigte fragendes Unverständnis, dann Neugierde. Sie wackelte kurz und mit weit geöffneten Augen ihren Kopf fragend hin und her.
„Ja?" fragte sie leise und sehr langgezogen. Beim Stellen dieser Nachfrage sah Ina aus, als ob sie befürchtete, es ist etwas furchtbar Böses, was sich jetzt in unfassbarer Weise offenbaren sollte.
Sie klammerte sich fester an seinen rechten Arm. Ihre Augen erwarteten eine Antwort.
Frank dachte im ersten Moment, er könnte sich ja noch einen Spaß mit ihr machen. Vielleicht sage etwas wie 'Wir haben Vollmond und ich werde mich jetzt gleich verwandeln müssen!' oder irgendetwas in dieser Form. Aber es schien jetzt nicht der Moment dafür zu sein, solch Spaß vorzutragen.
„Ja, die Sache ist die....."
„Ja?" warf Ina lang fragend ein.
Frank versuchte, Ina bei dem, was er nun sagen würde, einmal nicht in ihre freundlichen Augen zu blicken und wich ein wenig aber merklich mit dem Körper zurück.
„Ja?" Ina hakte nach.
„Also gut. ..." Sagte Frank, als würde er nun den Trumpf spielen wollen, um den beabsichtigten Gewinn abzuholen. Gedanklich hatte sich Frank diese Frage heute Nacht schon oftmals Revue passieren lassen- musste es zumindest irgendwie 'nett' verpacken.
„....Ich fahre heute nicht zurück nach Stralsund. Unser Bundesland hat mir nicht nur diesen Lehrgang gegeben, sondern auch diesen Schlüssel bei der Ankunft hier. Ich habe hier ein Einzelzimmer. Wir könnten uns dort aufwärmen. Aber wenn Du nicht mit hinein kommen möchtest- was ich irgendwie verstehen würde- so ein junges, hübsches Mädchen wie Du, bei einem älteren Herrn wie mir- ich würde zumindest gern mal auf Toilette gehen und mir warmes, oder heißes Wasser ins Gesicht fächeln wollen, denn Du musst wissen, wir älteren Herren ..." Frank beendete den Satz nicht.
Wärend er dies erzählte, hatte er beiläufig einen kleinen Schlüssel aus seiner Hosentasche hervor geholt und drehte nun diesen Schlüssel direkt vor Inas Gesicht.
„Wo lang?"
Ina lächelte. Es war keine Antwort darauf, und auch keine Mitteilung ihrer Entscheidung, aber es ging zumindest schon einmal in die richtige Richtung- in die Richtung eines beheizten Zimmers.
„Wo lang, Wo lang? Ja, dies weiß ich nicht mehr so richtig, denn du musst wissen, wir älteren Herren vergessen sehr viel und ja, wo lang, wo lang ...?"
Frank Hartung tat nun gewollt suchend, blickte hier und dort am Haus entlang, zurück zur Straße, nach oben- da erhielt Frank wieder einen sanften Knuffer in die rechte Körperseite.
„Wo entlang?" Ina schaute ihn mit groß aufgerissenen, aber lachenden Augen an. Unter ihrem hochgestellten Kragen sah Frank, bei dieser körperlichen Nähe deutlich ihr Lächeln und schlohweiße Zähne, umrahmt von wundervollen Lippen.
„Ja, nach links." Sagte er nun und blickte in die besagte Zielrichtung.
Ina, sanft am rechten Arm meiner Jacke hängend, drängte Frank vorsichtig und schwenkte mit ihm nun in diese Richtung ein.
Beide waren einige Meter gegangen, als Frank so bei sich dachte: 'Ach ich erlaube mir noch einen Scherz, jetzt, nachdem alles so planmäßig für Doktor Faustus läuft.'
Er hielt wieder an, stoppte abrupt seinen Schritt.
Ina sah ihn noch fröhlich von eben, dennoch wieder fragend an.
„Was ist denn noch?" fragte sie fast flüsternd.
„Nun." –sagte Frank zu ihr- „ Ich glaube mich – trotz meines Alters- erinnern zu können, dass man auch rechts herum und einmal um dieses ganze Gebäude, dessen Funktionszweck ich leider schon vergessen habe, auch zu den Unterkünften kam. Ich kann mich aber auch irren, denn manchmal... ."
Beim Reden dieses Satzes musste Frank Hartung schon entwaffnend schmunzeln. Jedoch wurde er unterbrochen und konnte den Satz nicht mehr zu Ende bringen.
„Idiot!" sagte Ina leise, dennoch deutlich.
Sie gingen wieder weiter in der bereits eingeschlagenen Richtung, eingehakt wie bislang. Frank sah nach unten.
„Idiot, Idiot? Ist dies eine Koseform? Weil wegen meines Alters habe ich den Zweck dieses Wortes auch schon vergessen."
Auch dieser Spaß ließ Ina und ihn wieder gemeinsam lächeln.
„Oh ja, es ist ein Kompliment, ..." sagte Ina, „...denn eigentlich werden so Hunde gerufen, wenn sie zu ihrem Herrchen zurückkommen sollen."
Wieder sah Ina lächelnd zu Frank herüber- obwohl er auf den verschneiten Gehweg sah. Frank konnte es förmlich spüren. Auch er musste lächeln, nahm die linke Hand wie zum Ruf an den Mund.
„Ich stelle mir das grade bildlich vor, wenn du in der Innenstadt zur Hauptgeschäftszeit deinen Hund rufst: 'Komm her, du Idiot!'" sagte Frank leise und zurück scherzend, als würde er laut sprechen.
„Ja." Sagte Ina, „Und dann stehen zehn sabbernde alte Idioten vor mir. Und fünf Hunde."
So. Dabei es Frank Hartung nun bewenden lassen, um ihr klar zu machen, dass er älter war als Ina.
Jetzt war Frank Hartung neugierig. Er wollte eigentlich nur sehen, wie sie sich weiter verhält und ob sie sich tatsächlich entscheiden würde, mit ihm vielleicht seine Unterkunft, die 'Höhle des Löwen', also den 'Hort des Bösen' zu betreten.
Beide gingen zum Unterkunftsgebäude. Hier war die Tür noch offen. Sie traten gemeinsam ein. Schon bei Betreten des Flurs strahlte Wärme auf ihre Wangen, wohlige satte Wärme.
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