Kapitel 36
Stralsund
Polizeidienststelle
Montag; nach 09:00 Uhr
Herr Kriminaloberrat Willinger erhob seine Stimme : „Danke für die Lagedarstellungen vom Wochenende und Ihre Redebeiträge." Die Runde schwieg wieder, dieser und jener legte nun den Stift aus der Hand, um zum gemütlichen Teil der Morgenbesprechung überzugehen, Kaffee zu trinken und mit dem Chef, Herrn Willinger in kleinen Smalltalk zu wechseln.
„Gibt es sonst noch etwas aus den Bereichen?"
Jan Holscher ergriff diese Gelegenheit beim Schopfe, denn es brannte ihn unter den Nägeln, zu erfahren, wie es mit der Ermittlungsgruppe „Auge" nun weitergehen sollte.
„Herr Willinger, ich bin mir hinsichtlich der am Donnerstag von Ihnen getroffenen Entscheidung, die Ermittlungsgruppe bis zum Augustbeginn auf zwei Mann herunterzufahren, und der damit ergebenen weiteren Wertungen der Sachlage nicht sicher. Können wir dies jetzt, auch gern in dieser Runde noch besprechen?"
Herr Willinger, welcher als einziger nicht mit am Besprechungstisch saß, sondern auf seinem Lehnstuhl hinter dem Bürotisch der Stirnseite, blickte Jan Holscher an.
„Was meinen Sie?"
„Ich persönlich halte es für einen Fehler, die Personalstärke jetzt schon herunter zu fahren. Es gab in diesem Ermittlungsverfahren schon genug Fehler ..." führte Holscher aus.
„Oh ja!" fiel der amtierende Leiter des Staatsschutzkommissariates ein, „ Und diese Fehler binden aktuell zwei meiner besten Leute in der Ermittlungsgruppe. Leute, welche keinen Urlaub in der Ferienzeit nehmen wollen und deren Unterstützung bei mir im Bereich alsbald wieder bitter nötig wäre!" Der Herr Kriminalrat lehnte sich zurück, tippte fordernd mit dem Zeigefinger auf den Tisch.
„Hmm! Danke!" fuhr Jan Holscher fort, dem nicht gefiel, wenn man ihn unterbrach. „Es ist doch so, dass wir uns wegen der Ereignisse auch irgendwie haben blenden lassen. Gleich nach dem Geschehen vom Anfang letzter Woche- dieser Verfolgung und dem Schuss des Kollegen Müller- mussten wir komplett umfokussieren. Die Kollegen aus Rostock haben uns Mittwoch und Donnerstag die Hauptakten so zerpflückt, dass alles nur noch auf die Klärung dieser Sachlage ausgerichtet wird. Der Ursprungssachverhalt gerät aktuell in Gänze ins Hintertreffen."
„Reden sie weiter, Holscher!" richtete Herr Willinger sich an den jungen Hauptkommissar.
„Ich meine ja nur- erinnern sie sich an diese klugen und – wie ich fand- bedrückenden Worte und Mahnungen des BKA- Profilers. Die Gruppe hat immer clever agiert, bis sie durch einen Zufall als Zelle zersprengt worden sind. Und auch wenn wir jetzt alle Drei irgendwie im Puzzle haben ..."
„Hört, Hört. Soweit ich weit sind zwei Puzzlestücken tot und eines hinter Gittern. Ich würde..." Der Staatsschutz- Vorgesetzte warf sich erneut in Schale, um ins Wort zu fallen, wurde aber diesmal von Jan Holscher direkt attackiert.
„Ja, was würden Sie tun? Sie haben seit Jahren keine Leiche mehr gesehen, haben sicherlich Angst vor einer rechtsmedizinischen Leichenschau oder davor bei der Zweitleichenschau im Krematorium mal eine Leiche zu drehen, wenn es sein muss- also bitte- sie machen ihren Job und ich mache meinen Job. Und lassen sie mich meinen Gedanken bitte zu Ende bringen, bevor sie mir ins Wort fallen. Unhöflichkeit produziert auch Unhöflichkeit im Gegenzug- zumindest dies sollten sie nunmehr wissen ..."
„Gut jetzt. Holscher! Beißen sie mal die Zähne aufeinander kurz. Die anderen können dann wieder zurück an die Arbeit!" Herr Willinger sprach das Machtwort.
Stühle rückten.
Als letzter verließ Wilfried Dramenz den Besprechungsraum, sandte Jan Holscher ein „Daumen hoch" als Geste seiner Unterstützung mit einem Kopfnicken zu, bevor er ins das Vorzimmer entschlüpfte.
„Jan, solchen Quatsch nicht an diesem Tisch und bitte auch nicht in dieser Art. Sie sind ein pfiffiges Kerlchen, aber Klaus hat seinen Bereich auch super im Griff. Und das er gerne seine Leute jetzt in der Urlaubssaison zurück haben will, kann auch jeder nachvollziehen.- Wie meinten sie das, dass wir den Fokus verloren haben könnten?" Willinger war aufmerksam, hatte sowohl der Position des Staatsschützers, als auch seiner Position Rechnung getragen.
„ Wir sind von der ursprünglichen Ermittlungsintention nunmehr absolut weggekommen. Die Sache mit Siegfried Müller und dem Tod von dem Andreas Konzius haben die Karre in den Mist gefahren. Das habe ich schon in der Pressekonferenz gemerkt und davor im Gespräch mit dem zuständigen Staatsanwalt. Alles dreht sich aktuell nur noch um Siggi und die Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit seines Handelns. Keiner erfragt mehr, was auf dem Gehöft noch alles schlummert, was die Truppe noch so alles getan haben könnte. Das Stalken, das Scannen der Opfer, Nebentaten von denen noch keiner etwas weiß, die Waffengeschichte- davon sind wir jetzt Kilometer entfernt. Die Akten sind jetzt bei den Rostockern, wir verwalten hier nur ein paar Kopiensätze."
„Aber sie haben doch den Staatsanwalt gehört: Ermittlungen abschließen- jetzt wo auch Konzius gestellt ist und sich auch ergeben hat, dass er keine Waffe bei sich hatte auf der Flucht. Da kann ich Ihnen nicht noch volles personal geben für irgendwelche wochenlangen Umfeldermittlungen oder Auswertungen. Der Staatsanwalt hat auch die Beschlagnahmeanordnung für das Grundstück wieder aufgehoben- sucht nach Nachlassempfängern des Konzius, um denen die Schlüssel für das gehöft in die Hand drücken zu können. Wir brauchen Futter bei die Fische- und das haben wir leider nicht! Insgeheim- unter uns gesagt- fand ich die Beweisdecke eigentlich immer schon zu dünn in der Sache!"
Willinger lehnt sich zurück in seinen Lehnstuhl.
Auch Jan Holscher unternimmt einen letzten Anlauf. „Ja. Dies ist im Prinzip ja auch richtig, aber wenn wir auswerten, können wir vielleicht..."
Diesmal unterbricht ihn sein Chef persönlich „Könnten- Herr Holscher- Könnten! Vermutung!"
„Dann könnten wir vielleicht noch Neuerkenntnisse hinsichtlich weiterer strafbarer Handlungen aufdecken!" Jan Holscher liegt fast auf dem Besprechungstisch, um seinen Worten eine energische Würze zu geben.
„Könnte! Aber das reicht mir nicht in dieser Sachlage und Konstellation. Und grade jetzt nicht- Presse mit Nachfragen am Hals und Sommerloch mit zu wenigen Kollegen- Gewehr bei Fuß!" Willinger knickt nicht ein. „Ich gebe Ihnen eine Woche mit zwei Mann- einen Staatsschützer ziehe ich sofort ab- zurück zu Klaus seinem Haufen. Versuchen sie bitte auch noch einmal den BKA Mann oder die Kollegen der Fallanalyse zu erreichen, ob es neue Erkenntnisse gibt. Wenn nicht- gehen in der übernächsten Woche alle ihrer Wege zurück in ihre Einheiten und einer bei Euch schließt die Akten- die Rostocker Sonderermittlungen laufen ja dann auch noch weiter."
Damit war die Maßgabe für Jan Holscher festgesetzt- Ende der Fahnenstange.
Jan Holscher stand wortlos auf, nahm seine Tasse vom Tisch und ging zur Tür.
„Ich glaube, das war noch nicht alles, Chef. Wir machen hier einen fatalen Fehler. Glauben sie mir!" Jan Holschers Blick war auf Herrn Willinger gerichtet.
Der hatte auch Bauchschmerzen- aber er musste diese Entscheidung treffen.
Das Tagesgeschäft muss rollen- diese Sache bringt keine Statistikpunkte. Ist also die beste Entscheidung momentan. Aber dies konnte Herr Willinger nicht sagen im Moment.
Auch Willinger hoffte, dass diese Entscheidung richtig war.
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