Kapitel 2
Güstrow
Die Schule
Januar- Montag Mittag
So ein Speisesaal an einer größeren Schule, wie hier in Güstrow hat schon etwas für sich. „Sehen und gesehen werden" –dies war die Parole, welche hier das Leben zu bestimmen schien. Diesen subjektiven Eindruck gewinnt man schnell, wenn man die Personen näher betrachtet, analytisch folgernd deren Verhalten für sich erschließt.
Nun war Frank Hartung also hier auf Lehrgang. Eine Woche lang. Weit weg von der Arbeitsroutine, von der Familie, von Haus und Hof. Weit weg von dem, was eigentlich sein übliches Leben darstellte.
Er hatte das Glück, einen Spezialistenlehrgang besuchen zu dürfen, hierbei ging es um Betriebswirtschaft, Volkswirtschaft und Forensik. Der Einstieg war nach der Begrüßungsrunde schon ansprechend und gehaltvoll. Ein Richter aus Schwerin referierte über rechtliche Belange und Beweisverwertungen im polizeilichen Ermittlungsverfahren. Frank Hartung kannte den Richter nicht, denn Schwerin –obwohl Landeshauptstadt- für ihn unendlich weit entfernt von seinem Lebensmittelpunkt in Stralsund.
Frank Hartung war vor Jahren einmal mit seiner Frau dort. Seinerzeit hatten sie sich das Schloss und den Park mit den Arkaden angesehen. Eine kleine Bootstour auf dem Schweriner See war seinerzeit auch durch spontanen Entschluss mit in das Tages- Programm hinein gerutscht und er erinnerte sich, dass der Bootslautsprecher etwas über Pfahlhäuschen am See und deren Erhaltung sagte. Und es war auch noch ein Tierparkbesuch dabei. Frank Hartung erinnerte sich auch noch an helle, freundliche Gebäudezüge vom Schloss bis in die Stadt hinein sowie an eine Unterbrechung des Shopping- Marathon auf einer Parkbank am Pfaffenteich. Dort am Pfaffenteich in der Stadt hatten seine Frau Ellen und er gesessen, mitgenommene Brote verspeist und sich die Sonne gefallen lassen. Aber diese Erinnerungen sind für Frank Hartung nur noch sehr blass vorhanden.
Auch ein Schweriner Richter entspannte sich grade. Zum Einen durfte er nun zu Tisch sitzen und sich eine Pause vom Reden gönnen und zum Anderen genoss er sichtlich seinen Salat .
Die Teilnehmer des Lehrganges hatten sich über 4 Tische aufgeteilt. Es waren 16 Leute im Lehrgang, alle wollten- wie Frank Hartung auch- verköstigt werden und etwas Ruhe haben. Frank Hartung hatte die hohe Zahl der Lehrgangsteilnehmer irgendwie verwundert, denn das Thema ist eigentlich nicht 'Jederman- Sache' und wird von den meisten Kollegen als exotisch belächelt.
Der Herr Richter saß einen Tisch weiter. Sein Salat schien ihm sichtlich zu schmecken. Frank schätzte das Alter des Richters. Um die vierzig Lebensjahre, schlank, mit einem Sweatshirt und Jeans bekleidet und man merkte ihm an, dass er sehr lebenserfahren ist.
In den zwei Stunden vor der Pause schritt der Richter gedankenverloren im Klassenraum von rechts nach links und zurück, schaute stetig aus dem Fenster in die kalte und verschneite Außenwelt. Hierbei wärmte der Richter seine Hände an einem Kaffeebecher. Seine Wege um den Lehrertisch unterbrach der Richter nur, um die Maus am PC schwungvoll wirkend anzutippen, wodurch dem Zuhörerkreis des Lehrganges eine neue Seite seiner Präsentation auf die Weißwand vorgestellt wurde. Dieser Mann wusste wovon er sprach, er war sehr sicher und wirkte gleichzeitig locker und entspannt. Durch seine Unbeschwertheit fand er leicht Zugang zu seinen Zuhörern. Auch Frank Hartung musste sich eingestehen, dass die Art des richterlichen Vortrages angenehm wirkte.
Am Nachbartisch wurde gescherzt.
Der Herr Richter lächelte mit den anderen Personen am Tisch.
Am Tisch von Frank Hartung hingegen herrschte noch die mitgebrachte Kälte von draußen. Sie waren zu fünft am Tisch.
Frank schien es, als ob er mit seinen 38 Jahren das Nesthäkchen war.
Im Zuge der Gruppendynamik waren die Teilnehmer seines Lehrganges nacheinander an diesen Tisch geraten- vom Pausenzeichen und der Situation blindlinks zusammengewürfelt. Zwei ältere Kollegen saßen rechterhand von Frank an der Stirnseite des Tisches, unterhielten sich über ihre Urlaubsplanungen für den kommenden Sommer und darüber, was sie in der Vergangenheit schon für Schnäppchen geschlagen hatten.
„Griechenland- eine Woche für dreihundertneunundneunzig pro Nase, da mussten wir einfach zugreifen."
Oh ja, dass wäre jetzt bei dieser Kälte dort draußen vor dem Fenster auch etwas für Frank Hartung. Einfach mal wegreisen in der Sonne, an einem Pool entspannen.
„Mal sehen. Vielleicht bekommen wir ja doch noch genug Geld zusammen, um wieder nach Norwegen zum Angeln zu fahren. In die Ecke um Bergen. Da waren wir schon einmal vor drei Jahren. Das war super. Eine wunderschöne Ferienwohnung, davor eine Straße und ein Stück weiter unten schon der Fjord."
Auch nicht schlecht, denkt Frank Hartung in sich gekehrt vor sich hin. Leider jedoch für sein Budget finanziell nicht erreichbar. Aber wenn man im Gedankenspiel den Schilderungen folgt, formt sich dieses beschriebene Bild der Landschaft de facto wunderschön im Geiste.
Eine ältere Kollegin aus seinem Lehrgang- Frank erinnert sich, sie saß vorhin im Klassenraum vor ihm- mischt sich in den Smalltalk ein: „Aber diese ständigen Mautgebühren da oben. Dass kann Einem ja nicht nur den letzten Nerv stehlen, sondern auch den letzten Euro!"
Der Norwegenaspirant der Runde brummt zustimmend, während er weiter sein Gulasch genießt.
„Ja, dies ist lästig. Auch dass die Gebühren oft erst ins Haus flattern, wenn der Urlaub schon längst vorbei ist. Und dann musst du einmal draufschauen, welche Postwege diese Maut- Bescheide haben. Also, das ist echt kaum nachvollziehbar. Da werden runde 20 Euro von Norwegen nach irgendeinem Nest in England mitgeteilt, die senden es von England elektronisch in die Schweiz und von dort bekommt man dann irgendwann die Nachricht. Was das allein schon kosten muss. Wie ich sagte- nicht nachvollziehbar."
Frank Hartung kann an der kleinen Diskussion nicht mitreden, denn er war nie nördlicher als an Dänemarks Spitze. Auch war er bislang nur zweimal ins Ausland geflogen, nach Mallorca und nach Rhodos. Insgeheim denkt Frank nun darüber nach, ob der Norwegen- Aspirant und seine ältere Kollegin vielleicht gehofft haben, durch die Maschen der Maut- Einforderungen durchzurutschen. Auch Frank Hartung ist von der Information über die Postwege noch beeindruckt, hierüber hatte er sich nie Gedanken gemacht. Dennoch sagte er sich im Geiste: 'Ja, wenn ihr in einem der teuersten Länder der Welt Euren Urlaub verbringen könnt, werdet ihr Euch doch nicht über Mautgebühren beschweren wollen'.
Wenn Frank es sich erlauben könnte, würde er auch gerne mit den Kollegen am Tisch Urlaubspläne schmieden. Stattdessen sitzen sie nun alle hier im eiskalten Januarwetter in Güstrow und lassen sich fortbilden.
Frank's Chef, er heißt Wilfried Dramenz- genannt Willi, hatte ihm diesen Lehrgang letzten Oktober vorgeschlagen. „Spezialfortbildung. Du hast doch schon den Teil Gesellschaftsrecht gehabt. Dieser jetzt ist viel BWL, dass wäre doch was für dich. Die haben noch Restplätze." hatte Wilfried Dramenz gesagt.
Frank hatte ihn erst mit Hundeblick und danach wortlos mit Seitenblick auf seine abzuarbeitenden Verfahrensberge an Akten angesehen. Dadurch hatte sein Chef ja eigentlich schon seine Antwort auf seinen Lehrgangsvorschlag. Doch sein Chef ließ seinerzeit nicht locker.
„Ich melde dich mal an."
Die Reaktion von Franks Vorgesetzten ließ in wissen, dass er in der Sache wohl kein Mitbestimmungsrecht bekam. Dann ging sein Chef mit seiner kleinen Einlegemappe in der Hand wieder aus seinem Büro.
„Kann nicht schaden. Dümmer wird man dadurch nicht." sagte Wilfried Dramenz noch im rausgehen. „Wir wollen den Platz doch nicht verfallen lassen. Wer weiß, wann sie uns wieder einen geben können!" Und kurz danach folgte noch der wohl lustig gemeinte Zuruf vom Flur „Da kannst du ja auch mal wieder fachsimpeln!".
Nun saß Frank Hartung hier im Speisesaal. Ohne Anschluss an die Anderen aus der Gruppe- weit weg von zu Haus, von seinem Leben.
Frank Hartung wohnt und arbeitet jetzt in Stralsund. In seinen Augen ist Stralsund eine der schönsten Städte der Welt. Die roten Bauten der Innenstadt, die Stadtmauer und der Hafen- wenn Frank durch Stralsund ging, schätzte er sich glücklich- hier wohnen zu können. Im Bewegen durch die Stadt kam er sich oft vor, wie ein Zeitreisender oder ein Besucher unter den zahllosen Besuchern. Stralsund hatte für Frank Hartung einen sehr hohen Wohlfühlwert. In der Innenstadt kann man die Vergangenheit atmen hören und es hat den Anschein, als ob die Zukunft nur versucht, sich in seiner Heimatstadt hier und dort mit einzubetten- jedoch eigentlich nicht so recht Fuß fassen kann. Sicherlich gibt es auch Straßenzüge, in denen man sich nicht des Eindruck erwehren kann, dass der Sanierungsrückstau an den Gebäuden wohl von den Besitzern ignoriert wird, aber an sich ist Stralsund eine 'Perle' als Lebensmittelpunkt.
Frank Hartung arbeitet bei der Polizei- bei der 'Kripo', wie man immer so im Volksmund sagt. Er ist also ein Kriminalist. Viele seiner Kollegen pflegen diesen Begriff ja bis zum Exzess, aber er findet das Deckmäntelchen des Begriffes 'Polizeibeamter' irgendwie angenehmer.
Frank Hartung macht seinen Job sehr, sehr gern und- wenn man den Stimmen der direkten Kollegen und auch der gewichtigen Stimme des Chefs trauen kann- auch sehr gut. Gehobener Polizeidienst- Kriminalkommissar. Gute Bezahlung.
Und er bringt damit ein sicheres Einkommen in dem Familientopf mit ein- das ist nicht zu verdenken.
Sein Bruder hat es da schlechter erwischt. Obwohl er gewillt ist zu arbeiten, bekommt er nirgends ein Bein in die Tür für eine Festanstellung. Schon seit drei Jahren ist er nun bei einer Zeitarbeitsfirma und wird mit kleinen Kleckerjobs von A nach B gesteuert. In guten Monaten und mit Überstunden bekommt er so 800 bis 1000 Euro Netto, muss aber auch Frau und zwei Kinder mit ernähren. Er wird wohl Zeit seines Lebens in Rostock bleiben.
Frank muss oft an ihn denken. Manchmal haben seine Mutter oder er der Familie des Bruders Geld überwiesen- wenn es mal wieder hart am Limit war. Ihre Mutter schimpft dann am Telefon immer. Aber sie ist auch weit weg- wohnt in Neubrandenburg. Sie ist vor fünfzehn Jahren dorthin zu ihrem Freund gezogen. Sie hat nur eine kleine Rente, aber es reicht so hin.
Ja, ein sicheres Einkommen- dass ist schon viel wert heutzutage.
Frank Hartung und seine Frau Ellen haben ein kleines Haus am Stadtrand von Stralsund gekauft, als er mit dem Studium bei der Polizei fertig war. Das Haus ist nun auch schon 15 Jahre alt, aber es war für die kleine Familie Hartung wirklich ein Glücksgriff. Der Vorbesitzer musste es wegen Scheidung und Gütertrennung abgeben, außerdem hatte er beruflich etwas in Berlin bekommen. Da blieb der Preis des Hauses in einem erschwinglichen Rahmen für die junge Familie Hartung. Da seine Frau Ellen auch Arbeit bei der Stadt Stralsund hat, war es Beiden möglich, die Darlehenslasten zu stemmen. Aber sie durften sich nicht in Erinnerung rufen, dass sie noch 20 Jahre abzuzahlen haben. Ellen und Frank Hartung sind glücklich, in ihrer kleinen und heilen Welt am Rande von Stralsund. Alles ist gut erreichbar. Selbst zu Fuß geht es, wenn man wirklich einmal zum Shoppen in die Stadt darf.
„Und wo kommst Du her?"
Diese Frage seines bislang wortlosen Gegenübers reißt Frank Hartung aus seiner Gedankenwelt heraus.
„Aus Stralsund."
„Aha, Stralsund also."
„Ja."
„Kennst Du den Siegfried Müller?"
„Ja, Siggi. Der arbeitet bei mir mit auf dem Flur."
„Den Siegfried kenne ich noch von DDR- Zeiten und um die Wende herum. Wir haben damals auf Rügen bei Altefähr in der Kurve gestanden und Autos rausgezogen. Haben uns dann alles zeigen lassen, so Warndreieck und solche Sachen. Naja, was man so dabei haben sollte. Meistens waren es Touristen. Man haben die geflucht, wenn sie unter den Koffern die ganzen Sachen rausfuddeln mussten. Ha, war das ein Spaß."
Franks Lehrgangskollege findet diese Erinnerung so lustig, dass er sich vor Lachen fast am Essen verschluckt. Sein Gesicht läuft rot an beim Lachen. In den Händen wackelt beim Lachen sein Essbesteck.
„Hahaha!"
Franks Gesprächspartner wird noch röter.
„Oh Mann, das waren Zeiten!"
Nun beruhigt sich der Mann wieder. Für einen Moment hatte Frank Hartung schon Sorge, man müsse den älteren Kollegen vielleicht nach einem Lachanfall mit Sauerstoff versorgen, aber von der Gesichtsröte bleiben nun nur noch einige Schweißperlen auf dem Gesicht.
Frank wird sich bewusst, dass ihn die Fröhlichkeit seines Gegenübers angesteckt hatte, denn er ertappe sich beim Lächeln.
Sein Kollege war schon älter, wahrscheinlich kurz vor dem Ruhestand. Er wirkt gemütlich und erinnert mich an den braven Soldaten Schwejk aus dem Film, er ist grauhaarig und hat Bauch.
Immer noch lächelnd wendet sich sein Kollege wieder dem Putengulasch mit Rotkohl und Klößen zu.
Frank Hartung schaut sich wieder hier im Speisesaal um.
Auf solchen Lehrgängen hat man ja auch manchmal das Glück, Kollegen nach langer Zeit einmal wieder zu sehen. Frank hoffte, dass auch er dieses Glück haben könnte. Vielleicht ja jemanden vom Studium, oder von anderen Dienststellen. Dann käme man sich nicht ganz so verloren vor- hier weit weg von zu Hause.
„Was macht den der Siggi jetzt?"
„Siggi?" antworte Frank Hartung, „Siggi ist jetzt in der 'Zwei' gelandet."
„Bei der Strukturreform, ja?"
„Ja."
Irgendwie wurde Frank Hartung grade damit konfrontiert, dass er über einen Kollegen Auskunft geben soll, der zwar bei ihm mit im Hause sitzt, sogar auf seinem Flur- über den er aber offen gestanden gar nicht viel weiß. In der Hoffnung, dass dies seinem Gegenüber- dem braven Soldaten Schwejk- nicht so stark auffällt, redet Frank Hartung weiter über den ihm eigentlich nur als Kollegen und ansonsten fast unbekannten Siegfried.
„Siggi hat ja auch nicht mehr lange."
„Ja, wem sagst Du das."
„Ich denke noch so 10 Monate, vielleicht auch ein Jahr."
„Ja, wir werden alle nicht Jünger. Nur reifer und seniler."
Frank's Gegenüber lacht wieder herzerfrischend, dann widmet er sich dem Weiteressen.
Im Speiseraum ist jetzt Hochbetrieb. Die Vielzahl von Lehrgangsteilnehmern sitzt zu Tisch und auch die Studentengruppen kommen nach und nach in den Saal. Es bildet sich eine Warteschlange bis zu den Besteckkästen. Viele junge Menschen. Viele Gesichter.
Noch vor 10 Jahren war er selbst unter den Studenten, damals jedoch war die Polizeischule noch bei Rostock untergebracht. Es kommt ihm vor, wie eine Ewigkeit.
In der Warteschlange fallen Frank Hartung zwei Blondinen auf, sehr jung und sehr hübsch. Sie sind miteinander im Gespräch. Beide sind sehr schlank.
Die etwas Kleinere von beiden schüttelt die Schneeflocken von der Jacke, greift dann in ihren Nacken, um ihre schulterlangen, vollen Haare unter der Jacke hervor zu zaubern und über den Jackenkragen zu werfen. Die etwas Größere sieht sich nun im Speiseraum um. Sie hat irgendwie stark wirkende Backenknochen, aber auch sehr schöne, freundliche Augen. Auch ihr blondes Haar wirkt sehr voll, wie bei einer Frisierpuppe für Kinder.
Wirklich, beide Frauen sind ein wahrer Augenschmaus- wenn man diese Zwei so anschaut, könnten Sie Schwestern sein. Sie sehen sich – wenn man jetzt hinsieht- sogar wirklich ähnlich aus. Bis auf den Größenunterschied fast zwillingsähnlich.
Naja, Blondinen, jung, Uniform- vielleicht lässt sich sein Auge täuschen, denn irgendwo sehen Blondinen in Uniform wohl von hinten oder der Seite gleich aus. Und dass alle blonden Frauen Schwestern sind, oder nur Schwestern- Blondinen bei der Polizei eingestellt werden- da ist sich Frank sicher- kann man ausschließen.
Die Größere winkt kurz jemanden im hinteren Bereich des Speisesaales.
Frank Hartung schaut –langsam und ohne den Eindruck erwecken zu wollen, es genau wissen zu müssen- seitlich dorthin hinüber, um vielleicht zu erkennen, wem dieser Gruß galt. Aber in der Masse kann er niemanden als Empfänger dieser netten Handbewegung ausmachen.
„Du, sag mal." Frank's älterer Kollege – Soldat Schwejk- gegenüber hat fast aufgegessen.
„Wenn du aus Stralsund bist, habt ihr da nicht diese Ermittlungsgruppe 'Vorwärts' gehabt?"
„Ja, da war ich mit drinnen."
„Wau. Das war bestimmt eine Unmenge an Arbeit, was? Ihr hattet ja da fast die ganze Bandbreite an Delikten, stimmts?"
„Ja. Die haben es uns echt nicht leicht gemacht. Subventionsbetrug, Betrug am Bau, falsche und fingierte Rechnungen, Subunternehmermasche, Untreue, Korruption und so weiter. War echt eine harte Nuss. Da knappern wir auch heute noch dran. Immer mal wieder flattern Ersuchen rein oder Anfragen zu der Sache."
„Sag mal- habt ihr es bewiesen bekommen?"
„Ich denke schon. Die Staatsanwältin war sehr zufrieden mit uns." Erläutert Frank.
„Naja, das ist ja dann schon die halbe Miete!"
„Ja, ist es."
„Hauptsache ist, die Staatsanwaltschaft ist auch so konfliktfreudig und zieht es bis zum Ende durch. Das kommt aber auch auf die Richter an."
Der ältere Kollege gegenüber macht eine Kopfdeutung in Richtung des Nachbartisches.
„Wenn ihr so einen wie 'Den' bekommt, dann habt ihr Glück. Der soll ja ein scharfer Hund sein in Schwerin. Dann würden die Typen mal so richtig die Jacke vollbekommen, abwandern und für einige Zeit staatliche Behausung haben!"
Bei dieser Vorstellung, dass die Ganoven einmal ein richtig ausgeschöpftes Strafmaß bekommen, freut sich Frank's Gegenüber schon wieder. Frank Hartung macht sich gleich wieder Sorgen, frage sich, ob der Kollege gleich wieder rot wird und dann unter ein Sauerstoffzelt muss.
„Ich bin übrigens der Georg. Ich bin vom Landeskriminalamt."
„Auch aus Schwerin, wie der Richter?"
„Naja, soweit ich weiß sind wir in Schwerin- Rampe wohl im Land das einzigste Landeskriminalamt."
„Ja, ja. Mach dich ruhig sarkastisch über mich Unwissenden vom Lande lustig. Ich bin der Frank. Frank Hartung." Antwortete Frank, leicht schmunzelnd, denn diese ironische Anmerkung verstand er als angemessenen Spaß.
„Ja, ich weiß."
Frank fragte sich, woher der Kollege ihn kennen könnte, aber Georg, der ihn nun ernst ansieht, beantwortet ihm diese Frage selbst nach einigem Kauen.
„Dein Ruf ist dir schon voraus geeilt. Wir in Schwerin schauen ja auch manchmal über den Tellerrand ins Land hinaus. Bei uns im Hause hat man schon ein Auge auf Dich geworfen, so vielleicht mal für die Zukunft, wenn wir älteren Kollegen gehen."
„So? Dann plant ihr also schon?"
„Ja, mein Großer. Man ist ja nicht blind. Wenn sich unter den Miesmuscheln draußen im Land einmal eine Perle finden lässt, dann wird man bei uns auch schnell wach."
„Das klingt ja wie ein Kompliment."
„Ist es ja auch. Ich kenne nicht viele, die diese Geschichte mit der Ermittlungsgruppe 'Vorwärts' so knallhart und kompetent abgefrühstückt hätten!"
„Naja, ich war ja nicht allein am ermitteln. Wir waren ja zu Dritt, und der Chef noch dazu."
„Schon klar, aber du glaubst doch nicht, dass der Dramenz den vollen Durchblick hat. Der Wilfried hat den Posten seinerzeit bei der Strukturreform gesetzt bekommen. Wegen der Dienstposten, und so."
„So?"
Das Gespräch bekommt für Frank Hartung eine peinliche Note, denn seinen Chef mag er eigentlich.
„Na, ist doch so." sagt der LKA- Mann, „Der Willi ist ein feiner Kerl. Ich kenne ihn ja auch noch von früher. Aber ich denke- und ich glaube das sagen zu dürfen- komplexe Sachverhalte waren nicht so sein Ding."
„Hmm." Frank bleibt vorsichtig reserviert.
„Ist schon klar. Du brauchst dazu nichts sagen. Ist ja auch nur meine Meinung."
„Ja."
Irgendwie hat der Georg vom Landeskriminalamt aber auch die Mitte der Zielscheibe getroffen. Frank's Chef ist ein feiner Kerl -als Chef und Mensch. Aber komplexe Sachlagen sind wirklich nicht so sein Ding, diese Sachen sieht er lieber als passiver Begleiter, als Chef.
„Och, die rote Grütze ist ja ekelig, schmeckt wie Chemie. Nur die Vanillesoße treibt es rein."
Der Georg vom Landeskriminalamt macht sich über den Nachtisch her. Frank hatte darauf verzichtet. Welch eine weise Entscheidung. Auch das Putengulasch schmeckte ihm selbst nicht so recht.
„Wann geht es denn weiter?"
„13 Uhr" sagt die Kollegin, welche die Mautgebührenproblematik vorhin in den Raum geworfen hatte. Offenbar hatte auch sie am Gespräch passiv teilgenommen. Die anderen beiden Kollegen am Tisch werteten grade Hinrundenspiele im Fußball aus.
„Na, da haben wir ja noch ein bisschen Zeit!" sagt Georg.
Am Nachbartisch wird grade wieder rumgealbert. Ein Kollege- Frank denkt, dieser ist von einer kleineren Dienststelle- hat gestenreich alle am Nachbartisch in den Bann gezogen.
„Also, was ist der Unterschied zwischen Frauen und Männern?"
Der Kollege am Nachbartisch schaut sich dort mit großen Augen fragend um.
„Wenn eine Frau einmal eine Nacht nicht nach Hause kommt und der Mann ihre zehn besten Freundinnen anruft, werden die Mädels alle sagen, dass sie nicht bei Ihnen war. Bleibt ein Mann mal über eine Nacht von zu Hause weg und erzählt seinem holden Weib, er hat bei einem Freund übernachtet und sie telefoniert misstrauisch seine zehn besten Freunde an, ob er dort war, dann ist das anders. Fünf seiner Kumpels werden sagen, er war da und die anderen Fünf schwören hoch und heilig, dass er noch dort ist- sie ihn aber nicht wecken wollen."
Wieder Gelächter am Nachbartisch. Auch Frank Hartung muss lächeln. Der Witz war gut. Die Gespräche an seinem Tisch sind leider nicht so lustig. Frank ertappt sich beim Wunsch, auch am Nachbartisch Platz genommen zu haben. Naja, die Woche ist noch lang und wenn er nun weiß, wo es lustiger zugeht, kann er ja noch flexibel sein und umsatteln, um etwas weniger Langeweile zu empfinden.
Wieder gestattet Frank seinen Augen einen ziellosen Blick in den Speiseraum.
Die Warteschlange an der Essenausgabe hat sich verkürzt.
Die beiden hübschen 'Schwester- Blondinen' fallen ihm sofort wieder auf. Sie stehen jetzt an der Kasse.
Seitlich, etwas dahinter, entdecke er ein bekanntes Gesicht in der Menge am Kaffee- Automaten.
Frank Hartung überlegt kurz.
Der Name zu dem bekannten Gesicht ist Torsten- der Nachname ist ihm entfallen. Eigentlich eine Schande, denn beide waren zusammen seinerzeit im Studium in einer Studiengruppe. Wie konnte ihm nur der Nachname entfallen. Vielleicht liegt es ja an der Kälte. Kälte ist ein natürlicher Feind- dieser Feind hatte ihm wohl auf dem Weg vom Klassenraum bis hier das Hirn eingefroren.
In seinem Kopf bildet Frank Buchstabenverkettungen.
Irgendwas mit L. Loh-, Loch- ja, Lobmann. Lobmann heißt er, Torsten Lobmann. Seine dicke, blau-gelbe Uniformwattejacke lässt erkennen, dass Torsten bei der Schutzpolizei gelandet ist- oh, und er ist schon Oberkommissar. Respekt, da hatte wohl jemand einen guten Lauf in den letzten Jahren seit der Schule. Na ja, Torsten ist auch ein Sympathieträger. Man siehst ihn und innerhalb der ersten drei Sekunden suggeriert dir das Kopfkino deines Gehirns- ach, der ist bestimmt nett. Das wird dann wohl auch seiner dienstlichen Leitung auf Arbeit so suggeriert worden sein, denn Frank hatte Torsten Lobmann als Frauenheld, Partylöwe und Faulpelz in Erinnerung. Irgendwie hatte der Torsten auch bei den Klausuren immer ein glückliches Händchen. Die Mündlichen Prüfungen im Kolloquium – sie waren für einen Selbstdarsteller wie Torsten einfach kein Problem, so dass er wohl zwischen acht oder neun Punkten abgeschlossen hatte. Frank erinnert sich auch daran, dass Torsten verheiratet war bei Studienbeginn. Auch war Torsten schon vorher bei der Polizei, war als Aufstiegsbeamter damals in die Studiengruppe gekommen.
Kurz darauf war auch Frank Hartung von Torsten erspäht worden und Torsten war mit seinem Tablett in den Händen zu ihm an den Tisch gekommen.
„Machst denn du hier?"
„Na ja, was soll ich hier schon machen. Ich dachte mir so, ich fahre mal nach Güstrow an die Fachhochschule und gehe mal eben was Leckeres essen."
„Na klar. Hast du auch einen Lehrgang?" fragt er.
„Ja. Eine Woche. Volkswirtschaftslehre und BWL."
„Ah. Buchhaltung."
Frank Hartung hatte keine Lust an dem Gespräch mit Torsten. Er finde es unmöglich, wenn jemand keine Ahnung hat. Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre hat nicht viel mit Buchhaltung allein zu tun. Insgeheim war hier schon der Dialog mit Torsten gescheitert und Frank hatte sich fest vorgenommen, nicht das Geringste zur Aufklärung der Sachlage mehr zu sagen. Da es Torsten womöglich sowieso nicht erfassen würde, es ihn wahrscheinlich auch nicht im Geringsten interessiert, beschränke Frank Hartung sich auf vorgetäuschtes Gegeninteresse.
„Ja, so was in der Art. Und bei dir?"
„Führungslehre. Beurteilungswesen und Mitarbeitergespräch."
'Oh, mein Gott', dachte Frank Hartung.
Wenn eines nicht in seiner Vorstellungswelt Platz fand, dann eine Vorstellung darüber, wie Torsten Lobmann Beurteilungen bedauernswerter Kollegen produziert. Und wie von ihm geführte Mitarbeitergespräche aussehen könnten- das mochte sich Frank gleich einmal gar nicht vorstellen. Wenn es eine junge, hübsche und ledige Kollegin ist, wird es bei Torsten sicher nur um Eines gehen- ums Anbaggern. Wer will so einen 'Leb in den Tag'- Menschen schon als Chef haben. Für Frank eine unvorstellbare Konstellation. Er hatte 'Gott lob' den Wilfried Dramenz als Chef- besser als den Willi kann man sich seinen Chef nicht wünschen.
„Oh," sagt Frank mit erstauntem Gesicht, „Führungslehre also. Man, du hast wohl noch Großes vor?"
Torsten fühlt sich sichtlich geschmeichelt.
„Ja, kann schon sein."
„Auch eine Woche?"
„Ja. So ich will mal zu meinen Leuten. Man sieht sich hoffentlich noch."
Mit diesen Worten und freundlichem Kopfnicken geht Torsten weiter.
'Seine Leute'- in der Praxis unvorstellbar. Nur gut, dass er die anderen aus seinem Lehrgang gemeint hat. 'Ich hoffe, man sieht sich?'- hoffentlich nur zu den Mahlzeiten- so beendet Frank Hartung für sich selbst geistig den Satz.
„Bekannter von Dir?"
Der Georg aus Schwerin sieht Frank an.
„Ja, vom Studium. Wir waren seinerzeit in einer Studiengruppe."
„Ach so. Was meinst du? Wollen wir wieder hinüber gehen?"
„Geht es denn schon weiter?"
„Ne, aber so kann ich auf dem Weg noch eine Zigarette rauchen."
„Ja, lass uns gehen."
Schon stehen Beide auf und mummeln sich für den Rückweg in ihre Jacken ein. Als Zivilisten sehen Beide in der Menge der Leute im Speiseraum aus, wie Exoten.
Und es geht wieder zurück in den Klassenraum, durch die eisige Schneelandschaft.
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