Kapitel 17
Irgendwo im Nirgendwo
- ein Gehöft-
Mittwoch Vormittag II
Jan wies mit einer Bewegungsgeste der linken Hand auf die alte cremefarbene Anrichte und sagte es noch einmal und deutlicher: „DAS IST DEIN SCHREIN!".
Ungläubig ließ Frank Hartung sich zu dem Möbelstück hintreiben, sah es an. Unten drei große Fächer, darüber drei Besteckauszüge. Das Oberteil war ein passender Aufsatz, mit drei Fensterchen. Hier und dort standen sichtbar kleinere Sachen in der Anrichte.
'MEIN SCHREIN?' Jan hat wohl nicht alle Tassen im Schrank. So dachte Frank Hartung in diesem Moment.
Oder doch?
Was ist das, dort im Oberteil- hinter dem Fenster?
Oh Gott, was ist das?
Das ist ein schwarz- weiß Foto!
Von MIR? Von Frank Hartung! Von mir?! Ja, das bin Ich auf diesem Foto! – Frank verstand die Welt nicht mehr.
Ein Foto seiner Jugendweihefeier. Und das daneben? Schwarz- weiß Foto! Frank und sein Cousin Jörg- beim Angeln vor Unmengen an Jahren? Noch ein Foto- Bunt. Frank und Ellen Hartung auf der Hollywood- Schaukel in dem Garten seiner Mutter- den Garten hat sie schon vor Jahren abgegeben. Hier- Foto von ihm und seinem Bruder Jens- auf der Hochzeit von Jens und Steffi in dieser Gartenkneipe in Rostock. Hier- ein Foto von Frank und Christoph, als er ihn grade von der Kindergrippe abholte. Hier ein nächstes Foto, ein Foto von Ellen und ihm am Strand- die Hotels sehen aus, wie in Mallorca. Hier- ein Foto von Frank auf dem Parkplatz - vielleicht vor einem Jahr aufgenommen. Hier- ein Foto durch eine Scheibe eines Schnellrestaurants, als Frank mit Ellen und den Kindern rumflachste. Das muss letzten Sommer gewesen sein auf der Rückreise vom Urlaub. Hier- ein Foto, wo er einem Arbeitskollegen vor vier Jahren beim Umzug half und gerade die Waschmaschine mit der Sackkarre jonglieren musste. Und was ist dies alles hier noch- ein alter Taschenrechner? Sein alter Taschenrechner etwa? Den hatte er doch vor 2 Jahren in den Müll geworfen! Und das hier? Seine alte Armbanduhr?
Frank Hartung Stockte der Atem.
Ist er hier im falschen Film? Das in dieser Aufsatzvitrine sind Fotos von ihm selbst und seiner kleinen Familie- Fotos über Jahre! Teils selbst aufgenommene Fotographien, teils unbekannter Herkunft.
Und dieser Kram hier- alles Sachen von mir! Oh mein Gott! Was soll Das alles? Wie kommt das alles hierher? Wer hat diesen Kram gesammelt? Was geht denn Irgendjemanden sein alter Kram an? Was findet jemand daran, seine – Frank Hartungs- Sachen zu sammeln. Woher hat der Jemand das Zeug überhaupt?
Frank Hartung sieht fragend zu Jan Holscher um.
„Was soll Das? Wie kommen meine Sachen hierher?"
„Ich habe noch keinen blassen Schimmer!"
Frank öffnete eine Vitrinenseite, nahm seine alte Armbanduhr in die Hand und zeige die Uhr dem Jan. Frank wirkte fassungslos.
„Woher kommt der ganze Kram von mir? Was soll das denn werden hier- versteckte Kamera?"
Jan zuckte die Schultern. „Junge, ich habe keine Ahnung! Ich hoffte, du kannst mir das sagen! Zumindest wollte ich, dass du Das hier selbst siehst!"
„Ich habe auch keine Ahnung! Also was ist Das hier?" Frank hob die Schultern.
„Schau mal da unten rein!" sagte Jan und zeigte auf den unteren Vitrinenteil. „Das kommt noch viel Fetter!"
So legte Frank die Uhr auf die Vitrinenarbeitsfläche ab und setzte sich auf den Holzstuhl. Dann beugte er sich hinunter, öffnete das linke der drei Fächer. Schuhkartons waren dort nebeneinander hinein geschoben, auch darin waren Unmengen von Fotos. Frank Hartung zog einen heraus, stellte den Karton auf meine Oberschenkel. Wahllos zog er aus den eng gedrängt hineinsortierten Fotos eines heraus. Ein Foto, dass Ihn bei der Gartenarbeit zeigt. Frank Hartung steckte es zurück in den Karton- nahm das nächste Bild wahllos weiter hinten heraus. Ein Foto, wo er auf einer Bank liegt, seinen Kopf in Ellens Schoß- sie krault ihm den Kopf. Er stecke das Foto zurück- zieht ein nächstes Foto wahllos zur Hälfte heraus. Ein Foto, wo er in seinem verschneiten Auto sitzt- von der Seite aufgenommen- Anfang diesen Jahres in Güstrow. Auch dieses Foto schiebt Frank wortlos zurück- holt bewusst ein nächstes Foto leicht heraus, was gleich unmittelbar daneben steckte- eine Nachtaufnahme, auf dem er in enger, blonder Begleitung zu sehen war. Oh, großer Gott, dass ist auch in Güstrow- in der Straße, wo Frank Hartung mit dem Mädchen Ina seine Runden im Schnee drehen musste, wegen dieser doofen Schnepfe- wie hieß die gleich? Manuela!- Frank schiebt das Foto schnell zurück, sieht zu Jan Holscher und hofft, der Jan hat es nicht wahrgenommen. Den Karton schiebt Frank Hartung in das Schubfach zurück, holt einen anderen Schuhkarton voller Fotos hervor. Das gleiche Prozedere- Fotos von ihm, Ellen und der Familie? Ja, alle, die er herausangelt. Fotos von seiner Familie, von ihm und seiner Mutter, seinem Bruder, Fotos von ihm mit Familie an der Ostsee in Warnemünde, Fotos von Frank- mit dem Kinderwagen schieben- Grund Gütiger, dass ist bestimmt sieben Jahre her! Fotos von Frank beim Studium. Nachtaufnahmen aus seiner alten Wohnung- mal ohne ihn. Nachtaufnahme von Frank und Ellen vor einem Griechischen Restaurant, dort wo er seinen 35 Geburtstag feierte. Das Nächste? Zeigt ihn, vor knapp vier Jahren, als er den Parkplatz- Unfall beim Einkaufscenter am Baumarktparkplatz hatte. Alle Bilder drehen sich nur um Frank und seine Familie.
Frank Hartung schnürt es die Luft ab.
Er schiebt den Schuhkarton zurück, schließt dieses Fach, öffne das Mittelfach.
Eine alte Tasse ohne Henkel- he, dass ist sein alter Drei- Tassen- Kaffeepott von der Arbeit. Den hatte Frank vor der Wende auf einer Jugendtourist- Reise aus Kiew mitgebracht. Dieser Pott war vor gut 5 Jahren kaputt gegangen und er selbst habe ihn dann weggeworfen. Und dies hier- ein Buch mit Widmung seiner Mutter- Ellen hatte es beim Umzug ins Haus aussortiert und in den Papiermüll weggefahren. Und das hier unten- was ist das? Etwa seine alten Hausschuhe? Die hatte Frank irgendwo im Keller seines Stralsunder Hauses vermutet, er hatte diese Hausschuhe vor kurzen noch an? Was soll das alles? Diese Frage blieb für Frank Hartung unbeantwortet.
Er sprach es daher noch einmal aus, zeigte Jan Holscher einen seiner alten Hausschuhe: „Was soll das alles? Die Fotos von mir? Das ist einer- Mein Hausschuh! Den hatte ich noch vor zwei Monaten an, weil es im Keller so kalt bei uns zu Hause ist! Wie kommen die Sachen hier her?"
„Ich weiß es noch nicht! Aber ich arbeite dran!"
„Du arbeitest dran?"
„Jouh."
Immer noch entsetzt zeigt Frank Hartung den Hausschuh noch näher zu Jan Holscher hin.
„Du arbeitest dran?"
„Na was erwartest Du denn! Wir schlagen hier heute früh eigentlich durch Zufall auf und finden den Plunder hier. Fotos von Dir! Durch Zufall !"- dies Betonte Jan Holscher extrem lang. „Unmengen von Fotos. Unmengen von Videos von Dir und deiner Familie. Unmengen von Fotos unserer Stalking- Geschädigten, wegen der Geschichte wir eigentlich hier sind. Unmengen von Fotos und Videos von noch einer Frau, die bislang noch kein Schwein kennt- drüben, im Raum wo Siggi ist. Unmengen von altem Zeug, dass wir nicht zuordnen können. Unmengen von teurer Spezialtechnik, so dass jede Observierungseinheit der Polizei oder jede Privatdetektei nur neidvoll schlucken würde. Unmengen von Zeug, dass wir erst seit..." Jan schaut mit aufgerissenen Augen von Frank weg auf seine Uhr, „ ....seit knapp drei Stunden gesehen haben und keine Ahnung haben, was Das alles zu sagen hat!"
Jan Holscher hat sich aufgebaut vor Frank Hartumg auf dem Holzstuhl und zieht die Schultern hoch.
„Ich habe doch selber noch keinen Überblick! Ich dachte mir nur, DU solltest schon wissen, dass es Hier einen gibt, der ...." Jan schaut auf einen Notizzettel, „ ....Andreas Konzius heißt, und der Unmengen von Fotos von DIR hat- zu ALLEN Zeiten DEINES Lebens."
Oh mein Gott- fuhr es Frank Hartung kalt gedanklich in den Kopf.
Während Jan noch so redete, lasse Frank den Hausschuh langsam sinken. Sein Blick ging, während Jan so redete, an ihm vorbei- zu der Drei- Sitzer- Couch. Frank Hartung kennt diese Couch. Die kaputte, abgewetzte Stelle daran kenne er. Dies war bis vor einigen Jahren einmal seine eigene Couch. Frank hatte die Couch beim Ausräumen der alten Wohnung seinem Bruder Jens überlassen. Jens hatte sie kurz vor dem Umzug mit zwei Typen bei ihm zu Hause abgeholt. Gesehen habe Frank die Couch jedoch nie bei ihm in der Neubauwohnung und hatte sich schon manchmal gefragt, wo er die gelassen hat. Und jetzt und heute steht diese Couch von ihm - Hier? In diesem Raum? Der Nachtschrank- oh mein Gott. Ist das Der von Opa! Nach seinem Tod mussten Ellen und Frank dessen Wohnung frei räumen. Der ging doch auf den Sperrmüll- hat die Stadt zumindest seiner Zeit gesagt- oh Gott!
Frank Hartung dreht sich auf dem Stuhl zur Anrichte- oh Nein, oh Nein: Die Anrichte ist auch bekannt- von Ellens Oma und Opa. Sie hat zwar eine andere Farbe, aber jetzt erkennt Frankch sie auch wieder. Und der Holzstuhl?
Frank Hartung steht langsam- wie in Zeitlupe- auf. Seine Knie werden weicher.
Die roten und weißen Farbflecken- der kleine Riss in der Holzlehne- sein alter Tapezierstuhl- das kann doch alles nicht sein.
Ihm schnürt es die Luft ab. Tief in seinem Hals steckt ein riesiger Kloß- und dieser Kloß wächst, drängt im Hals nach oben.
Wo bin ich hier? – Frank Hartung werden die Knie weich.
So wie er jetzt eben aufgestanden war, will Frank Hartung jetzt sehr schnell aus diesem Raum. Aus diesem Haus heraus. Frank sieht Jan an. Auch Jan Holscher scheint sein kaltes Entsetzen und den kalten Schweiß auf Franks Stirn zu sehen. Frank geht wortlos und bleich um ihn herum, hält sich kurz am Türrahmen fest- windet sich an Wilfried- der ihn sehr besorgt ansieht- vorbei.
Raus aus diesem Haus- frische Luft, bitte!
Links entlang zur Treppe. Grade zu im Raum funkeln verschiedene Lichter und surren Computer- im 'Laboratorium', wie Jan Holscher diesen Raum nannte.
Frank Hartung muss raus hier.
Auf der Treppe muss Frank sich am Geländer halten, seine Beinmuskulatur scheint ihre Dienste komplett in beiden Beinen zu versagen.
Nur runter, nur raus hier.
Frank stürzt durch den Flur ins Freie hinaus- rechts herum am Haus in Richtung Hoftor.
Aber Frank Hartung erreicht das Hoftor nicht mehr.
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