Kapitel 1
Ribnitz- Damgarten
Parkplatz
Dezember- Donnerstag Nacht
Unruhig sah Marcel Deulert auf seine Uhr am linken Handgelenk.
„Wo bleibst Du nur?" redete er leise vor sich hin.
Die Temperatur im Innenraum seines Fahrzeuges war seit der Ankunft auf dem Parkplatz vor zwei Stunden merklich ausgekühlt. Marcel überlegte in dieser Zeit schon einige Male, ob er nicht einfach eine kleine Runde drehen sollte- nur so, um wieder Wärme in das Auto zu bekommen. Diesen Gedanken hatte er jedoch jedes Mal auf das Neue verworfen. Zu schön war dieser Stellplatz für das, was er heute erreichen wollte. Gerade zu ideal war dieser Platz für heute. Er konnte einfach nicht riskieren, weg zu fahren. Würde er dies tun, bestünde vielleicht Gefahr, dass ein anderer Autofahrer diesen „ideal liegenden" Parkplatz wegnahm. Dieses Risiko konnte und wollte er nicht eingehen, nun zumindest nicht mehr.
Jeden Moment würde Beatrix von der Arbeit herauskommen. Es war nun schon fast 23:00 Uhr- ihre Spätschicht war doch eigentlich schon seit einer Stunde vorbei. Es war wirklich nur noch der Hauch eines Momentes, bis sie bei der Ausgangstür der Notaufnahme erscheint.
Es war schon manchmal so, dass Beatrix im Dienst noch ein wenig länger bleiben musste, wenn irgendetwas akut noch zu erledigen war.
Der kalte Qualm seiner fast aufgerauchten Zigarette wob sich um seine Augen. Nun erreichte die schimmernde Rauchwolke seine Augen und brannte sich bitter an diesen fest.
Um den beißenden Smok loszuwerden, kniff Marcel die Augen ein Einziges mal lange und fest zusammen.
„Oh ist das eklig." Murmelte er -nur für sich gesagt- vor sich hin.
Auch sonst war nun niemand, von seinem Standort aus, auf dem Parkplatz zu sehen. Vor einer guten halben Stunde konnte er die letzten Besucher gehen sehen. Danach gab es keine Personenbewegungen mehr. Nur eine fuchsfarbene Katze war um die Fahrzeuge geschlichen, welche in der Parkreihe gegenüber standen. Diese Katze wurde von Marcus fast zehn Minuten lang beobachtet. Sie schnupperte hier und dort an Kotflügeln und Reifen, verschwand unter einem Fahrzeug, um an der anderen Seite des Fahrzeuges wieder ihr Gesicht zu zeigen. Dort hatte sich die Katze für einige Zeit still verhalten und eingerollt, war dann jedoch durch ein Geräusch auf etwas aufmerksam geworden und durch eine der vielen Heckenreihen aus seinem Blickfeld entschwunden.
Marcel mochte diese Heckenreihen nicht sonderlich leiden. Sie waren wohl wegen der Aufteilung der einzelnen Parkplatzreihen geplant worden, um eine räumliche Aufteilung zu erreichen, oder nur, um die Tristesse von größeren Parkplätzen, wie diesem hier, aufzulockern.
Marcel kurbelte mit der linken Hand das Fenster der Fahrerseite ein wenig herunter. Dann übergab seine rechte Hand den Zigarettenstummel in die linke Hand. Durch den Fensterspalt steckte er die Kippe hinaus in die Kälte der Nacht und ließ die Kippe los, so dass diese danach außen am Auto geräuschlos hinunter fiel.
'Was treibst du denn heute nur so lange?' schoss es ihm immer wieder durch den Kopf.
Marcel rieb sich die Hände, um Wärme hinein zu bekommen. Dann zog er mit beiden Händen kurz und unterbewusst den Kragen seiner blauen, dicken Daunenjacke etwas höher.
Er sah nun auf den Beifahrersitz neben sich.
'Alles klar, Bea. Es kann von mir aus wieder losgehen. Mach schon, Schätzchen. Wo bleibst du denn heute nur.'
Wieder schaute Marcel auf seine Armbanduhr.
'Man, es ist schon 23:10 Uhr.'
Auch Marcel wollte nach Hause. Aber vorher musste das jetzt noch sein. Ohne Beatrix konnte er nicht nach Hause fahren. Sie musste ja auch sicher nach Hause kommen- jetzt nach der Spätschicht. Erst wenn er diese Gewissheit hatte, könnte er ruhiger werden.
Marcel lebte ein – wie er empfand- ruhiges Leben. Mittlerweile war er 31 Jahre. Auf seiner Arbeitsstelle, einer Kaufhalle in Bad Sülze, fühlte er sich nicht sonderlich wohl, ja fast schon unterfordert. Aber die Arbeitszeiten waren so ganz nach seinem Geschmack. Im Einzelhandel war es leider auch oft so, dass man für ausgefallene Kollegen einspringen musste. Momentan jedoch ging es wieder einmal ohne irgendwelche Extratouren. Da war er einmal mehr froh, wenn ihn seine Chefin Veronika Vrieder nicht für Sonderschichten einplante. Sonderdienste hatte er in der Vorweihnachtszeit fast wöchentlich zwei- oder dreimal machen müssen. Eine Kollegin hatte sich krank gemeldet. Veronika hatte ihm gesagt, er muss eben länger machen. Die Veronika ist schon eine richtige Kratzbürste. Marcel mochte sie nicht. Manchmal wünschte er sich, er hätte einen Job in der Computerbranche, denn alles um den Computer war seine Leidenschaft. Am PC machte ihm niemand etwas vor.
Nun jedoch waren diese trüben Gedanken bei Seite geschoben, denn in diesem Moment tat sich am Ende des Parkplatzes etwas.
'Na endlich. Da ist ja mein Liebling.'
Marcel war aufgeregt, ruschelte vorsichtig auf seinem Autositz hin und her.
Er sah sie schon. Grade winkte Beatrix noch jemanden innerhalb der Klinik etwas zu. Auch lächelte sie wieder so freundlich, wie es immer ihrer offenen und lustigen Natur entspricht. Sie war schon fast draußen aus der Tür, als sie noch einmal etwas in den Innenraum hineinrief, vielleicht ein Witz an einen Kollegen zum Abschied.
Marcel wusste, dass dort auch die Krankenfahrzeuge stehen und sich- auch um diese Zeit- die Fahrer zumeist in der Nähe waren.
'Na endlich konnte es losgehen.'
Beatrix hatte wie immer ein bezauberndes Lächeln.
Sie war in einen hellen, knielangen Mantel eingehüllt. Ein dicker Wollschal schützte ihren Hals. Dicke helle Fausthandschuhe schützten ihre Hände vor der kurzen, aber schneidenden Kälte bis zum Auto. Auf dem Kopf trug sie eine bunte 'Norwegermütze', welche ihre Ohren bedeckte. Oben an der Mütze waren bunte Woll- Zöpfe zu sehen. Am Unterrand der Mütze konnte man die schwarz gefärbten Haarspitzen sehen, sie hoben sich etwas von der hellen Bekleidung ab.
Augenscheinlich hatte die Kälte seine Beatrix sofort umfasst, denn sie schien zu sich selbst ein 'Brrr. Ist das kalt.' zu sagen. Ihr Blick war nach unten gesengt, sie blickte ab und zu- dann auch nur kurz- auf in Richtung des Parkplatzes.
Marcel freute sich über diesen Anblick. Darauf hatte er sich heute schon den ganzen Tag gefreut, auf diesen Moment hatte sich das lange Warten gelohnt. Jetzt waren alle Unbillen des Wartens vergessen, die Kälte im Auto, alles. Endlich war 'seine Bea' mit der Arbeit fertig.
Marcel griff mit der rechten Hand neben sich auf den Beifahrersitz.
Die Kamera hatte er sich einmal mehr ausgeborgt für heute.
Sie zu bekommen ist kein Problem, aber man muss sie auch richtig einstellen. Kein Blitz- das Objektiv kontrollieren- noch mal schnell Feinschliff.
Klack, klack. Die ersten Bilder von seiner Bea.
Kurzer Blick auf die digitale Anzeige der Kamera.
Das bekommen wir doch noch besser hin, denkt sich Marcel.
Wieder legt er den Apparat an.
Klack, klack.
Etwas näher noch.
Klack, Klack, Klack.
Ach wie schön, alles erledigt.
Marcel war zufrieden, sehr zufrieden.
Den Rest der Zeit würde er nun genießen können. Er lächelte vor sich hin. Vielleicht hatte ihn Beatrix mit ihrer charmanten, freundlichen Art auch nur einmal mehr verzaubert.
Beatrix Schlüffner. 27 Jahre alt und so wundervoll. Ihr herzliches Wesen, ihre lebensfrohe und offene Art, ihre lebendige Freundlichkeit, ihr ewig schönes Lächeln. Bei ihren Kollegen und ihren Freunden war Beatrix sehr beliebt und gern gesehen. Immer hatte sie nette Worte für andere, auch dann, wenn es ihr einmal selbst nicht so gut zu scheinen ging.
Beatrix war nun zwei Parkreihen weiter auf dem Parkplatz stehen geblieben.
Marcel saß in seinem Fahrzeug und sah in Richtung ihres Standortes.
Wie ein Roboter drehte sie sich in der Winterbekleidung hin und her.
Mit der linken Hand zog sie nun den Fausthandschuh der rechten Hand aus, kramte dann mit der rechten Hand in ihrer kleinen, hellen Handtasche.
Sie holte den Autoschlüssel zu ihrem kleinen, silbernen Flitzer irgendwo aus der Handtasche heraus.
Marcel konnte am Blinklichtschein erkennen, dass sie mit der Fernbedienung ihr Auto öffnete und dann irgendwo hinter den Hecken in ihr Auto einstieg.
Kurz daraus hörte Marcel, wie dort hinten- zwei Parkplatzreihen weiter ein Auto startete- 'ihr Auto'. Der Lichtkegel bahnte sich seinen Weg durch die Nacht in Richtung der Ausfahrt des Parkplatzes auf die Hauptstraße und dann weiter in Richtung Kreisverkehr und Innenstadt.
Marcel war glücklich, er lächelte immer noch vor sich hin, hatte im Spiegel den Lichtkegel in Richtung Stadt vorbeihuschen gesehen.
Nun nahm er wieder kurz die Kamera in die Hand, blickte auf das Display der Rückseite, bewegte auf dem Display der Kamera seine Schnappschüsse zufrieden hin und her. Alles schön geworden.
Naja, diese geborgte Kamera ist zwar nicht mehr die Neueste, hat aber schon einen Zoombereich über 200 Millimeter. Das sind doch heute trotz allem prima Aufnahmen geworden- schön nahe dran. Bald kam ja eine neue Kamera heraus. Diese Kamera hatte er sich bereits ausgesucht- diese Kamera würde noch viel besser sein. Die Spiegelreflexkameras und Objektive waren – so wie er es benötigte- zu teuer, aber mit der neuen Digitalkamera hätte er dann einen Zoombereich bis 720 Millimeter. Das Geld- immerhin auch noch 450 Euro, hatte er sich schon vom Gehalt abgespart.
Ja, 'seine Bea' ist wirklich eine wundervolle Frau.
Der Lichtkegel der Scheinwerfer verschwand nun endgültig aus seinem Blickfeld.
'Nur noch kurz warten.', denkt sich Marcel.
'Ich rauche noch eine, dann schaue ich, ob du auch gut zu Hause angekommen bist.'
Marcel zündet sich eine Zigarette an.
„Ich bin gleich bei Dir, mein Schatz."
Marcel redete leise mit sich, den Blick in Richtung Stadt, in das Dunkle der Winternacht hinein.
Nach kurzer Zeit hört man auf dem Parkplatz wieder einen Motor aufheulen. Ein weißer, kleiner Kastenwagen fährt vom Parkplatz in Richtung Stadt.
Dort wo er Wagen stand, sieht man eine halbaufgerauchte Zigarettenkippe im Schnee klimmen.
Aber niemand nimmt dies alles wahr.
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