Lost Timeline-Kapitel: Eine Illusion im Nebel
Auf dem Weg zum Friedhof von Orion war Laslow still. Sein Gesicht war verfinstert und wirkte bedrückt. "Ich habe ihn noch nie so viel weinen sehen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie er sich fühlen muss..." Kalter Wind streifte sie und versuchte, mit scharfen Zähnen durch ihre Klamotten zu beißen. Laslow blieb vor dem schwarzen Tor stehen. "..." Er wechselte einen Blick mit Taji, der den Blick erwiderte und zitternd Luft holte. Dann nickte er. Laslow schob das Tor auf und sie betraten den Friedhof. "Viel sieht so aus, wie es war..." murmelte er, während er an den verschiedenen Grabsteinen vorbei lief. Doch dann bemerkte er eine Reihe Gräber, die er vorher noch nicht gesehen hatte. "...die sind mir neu." Er blieb einige Momente stehen, bevor er an ihnen entlang lief. Die meisten Namen sagten ihm nichts. Die Grabsteine waren aus Marmor oder anderem Gestein gemacht und wirkten gepflegt. Alle bis auf eines, das mit Moos und Efeu überwuchert war. Der Stein wirkte schlicht und klein und die Schrift war so verwittert, dass man den Namen darauf kaum wirklich lesen konnte. Das einzige, was man herauslesen konnte, war 'Taen Ka...a...k' Dabei wirkte der Stein an sich eigentlich noch eher neu... Seltsam. Es wirkte fast so, als hätte jemand den Grabstein beschädigt. Jetzt stand also auch schon Grabschändung auf der Tagesordnung. Großartig. Dann plötzlich blieb er stehen, als er auf einem der vielen Grabsteine einen bestimmten Namen las- Seinen Namen. Auf dem Stein stand "Zur Erinnerung an Laslow Steward, gestorben am 17. Oktober 2016" eingemeißelt. Taji blieb neben ihm wie angewurzelt stehen und seine Hand ballte sich über seiner Brust sofort zur Faust. "Nein...",
"...Also hat der Tod mich in dieser Welt wirklich geholt", murmelte Laslow mit schwerer Stimme. Taji sank vor dem Grab auf seine Knie hinab und konnte nicht aufhören, auf den Grabstein zu starren. Erste Tränen fingen an, zu Boden zu fallen. "Das... das muss der Tag deines Unfalls gew-wesen sein... Diese Welt ist zu grausam... Warum-" Die Stimme des Gezeichneten versagte; zerbrach wie ein Stock unter zu viel Druck und löste sich in trostloses Schluchzen und Weinen auf.
"...Ja", sagte der Silberhaarige. "Das war genau dieser Tag... Genau wie... Dad sagte." Seine Augen waren auf den Namen genagelt, der auf dem Stein stand. "...es ist seltsam. Auf dein eigenes Grab hinab zu blicken; zu wissen, dass das wirklich du bist, der da unter der Erde liegt... aber dennoch atmest du. Fühlst den Wind auf deiner Haut und riechst die frische Luft um dich herum... Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Wenn ich auf das Grab schaue... fühle ich mich leer."
Taji schien ihn kaum wahrgenommen zu haben. Stattdessen trauerte er über den Tod der Person, die er sein Herz geschenkt hatte, in dieser Welt und berührte den Boden über dem Grab mit zittrigen Händen.
"Hey, Taji..." Laslow konnte den Blick endlich von den Buchstaben losreißen und kniete sich neben ihn. "Du... du musst nicht weinen... Ich bin doch hier...",
"D-Diese W-Welt ist... w-wie die Hölle selbst..." schluchzte er und vergrub das Gesicht in den Händen. "Es ist zu v-viel... Du bist..."
Laslow blickte wieder auf das Grab hinab. "...Nun ja... tot. Irgendwie." Er legte eine Hand auf seine Schulter. "Aber wenn es dich tröstet... das bin nicht wirklich... ich. Es ist eine andere Version... von mir...",
"Ich... E-Es gibt keine Version von dir, die ich nicht liebe, Nii-san... Das tut einfach nur weh...",
"..." Er schloss die Augen und legte dann einen Arm um den Gezeichneten. Taji suchte Halt an ihm und weinte bitterlich.
"...willst du Blumen niederlegen?" fragte er nach einer Weile. "Vielleicht befreit dich das ein wenig..."
Taji war nicht in der Lage, zu antworten. Zu sehr stockte sein Atem und seine Stimme war wie eine dünne Eisschicht, die bei jeder kleinsten Belastung zerbrach. Laslow tätschelte seinen Kopf und hob dann sein Kinn an.
"T-Tut m-mir Leid, dass... i-ich so schwach bin...."
Der Silberhaarige schüttelte bloß den Kopf und küsste ihn sanft. "Ist schon okay... Du darfst trauern..."
Der Junge nickte nur betäubt und sagte nichts. Seine Tränen waren auf seinen Wangen getrocknet. Laslow blickte ihm in die Augen. "Verliere mich nicht aus den Augen, okay... Ich bin bei dir...",
"Ich will... niemals... niemals Blumen an d-deinem Grab in unserer Welt niederlegen... Niemals... Eher sterbe ich zuerst...",
"Ich verspreche dir, dass du das nicht musst... In Ordnung?",
"Bitte versprich es... Ich werde mich daran festhalten... Mein Herz könnte das nicht ertragen...",
"Ich verspreche es... Nein. Ich schwöre es. Okay?",
"Okay..." antwortete er leise und versuchte, neue Tränen zurückzuhalten.
"Ich werde auch ein paar Blumen niederlegen... Aber nicht für mich. Sondern für meinen Vater... Die letzten sind bereits verwelkt." Er streckte den Arm aus und nahm den Strauß toter Blumen in die Hand. "Lilien... Sie wachsen am Rand des Friedhofs." Er stand auf und wandte sich ab, um ein paar weitere Blumen zu pflücken. Taji tat es ihm gleich.
"Lass sie uns zusammenbinden, okay...?" Laslow sah sich zu ihm um. Taji nickte und händigte sie ihm aus. Laslow band sie mit einem dünnen Faden zusammen. "Willst du sie hinlegen?",
"Lass es uns zusammen tun...",
"In Ordnung." Gemeinsam legten die die Blumen vor dem Grabstein nieder. Taji fuhr sanft mit der Hand über den kalten Stein. "Ich liebe dich..." murmelte er und lehnte seine Stirn dagegen. "Auch, wenn wir uns nie getroffen haben...",
"..." Laslows Blick schweifte ab zum Grab direkt daneben und seine Augen weiteten sich etwas. "Warte... Das... Das ist das Grab meiner Mutter... Also... hat Dad ihn... mich... neben ihr begraben lassen...?" Er stand auf und betrachtete das Grab kurz eingehend, bevor er einen zweiten Blumenstrauß pflückte. Taji half ihm natürlich dabei. "Okay... Das sollte reichen..." Laslow platzierte sie vor dem Grabstein.
"Ich hoffe, sie sind glücklich zusammen... Wir werden ihre Welt retten..." sagte Taji.
"Werden wir.",
"Ich werde mein bestes tun, um dich zu beschützen, Nii-san...",
"Brauchst du nicht.",
"Ich will aber..."
Laslow blickte zu ihm und lächelte sanft. Seine Hand legte sich auf die Wange des Gezeichneten. "...natürlich willst du das. Ich werde dich wohl kaum aufhalten können...",
"Nein...",
"Das dachte ich mir. Komm... wir gehen zurück...",
"Ja... Nach dir..."
Der Silberhaarige nickte und sie ließen den Friedhof und die kalte Trauer, die über ihm hing, hinter sich.
Mari verließ das Haus nach einer Weile, um nach Jayden zu suchen. Sie hatte nur keine Ahnung, wo sie anfangen sollte, also dachte sie, es wäre die beste Idee, einfach von oben Ausschau zu halten. Sie schwang sich auf Panzaeron und schwebte wenige Herzschläge später über der ruhigen, kleinen Stadt, um nach dem Rothaarigen Ausschau zu halten. Sie war immer noch leicht angesäuert wegen dem, was Jacky gesagt hatte, aber sie beschloss, sich auf die Suche zu konzentrieren. Jayden hatte geschworen, dass er sie nie im Stich lassen würde... also würde sie es auch nicht tun. Ende. "Jayden??" rief sie, aber es kam keine Antwort. Erst, als sie über dem Wald flog, der um die Traumbrache herum lag, entdeckte sie einen roten Fleck zwischen den Ruinen. "Ah, da bist du... deine roten Haare verraten dich immer... Panzaeron, runter!" Ihr Pokémon landete im Gras und sie stieg ab. Sie schloss zu ihm auf. "...Jayden?",
"..." Er weinte und seine Schultern zitterten so stark, dass sie Angst hatte, sie würden zerreißen. Der sandige Boden unter ihm war bereits nass und seine Hände bohrten sich in ihn hinein. "...weg..."
Sie blieb neben ihm stehen und kniete sich dann neben ihm hin.
"... geh weg." Er drehte sein Gesicht von ihr weg und sein Atem stockte.
"Jayden, bitte...",
"GEH WEG!! SIEH MICH NICHT AN!!" Er hob den Kopf, um sie anzustarren, seine Augen waren gerötet und seine Pupillen verengt.
"...aber ich sehe dich doch bereits an", sagte sie. "Komm schon, ich lasse dich jetzt nicht allein..." Sie hob die Hand, um ihn zu berühren, doch er wich zurück und kauerte sich an einer der Ruinenwände zusammen.
"Jayden... Bitte, verstecke dich jetzt nicht.",
"Geh weg, geh weg, geh weg..." Er wiederholte diese Worte wie als wären sie sein Mantra. Seine Fingernägel gruben sich brutal in seine Haut. Für einen Moment war es still, bis sie entschieden den Kopf schüttelte und ihn umarmte.
"NEIN-",
"Shhht... Du hast zu mir gesagt, dass du mich nicht im Stich lassen wirst. Also werde ich das auch nicht tun. Ich bin da für dich; immer; jederzeit. Das weißt du... oder...?",
"Bitte... sieh mich nicht an...",
"Jay." Sie zog ihn näher zu sich, sodass sein Kopf auf ihrer Brust ruhte und sie ihm durchs Haar streichen konnte. "Es ist okay... Ich bleibe bei dir... Was auch immer du jetzt gerade von dir selber denkst, für mich bist du das nicht.",
"..." Er brach wieder in Tränen aus und grub verzweifelt die Finger in ihr T-Shirt. Es begann sogar, unter seiner Kraft etwas zu zerreißen. Sie sagte nichts dazu und gab ihm einfach nur Halt. "Du bist immer noch dieselbe Person für mich... Und das wirst du auch immer sein... Egal, was du hier geworden bist, es hat nichts... nichts mit dir zu tun.",
"Ich... Ich bin ein Monster...",
"Nein. Nein, bist du nicht... Warst du nie und wirst du auch nie sein.",
"Bin ich wohl... Ich kann das nicht mehr... Ich hab genug davon..." schluchzte er in ihre Brust hinein. "Ich will das nicht mehr...",
"Du kannst zurück gehen, wenn du willst... Zurück in unsere Welt... Du musst nichts tun, was du nicht willst. Du musst dich nicht damit auseinander setzen... Versprochen...",
"Aber... du und die anderen, ihr seid noch hier...",
"Ich weiß...",
"Ich kann nicht gehen...",
"Ich will aber nicht, dass du weiter leiden musst. Wenn du das wirklich nicht kannst, dann musst du auch nicht. Wir können das... Wir können das für dich machen... Du bedeutest mir viel, also...",
"Ich kann nicht... Ich will mich so nicht mehr fühlen... Es bringt mich um... Ich... fühle mich, als würde ich sterben..." wimmerte er laut und klammerte sich an Mari als wäre sie das Letzte, was ihn am Leben erhielt.
"Ich könnte niemals verstehen, wie es dir jetzt geht...", flüsterte sie, "...aber ich kann es mir vorstellen. Ich halte dir stets den Rücken frei, ja? Wie ich schon sagte, ich werde dich nicht im Stich lassen. Also wenn du es nicht kannst, dann geh. Geh, um deinetwillen. Ich will nicht, dass du dich selbst damit zerstörst. Ich respektiere jede Entscheidung, die du triffst... Geh nach Sinnoh, mach eine Pause, egal was... Wenn du es nicht kannst, dann ist das schon in Ordnung.",
"Du weißt, dass ich nicht gehen kann... Nicht, wenn ihr hier bleibt...",
"Wir kommen klar. Denke einmal an dich selbst, okay?",
"Mari..." Jayden wich nun wieder zurück und wischte sich über die Augen. "Es hat keinen Sinn, zu versuchen, mich zu retten... ",
"Du weißt, dass ich damit nicht aufhören werde.",
"Es ist sinnlos... Mir wurde gerade gezeigt, was für ein Monster ich wirklich bin... Ich muss das beenden...",
"Das... bist nicht du. Du musst das verstehen. Du bist anders.",
"Bin ich das...",
"Ja! Und das weißt du auch! Weil du...", sie legte beide Hände auf seine feuchten Wangen, "...etwas hast, was du beschützen willst. Du bist nicht alleine. Außerdem... weiß ich, dass ich auf dich zählen kann, egal, wie schlimm alles wird. Du bist sowas wie mein Hoffnungsschimmer. Du warst immer da, um mich aufzumuntern, wenn es mir mies ging. Du hast mir immer die Kraft gegeben, durchzuhalten. Also BIST du anders. Mir ist es egal, was du hier bist, weil das nicht widerspiegelt, was DU bist. Bitte versteh' das.",
"Hier nach... bin ich fertig mit kämpfen... Ich kann es nicht mehr..." Seine Stimme klang gebrochen, genauso wie sein Kampfgeist.
"Das musst du nicht mehr..." Sie stand auf und hielt ihm eine Hand hin. "Steh auf..."
Tränen strömten immer noch über sein Gesicht, als er ihre Hand nahm und aufstand. Sie zog ihren Z-Kristall heraus und rief Lunala herbei. Sie warf ihm einen Blick zu und bat es per Telepathie darum, eine Ultrapforte zu öffnen. "Letzte Chance, umzukehren. Denn wenn du dich dazu entscheidest, es nicht zu tun... dann beenden wir das zusammen..."
Jayden blickte das Wurmloch nicht einmal an und vergrub stattdessen sein Gesicht in ihrer Schulter. "Bleib bei mir..." flehte er sie leise an. "Hilf mir, das zu beenden...",
"... Okay..." Sie nickte und die Pforte schloss sich wieder. "Ich stehe bei dir.",
"Ich liebe dich..."
Mari hob sein Kinn an, um ihn zu küssen. Sie hatten noch nie einen solchen Kuss geteilt, so voller Verzweiflung und dem Bedürfnis, aneinander festzuhalten. Sie blickte ihm in die Augen und umarmte ihn dann wieder. "Ich liebe dich, Jayden..."
Dann plötzlich drehte sie den Kopf, als sie eine Bewegung in ihrem Augenwinkel wahrnahm. Ein Somnivora schwebte aus den Schatten hervor und Traumdunst verteilte sich langsam in der Gegend. Für einen kurzen Moment konnte Jayden etwas im Nebel sehen. Eine Illusion im Dunst, die in seine Richtung blickte. Ein Junge mit schwarzem Haar und roten Strähnen; dunkelgrüne Augen schimmerten wie nasses Moos im Sonnenlicht. Jayden blickte die Traumillusion an und sein Gesicht wurde weich, als er ihm vertraute Gesichtszüge in ihr wiedererkannte. Er wusste einfach, tief in seinem Herzen, wer das war... Sein Kampfgeist kehrte langsam zurück und er atmete tief durch. "Okay... Gehen wir zurück.",
"Was hast du gesehen?" fragte Mari. Jayden wandte den Blick ab, als die Illusion verblasste. "...jemanden, den wir in der Zukunft vielleicht treffen werden." Er konnte nicht anders, als zu schmunzeln und ein Lächeln blieb auf seinem Gesicht zurück.
"Naja, immerhin lächelst du wieder... Also war das wohl dein Hoffnungsschimmer.",
'War es...' Er blickte zum Himmel hinauf. "Gehen wir zurück.",
"Okay." Sie nickte und führte ihn zurück zum Haus der Stewards.
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