Berührte Gefühle
Also, ich wurde von saskiarey nominiert, eine kurze Geschichte mit dem Wort "Fingerspitzengefühl" zu schreiben.
Ich schreckte auf, doch es war schon zu spät, ich nahm nur noch ein Quietschen und ein verzerrtes Bild meiner Umgebung wahr, da traf mich etwas Hartes am Hinterkopf. Die Farben verschwammen vor meinen Augen, die Luft wurde durch einen harten Aufprall aus meiner Lunge gepresst und ich verlor das Bewusstsein.
Schwarz. Es ist dunkel.
Langsam sickerte dieser Umstand in mein Gehirn ein.
Schmerz. Verwirrung.
Mein Kopf pochte und jeder meiner Gliedmaßen schmerzte. Es tat höllisch weh.
Beunruhigung. Unsicherheit. Panik.
Wieso tut alles so weh? Die Panik und der Schock machten sich in meinem Körper breit.
Geräusche. Irgendetwas piepst. Stimmengewirr.
Wo bin ich?
Langsam flaute der Schmerz in meinem Kopf zu einem dumpfen Pochen ab und stellte sich in den Hintergrund.
Das Piepsen wurde unregelmäßig. Es war immer noch dunkel um mich herum. Ich versuchte, meine Sinne anzuspannen, alles um mich herum wahrzunehmen, doch die Angst lähmte mich. Ich hörte nur undeutliches Gemurmel.
Wo bin ich? Was ist passiert? Wieso ist es dunkel? Wer spricht da gerade im Hintergrund?
Aber ich hatte keine Antwort auf all meine Fragen.
Mir entglitt das Bewusstsein und ich wurde von einem Sog der Erschöpfung aufgefangen.
Als ich wieder zu mir kam, traf mich der erneute Schmerz so unerwartet, dass ich tief den Sauerstoff einsog, wobei die kühle Luft in meiner Lunge brannte. Es fühlte sich an, als würde die eisige Luft im Feuer, das in meiner Lunge entbrannt war, schmelzen.
Beim nächsten Atemzug sog ich die Luft vorsichtiger ein, der Schmerz wurde erträglich. Aber es war immer noch dunkel. Mein Gehirn schien aber schneller und effektiver zu arbeiten, als zuvor. Ich konnte sogar einen komischen, mir bekannten Geruch wahrnehmen, jedoch nicht identifizieren.
Schließlich übermannte mich die Erschöpfung und ich tauchte wieder in ein Delirium ab.
Es war jedoch nicht angenehm entspannend, sondern nervenaufreibend.
Ich hörte wieder dieses Quietschen und konnte den darauffolgenden Aufprall dieses Mal viel intensiver spüren. Allerdings verlor ich nicht das Bewusstsein, sondern ich riss panisch meine Augen auf.
Licht. Es blendet.
Aus Reflex kniff ich meine Augen wieder zusammen und öffnete sie langsam. Als meine Sicht schärfer wurde, konnte ich eine weiße Decke und grelle Lampen an ebendieser Decke erkennen.
Das Piepsen um mich herum wurde um einiges schneller, was mich beunruhigte. Ich drehte den Kopf in Richtung des Piepsens und erkannte einen Monitor. Bei den schnellen Bewegungen auf dem Bildschirm, verschwamm meine Sicht, sodass ich meinen Kopf wieder Richtung Decke wandte.
Ich wollte meine Umgebung genauer inspizieren, als die Tür beim Aufschwingen leicht knarrte und eine Frau mittleren Alters vor mich trat. Sie hatte dunkle Haare, in einem Zopf zusammengebunden und trug eine Lesebrille auf der Nase, mit der sie die Unterlagen in ihrer Hand studierte.
Schließlich sah sie auf und sagte mit einer angenehmen, melodischen Stimme: "Schön, dass Sie aufgewacht sind. Wie fühlen Sie sich?"
Ja, wie fühlte ich mich eigentlich? Ich spürte nur den mittlerweile leichten Schmerz in meinem Kopf, aber ansonsten? Ich versuchte einzelne Körperteile zu spüren, konnte aber außer meiner immer noch schmerzenden Lunge nichts bemerken. Es fühlte sich an, als wäre der Rest meines Körpers nicht da. Gruselig. Unheimlich. Davor hatten meine Arme und Beine definitiv noch wehgetan.
Die Frau, die übrigens auch einen weißen Kittel anhatte, den üblicherweise nur Ärzte oder Krankenschwestern trugen, wartete immer noch auf eine Antwort von mir. "Ich weiß es nicht. Wo bin ich? Wer sind Sie?"
Deutlich verwirrt formulierte ich die Worte angestrengt in meinem Mund. Letztendlich war nur ein raues Flüstern zu hören, aber die Frau schien es trotzdem verstanden zu haben.
Freundlich erwiderte sie: "Ich heiße Maria Hauser, nennen Sie mich bitte Maria. Sie befinden sich im Krankenhaus in Düsseldorf."
Krankenhaus? Was? Wieso?
Vollends verwirrt stammelte ich vor mich hin, bemüht meine vielen Fragen in Sätze zu fassen, aber es gelang mir nicht.
Die Frau, also doch eine Krankenschwester, interpretierte mein Stammeln richtig und gab mir Auskunft: "Sie sind in einen Autounfall geraten. Erinnern Sie sich? Die äußeren Umstände und die Ursache des Unfalls sind noch unklar, aber wenn Sie sich erinnern können, wüsste die Polizei mehr darüber. Wie auch immer, im Vordergrund steht, dass Sie zunächst einmal genesen."
Autounfall?
Das erklärt den harten Aufprall.
Aber wieso bin ich davor so erschrocken?
Ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern.
Maria reißt mich aus meinen Gedanken, als sie etwas aus ihrer Tasche herausholt.
"Ich muss Ihnen ein wenig Blut abnehmen, wenn Sie mich lassen würden."
Ohne eine Antwort abzuwarten nimmt sie vorsichtig meinen Arm, das komische ist, ich spüre nicht einmal ihre Berührung. Sie sticht die Nadel in meine Haut und ich kann sehen, wie das Blut in die Pipette rinnt, jedoch nehme ich auch den Nadelstich nicht wahr. Das ist wirklich unheimlich.
"So, das hätten wir geschafft. Es erfordert immer einiges an Fingerspitzengefühl, ich möchte die Vene schließlich treffen."
Verunsichert über meinen beeinträchtigten Tastsinn, sprach ich Maria darauf an: "Ich kann meinen Körper ab dem mittleren Rücken abwärts und meine Arme nicht spüren. Ich habe nicht einmal Ihre Berührung oder den Nadelstich gefühlt. Was ist das?"
Sichtlich schockiert ließ die Krankenschwester sich mit der Antwort Zeit und wählte ihre Worte mit Bedacht: "Das klingt, als wären Sie gelähmt. Da wir bei den Untersuchungen keine solche Lähmung festgestellt haben, muss es sich um eine Schocklähmung handeln, die erst kürzlich, nach Ende der Untersuchungen, eingetreten ist.
Dieser Zustand kann jederzeit vorbei sein, es könnte aber auch Jahre dauern, bis Sie, insbesondere Ihr Geist, den Schock überwunden hat. Das ist bei jedem Patienten individuell. Meist braucht die betroffene Person einen Anstoß, beispielsweise eine ausschlaggebende Erinnerung, um die Lähmung zu überwinden. Es tut mir leid, aber dabei können wir Ihnen nicht behilflich sein. Den Schockzustand müssen Sie selbst durchleben."
Die Information sickerte in mein Gehirn ein, der Ernst meiner Lage wurde mir aber erst Minuten später bewusst. Maria war schon gegangen, als ich vollends verstanden hatte, dass mein Körper nun größtenteils nicht mehr aktiv bewegt werden konnte. Nicht mehr wahrgenommen werden konnte.
Ein Zug könnte über meine Beine fahren und ich könnte es nicht spüren. Schrecklich. Grausam. Angst stieg in mir hoch. Plötzlich fühlte sich das Zimmer an, als würde es zu einer winzigen Größe schrumpfen. Ich war eingeengt, eingesperrt zwischen den Wänden.
Ich konnte mich nicht mal aus dem Bett bewegen, da ich selbstständig nicht aufstehen konnte. Ich war hilflos. Völlig ausgeliefert. Panisch fing ich an zu schreien. Zuerst entkam mir nur ein Kratzen, aber es wurde immer deutlicher und lauter.
Nicht einmal den roten Notfallknopf konnte ich drücken, ich konnte meinen Arm nicht aktiv bewegen. Schließlich stürmte eine abgehetzte Maria mit einem besorgten Gesichtsausdruck in mein Zimmer. Ich hörte auf zu schreien. Ich war nicht mehr allein. Ich konnte wieder besser atmen, die Panikattacke flaute ab.
Trotzdem fühlte ich mich unwohl bei dem Gedanken noch länger in diesem Zimmer zu bleiben. Ich bat die Frau: "Können Sie mir bitte hier raushelfen? Ich kann mich nicht länger in diesem Raum aufhalten, sonst werde ich noch wahnsinniger, als ich ohnehin schon bin."
Maria erbarmte sich und hievte mich aus dem Bett in einen Rollstuhl daneben. Ich versuchte sie, so gut wie möglich zu unterstützen, ich war recht schwer dafür, dass eine Frau mein ganzes Gewicht stützen musste.
Endlich saß ich sicher im Rollstuhl und die Krankenschwester schob mich aus meinem Zimmer heraus auf den Gang. Überall gingen Türen an den Seiten weg, ich konnte klagende Laute, weinende Menschen und Geschrei einer in den Wehen liegenden Frau hören. Ich fühlte mich bereits etwas lebendiger.
Das Krankenhaus ist ein trostloser Ort und trotzdem geschehen hier sowohl schöne Dinge, als auch traurige. Kinder werden geboren, Menschen geheilt, aber es sterben auch andere. Leuten, denen nicht geholfen werden kann.
Kann ich vollständig geheilt werden? Theoretisch schon, aber es liegt nicht in der Hand der Ärzte und nur zu einem gewissen Maß in meiner.
Da! Ich hatte etwas gehört! Es kam mir bekannt vor. Eine Melodie. Heller Klang. Es war ein Klavier. Mein Atem beschleunigte sich vor Aufregung. Im Krankenhaus gab es ein Klavier?
Beim Gedanken daran, dass ich selber spielen konnte, wäre ich vor Begeisterung am liebsten losgelaufen, bis mir beim Versuch dessen, einfiel, dass ich ja gelähmt war. Ich konnte mich nicht bewegen. Ich konnte gar nicht mehr selbst Klavier spielen. Vielleicht nie wieder.
Nein! Nein, das durfte nicht wahr sein. Das Klavier war mein Leben. Ich war ein Pianist. Ohne meine Musik, ohne mein Klavier war ich aufgeschmissen. Die Musik war meine Art, Gefühle und Gedanken auszudrücken, die Musik war meine Balance, meine Konstante, mein Halt, mein Fels in der Brandung.
Ich konnte gar nicht ohne Musik. Das Klavier erklang immer lauter, wir kamen näher. Als wir schließlich im Aufenthaltsraum, in dem das Klavier stand ankamen, sah ich, wer spielte. Ein kleines Mädchen, vielleicht 10 Jahre alt, saß am Klavier. Sie war eindeutig krank, unheilbar krank. Ich vermutete Krebs.
Das arme Mädchen verbrachte die letzten kostbaren Tage ihres Lebens im Krankenhaus, darauf wartend, dass das Damoklesschwert endlich auf sie niedersauste und sie von ihren ständigen Leiden erlöste. Auch sie hatte nur noch das Klavier. Sie spielte nichts außerordentlich schweres, doch die Ausdrucksstärke, die Klangfarbe, mit der sie spielte, ließ einen vermuten, dass ein erfahrener Pianist und ernster Mensch spielte.
Ich beobachtete sie schon eine Weile, als sie mich bemerkte und sich zu mir umdrehte. Ihr Spiel hatte mich berührt, ich hatte Tränen in den Augen. Ich vermisste das Gefühl, selbst zu spielen, meine Hände auf den Tasten, wie sie mit Leichtigkeit flink über das Klavier glitten.
Das Mädchen starrte mich an und ich starrte zurück. Vielleicht minutenlang, ich hatte das Zeitgefühl verloren.
Irgendwann musste sowohl sie, als auch ich zurück in unser Zimmer, doch Maria brachte mich jeden Tag zurück und das Mädchen spielte jeden Tag. Es gab mir das Gefühl, da zu sein. Mein ganzer Körper wurde in gewisser Weise von der Musik berührt.
Doch eines Tages kam sie nicht mehr. Ich wartete den ganzen Tag, doch vergeblich. Abends erklärte Maria mir vorsichtig, dass das Mädchen vom Menschsein erlöst sei, von ihren Leiden. Sie war tot.
Trotzdem bestand ich darauf, am nächsten Tag wieder zurückzukehren und ich ließ mich direkt vor das Klavier schieben. Ich starrte die Tasten an und versuchte sie, mit Willenskraft runterzudrücken, sodass sie erklingen würden. Es funktionierte nicht.
Am darauffolgenden Tag fing ich an, die Musik wirklich zu vermissen. Ich hatte mich an das tägliche Klaviervorspiel des Mädchens gewöhnt, ich brauchte den beruhigenden Klang.
Als ich dieses Mal vor dem Klavier saß, kehrte das Gefühl zurück. Das Fingerspitzengefühl. Es kroch von den Fingerspitzen hoch, durch den ganzen Arm. Dann kribbelten meine Zehen, ebenso wie meine Beine. Ich hob meinen Arm. Es klappte. Ich bewegte meine Finger. Es klappte. Ich stand vorsichtig auf. Es klappte.
Und dann setzte ich mich ans Klavier, hob den Arm und drückte mit einem Finger eine Taste. Ich spielte wieder Klavier.
Jetzt nominiere ich Fantasiamarina, eine Geschichte mit dem Wort "Schnee" zu schreiben. (Stufe 2)
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro