Daisy
Ich glaube, dass ich für alle spreche, wenn ich euch erzähle, dass keiner von uns nach Roxanne's Beichte und Avery's Rede wirklich in dieser Nacht schlafen konnte. Wir saßen alle am nächsten Morgen beim Frühstück und sahen unglaublich übermüdet aus. Einige von uns hatten sogar dunkle Ringe unter den Augen. Mir selber gingen sowohl Hemptons Drohung, unsere Gefängnisstrafen zu verlängern, als auch Roxanne's Geständnis und Avery Vorschlag nicht mehr aus dem Sinn. Eigentlich wollte ich gestern erzählen, was Hempton mir da angedroht hatte und dass es uns alle betraf, aber nach gestern Abend, hatte ich mich doch nicht mehr getraut.
Es war wirklich alles im Arsch. Wenn selbst ich als optimistischste Person in unserer Gruppe, schon so dachte, dann war das sicher kein gutes Zeichen. Lustlos rührte ich in meinem Frühstücksbrei rum. Mir war sämtlicher Appetit vergangen. In meinem Kopf begann ich die Möglichkeiten abzuwägen.
Hier zu bleiben würde bedeuten, dass Hempton weiterhin mit uns machen konnte, was er wollte. Er hatte die Macht über uns und konnte unsere Strafen verlängern und möglicherweise jedem einzelnen Mädchen von uns das gleiche wie Roxanne antun. Und abzuwarten und zu hoffen, dass in den kommenden Monaten nichts passierte, war keine gute Idee. Denn Hempton tat uns bereits Dinge an, ohne dass wir ihn vorher in irgendeiner Art und Weise provozierten. Die Jungs, Roxanne und Avery hatten nur noch drei Monate vor sich, sie würden bald weg sein, ich dagegen würde noch mindestens 5 Monate da sein. Linda sogar fast sieben Monate. Und wenn die Anderen weg waren, wäre ich in dieser Gruppe ganz alleine. Linda war in einer anderen Gruppe, also würde ich sie nur hin und wieder sehen, außerdem musste sie sich auf ihr Baby konzentrieren. Ihr Baby würde voraussichtlich Ende Oktober zur Welt kommen. Und danach würde sie noch mindestens drei Monate im Camp bleiben müssen, ehe sie selbst gehen durfte. Sie wäre dann vollkommen auf sich gestellt.
Sie war Hempton dann hilflos ausgeliefert. Genau wie ich. Wie wir alle. Selbst wenn wir immer in Gruppen zusammen sein würden, Hempton würde Zeit und Gelegenheit finden um uns alleine abzufangen.
Wenn ich dagegen Avery's Vorschlag in Erwägung zog, konnte es in zweierlei Richtungen verlaufen.
Die erste Möglichkeit war, dass wir dabei erwischt wurden und Hempton uns vermutlich Sachen antat, die wir uns nicht einmal vorstellen konnten geschweige denn wollten. Die zweite Möglichkeit war, dass wir von hier entkommen würden und all diese Qualen hinter uns lassen konnten. Ganz egal, was danach kommen würde, bestimmt würde es viel angenehmer sein, als alles was wir hier bereits durchgemacht hatten. Hempton würde ins Gefängnis gehen und dieser Platz würde sich verändern.
Ich wusste, dass dieser Weg große Risiken mit sich brachte, aber wenn wir es tatsächlich tun würden, hatten wir zumindest die Chance, dass wir entkommen konnten.
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Diese Entscheidung verfolgte mich den ganzen Tag und ließ mich sogar fast meinen Kummer über Liam vergessen. Noch immer ging ich ihm aus dem Weg und wechselte nur die nötigsten Worte mit ihm. Ich wusste, dass er nichts dafürkonnte, dass er nicht so fühlte wie ich, aber seine Begründung fand ich nach wie vor Scheiße.
Nach der Arbeit beschloss ich das Abendessen für mich ausfallen zu lassen und stattdessen schwimmen zu gehen. Niemand würde mich vermissen. Ich ging ins Zelt, zog mir meinen Badeanzug an und legte mir ein Handtuch um die Schultern. Am Stand angekommen, legte ich das Handtuch in sicherer Entfernung zum Wasser ab und ging ins Wasser. Obwohl die Sonne mittlerweile nicht mehr ganz so heiß schien, war das Wasser nach wie vor angenehm warm.
Ich watete bis zur Hüfte ins Wasser, ehe ich losschwamm.
Wasser war quasi mein Element. Wenn ich schwamm, brachte mich das immer auf andere Gedanken. Ganz egal, weshalb ich schwamm. Danach ging es mir irgendwie immer besser.
Nachdem ich weit genug hinausgeschwommen war, ließ ich mich auf dem Rücken treiben. Das tat ich in letzter Zeit oft. Vielleicht weil es so unglaublich entspannend war und ich immer das Gefühl hatte zu schweben, was mich meine Probleme für einen Moment vergessen ließ. Vielleicht war es aber auch, weil ich...meinen Dad vermisste. Und das obwohl er einfach gegangen war. Er war derjenige, der mir das Schwimmen beigebracht hatte, der mich zu meinen ersten Wettkämpfen gefahren hatte und mit danach Pommes gegessen hatte. Er war auch derjenige gewesen, der mir damals gezeigt hatte, wie man sich auf dem Rücken treiben ließ. Ich hatte anfangs Angst davor gehabt, weil ich glaubte mich dem Kopf unter Wasser zu gleiten, aber Dad hielt mich sanft von unten, sagte mir, ich solle die Augen schließen und zog mich dann langsam durch das Wasser. Ein besserer Vertrauensbeweis hätte er mir nicht liefern können. Denn sobald du die Augen schließt, spürst du nur noch das Wasser um dich herum und die Hände, der Person, die dich hält.
Als Dad mir es damals gezeigt hatte, war ich 9 Jahre gewesen und selbst danach hatte er es über die Jahre hinweg immer wieder getan, auch wenn sein Verhalten mir gegenüber immer schlechter wurde. Das war immer unser Ding gewesen und jetzt...würde ich vermutlich diese Sache nie wieder mit ihm machen. Und das, weil er einfach für sich entscheiden hatte, dass er keine Familie mehr brauchte.
Ich blickte in den Himmel. Ein paar weiße Wolken waren am Himmel aufgetaucht und eine davon hatte sich halb vor die Sonne geschoben. Während ich so verträumt in den Himmel blickte, schob sich plötzlich ein Gesicht in mein Blickfeld und ich zuckte so erschrocken zusammen, dass ich jegliche Körperspannung verlor und kurz komplett unter Wasser glitt. Prustend tauchte ich wieder auf und blickte noch immer erschrocken und auch verärgert in das Gesicht von Liam. Offenbar hatte er die gleiche Idee gehabt schwimmen zu gehen, denn er stand nur in Badehose und mit nacktem Oberkörper vor mir.
„Sag mal, spinnst du, Payne?", fauchte ich ihn an.
„Entschuldige, ich hab dich ein paar Mal angesprochen, aber du hast nicht reagiert", meinte er peinlich berührt.
„Wenn ich mit den Ohren unter Wasser bin, höre ich in der Regel auch nichts, schon mal daran gedacht?", normalerweise wurde ich nicht so schnippisch, aber leider war ich auch immer noch sauer auf ihn.
„Tut mir leid, ich...ich wollte einfach nur mit dir reden", meinte Liam peinlich berührt.
Ich strich mir eine nasse Haarsträhne hinters Ohr und sah ihn skeptisch an.
„Und worüber?", fragte ich so neutral wie möglich.
„Wegen dem, was ich letztens zu dir gesagt hab."
Ich zuckte so lässig wie möglich mit den Schultern. Warum wollte jetzt diese Tür wieder öffnen? Ich hatte sie doch gerade erst gewaltsam geschlossen, um mein Herz die Chance zu geben heilen zu können.
„Was gibt es da noch zu bereden? Du hast doch ganz klar deine Meinung gesagt. Wir müssen jetzt nicht..."
„Ich hab gelogen!" unterbrach Liam mich da.
Überrascht sah ich ihn an und hob die Augenbrauen.
„Was?"
„Ich hab gelogen. Ich hatte Angst und ich...", Liam brach ab, sah mir in die Augen und fuhr sich dann mit der Hand übers Gesicht.
„Scheiße, ich weiß nicht, wie ich...", murmelte er und schien völlig aufgewühlt.
„Also, ich...", er stammelte immer wieder drauf los nur, um dann wieder abzubrechen.
Obwohl ich es irgendwie niedlich fand, wie er ganz offensichtlich versuchte mir etwas Wichtiges mitzuteilen, tat er mir auch leid, weshalb ich entschlossen auf ihn zu schwamm und meine Hand auf seine Brust legte. Die andere Hand legte auf seinen Mund, um so sein Gebrabbel zu stoppen.
Sofort hörte er auf zu stammeln und sah mich verwirrt an.
„Liam, atmen!", wies ich ihn bestimmt an und atmete selbst tief ein und aus, um es ihm vorzumachen.
Liam folgte meinem Beispiel und atmete ein paar Mal tief ein und aus. Nach ein paar Atemzügen, wurde er deutlich ruhiger und ich spürte, wie sich seine Muskeln und meiner Hand entspannten.
„Besser?", fragte ich und er nickte.
„Danke."
Ich konnte mir ein käferkleines Lächeln nicht verkneifen und ah ihn dann abwartend an.
„Und jetzt erzähl mir, was so wichtig ist."
Liam atmete ein weiteres Mal tief durch, sah mir in die Augen und begann dann ruhig zu sprechen.
„Ich hab gelogen, als ich gesagt habe, dass wir keine Zukunft haben. Und dass ich nicht der Richtige für dich bin. Ich hab mir das selbst eingeredet, weil...All diese Sachen, die in den letzten Wochen passiert sind. Mit Avery, Linda, Roxy und den Jungs. Das hat mir einfach Angst gemacht. Ich hab gedacht, dass dir vielleicht als nächstes was passiert. Hempton scheint uns momentan alle im Visier zu haben und ich hatte einfach Angst, dass du zur Zielscheibe wirst, wenn ich dir gegenüber, Gefühle zeige. Denn ich mag dich! Ich mag dich wirklich sehr und ich...", Liam zögerte und fuhr sich nervös mit der Hand durch die Haare.
„Ich will mit dir ausgehen! Mehr als nur einmal", gestand er mir dann.
Vermutlich wäre jetzt ein guter Zeitpunkt gewesen, etwas zu sagen. Aber alles was ich tun konnte, war ihn verwirrt anzublinzeln, als hätte er mir gerade erzählt, dass die Erde eine Scheibe ist und morgen Captain Jack Sparrow die Weltherrschaft an sich reißt.
War das wirklich wahr? Hatte Liam mir nur deshalb das Herz gebrochen, weil er Angst hatte, dass mir wehgetan wurde? Wenn ja, dann hatte Linda recht gehabt und das war wirklich dämlich und romantisch von ihm gewesen! Und ich war eine hoffnungslose, naive Romantikerin! Aber mein Herz war erst kürzlich gebrochen worden, was mich auch misstrauisch und vorsichtig machte. Vielleicht sagte er das alles jetzt auch nur, weil ich ihm leidtat.
Liam deutete mein Schweigen offenbar falsch.
„Also, wenn du mich noch willst, natürlich. Aber wenn du nicht willst, dann kann ich das auch vollkommen verstehen! Ich meine, ich hab es dir ja nicht gerade leicht gemacht", murmelte er verlegen und kratzte sich am Hinterkopf.
Ich strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr:
„Liam, ich...", mir fehlten die Worte.
Vor ein paar Tagen hätte er mir nichts Schöneres sagen können und jetzt, war ich mir nicht einmal mehr sicher, ob ich ihm trauen konnte. Es war als hätte ich mein Herz aufgehoben, notdürftig geflickt und dann zu seiner eigenen Sicherheit in einen Käfig gesetzt, damit es in Ruhe heilen konnte. Und jetzt stand Liam an der offenen Käfig Tür und versuchte mein Herz herauszulocken, welches sich aber nicht traute.
„Was du da neulich gesagt hast, dass...", fing ich unsicher an und Liam ergriff meine Hand und hielt sie sanft fest.
„Es tut mir leid, wirklich. Glaub mir, ich hab jedes einzelne Wort gehasst, was ich an dem Abend zu dir gesagt habe und wenn ich es rückgängig machen könnte, würde ich es auch. Ich hab mein erstes Jahr mit den Jungs und Roxanne verbracht. Dann kam Linda und dann du. Und als ich mit dir im Wasser getobt habe und du Avery zum Singen gebracht hast, hatte ich das erste Mal, das Bedürfnis nicht mehr alleine sein zu wollen. Ich meine, die Jungs sind wie eine Familie für mich, aber mit dir...das ist nicht das gleiche."
Ich sah in seine Augen. Diese großen braunen Augen, die so warm und verzweifelt wirkten. Ich wollte ihnen glauben. Meine Gefühle für Liam waren nicht weg. Noch immer schlug mein Herz schneller, wenn er lächelte, wenn er mich berührte oder mir einen Blick durch seine schönen Augen schenkte. Aber jetzt war auch die Angst da, wieder verletzt zu werden. Trotzdem wusste ich, dass Liam an sich kein schlechter Mensch war. Und auch wenn er gelogen hatte, hatte er es bestimmt nicht getan, weil er mir wehtun wollte. So jemand war er nicht. Und deshalb traf ich eine Entscheidung.
„Okay, Liam."
„Okay?"
„Ich hab dich vollkommen überrumpelt, als ich dich geküsst habe, ohne zu wissen, ob du das überhaupt wolltest und bin dann abgehauen. Und du hast nicht wirklich nachgedacht und hast mir das Herz gebrochen. Ich schätze, wir haben beide Fehler gemacht und..., wenn du dazu bereit bist, können wir es gerne nochmal versuchen."
Liam sah mich überrascht an.
„Meinst du das ernst?", fragte er voller Hoffnung und ich musste lächeln.
„Ja. Also, wenn du all das gerne ernst gemeint hast und wir einander nicht mehr überrumpeln, dann ja. Wir sollten beide nochmal eine zweite Chance bekommen", erklärte ich.
Liam lächelte ebenfalls sanft. Dann legte er die Hände auf meine Schultern und zog mich zu sich heran.
„Ich würde die zweite Chance sehr gerne nutzen, wenn ich darf", sagte er sanft.
Mein Herz begann schneller zu schlagen, als wollte es gleich aus meiner Brust springen und mein Lächeln wurde noch breiter. Ich legte beide Arme um seinen Hals und umarmte ihn. Seine Haut war warm unter meinen Händen und er roch gut. Das Wasser schwappte um unsere Oberkörper und da wir beide nicht mehr auf dem Boden standen, hatte ich das Gefühl schwerelos zu sein.
Liam erwiderte die Umarmung. Seine Hände lagen auf meinem Rücken und ich spürte wie er sein Gesicht in meinen Haaren vergrub.
„Daisy?", hörte ich ihn flüstern.
„Hm?", murmelte ich.
„Würde ich dich überrumpeln, wenn ich dich jetzt küsse?", fragte er.
Ich kicherte und spürte, wie mein Herz einen Satz machte. Ich lehnte mich zurück um ihn anzusehen.
„Sind wir dann nicht zu schnell? Ich dachte, du wolltest mit mir ausgehen?", fragte ich grinsend.
„Mir ist alles recht. Hauptsache, wir fühlen uns beide damit wohl und ich..."
„Halt die Klappe und küss mich, Liam Payne."
Liam lachte, bevor er genau das tat, worum ich ihn bat. Ich hatte eigentlich gedacht, dass der Kuss in den Waschräumen nicht mehr zu toppen sei, aber ich hatte mich geirrt. Als seine Lippen auf meine trafen, hatte ich das Gefühl, als hätte jemand ein Feuerwerk in mir entzündet. Diese rauen aber weichen Lippen, die dafür sorgten, dass es bis in meine Zehenspitzen kribbelte. Seine Lippen bewegten sich sanft über meine und am liebsten hätte ich gar nicht mehr aufgehört ihn zu küssen. Aber da aus irgendeinem blöden Grund allen Menschen der Sauerstoff ausgeht, wenn sie jemanden zu lange küssen, musste ich mich schließlich von ihm lösen.
„Das war...nicht unerwartet", murmelte er gegen meine Lippen.
Ich lachte und küsste ihn erneut ganz kurz, ehe ich meinen Kopf an seine Brust lehnte. Wenn Avery mich jetzt sehen könnte. Avery...
Plötzlich fiel mir ein, weshalb ich eigentlich hier hinausgeschwommen war.
Ich hatte über Averys Vorschlag nachdenken wollen. Und auch wenn ich endlich das bekam, was ich wollte, hatte Avery recht. Und Liam hatte auch Recht. Wir waren eine Zielscheibe für Hempton und alle anderen Betreuer, solange wir hier waren. Das war keine Lösung.
Es gab eigentlich nur eine Lösung.
Und ich hatte mich entschieden.
Liam schien gemerkt zu haben, dass etwas nicht stimmte, denn er lockerte unsere Umarmung etwas und sah zu mir hinab.
„Hey, was ist los?", fragte er besorgt.
Nervös, vor dem jetzt kommen würde, strich ich mir eine Haarsträhne hinters Ohr und sah Liam bedrückt und zugleich ernst an.
„Liam, tut mir leid, wenn ich dich jetzt wieder überrumpele, aber ich muss dir da noch was sagen..."
So jetzt habt ihr eure Romantik. Und ich möchte dazu sagen, dass ich nie sonderlich darin gut war so was zu schreiben. Ich hoffe aber es hat euch trotzdem gefallen.
lg eure liz;)
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