Was auch immer Harry mit Avery besprochen hatte, als sie am Abend zu uns zu den Zelten kamen, es schien geholfen zu haben. Avery schien danach zumindest wieder etwas mehr sie selbst.
Es beruhigte mich ein wenig.
Allerdings war sie seitdem deutlich ruhiger geworden. Und ich war nicht die Einzige, die das bemerkte.
Nach ein paar Tagen wurden Roxanne und ich von Ed darauf angesprochen. Ed war von den Betreuern, der wohl freundlichste und aufrichtigste Mensch. Ihn interessierte es als Einzigen, was mit uns passierte und wollte auch, dass es uns hier einigermaßen gut ging. Er sorgte sich wirklich noch um unsere Gesundheit und unseren seelischen Zustand.
Wäre er derjenige, der das Camp leitete, dann würden viele Sachen hier um einiges besser laufen.
Ich konnte ihn wirklich gut leiden.
„Ist...ist mit Avery alles okay?", fragte er unsicher.
Ich überlegte noch, was ich antworten sollte, als Roxy es schon in ihrer unsensiblen Art tat.
„Frag sie doch selber, Ed. Oder noch besser, beruf doch ein Meeting ein und schlag ein paar Änderungen vor!"
Sie schnaubte verächtlich und verließ das Klassenzimmer.
„Roxanne...", rief Ed ihr noch nach, aber sie ignorierte ihn.
Er seufzte und rieb sich über die Augen.
Dann blickte er zu mir.
„Im Ernst, Daisy. Wie geht's ihr?"
Ich zuckte unsicher mit den Schultern.
„Sie wird schon wieder...denke ich. Sie ist momentan einfach sehr ruhig", antwortete ich dann.
Ed biss sich auf die Unterlippe und nickte. Man sah ihm an, dass er sich gerne eine andere Antwort gewünscht hatte. Und er sah mir an, was ich mir schon die ganze Zeit wünschte.
„Daisy..."
„Ich weiß, dass es nicht deine Schuld ist. Und dass du nicht alleine alles ändern kannst. Aber du könntest etwas verändern, wenn du wolltest", fiel ich ihm ins Wort.
Ed lächelte traurig und fuhr sich durch das rote Haar.
„So einfach, wie du denkst, ist es aber nicht, Daisy. Ich bin nur einer alleine und..."
„Das heißt nicht, dass du mit allem einverstanden oder zusehen musst. Die Wahl liegt bei dir", sagte ich und verließ dann ebenfalls das Klassenzimmer.
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Nach dem Abendessen, rief mich einer der Betreuer in Hemptons Büro. Meine Mutter war am Telefon und wollte mit mir sprechen. Da das einzige Festnetztelefon in Hemptons Büro war, musste ich den Anruf von dort tätigen.
Ich zögerte, als ich den Hörer entgegennahm. Ich hatte noch immer knapp sechs Monate vor mir und hatte jetzt schon seit zwei Monaten nichts mehr von meiner Mutter gehört. Genauer gesagt, nicht seitdem Ed mir von der Scheidung meiner Eltern erzählt hatte. Vielleicht war es jetzt keine so gute Idee mit ihr zu sprechen.
„Hallo?", sagte ich zögerlich.
Hempton blieb neben mir an seinem Schreibtisch sitzen und musterte mich scharf. Er blieb im Raum, damit ich auch ja nichts Falsches sagte. Nicht mal beim Telefonieren hatte man seine Privatsphäre.
„Ach Daisy, Schatz, es ist alles so furchtbar! Dein Vater ist heute ausgezogen!", sagte meine Mutter am anderen Ende der Leitung beinahe theatralisch.
Ich rieb mir über die Augen. Natürlich. Bevor sie fragte, wie es mir eigentlich ging, musste sie erstmal ihre Themen loswerden.
„Okay, und wo ist er jetzt hingezogen?"
Man hörte sofort an dem Tonfall meiner Mutter, dass ich die falsche Frage gestellt hatte.
„Woher soll ich das wissen? Ich plane nicht ihn zu besuchen!"
„Ja Mom, ich weiß. Aber ich vielleicht irgendwann!", seufzte ich.
Meine Mutter seufzte dramatisch.
„Tut mir leid, Schatz. Ich weiß, dass es für dich bestimmt nicht einfach ist. Aber ich freue mich darauf, wenn du wieder da bist."
Ich lächelte matt. Auch wenn meine Mutter einen Hang zur Dramatik hatte und sie meinen Problemen etwas unsensibel gegenüber war, sie war immer da um mich zu unterstützten und hatte mir bereits vieles in meinem Leben ermöglicht.
„Ich mich auch, Mom."
„Ich vermisse dich ganz schrecklich, aber wie geht es dir denn? Hast du ihr denn Freunde gefunden?"
„Ja, sicher doch. Wir haben seit einer Woche ein neues Mädchen. Die ist ganz nett und die Jungs in meiner Gruppe sind auch ganz super."
„Ach ja? Ist da jemand dabei, den du noch mehr magst?"
„Mom!", zischte ich peinlich berührt.
Meine Mutter war einfach eine unverbesserliche Romantikerin. Und ich war mir sehr sicher, dass ich diese Eigenschaft von ihr geerbt hatte.
Allerdings wollte ich das nicht hier mit ihr besprechen. Nicht wenn Hempton noch anwesend war und mitzuhörte. Das war einfach zu intim. Ich wollte nicht, dass er Liam vielleicht später als Druckmittel gegen mich einsetzten würde.
„Hat Dad sich denn mal wegen mir gemeldet?"
Meine Mutter schwieg einen Moment. Zu lange, wie ich fand.
„Mom?"
„Ich hab bisher noch nichts von ihm gehört", antwortete sie dann.
„Okay", sagte ich und versuchte mich zusammen zu reißen.
Auch wenn Dad sich in den letzten Monaten, bevor ich in das Camp geschickt wurde, zunehmend von uns distanziert hatte, tat es unglaublich weh, wie er sich verhielt.
Vor allem, dass er einfach ging, kurz nachdem ich hierhergeschickt worden war. Jetzt war Mom ganz alleine. Es schien ihn ja scheinbar nicht mal genug zu interessieren, wie es mir ging. Immerhin hatte ich noch keinen einzigen Anruf von ihm erhalten.
Mom schien zu spüren, wie ich mich fühlte und versuchte mich offenbar aufzumuntern.
„Daisy, hör zu, es tut mir so leid, dass du das alles so erfahren musstest. Das war wirklich dumm von uns beiden und ich hoffe, dass wir alles regeln können, sobald du wieder zuhause bist."
„Ich weiß, Mom. Ist okay."
Ich hörte sie am anderen Ende der Leitung seufzen.
„Nein, Schatz, es ist nicht okay. Du musst das nicht immer sagen, nur weil du uns keine Sorgen machen willst. Wenn ich dürfte, würde ich dich auch besuchen. Aber ich verspreche dir, wenn du wieder zuhause bist, wird alles anders, okay?"
Ich schluckte die Tränen runter und nickte. Hempton tippte mit dem Zeigefinger auf die Uhr. Gab mir zu verstehen, dass ich aufhören sollte.
„Mom, ich muss jetzt aufhören. Ich hab dich lieb. Wir sehen uns dann, okay?"
„Ich liebe dich auch, Baby. Ich freue mich auf dich, ja?"
„Okay, bye."
Ich legte auf. Hempton scheuchte mich aus seinem Büro.
Ich ging hinunter zum Strand und dachte nach. Wie würde es wohl weiter gehen, wenn ich wieder entlassen werden würde?
„Daisy?"
Avery stand hinter mir. Offenbar merkte sie, das meine Stimmung nicht die beste war. Sie setzte sich neben mich.
„Was ist los?", fragte sie.
„Meine Eltern lassen sich scheiden. Mein Dad ist abgehauen", antwortete ich emotionslos.
Avery schwieg einen Moment, ehe sie fragte: „Willst du drüber reden?"
„Nein, nicht wirklich."
„Okay, dann...kommst du mit zur Feuerstelle? Wir wollen wieder Geheimnissatz spielen", schlug sie unsicher vor.
„Fangt schonmal ohne mich an. Ich komme nach", sagte ich dann.
„Okay, dann bis später", sagte Avery und stand auf.
Sie merkte offenbar, dass ich lieber gerade allein sein wollte. Ich zog die Beine an meinen Oberkörper und legte mein Kinn auf meinen Knien ab.
Wann hatte es eigentlich genau angefangen? Wann hatte mein Dad für sich entschieden, dass ihm diese Familie nicht mehr gut genug war und er lieber solo weitermachen wollte? Warum hatte im Camp angerufen, um Ed alles mitzuteilen? Nur damit er sich mit meinen Fragen nicht mehr auseinander setzten musste? Weil er es nicht ertrug von seiner eigenen Tochter, gefragt zu werden, warum er die Familie zurückließ?
Selbst wenn ich mich scheiden lassen würde, niemals hätte ich meinen eigenen Kindern so beigebracht.
Das Schlimme war, dass Mom in diesem Moment so wütend gewesen war, dass sie ebenfalls nicht darüber nachgedacht hatte, wie sehr es mich verletzen könnte, es auf diese Art erfahren.
Natürlich wusste ich, dass Mom auch nur ein Mensch war und verzieh ihr es auch, aber dennoch nagte es ein stückweit an mir.
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Als ich mich zu den Anderen am Zelt begab, stellte Avery gerade eine Frage an Roxy.
„Roxy, was ist dein Lieblingsfilm und warum?"
„Ist ne Weile her, das ich überhaupt einen Film gesehen habe."
„Bei uns auch, Roxy. Beantworte einfach die Frage", seufzte Louis.
„Ocean's Eleven", antwortete Roxy dann.
„Klassiker, find ich gut. Und wieso ausgerechnet dieser Film?"
„Weiß nicht. Ich schätze, weil Danny Ocean das Unmögliche möglich macht. Und wegen der vielen Details im Film", antwortete Roxanne lässig.
„Ich persönlich mag ja den dritten Teil lieber", sagte ich, während ich mich zwischen Zayn und Niall setzte.
„Du kommst gerade recht. Wir wollten gerade eine neue Runde beginnen."
Harry gab mir ein paar Karten und wir legten eine neue Runde. Avery gewann schon wieder.
„Du schummelst doch!", rief Niall gespielt empört und Avery lachte.
„Ja klar, ich hab einen Röntgenblick und kann alle eure Karten sehen."
Die anderen lachten. Avery wandte sich an mich.
„Daisy, wie kommt jemand so positives wie du eigentlich hierher? Was hast du angestellt?", grinste sie mich an.
Ich errötete.
„Na ja, eigentlich hab ich nur einen Hund retten wollen und dann ist die Sache etwas aus dem Ruder gelaufen", fing ich zögerlich an.
„Inwiefern?"
„Mein neuer Nachbar war ein richtiger Penner. Keiner konnte diesen Typen leiden. Der war unfreundlich zu allen, hat andauernd viel zu laut Musik gehört und immer zwei Parkplätze für sich beansprucht. Wie gesagt, niemand mochte ihn. Und er hatte eben einen Hund, genauer gesagt einen Welpen, der war wirklich süß. Zu dem war er auch nicht besonders nett. Ein paar Mal hab ich das arme Tier im Hausflur gefunden, weil er ihn mal wieder ausgesperrt hat oder weil er zu faul war mit ihm Gassi zu gehen. Ja und dann, kam ich eines Tages nach der Schule nach Hause und hab den Welpen in seinem Auto gesehen. Und an diesem Tag war es schon verdammt heiß. Draußen, waren es mindestens 30 Grad. Der arme Hund lag bereits völlig fertig auf dem Sitz und hat schon ganz flach geatmet. Ich hab dann versucht, das Auto zu öffnen und als ich es nicht so geschafft habe, hab ich mir einen Stein genommen und die Fensterscheibe eingeschlagen um den Hund herauszuholen. Zum Glück, denn dem Hund ging es mittlerweile richtig schlecht", erzählte ich.
„Dann hast du doch nichts falsch gemacht. Wie kam es denn dann, dass du hierhergekommen bist?", fragte Avery überrascht.
Niall unterdrückte ein Lachen und auch die Anderen grinsten bereits. Ich wurde rot. Das war immer der unangenehme Teil an der Geschichte gewesen.
„Na ja, eigentlich wollte ich danach direkt die Polizei rufen und den Mistkerl anzeigen, aber..."
„Aber was?"
„Was ich stattdessen gemacht habe, war vor lauter Wut, über diesen Idioten die Sitze zu zerstechen. Und jemand anderes hat dann die Polizei gerufen. Zwar hat man mir angerechnet, dass ich den Hund gerettet habe, aber wegen den Autositzen habe ich eine Anzeige wegen Sachbeschädigung bekommen. Und da sein Auto wohl richtig teuer war, sind dabei auch acht Monate zusammen für das Camp zusammengekommen."
Avery hob überrascht die Augenbrauen.
„Wow, das war unerwartet", sagte sie dann.
Ich zuckte mit den Schultern.
„Tja, was soll ich sagen? Ich bin eben nicht perfekt."
„Wäre das irgendeiner von uns, wären wir wohl nicht hier."
Und während wir darüber lachten, vergaß ich für einen Moment auch meine aktuelle Sorge.
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Als ich später vor dem Zelt stand und gerade hinein gehen wollte um zu schlafen, kam Harry auf mich zu.
„Ist Avery okay?", fragte er.
Sorge spiegelte sich in seinen grünen Augen. Überrascht sah ich ihn an. Mir war bereits aufgefallen, dass die beiden sich gut verstanden, aber das Harry sich wirklich Sorgen um sie machte, hatte ich vorher noch nicht wirklich bemerkt.
„Ich glaube ja. Sie scheint zumindest wieder die Alte zu sein. Wieso?"
Harry zögerte.
„Sie hatte geplant abzuhauen. Ich hab es ihr erst mal ausgeredet, aber sie schien ziemlich fertig danach", erklärte Harry mir leise.
Ich blickte zum Zelt, wo Avery bereits schlief.
„Sie hat zwar gefragt, warum noch keiner das Camp angezeigt hat, aber ansonsten, hat sie bisher von Flucht nichts gesagt", gab ich zu.
Harry nickte. Er wirkte ein wenig beruhigt.
„Okay, tu mir den Gefallen und pass ein wenig auf sie auf. Ich bin mir nicht sicher, ob sie das hier alleine schafft."
Ich nickte.
„Okay, aber an sich, könntest du auch selber auf sie aufpassen. Du scheinst sie ja zu mögen", grinste ich dann.
„Daisy..."
„Harry, auch wenn das hier nicht unbedingt der ideale Ort ist um sich zu verlieben, passieren kann es trotzdem", lächelte ich.
„Wer sagt denn, das ich in sie verliebt bin? Nur weil du in Liam verschossen bist?", verteidigte er sich sofort.
Ich verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn vorwurfsvoll an. Harry biss sich auf die Lippen und blickte zu Boden.
„Tut mir leid, war nicht so gemeint."
Ich seufzte, nickte aber.
„Ist okay. Ehrlich gesagt, wissen es alle ja sowieso schon. Außer Liam selber", sagte ich müde lächelnd.
„Ich glaube, du hättest schon eine gute Chance bei ihm. Er mag dich auf alle Fälle", versuchte Harry mich aufzumuntern.
„Ehrlich gesagt, ist Liam auch der einzige Lichtblick für mich hier. Ich glaube, ohne ihn und ohne euch, würde ich das hier auch nicht ertragen. Vielleicht braucht Avery auch so jemanden. Wer weiß, vielleicht brauchen wir alle hier jemanden, damit wir das hier irgendwie überstehen."
Harry schwieg einen Moment, ehe unsicher fragte: „Wenn ich an Avery so interessiert wäre, glaubst du sie würde mir eine Chance geben?"
„Ich kenne Avery seit einer Woche. So genau kann ich sie noch nicht einschätzen, aber einen Ratschlag kann ich dir geben. Wenn du ihr näherkommen willst, finde etwas, was du mit ihr teilen kannst. Etwas was euch beiden Freude macht. Das hilft immer."
Harry schien nachdenklich dann nickte er.
„Vielleicht findest du ja auch was, was du mit Liam teilen kannst."
„Vielleicht. Gute Nacht, Harry."
Damit ging ich ins Zelt und ließ Harry draußen stehen.
So, heute leider keine großen Daisy und Liam Momente, aber hoffentlich hat es euch trotzdem gefallen. Da ab dem 1. März ich anfange zu arbeiten, kann es durchaus sein, dass ich erstmal nur noch einmal pro Woche ein Kapitel hochladen kann. Ich hoffe ihr versteht das. Aber um euch eine kleine Freude zu machen, werde ich das 15 und 16. Kapitel am selben Tag hochladen. Allerdings muss ich euch auch warnen, dass das 15. Kapitel schon auf weitere sensible Themen hinweist.
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