Avery
Als Roxanne sagte, dass Ed nochmal über unser Angebot nachdenken würde, glaubte ich ihr nicht. Er wirkte dermaßen überfordert, von unserer Bitte, dass es auf mich wirkte, als würde er grundsätzlich ablehnen, uns zu helfen.
Aber Roxanne hatte schon mehrfach bewiesen, dass sie die Schlauste von uns allen war.
Während wir uns am nächsten Tag überlegten, wie wir die Verletzungen am besten vollziehen konnten, ohne die Flucht zu beeinträchtigen, war Roxy schon einen Schritt weiter. Sie plante bereits die Flucht, von den nächsten drei Personen.
Ich wurde an diesem Tag mit ihr zusammen eingeteilt um Wasser zu holen. Entweder um die anderen Jugendlichen und Betreuer mit Wasser zu versorgen oder um den Abwasch draußen zu machen. Gegessen wurde mittlerweile draußen, da Hempton die Renovierung der Hütten, so schnell wie möglich abschließen wollte. Während Roxanne eine große Plastikwanne mit Wasser aus dem Kanister füllte, sammelte ich das dreckige Geschirr ein und warf es in die zweite Wanne.
„Wäre es nicht besser, wenn nur zwei von uns flüchten? Ich meine, je schneller wir Hempton ans Messer liefern umso besser", fragte ich Roxy leise.
„Hempton wird in Panik geraten, wenn jemand verschwindet und er nicht weiß, wo er suchen soll. Er wird jeden einzelnen von uns ausquetschen und uns bestrafen, wenn es sein muss", erklärte sie mir.
„Und inwiefern ist das gut?"
„Na ja, wenn wir unsere Handys wieder haben, können wir den Missbrauch dokumentieren. Je mehr Beweise desto besser."
„Das ist ja alles schön und gut, Roxy, aber trotzdem...warum reicht es nicht, wenn nur zwei von uns fliehen?", harkte ich nach.
Roxy überlegte einen Moment, ehe sie sich eine rote Haarsträhne hinters Ohr strich.
„Weißt du, zwei straffälligen Jugendlichen schenkt man nicht unbedingt so viel Gehör. Aber wenn 6 oder 8 auf der Matte stehen, sieht die Sache anders aus. Da kommt tatsächlich der Verdacht auf, dass da irgendwas nicht stimmen kann, wenn so viele flüchten. Außerdem, wir sind doch ein Team, oder?"
Sie sah mich abwartend an und ich nickte.
„Ja, klar sind wir das."
„Okay, weißt du, ich bin nicht gut in sowas, aber wir haben das hier zusammen angefangen, oder? Also, sollten wir es auch alle gemeinsam beenden."
Ich wusste, es klang idealistisch und naiv, aber ich verstand, warum sie es so sah. Wir waren ein Team. Wir alle hatten diese Sache geplant, deshalb verdienten es auch alle von hier zu fliehen. Niemand sollte darauf warten müssen, gerettet zu werden.
„Gut, dann wird die Zweierflucht erstmal Plan B, okay?", schlug ich vor.
Sie nickte mir zu. Da trat Ed plötzlich neben uns und musterte den Kanister mit unserem Wasser und warf Roxy und mir einen feindseligen Blick zu.
„Was soll das? Spült ihr unser Geschirr jetzt schon mit dreckigem Wasser?", fragte er plötzlich gereizt.
Verwirrt starrte ich ihn an. Was zur Hölle war sein Problem?
„Das Wasser ist sauber. Wir haben es gerade erst geholt", argumentierte ich.
„Bullshit, Collins, Da ist überall Dreck drin, siehst du?", sagte Ed angriffslustig und ehe ich mich versah, warf er einen großen Klumpen Erde in den Wasser Kanister.
Roxy sprang auf. Ihre blauen Augen funkelten Ed zornig an und ihre Hände waren zu Fäusten geballt.
„Was soll die Scheiße, Sheeran?!", fauchte sie ihn an.
Ich merkte, wie bereits einige Leute zu uns herübersahen, unter anderem auch Hempton. Hastig stand ich und zog Roxy ein Stück zurück.
„Krieg dich wieder ein, Roxy. Das ist es nicht wert!", murmelte ich ihr zu.
„Holt gefälligst neues Wasser und zwar ein bisschen plötzlich, kapiert?", knurrte Ed uns an.
„Gibt's hier ein Problem?", Hempton war zu uns getreten und blickte uns prüfend an.
Man hätte meinen können, dass er und Ed die Rollen getauscht hatten.
„Nein, gar kein Problem. Wir holen einfach neues Wasser. Komm Roxy", versuchte ich die Situation möglichst schnell zu entschärfen und zog Roxy mit mir, während ich den Kanister mit dem verdreckten Wasser mitnahm.
Hinter dem Schulgebäude gab es einen Gully und einen Wasserhahn. Ich kniete mich hin und begann den Kanister auszuleeren. Roxanne stand neben mir, die Arme vor der Brust verschränkt.
Wütend starrte sie ins Leere. Wenn Blicke töten könnten, wäre der Baum vor ihr vermutlich sofort gefällt gewesen.
„Ich kann's einfach nicht glauben!", murmelte sie neben mir komplett fassungslos.
„Was meinst du?", fragte ich.
„Ich habe mich noch nie so in einem Menschen geirrt. Ich liege bei so was immer richtig. Warum ist Ed auf einmal so ein Arschloch?"
„Weil er vermutlich Schiss wegen unserem Angebot bekommen hat und jetzt vor Hempton einen auf harter Kerl macht, damit der keinen Verdacht schöpft. Oder weil er es tut, damit wir nicht weiter versuchen ihn zu überreden", meinte ich ebenfalls frustriert.
„Wir müssen uns was anderes einfallen lassen. Irgendwas wo wir Ed nicht für brauchen."
Der Kanister war mittlerweile beinahe vollständig leer, als ich plötzlich ein metallisches Klirren auf den Gitterstäben des Gullys hörte. Überrascht setzte ich den Kanister ab und sah überrascht eine Plastiktüte auf den Gitterstäben liegen. Die Tüte war luftdicht verschlossen und darin lag ein kleiner Schlüssel. Der Schlüssel für den Schrank im Klassenzimmer. Auch ein Zettel befand sich in der Tüte. Darauf stand: „Morgen, nach Unterrichtsschluss. Sagt mir, was ihr braucht."
Roxanne und ich warfen uns einen Blick zu.
„Anscheinend liegst du doch nicht falsch. Gratulation Roxy, du könntest mal Psychologin werden", meinte ich als ich ihr den Schlüssel zeigte.
Roxy grinste breit und steckte den Schlüssel ein.
„Ab morgen, haben wir die Oberhand. Und danach wieder unsere Freiheit", prophezeite sie mir.
Ich grinste.
„Und wenn wir jetzt Ed's Unterstützung haben, können wir dann unseren ursprünglichen Plan umsetzten?"
„Allerdings, vielleicht kommen wir sogar alle hier weg. Allerdings muss ich zugeben, dass Ed cleverer gehandelt hat, als ich dachte. Uns den Schlüssel so zukommen zu lassen, darauf wäre ich auch nicht gekommen", meinte Roxy stolz.
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Nach der Arbeit präsentierten wir den Anderen stolz unseren ersten Erfolg. Und Roxy erläuterte uns den nächsten Teil ihres Plans.
„In diesem Fall bräuchten wir Ed. Ich hätte nämlich die Idee, dass wir den Großteil unseres Gepäcks auf die kleine Insel bringen, wo das Holz gelagert wird. Ihr habt ja gesagt, dass man euch sehr schnell finden würde. Aber nach Gepäck würde niemand suchen. Meine Idee ist, dass wir es nachmittags dort unterbringen und dann nachts zur Insel fahren, es holen und von dort zum nächsten Wachposten fahren und uns dort von Ed abholen lassen. Er müsste nur für ein paar Stunden den Wachdienst übernehmen und uns dann mit dem Auto hier rausbringen. Und wir bräuchten den Schlüssel für das Bootshaus."
„Meinst du denn, dass Ed uns all das besorgen kann?"
„Das kriegt er bestimmt hin?"
„Wir haben allerdings immer noch nicht die Frage geklärt, wo wir nach unserer Flucht hinfahren? Ich bezweifle, dass wir alle, Geld für ein Hotel haben", meinte Liam zweifelnd.
„Wir reden morgen mit Ed, vielleicht weiß er ja einen Platz, wo wir solange hinkönnen."
„Und wie viele, können diesmal mit?", fragte Zayn.
„Ich glaube, drei Personen wären diesmal gut. Zwei Jungen, ein Mädchen", schlug Roxy vor.
„Okay, einverstanden."
„Und was ist mit den restlichen drei?"
„Da lass ich mir auch noch etwas einfallen, gut wäre es nur, wenn wir die beiden Ausbrüche innerhalb von ein paar Tagen abwickeln, denn ich bin mir sehr sicher, dass Hempton nach der ersten Flucht die Ausgänge noch stärker bewachen wird, also sollten wir uns schnell überlegen wie die restlichen drei danach wegkommen und es muss diesmal ein anderer Weg sein, als bei den Anderen, ansonsten wird Hempton uns ganz schnell finden."
„Die restlichen vier!", sagte plötzlich eine andere Stimme.
Wir alle drehten uns um und sahen zu unserer Überraschung Linda zwischen den Zelten stehen.
„Was?"
„Die restlichen vier! Ich komme auch mit!", sagte Linda entschlossen und stapfte auf uns zu.
Verwundert blickten wir uns an. War das jetzt ihr Ernst?
„Linda, ich glaube nicht, dass das möglich ist", sagte ich behutsam.
Linda war mittlerweile bei der Feuerstelle angekommen und sah uns alle herausfordernd an.
„Oh doch, denn mal ganz ehrlich. Das hier ist kein guter Ort um ein Kind auf die Welt zu bringen und ehrlich gesagt, ich bin es auch leid, mich hier vor Hempton zu fürchten. Ich komme mit!"
„Das kannst du vergessen, Linda!", sagte Roxy ablehnend.
„Hey, ich habe euch auch ein paar Mal geholfen! Jetzt müsst ihr mir helfen! Nehmt mich mit!", meinte Linda aufgebracht.
„Du hast gesagt, du bist raus! Du kannst jetzt nicht einfach wieder rein, weil dir gerade danach ist! Das hättest du dir früher überlegen müssen!", knurrte Roxy.
Beide standen sich gegenüber und starrten sich bedrohlich an. Bevor die Situation weiter eskalieren konnte, schob sich Daisy zwischen die Beiden.
„Leute, kommt wieder runter. Setzt euch beide hin und dann reden wir in Ruhe darüber, okay?", schlug sie sanft vor.
Obwohl Linda und Roxy sich noch immer böse anstarrten, folgten sie beide nach kurzem Zögern ihrem Vorschlag. Als ich sah, dass sich beide ein wenig beruhigt hatten, nutzte ich die Gelegenheit um mit Linda zu sprechen.
„Linda, hör zu. Wir wissen es sehr zu schätzen, dass du uns vorher geholfen hast, aber ich fürchte, dass Roxy Recht hat. Du kannst jetzt nicht einfach mitten in der Planung einsteigen. Wir wissen noch nicht, wie wir dich überhaupt in die Planung mit einbeziehen sollen und ehrlich gesagt, wenn ich mir so überlege, was wir alles tun müssen, glaube ich nicht, dass du dabei sein solltest. Es ist zu gefährlich."
„Dieses Camp ist gefährlich! Ich werde mein Kind dieser Gefahr nicht länger aussetzen. Ich bleibe nicht hier!", sagte Linda wild entschlossen.
„Ach, und woher kommt plötzlich dieser Sinneswandel? Vielleicht verpfeifst du uns ja auch einfach an Hempton, sobald wir dir unseren Plan offenlegen!", meinte Roxy abfällig.
„Ach, halt du die Klappe! Hempton ist der Grund, weshalb ich überhaupt hier bin!", schrie Linda Roxy voller Zorn an.
Sie sprang auf uns funkelte Roxy giftig an. Ich stand ebenfalls auf uns drückte Linda sanft an den Schultern wieder nach unten.
„Mädels, kommt wieder runter. Das bringt doch nichts", versuchte Louis zu schlichten.
„Wovon redest du da eigentlich, Linda? Was hat Hempton getan, um deine Meinung zu ändern?"
Linda blickte einen Moment lang zu Boden, ehe sie uns kühl anblickte und ausdruckslos sagte: „Er hat mich bedroht! Er hat gesagt, dass meine Schwangerschaft keine Entschuldigung sei, dass ich meine Arbeit nicht ordentlich machen würde. Dass ich besser tun sollte, was er sagt, sonst bringt er das zu Ende, was er bei Roxy angefangen hat. Er hat gesagt, er würde dafür sorgen, dass mein Baby in einem Heim landet und nicht zu meiner Schwester kommt. Und dass niemand mir glauben würde, weil ich bereits vorbestraft bin."
„Er wollte dich auch vergewaltigen?", fragte Niall fassungslos.
Linda sagte nichts, aber als sie zu Boden blickte, war das Antwort genug.
„Das hat er mir gestern Abend gesagt. Wenn ich nicht mehr schwanger bin, hat er noch Zeit genug um mich so zu erziehen, wie er es für nötig hält. Da wusste ich, dass ich hier nicht mehr bleiben kann. Leute, ich bitte euch, nehmt mich mit! Ich hab Angst um mein Baby und mich selber!"
Wir brauchten alle einen Moment um das eben erzählte zu verdauen.
„Ihre Schwangerschaft hält ihn nicht auf, das haben wir bereits erlebt!", murmelte Harry nachdenklich, der ins Feuer blickte.
„Linda, ich verstehe, warum du wegwillst, aber ganz ehrlich, ich glaube nicht, dass du in diesem Fall wirklich mithelfen oder mitkommen kannst. Bei uns ist das egal, aber du bist im 6. Monat schwanger und was wir tun ist vor allem körperlich nicht unbedingt ungefährlich. Wir haben nichts zu verlieren, aber du musst dich um den kleinen Menschen in deinem Bauch kümmern", erklärte ich und zeigte bei dem letzten Satz auf ihren Schwangerschaftsbauch.
„Lasst mich nicht hier, bitte. Ich will nicht, dass meinem Baby irgendwas passiert. Ich werde Hempton nichts sagen, ich schwör's!", flehte Linda.
„Das glauben wir dir, aber wenn Hempton schon beim ersten Mal mitbekommt, dass zwei von uns abgehauen sind, wird er jeden, den er im Verdacht hat vermutlich bis aufs Übelste quälen. Das kannst du in deinem Zustand nicht riskieren", erklärte Liam.
„Bitte, lasst mich nicht hier!", Linda brach in Tränen aus und schluchzte.
Ein wenig überfordert blickten wir uns an. Was sollten wir tun? Natürlich verstanden wir ihre Angst und ihren Drang nach Freiheit und Sicherheit, aber bei ihr gab es einfach einen zu großen Unterschied. Wir waren alle jung, körperlich uneingeschränkt und hatte nichts zu verlieren. Linda schon. Konnten wir ihr so etwas gefährliches wirklich zumuten?
Während Daisy Linda im Arm hielt und ihr mit Niall und Liam gut zuredete, zog ich Roxy, Harry, Louis und Zayn ein paar Schritte beiseite.
„Wir können sie nicht mitnehmen. Alles was wir bisher her tun, könnte ihrem Baby schaden", murmelte Louis.
„Aber können wir sie einfach hierlassen? Sie lebt in Angst vor Hempton, das ist bestimmt auch nicht gut für ihr Baby."
„Was mich interessiert ist, können wir ihr trauen? Vielleicht hat Hempton ihr das auch nur eingetrichtert, damit wir all unsere Pläne vor ihr offenlegen", meinte Roxy immer noch misstrauisch.
„Ehrlich gesagt, ich glaube nicht, dass sie schauspielert. Die so dermaßen fertig. Außerdem sind da auch noch die Schwangerschaftshormone. Ich glaube nicht, dass sie uns was vormacht", meinte Zayn.
„Vielleicht finden wir ja noch einen Weg sie mit Ed rauszuschmuggeln. Lass uns das erstmal morgen mit ihm besprechen, okay?", schlug Harry vor.
„Finde ich auch. Vielleicht kennt er ja noch eine andere Lösung", stimmte ich zu.
Roxy sah nicht zufrieden aus, nickte dann aber.
„Okay, gut. Ich überlege mir den dritten Teil unserer Flucht und ihr überlegt, wie wir sie da, mit reinbringen können, aber behaltet sie erstmal im Auge. Ich trau der Sache noch nicht wirklich."
„Okay, einverstanden", seufzte ich.
Und während wir uns zurück ans Lagerfeuer begaben, schien mir unser Erfolg mit dem Schlüssel plötzlich so klein und unbedeutend. Ja wir hatten Ed's Zutrauen gewonnen, aber dafür ein neues Problem. Ein neues Risiko. Und ich war mir nicht unbedingt sicher, ob wir dieses Risiko eingehen konnten.
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Und weiter geht's. Jetzt sind aus acht plötzlich neun geworden. Und jetzt dauert es nicht mehr lange, bis der erste Fluchtversuch beginnt.
Ich hoffe euch hat das Kapitel gefallen, jetzt komme ich auch wieder häufiger zum Schreiben. Das ist allerdings noch nicht alles. Ich bin letzte Woche nach Wiesbaden gezogen und habe einen neuen Job angefangen und bisher gefällt es mir sogar ziemlich gut. Da ich aber montags länger arbeiten muss, werde ich vielleicht zu einem anderen Tag in der Woche neue Kapitel hochladen.
Lg, eure Liz :)
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