Kapitel 4
Die Sterne zeigten sich am klaren Himmel, als die Schüler mit dem Teig am Stock, am Lagerfeuer hockten. Auf dem einen Baumstamm saßen die beiden jungen Frauen, zwischen ihnen Shiro. Sie halfen ihr beim Backen des Stockbrotes. Gegenüber waren die Jungs und die Lehrerin alleine auf eines der anderen Baumstämme. Ethan pustete vorsichtig am vorderen Ende des Brotes und riss ein Stück ab, bevor er erneut pustete und probierte.
»Es ist fast durch, kannst es gleich essen«, teilte er Shiro mit, worauf sie nickte und das Brot vor ihrer Nase musterte.
»Ich hoffe, ihr habt euch Gedanken über den Strand gemacht. Zuvor möchte ich aber, dass jemand von euch die Geschichte unseres Landes zusammenfasst. Und damit meine ich natürlich nicht von der Steinzeit aus, sondern vom „Gold-Schmelzpunkt", wie es von einigen Historikern genannt wird.«
»Wenn ich mich richtig erinnere, dann war der Krieg von 1625 bis 1655. Der Gold Schmelzpunkt fand fast ein Jahr vor Beginn statt, also ... 1624«, kam zuerst Amelia zu Wort.
»Kennst du auch die Bündnisse und den ungefähren Kriegsverlauf?«
»Ah ... nun ... ich hab die Themen leider noch nicht für die Abschlussprüfung wiederholt.«
In diesem Moment hob Jasmine die Hand langsam an und begann auch schon zu sprechen.
»Das Königreich Conchlapiz hatte Jahrelang zuvor Bündnisse mit dem Königreichen Nivis und Maradah geschlossen. Der Süden und der Norden, also Nivis und Maradah, waren aufgrund der ähnlichen wirtschaftlichen Situation Verbündete, trotz unterschiedlichen sozialen Meinungen. Conchlapiz besaß in der Hinsicht keine Verbündete. Das Bündnis, dass es mit den anderen zwei Ländern hatte, war ein Friedensabkommen mit Verhandlungen«, erklärte Jasmine.
»Was man noch hinzufügen kann, ist die Tatsache, dass Conchlapiz eine Nation reich an Rohstoffen wie Edelmetalle und Buntmetalle war«, erklärte James. »Maradah hatte damals als Wüstengebiet wenig bis kaum Rohstoffe. Nivis als Schneegebiet ebenso, abgesehen davon, dass sie zu der Zeit sehr viele Goldfunde machten. Natürlich ist das alles heute ganz anders«,
Am Ende zuckte er nur mit den Schultern.
»Das ist alles richtig, was ihr zwei sagtet. Man merkt, wo eure Stärken liegen. Ethan, fällt dir noch etwas dazu ein?«
»Ah, also...«, er fasste sich am Nacken und schien zu überlegen, bevor er sich ein zweites, kleines Stück vom Brot abriss.
»Meine Mutter hat mir mal erzählt, dass unser Land halt sehr reich war. Vor allem die Insel, die damals alles mit dem Land teilte. Sie sagte, dass unser Volk sehr loyal und die Verbindung zwischen Land und Insel sehr stark damals gewesen sein soll. Vor ein paar Jahrzehnten soll es auch noch so gewesen sein, aber ...«, er aß das abgerissene Stück und sah in die Richtung, wohin es zum Strand gehen würde.
»Das hat sich leider wieder geändert. Oh, und das Land war religiöser. Aber das hat sich glaube ich überall unterschiedlich ergeben.«
»Da hast du Recht. Loyalität und Religion klingen zwar nach weniger relevante Faktoren, aber meiner Meinung nach, hatten genau diese eine große Auswirkung. Kommen wir nun zum Krieg. Kennt jemand von euch den Verlauf? Damit meine ich keine genauen Strategien. Sondern Beginn und Ende.«
Die Schüler schwiegen eine Weile und sahen sich an. In der Zeit begann Shiro am Stockbrot zu knabbern und schien nur gelegentlich den Anderen zuzuhören.
»Frau Ay, ist das eine rhetorische Frage?«, hakte James nach und hob eine Braue an.
»Natürlich weiß das jeder. Davon hört man schon in den Grundschulen. Jeder von uns kennt die Geschichte des kranken Königs und des grauenvollen Kriegs. Du kannst dich schlecht als Conchaner bezeichnen, wenn du diese Geschichte nicht kennst.«
»Dann erzähl mal, ich bin nämlich keine Conchanerin,« erwiderte sie darauf mit gehobenen Brauen und man erkannte, dass sich ein kleines Schmunzeln über ihr Gesicht schlich.
James hielt für einen Moment inne, ehe er seufzte.
»Es begann mit dem plötzlichen Tod der jüngsten Prinzessin. Sie war nicht auf der Insel, als es geschah, also gab der König dem gesamten Volk auf dem Land die Schuld für den Tod der Prinzessin. Obwohl es offensichtlich war, dass es Räuber waren und man diesen Frust nicht auf das ganze Volk auslassen konnte, tat er dies. Er sperrte den Hafen, unterließ Audienzen und behielt nur den Kontakt zu den einzelnen Adeligen. Natürlich traf dies das Volk und die Lage verschlechterte sich. Irgendwann erklärte der König den anderen Ländern den Krieg, mit der Begründung, er fühle sich von ihnen umzäunt. Dieser Krieg lief dann auf den jeweiligen Grenzen, 30 Jahre lang. Irgendwann hissten alle Länder die weiße Flagge, zu müde vom Krieg und der Frieden kehrte zurück. Natürlich war ab da wieder ein neuer König an der Spitze.«
»Das klingt merkwürdig«, hörte man plötzlich die Jüngere sagen. Verwirrte Blicke richteten sich auf sie, während sie mit gerunzelter Stirn zuende kaute.
»Wie kann ein 30 Jahre alter Krieg einfach so plötzlich enden? Und warum wählt man überhaupt einen kranken König?«
»Shiro, vielleicht hast du nicht ganz zugehört, aber es macht Sinn. So lief die Geschichte«, teilte ihr James mit und seufzte, als wäre das Thema zu belanglos, um weitere Erklärungen folgen zu lassen.
»Ich habe zugehört ... also, zwischendurch. Mein Kopf tut noch etwas weh.«
»Ich dachte, es ginge dir besser?«, fragte Amelia.
»Ja, aber jetzt es tut wieder etwas weh.«
»Es ist normal, dass Shiro so eine simple Frage stellt. Dazu muss ich anmerken, dass die Adelsfamilie White Pearl stets weise Könige besaß. Jener König ist der Einzige in der gesamten Geschichte der White Pearl Familie, der als geistlich krank galt.«
In der nächsten Sekunde hörte man etwas in den Sand plumpsen. Es war Shiro's Stockbrot.
»O..Oh! Verzeiht, ich ... Oh nein, mein Brot!«
»Ist schon in Ordnung«, beruhigte Amelia sie und hob das Brot auf.
»Ich würde es an deiner Stelle nicht mehr essen«, meinte Jasmine und zeigte auf das mit Sand und Kohle verschmierte Gebäck.
Shiro schaute schmollend darauf, ehe sie sich seufzend erhob.
»Ich gehe schon einmal schlafen. Ich wünsche euch eine gute Nacht.«
Es legte sich für einen Moment eine Stille in der Luft, als das Mädchen ging.
Shiro's Worte und die der Lehrerin schienen die Schüler zum Schweigen verdonnert zu haben. Sie konnten nicht anders, als sich zumindest einmal die Frage durch den Kopf gehen zu lassen: Haben sie etwas in ihrer Geschichte missverstanden?
»Frau Ay, ich hätte da eine Frage«, sprach Jasmine nach einer Weile.
»Was denken die Anderen Länder über jenen Krieg und allem? Schließlich hat es sie genauso getroffen.«
»In den Geschichtsbüchern steht es nicht viel anders. Aber Im Gegensatz dazu, dass Conchlapiz nach dem Krieg langsam wieder im normalen Zustand zurückgekehrt ist, so wohl wirtschaftlich, als auch vom sozialen Sinne, was es in den anderen Ländern anders. In Maradah war das so, dass es einige Hoch und Tiefpunkte gab. Vor allem jetzt haben wir gerade unseren Hochpunkt. Zumindest, was den wirtschaftlichen Betrag angeht. Aber es gibt da einen großen Unterschied, den wir hier gemacht haben«, erzählte sie und blickte ins Feuer.
»Unsere Älteren erzählen diesen Krieg sehr negativ, was den Zustand des Landes Conchlapiz anging. Zumindest jene, die an der Grenze lebten. Sie sagten, das Land, dass einst so funkelte und glänzte, schien versunken worden. Als hätte ein Fluch es in die tiefe des Meeres gezogen.«
»Ein...Fluch?«
»Es ist eine Metapher«, erklärte Jasmine ihrer Freundin, worauf diese verständnisvoll nickte.
»Ich bezweifle, dass es als Metapher gemeint ist. In meinem Land glaubt man sehr stark an die Existenz von Flüchen und an ihre Auswirkungen.«
James sah bei diesen Worten seine Lehrerin irritiert an.
»Das ist doch nur Aberglaube oder so ein Unsinn. Hier glaubt man schon lange nicht mehr an so etwas«, kommentierte James mit runzelnder Stirn.
»Das ist nicht das Einzige, an das man hier seit langem nicht mehr glaubt«, erwiderte die Lehrerin darauf und biss in ihr Stockbrot.
»Oh, der Teig ist tatsächlich sehr gut! Sie haben Recht, kein Stockbrot ist besser, als das aus Conchlapiz!«
Ethan biss ebenso in sein Brot und schien mit seinen Gedanken noch tief im Thema. Egal wie oft er es sich durch den Kopf gehen ließ; er verstand es nicht.
Das, was Frau Ay sagte, machte irgendwie Sinn. Und doch konnte er die Puzzleteile nicht zusammenlegen. Als hätte man sie ihm weggenommen.
»So, noch eben ein Geschichtsquiz, bevor wir hier aufräumen und zu Bett gehen.«
Der Enthusiasmus der Lehrerin hielt eine ganze Weile an.
Am Ende war es der Verlierer, also Ethan, der alles aufräumen musste.
James blieb schließlich vor Ort blieb, aber nicht, um seinem Freund zu helfen. Er blieb dort sitzen und warf ständig irgendwelche lustigen, manchmal auch etwas fiese Kommentare, um sich selbst bei Laune zu halten. Am Ende gingen auch sie zurück in ihre Hütte und es wurde totenstill auf jenem Platz.
Es war mitten in der Nacht, als Amelia aus ihrem Schlaf erwachte. Mit halbgeöffneten Augen warf sie einen Blick auf die Uhr an der Wand. Die Uhr schlug genau drei Mal.
Sofort ließ sie ihren Kopf wieder zurück in ihren Kissen fallen. Doch dann schrak sie auf und warf einen erneuten Blick um das Zimmer. Ihre geweiteten Augen verharrten auf der unteren Matratze des Hochbettes. Die Decke war zur Seite geschoben, der Kissen leer.
»Ja...Jasmine ...«, stotterte sie in die Stille herein.
»Jasmine!«
»Mh?«, grunzte sie müde zurück.
»Jasmine, wach schnell auf! Komm schnell runter!«
»Amelia! Ich will doch nur Schlafen«, jammerte sie. Im nächsten Moment spürte die Blonde das Hochbett etwas rütteln und sah zwei Füße, die von der Leiter ihres Hochbettes herunter gingen.
»Was denn?!«
»Shiro... Sie ist weg! Shiro ist weg!«
»Shiro ...?«, die Verschlafene drehte sich um und als sie das leere Bett vorfand, schrie sie auf.
»Shiro! Wo ist sie?!«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Amelia genauso panisch darauf und stand vom Bett auf.
»Aber wir sollten sie schnell suchen gehen! Si...Sicherlich ist sie nur kurz rausgegangen, um frische Luft zu schnappen, oder?«
»Hoffentlich.«
Doch egal wir oft sie sich vor und hinter den Hütten umschauten, das junge Mädchen mit den roten Haaren war nirgendwo zu sehen. Amelia umklammerte ihre Strickjacke, als sie sich weiter von den Hütten fortbewegte und sich mit hastigen Umdrehungen umsah.
Da erblickte sie Fußabdrücke im Boden. Zuerst wunderte sie sich, ob es in der Nacht geregnet habe, doch dann wandte sie sich zu Jasmine.
»Jasmine, komm schnell!«
Sofort rannte sie zu ihrer Freundin.
»Diese Fußabdrücke ... Sie muss zum Strand gegangen sein.«
Beide warfen sich Blicke, als würde sich ein Albtraum in ihrem Kopf abspielen.
Sie zögerten nicht trotz Dunkelheit und sprinteten durch den Waldpfad, bevor sie den Strand erreichten.
Da erblickten sie sie. Ihr Nachtkleid wehte im Wind und ihre grünen Augen lagen in der Ferne. In Amelias Magen breitete sich großes Unbehagen aus, als sie sich vorsichtig dem Mädchen näherten. Dieses Gefühl wurde immer größer, je näher sie dem regungslosen Mädchen kamen. Und erst dann erkannten sie die Tränen, die ihr Gesicht hinunterliefen.
»Shiro-«, doch da stoppte Amelia ihre Freundin.
»Sie...Sie schlafwandelt, glaube ich.«
Das Zittern in ihrer Stimme war klar zu hören. Die Beiden beobachteten sie erst. Wie vereist rührten sie ihre Augen nicht von ihr. Doch als sie ein leises, dann lauter werdendes Lachen hörten, erschauderten sie am ganzen Leibe.
Das Mädchen im langen Kleid fasste sich am Kopf und kicherte unter Tränen, als sie langsam aufsah. Doch im Anblick des Himmels verstummte sie.
Ihre Augen ruhten in den Sternenhimmel, ihre Tränen stoppten allmählich. Doch als man jene Worte von ihr vernahm, stach eine unglaubliche Kälte in die Körper der Mädchen und jedes einzelne Haar stieg ihnen zu Berge.
»Sollte ich sterben...?«
Ihr Blick wich langsam vom Himmel ab. Und ihre nackten Füße bewegten sich auf das Wasser zu. Wie ein Schlag eilte Amelia zu ihr und packte sie an den Armen, um sie zurück zu ziehen. Doch als läge eine unglaubliche Stärke um ihren Körper, kam sie kein Stück zurück.
»Jasmine, schnell!«, schrie sie zu ihrer Freunden, die erneut auf schrak.
»Hol Hilfe! SCHNELL!«
Ihre Augen wurden ganz rot und ihr Körper zitterte, doch sie nickte und rannte den Weg zurück.
»Shiro! Shiro, hör mir zu!«
Doch das Mädchen bewegte sich weiter nach Vorne. Ihre Augen lagen weit weg, als lege kein Leben in ihnen. Amelia versuchte mit aller Kraft sie zurück zu ziehen, doch es brachte kaum etwas. Und da spürte sie erneut diese Rufe. Rufe nach Aufmerksamkeit. Ihre Augen sahen zur Perle und ehe sie sich versah, ließ ihr Griff locker. Im nächsten Moment riss das Mädchen ihren Arm aus ihren Händen und berührte im nächsten Schritt die Wellen.
Der Schreck ließ sie zu Boden fallen und mit stockendem Atem sah sie, wie das Mädchen mit den Knien allmählich das Wasser erreichte.
Sie schritt immer tiefer ins Wasser, mit dem Blick in den Nebel.
Genau da hörte man die Rufe der Anderen und ehe sie sich versah, half Jasmine ihr wieder auf. James und Ethan griffen in der Zeit auf beide Seiten nach den Armen des Mädchens. Sie biss sich auf die Zähne und knurrte, als sie versuchte sich von ihnen zu lösen.
»Shiro, was ist mit dir?!«, sprach Ethan auf sie ein, doch sie reagierte nicht. Ihre Augen lagen noch immer auf ihr Ziel, in der Ferne.
»Sie.. Sie sagte, sie müsse sterben«, sprach Amelia, worauf Ethan mit geweiteten Augen zu ihr sah. Dann bis er die Zähne zusammen und ließ von ihrem Arm ab.
Plötzlich hielt er mit beiden Händen ihr Gesicht und zwang sie mit einem Mal, ihn anzusehen.
»Sag niemals, dass du sterben solltest! Niemals«, schrie er und seine Stimme bebte unterm Rauschen des Meeres. »Dein Leben ist ein Geschenk! Wie kannst du es wagen, es einfach wegzuschmeißen? Wenn du nicht Leben solltest, dann würde dein Herz längst nicht mehr schlagen!«
Ihre Augen leuchteten langsam wieder auf. Die letzten Tränen liefen noch über ihre Wangen, ehe sie schwach zu ihm hoch sah.
»Ethan...?«
Und da sackte sie mit geschlossenen Augen in sich zusammen. Der Junge ging nur in letzter Sekunde auf die Knie, und hielt sie so vor dem Aufprall ab.
»Shiro«, kam es besorgt von den Anderen.
Ethan musterte sie nur in seinen Armen, als er etwas feststellte.
»Sie... sie schläft.«
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