Kapitel 2
Die Augen des Burschen lagen wie vereist auf jener erloschenen Person. Ihr halber Körper drohte mit jeder Welle beinahe zu verschwinden und ihr feuerrotes Haar lag im Sand vergraben. Der Wind schlug ihm plötzlich ins Gesicht und das Rauschen des Meeres ließ ihn erneut aufschrecken. Seine Schritte wurden schneller und ehe er sich versah, stand er vor ihr. Mit zittrigen Beinen kniete er sich zu ihr hinunter.
»Hey...!«, brachte er nur heraus.
»Was ist mit dir..?«
Er reichte seine Hand nach ihr aus, doch verhakte sie in der Luft. Ein merkwürdiges, vertrautes Gefühl ließ ihn inne halten.
»Alles gut«, nahm er eine ruhige Stimme neben sich wahr.
»Sie wird sicher wieder aufwachen«, fuhr sie fort und als er sich umdrehte, fand er Amelia neben sich vor. Sie hielt die Hand des Mädchens und messte ihren Puls. Sie nickte ihm mit einem kurzen, aber bemerkbaren Lächeln zu, worauf seine verkrampften Züge sich auflockerten. Schließlich fuhr sie fort, indem sie sachte den Kopf des Rotschopfs nach hinten neigte und gleichzeitig den Kinn anhob, sodass der Mund sich öffnete. Daraufhin beugte sie sich zur Bewusstlosen hinunter, mit dem Ohr über Nase und Mund, um so den Atem erhören zu können. Dabei hielt sie ihren Blick auf dem Brustkorb gerichtet, um zu sehen, ob dieser sich hebe. Mit der Wange überprüfte sie, ob die Atmung zu spüren ist.
»Ihr Atem ... ist ziemlich schwach. Und ihr Körper ist kalt.«
Auch wenn Amelia ihr besorgtes Gesicht versuchte zu verbergen, so erkannte Ethan dennoch die Gefahr in ihren Worten. Mit einem Mal zog er seine Jacke aus und hielt sie über das Mädchen.
»Warte-!«, platzte es aus Amelia und hob ihre Hand dazwischen.
Ethan stoppte und sah verwirrt zu seiner Freundin. Doch ihre Augen waren auf etwas ganz anderes fixiert. Als er ihnen folgte, erblickte er um den Hals des Mädchens eine goldene Kette mit einer rosaroten Perle. Beide verfielen dem Schweigen und das Einzige, dass zu ihnen sprach, war der Schrei nach Aufmerksamkeit, der von der Perle ausging.
Schlagartig gewann Ethan wieder an die Kontrolle seiner Augen, als er die Rufe seiner Freunde hörte. Im nächsten Moment legte er seine Jacke auf das Mädchen und verbarg so auch das Erscheinen der Perlenkette.
»Wir müssen schnell zurück, Amelia«, sprach er sie an, als sie mit ihren Augen auf blinzelte.
Dann nahm er achtsam die Schultern und die Beine der Bewusstlosen zur Hand, ehe er sich aus seiner Hocke erhob und sie trug.
»Ethan, warte..!«, brachte die junge Frau hinter ihm nur heraus, als er einige Schritte vorging.
Die Sonne schien auf den Jungen und er musste seine Augen zusammenkneifen, um Amelia anzusehen, als er sich zu ihr umdrehte.
»Etwas stimmt hier nicht!«
»Etwas stimmt hier nicht..? Natürlich nicht. Sie braucht unsere Hilfe.«
»Unsere..?«, brachte sie nur fragend hervor und fasste nach ihrem Herzen.
»Ja. Also komm schnell.«
Sie nickte nur langsam, ehe sie ihm folgte.
Als sie auf die Anderen trafen, brachten sie die gefundene Person in die Hütte der Lehrerin.
Die Lehrerin und Amelia kümmerten sich um sie und versprachen den Anderen, dass sie sie rufen würden, sobald sie aufwachen würde. Es war eine unterdrückende Stimmung in der Luft, die aus Sorge zum Mädchen entstand. Keiner kannte sie, doch wäre es ein furchtbares Gefühl zu wissen, dass das Mädchen bei ihnen sterben würde. Was wäre passiert, wenn sie sie nicht gefunden hätten? Sie wäre wahrscheinlich nach einer Weile gestorben und sie hätten es erst ganz spät erfahren. Dieser Strand war schließlich ein Besonderer und hier eine Tote zu finden, ähnelte einer Tragödie.
Als die Sonne dabei war unter zu gehen, klopfte es an der Hüttentür der Jungs. Sofort öffneten sie diese und erblickten Frau Ay mit Jasmine und Amelia. Ehe die Lehrerin zu ende reden konnte, rannte Ethan auch schon hinaus zur Hütte der Lehrerin, wo das Mädchen untergebracht wurde und hinterließ so irritierte Gesichter.
Mit einem Mal riss er die Tür auf und nahm nicht weit von ihm ein Quieken wahr. Das Mädchen zog erschrocken die Hände zu sich, als sie vom Fenster absah und sich zu ihm umdrehte. Ihr erschrockener Ausdruck erinnerte ihn an ein kleines, weißes, verängstigtes Häschen. Seine Hand war mit der Türklinke zugewachsen, als er sich kein Stück vom Platz rührte und sie nur blinzelnd ansah.
»Eh...«, gab er nur von sich, als er peinlich berührt realisierte, dass er nicht nur sie, sondern auch sich selbst überrumpelt hatte. Dennoch ließen seine Augen nicht von ihren ab, so wie auch ihre nicht von seinen. Für einen Moment schien die Zeit stehen zu bleiben, als er in ihren smaragdgrünen Augen sah. Langsam schlich sich ein blasses Bild in seinem geistigen Auge. Doch noch bevor er es erkennen konnte, verschwand es.
»Steh hier nicht so wie angewurzelt herum«, hörte er hinter sich James und kam so zurück aus seiner Starre, worauf er zur Seite stolperte und die Anderen ebenso eintraten. Die Tür schloss sich und eine Stille herrschte im Raum. Die Anwesenden musterten das rothaarige Mädchen und schienen nicht zu wissen, wie sie sie ansprechen sollten. Selbst Frau Ay, die sich auf einem Stuhl niederließ, beobachtete die Reaktionen der Schüler.
»Tut mir Leid, ich wollte dich nicht erschrecken...«, kam es nur von Ethan, als er sich dem Mädchen näherte. Jene drückte sich aber im leichten Misstrauen weiter ans Fenster hinter sich und folgte mit ihren Augen seine Bewegungen. Sofort hielt er inne und fasste sich mit gesenktem Blick am Nacken. »Natürlich hast du Angst vor uns, das macht Sinn ... aber wir sind wirklich hier, um dir zu helfen...«, vorsichtig blickte wieder zu ihr auf.
»Ehm ... Wie heißt du ?«
Bei diesen Worten des Jungen verschwand jegliches Misstrauen aus dem Gesicht des Mädchens und stattdessen schaute sie nun verwirrter drein.
»Ich heiße...-«, doch da stoppte sie. Ihre Augen blickten an ihm vorbei und wechselten hastig von Stelle zu Stelle. Immer wieder setzte sie zum Sprechen an, doch diesen Satz brachte sie nicht zu Ende. Nicht so, wie man es gerne hätte. Und schließlich weiteten sich ihre Augen.
Mit dem Blick zu Boden legte sie zitternd ihre Finger auf ihre Lippen, bevor sie wieder auf sah.
»-ich weiß es nicht.«
Alle sahen ihr Unbehagen an und versuchten ihre Sorge nicht nach Außen zu tragen, bevor Ethan weiter fragte.
»Du weißt es nicht? Weißt du denn was passiert ist oder wo du her kommst?«
Sie runzelte ihre Stirn, bevor sie ihren Kopf kräftig schüttelte.
»Auch nicht dein Alter?«
Erneut schüttelte sie den Kopf und vergrub ihre Hände tief in ihr silbernes Kleid, wodurch sich Falten bildeten.
»Nichts... Alles ist schwarz. Alles ist weg... Nichts, ich weiß nichts mehr.«
Die Mitschüler wechselten nachdenklich ihre Blicke. Es fiel ihnen schwer, ein bekümmertes Seufzen zu unterdrücken.
»Wir brauchen derweil einen Spitznamen für sie, bis sie ihren richtigen Namen weiß«, wechselte Amelia das Thema und überlegte.
Die Sicht des jungen Mannes wanderte beim Nachdenken erneut zum Mädchen. Auch wenn ihre Locken und ihre Kleidung sie erwachsen aussehen ließen, so erkannte man beim genaueren Hinsehen, wie kindlich und jung sie doch war. Ihr Körper war genau so zierlich wie ihre Haltung. Ihre großen, rosa Wangen unter ihren gläsernen Augen machten ihr Gesicht runder. Sie war kurz davor, sich in einer Ecke zu verkrümeln und nicht mehr heraus zukommen. Dann beobachtete er die angespannten und nachdenklichen Blicke seiner Freunde.
Ein Seufzen entfloh ihm, als er etwas feststellte.
»Sie ist doch nur ein Kind ...«, murmelte er.
»...und wir machen ihr nur mehr Angst.«
Der Junge atmete tief ein und aus, ehe er einen aufgeregten Ton von sich gab, als wäre ihm etwas Tolles eingefallen. Sofort riss er die ganze Aufmerksamkeit auf sich.
»Wie wäre es mit Shiro? Ist ein guter Name, nicht wahr? Natürlich, kommt ja auch von mir.«
Alle sahen ihn völlig irritiert an, bevor sie darauf eingehen konnten.
»Du meinst doch nicht etwa deinen Hasen, der dir vor paar Jahren weglief?«
James sah seinen Freund unglaubwürdig an, doch Ethan schien mit einem verspielten Blick nicht von seiner Idee abzulassen.
»Doch, genau sie meine ich«, ließ er die Anderen über seine Worte stolpern.
»Also lass sie uns Shiro nennen! - Bist du damit einverstanden?«, fragte er nun das fremde Mädchen. Im Gegensatz zu den Anderen schaute sie nicht entsetzt über seiner Idee aus.
Im Gegenteil; sie versuchte das Funkeln in ihren großen Augen zu verbergen, indem sie zu Boden sah. Erneut umklammerte sie ihr silbernes Kleid.
»Bis... Bis ich mich an meinem Namen erinnern kann, werde ich dankend diesen niedlichen Spitznamen annehmen«, antwortete sie höflich und doch etwas zurückhaltend auf die Frage des Jungen. Ihre Hände umklammerten nun feste einander, während sie da alleine stand.
»Nur zu.«
Ethan grinste sie aufmunternd an, worauf sie zu ihm aufblickte. Sie musterte ihn eine Weile überrascht, ehe ihre Gesichtszüge lockerer wurden. Doch dann schauten Beide herüber zu Amelia, als diese mit Jasmine über den Zustand von Shiro sprach.
»Ist es Amnesie?«, hörte man die sorgenvolle Stimme Jasmines, worauf Amelia nickte.
»Mal sehen, vielleicht braucht sie einfach nur etwas Zeit und Ruhe. Aber hast du sonst irgendwelche Schmerzen?«, fragte Amelia sie dann, worauf Shiro ihren Kopf schüttelte und zu ihren eingehakten Fingern sah.
»Ach ja, wir haben uns noch gar nicht vorgestellt«, kam es heiter vom Jungen und ein warmes Lächeln schmückten seine Worte. »Mein Name ist Ethan und das kluge Mädchen hier ist Amelia«, stellte er sich und Amelia vor, wobei jene nur schüchtern mitspielte.
»Mein Name ist Jasmine und der Pfosten neben mir ist James-«, kam es freundlich von Jasmine, doch bei dieser Bemerkung verpasste James ihr einen Schlag auf den Kopf, worauf das Trubel zwischen den Beiden erneut startete. Die Stimmung lockerte sich weiter auf, als die Freunde darüber herzlich lachten.
»Verzeihung, Amelia ...«, sprach Shiro sie zaghaft an, worauf Amelia aufhörte zu lachen und verwundert zu ihr herunter sah. »Sind Sie vielleicht Ärztin?«
»Bitte? Warum siezt du mich denn?«
»Huh? Sie wirken nun mal so ... erwachsen. Ich dachte, das sei angemessen.«
»Ja, aber ... ich glaube nicht, dass unser Altersunterschied so groß sei, dass du mich siezen brauchst. Amelia reicht. Und nein, ich bin keine Ärztin«, erklärte sie ihr hastig und durchlief ihr geflochtenes Haar.
»Trotzdem ist sie in der gesamten Schule als Ärztin bekannt! Nicht wahr, Frau Hartz?«, kam nun Ethan mit einem Grinsen hinzu, worauf Amelia's Kopf ganz schnell die Farbe einer Tomate annahm.
»Man, Ethan! Die nennen mich alle nur wegen dir so«, schmollte sie und murmelte:
»Warum erzählst du auch jedem, dass meine Eltern Ärzte sind?«
»Ich glaube, das wusste auch so schon jeder«, erwiderte er darauf und sah langsam zu Shiro.
Zufrieden stellte er fest, wie ihre Gesichtszüge sich zu entspannen schien, als sich ein kleines Lächeln auf ihr Gesicht schlich. Ihr Blick schien um den Raum zu schweifen.
»Ich möchte mich bei euch bedanken«, und mit diesen Worten erlangte sie von jedem die Aufmerksamkeit, auch die von James und Jasmine.
»Habt vielen Dank. Ohne euch wäre ich sicher nicht mehr hier.«
Sie legte ihre Hand auf ihr Herz und strahlte eine edle Aura aus.
Die Anwesenden sahen sie nur mit offenem Mund und blinzelnden Augen an. Es war schließlich die Lehrerin, die ihr mitteilte, dass es Ethan war, der ihr half. Als sie dies hörte hielt sie inne und drehte sich hastig zum Jungen um, dieser bis vor eben noch zu scherzen pflegte. Doch nun sah auch er etwas nervös zu ihr hinunter. Sie legte schließlich beide Hände auf ihr Herz.
»Ich ... Ich danke dir vielmals für meine Rettung.Wärst du nicht da gewesen, dann wäre ich ... ich wäre wahrscheinlich ...«
Weiter sprach das Mädchen nicht. Ihr Blick, der bis eben noch auf seinem respektvoll lag, schaute wieder zu Boden. Ihre Augen, die so ängstlich umher schimmerten, waren so grün wie Smaragde. Das rote, lockige Haar stand in alle Richtungen und ihre Haut war blass und verdreckt.
Ethan kratzte sich an seinem Kopf und sah nachdenklich zu Boden. Er wusste nicht warum, aber bei ihrem Anblick überkam ihn ein nostalgisches Gefühl, immer und immer wieder. Wahrscheinlich lag dieses Gefühl schon auf seiner Brust, als er sie zum ersten Mal sah.
»Schon gut ...«, kam es schließlich von ihm.
»Ich habe nur das getan, was jeder an meiner Stelle gemacht hätte.«
Sie hörte ihm aufmerksam zu, doch als sie sich an etwas zu erinnern schien, wandte sie sich kurz ab und holte schließlich eine Jacke, die sie dem Burschen entgegen hielt
»Ehm ... ist diese Jacke dann vielleicht deine?«
Ethan sah sie überrascht an, als ihm wieder einfiel, dass er ihr seine Jacke gegeben hatte.
Er nickte schließlich und nahm die Jacke dankend von ihr an.
»Warum riecht sie nach Lavendel?«
»Oh, meine Familie leitet einen Blumenladen und Lavendelbeutel liegen bei uns überall im Haus herum... wahrscheinlich deshalb«, antwortete er ihr darauf und als er ihren Blick trotz Nicken immer noch auf seiner Jacke fand, schaute er sie mit gehobener Braue an.
»Warum? Magst du Lavendel? Willst du vielleicht meine Jacke haben?«
Hastig schüttelte sie ihren Kopf und hielt die Hände ablehnend in die Luft.
»N-Nein, das ist deine! Es ist nur ... dieser Duft ist so beruhigend.«
»Vielleicht magst du ja Lavendel?«, fragte sie nun Jasmine, worauf Shiro kraftlos mit den Schultern zuckte.
»Nun ja, Lavendel haben halt eine beruhigende Wirkung, das ist normal.Aber es wäre schön, wenn sie sich mithilfe ihrer Sinne wieder an ihr Leben erinnern könnte«, erklärte Amellia freundlich.
»Aber Shiro, du möchtest sicher ein Bad nehmen und frische Kleidung haben, nicht wahr? Wenn du willst, dann kannst du bei Jasmine und mir in die Hütte unterkommen. Nicht wahr, Jasmine?«
»Klar! Du kannst dann auch ruhig Kleidung von mir bekommen. Amellias wären dir sicher zu groß, aber du und ich scheinen die selben Größe zu haben.«
»Du hast gerade hiermit wieder bewiesen, dass du ein Zwerg bist«, kommentierte James, worauf Jasmine ihn mit runzelnder Stirn böse anfunkelte.
»Es können ja nicht alle so groß wie du oder Amellia sein!«
»Ich ... Ich bin tatsächlich zu groß, nicht wahr? Warum muss ich bloß die Gene meines Vaters haben? Es liegt an diesen blöden HGMA2-Gene...«
»Es geht wieder los ...«, seufzte Ethan, doch konnte er sich das Schmunzeln nicht verkneifen.
»Was geht wieder los? Wovon spricht sie da?«, fragte Shiro sichtlich irritiert, als sie das fortsetzende Gemurmel von Amelia versuchte zu verstehen.
»Sie ist die Tochter von zwei Ärzten, mehr gibt es da nicht zu erklären.«
»Nein, nein. Ich meinte das nicht so, Amellia! Du hast eine tolle Größe, wirklich tolle Gene!«
»Aber du hast gerade gesagt-«
»Vergiss was ich gesagt habe! Schau, selbst Shiro ist total verwirrt!«
Jasmine zeigte auf das junge Mädchen in der Gruppe, diese mit großen Augen die Beiden nur perplex ansah.
»Oh verzeih ...«, entschuldigte Amellia sich bei ihr.
Jasmine entfloh ein seufzen.
»Wir sollten uns aber jetzt wirklich ausruhen gehen«, meinte sie und griff nach der Hand von Shiro.
»Komm Shiro, lass uns gehen.«
»Ist es weit von hier?«, fragte sie Jasmine, doch drehte sie sich dabei kurz zu Ethan um, der ihren Blick mit einem Winken erwiderte.
»Alles gut, es ist direkt neben an«
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