Kapitel 15
Die Regentropfen prasselten an den Scheiben der vergessenen Stadtbibliothek und machten den Zuhörern mit jedem Schlag erneut bewusst, wie traurig dieses Land doch manchmal war. Auch wenn jene Regentropfen in der stillen unteren Bibliothek nicht wahrgenommen werden konnten, so spürte die junge Frau mit dem dunklen blonden Haar den Druck auf ihren Schultern lasten. Sie seufzte, als sie ihren Kopf an ihrem Arm abstützte und in ihr Notizbuch etwas schrieb. Dann rieb sie sich die Schläfen und verzog die Brauen, als sie einen weiteren Blick auf das Buch richtete.
,,Wie kann es sein, dass ich Ihnen immer bei Regen begegne?"
Es war wieder diese klare, männliche Stimme, die sie von hinten ansprach. Doch dieses Mal schien die junge Frau nicht überrascht. Sie sah hinter sich zu ihm auf und versuchte ihm freundlich anzulächeln und zu begrüßen, was bei den leichten Kopfschmerzen schwierig war.
,,Das ist sicherlich schon das dritte Mal, nicht wahr?"
Er nickte lächelnd, wobei es immer breiter wurde, als er sich an etwas zu erinnern schien.
,,Mir hat mal jemand gesagt, dass wenn man eine Person zum dritten Mal zufällig begegnet, es sich um Schicksal handelt."
Sie blinzelte verwundert auf und drehte sich wieder zum Tisch um, als ihr Kopf neben den Schmerzen auch etwas wärmer wurde.
,,Und was will uns das Schicksal damit sagen? Falls es existieren sollte", erwiderte sie hastig, aber höflich darauf. Sie starrte auf ihre Notizen, doch als sie hörte, wie der Stuhl gegenüber von ihr weggezogen wurde, sah sie zaghaft auf. Er hatte sich mit seinen ruhigen und höflichen Zügen gegenüber von ihr gesetzt.
,,Also, ich glaube an Schicksale", sprach er gelassen und es schien schon fast so, als würde sein höfliches Lächeln nicht vom Gesicht verschwinden. Amelia wusste nicht ganz, was sie darauf erwidern sollte. Allein sein Erscheinen war schon sonderbar und dass er diese Dinge sagte, verwirrte sie noch mehr. Die Situation, in der sie sich befand, stresste sie schon genug. Schließlich hatte sie von Shiro erfahren, dass sie tatsächlich die Prinzessin Lavandula war. Seitdem hatte sie sie nicht mehr besucht und fokussierte sich umso mehr auf das Geheimnis hinter allem, auch wenn sie sich überarbeitete. Aber seine charmante und doch ruhige Art wirkte auf der einen Seite beruhigend und auf der Anderen irritierte es sie. Noch bevor sie etwas darauf erwidern konnte, nahm sie ein Räuspern aus der Richtung der Stufen war und schwere Schritte, die sich ihr näherten. Als sie sich umdrehte, blieb ihr Herz bei der Begegnung des alten Greises beinahe stehen. Sie hatte ihn sonst immer nur an der Rezeption gesehen, ihn aber jetzt hinter sich stehen zu haben und seine eisigen Augen auf sich gerichtet zu spüren, ließ sie erfrieren.
,,Warum so erstarrt? Das ist immer noch meine Bibliothek, verstanden?!"
Die bissigen Worte des Greises zogen den Knoten in ihrer Zunge auseinander.
Schon beinahe panisch sprang sie auf, als sie sich verbeugen und entschuldigen wollte.
,,Sie haben Recht", unterbrach Daniar sie. ,,Entschuldigen Sie die Stören und danken Sie vielmals dafür, dass wir diese wertvollen Quellen benutzen dürfen."
,,Hm...", kam es nach einer Weile vom alten Mann, ehe er sich zu den Regalen bewegte.
,,Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen", fügte er noch hinzu, bevor er weiter hinten begann, ein paar Bücher zu sortieren.
,,Verzeihen Sie, aber er meint es nicht übel", entschuldigte Daniar sich bei ihr, doch sie schüttelte nur beschämt den Kopf.
,,Ich war nur etwas überrascht ihn hier zu sehen, das ist alles."
,,Ihn hier zu sehen? Aber er war doch immer hier, wenn wir hier waren?"
Amelia verstummte. Sie konnte sich nicht daran erinnern ihn hier gesehen zu haben.
,,Aber ... meinten Sie nicht, als wir uns das erste Mal hier trafen, dass er unterwegs sei? Wie kann er dann da gewesen sein?"
,,Habe ich das gesagt?"
,,Ja, haben Sie!"
,,Dann bestimmt nur, weil ich Sie da nicht kannte. Er war hier im oberen Bereich", antwortete er und an seinem ruhigen Blick schien sich nichts zu ändern. Er blickte dabei nachdenklich nach oben, zu dem anderen Abteil. Als er dann wieder zu ihr sah, schien seine Ruhe verschwunden zu sein.
,,Na...Natürlich hat er unsere Gespräche nicht belauscht! Ich meine, das kann ich nicht versprechen aber ... verzeiht! Es kommt jetzt sicher so herüber, als hätte ich Sie belogen und würde Ihnen misstrauen ... aber, es ist mir nicht erlaubt mit einer Person alleine zu bleiben, schon gar nicht mit einer Frau. Deshalb war er immer hier, bitte versteht."
Amelia sah nachdenklich zu ihm und die Irritation, die auch leicht mit Enttäuschung und Wut gemischt war, verblasste allmählich. Als sie da sah, wie er versuchte sich ihr gegenüber so ehrlich zu rechtfertigen, als wäre es ungemein wichtig, dass sie die Situation nicht missverstehen würde, wurde das negative Gefühl auf ihrer Brust leichter. Ein leichtes, aber freundliches Schmunzeln schlich sich über ihren Lippen, als sie wieder nach dem Buch griff.
,,Ich verstehe das. Sie können auch gerne schon einmal meine Notizen lesen."
Wenn sie so darüber nachdachte, war es dann vielleicht doch ganz gut, dass der alte Mann die ganze Zeit über da war. Schließlich war es nicht angebracht, für ein Mann und eine Frau alleine an so einem Ort zu sein, auch wenn sie nicht aus romantischen Gründen hier waren. Auch wenn Concha diesen Dingen gegenüber lockerer geworden war, so tat es auch mal dem Gewissen ganz gut, an Regeln und Vernunft erinnert zu werden.
So widmete sie sich wieder dem Buch und suchte nach den Zeilen, in diesen sie aufgehört hatte zu lesen. Sie war bei eines der Briefe der Kronprinzessin angekommen, die an ihrem Liebhaber gerichtet waren. Die Briefe waren nach Datum sortiert und obwohl es Einige zu fehlen schienen, erkannte man bei diesem hier, dass es eine Antwort auf den Vorherigen Brief, zwei Seite davor war. Sie versuchte weiter zu lesen, doch da kehrte das Pochen an ihrem Kopf zurück.
,,Soll ich weiterlesen?", schlug er vor und reichte seine Hand hin. Sie nickte und überreichte ihm das Buch. Er las ein wenig und dank ihrer Notizen, die er in der Zwischenzeit las, wusste er genau, wo er weiter machen sollte.
,,Du hast gesagt, wenn es mir nicht gut geht und der Druck auf meinem Herzen mich zu zerdrücken drohe, dann solle ich ein Gebet verrichten. Ich habe die Tage viele Male welche verrichtet. Aber bei jedem Dieser habe ich um dein Wohlergehen gebetet."
Das war wohl die Stelle, die sie nicht weiterlesen konnte, dachte sich Amelia. Und auch hier wieder verstand sie nicht, warum ausgerechnet diese Stelle? Sie musste sich schon die ganze Zeit mit dem Gedanken irgendwie anfreunden, dass dies tatsächlich etwas mit einem Fluch zusammenhängen könnte. Doch für jemanden wie sie war es einfach zu schwer dies nachzuvollziehen.
Er las den Brief der Prinzessin weiter. Sie waren im Werk des Grafen schon sehr weit gekommen. Um genauer zu sein, handelte es sich um die letzten Briefe zwischen den zwei Verliebten. Der Brief der Prinzessin wurde Anfang des Jahres 1655 geschrieben. Also wenige Monate vor dem Ende des Krieges. Amelia hoffte beim Lesen und Hören der Briefe, dass die Beide ein schönes Ende gefunden haben. Doch da wurde ihr erneut bewusst, dass die Prinzessin kurz nach dem Tod des Grafen ebenso starb. Sie konnte nicht anders, als kurz an Lavandula zu denken.
,,Miss Amelia ... Die königliche Familie von White Pearl besitzt eine weiße Perle als Erbstück, richtig?"
,,Das stimmt", antwortete sie auf seine Frage, als sie an das Vorwort des Grafen dachte und auch an Lavandulas Worte, als sie ihr alles beichtete. Sie konnte nicht anders, als kurz, aber erschöpft zu seufzen, als sie wieder an diesem Tag dachte. Beim betreten des Krankenhauses hatte sie von weitem Ethan gesehen. Er lief mit gesenktem Haupt in Richtung seines Zuhauses. Und egal wie oft sie von der Ferne versuchte ihn zu begrüßen, er schien mit seinen Gedanken in einer völlig anderen Welt. Kurz danach traf sie dann auch auf Shiro und sie konnte nicht anders, als sie bei ihrem traurigen Gesichtsausdruck zu befragen. Genau da erfuhr sie das alles.
,,Sie schienen mit ihren Gedanken ein wenig woanders und ich weiß, dass Sie Kopfschmerzen haben, deshalb haben sie es sicher nicht gehört, aber ..." er legte das Buch am Tisch und zeigte mit dem Finger auf eine Zeile. ,,... das Erbstück ist die Perle, die der Prinz der Prinzessin geschenkt hatte."
Amelias Augen weiteten sich und sie spürte, wie ihr Herz rasend schlug. Sie brachte nur irritiert die Frage heraus, wie er das meinen würde.
,,Hier, ließ ab hier."
Er drehte das Buch zu ihr um und zeigte mit den Fingern auf die Zeile, wo es begann. Und da spürte die junge Frau einen enormen Schmerz in ihrer Brust. Das Ereignis, das der Graf nacherzählte, zerbrach ihr Herz. Es war der letzte Moment des Prinzen und die Perle, die der Prinzessin übergeben wurde. Sie konnte nicht anders, als bei dieser Vorstellung den Tränen nahe zu sein. Betroffen drückte sie die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf, ehe sie das Buch von sich wegschob.
,,Wenn es wirklich das Erbstück ist, dann ... wie kann es sein, dass sie jetzt rosarot ist?"
Er sah fragend und abwartend zu ihr auf. Sie atmete schwer aus.
,,Ich sollte eigentlich nicht darüber sprechen, aber Sie wollen genau so aufrichtig wie ich die Wahrheit erfahren. Denn ...", sie konnte nicht glauben, dass sie das jetzt sagen würde. ,,...denn so wie es bereits der Graf erhoffte, sollten nur jene zu diesem Buch finden, die mit voller Aufrichtigkeit nach der Wahrheit suchen. Also vertraue ich es Ihnen an."
Sie hielt kurz inne und schloss für einen Moment ihre Augen. Mit tiefen Atemzügen sammelte sie in diesem Moment der Ruhe nach Kraft. Als sie wieder ihre Augen sicher öffnete, fand sie seinen erstaunten und doch geduldigen Blick auf ihren.
,,Ich kenne die Prinzessin. Und ich habe das Erbstück gesehen."
Seine Augen weiteten sich, doch er beruhigte sich schnell wieder. Es war, als wolle er sie mit seinen Emotionen nicht irritieren, dachte sie sich. Also fuhr sie fort.
,,Meine Freunde und ich haben ihr damals geholfen, als sie durch ein Schiffsunglück hier gelandet ist. Doch genau so wie wir noch nicht einmal den Namen unserer Prinzessin kannten, erinnerte auch sie sich nicht mehr an sich selbst. Erst seit kurzem scheint sie langsam zu genesen. Doch es ist merkwürdig. Alles, was ich bisher durch diese Bibliothek erfahren habe. Es ist, als hätte man uns nie die Wahrheit gesagt. Oder wir waren einfach nur blind."
,,Es ist nicht eure schuld", kam es sanft von ihm.
,,Es wurde niemand belogen und es war auch niemand blind. Ihr habt es einfach vergessen."
Amelia schaute ihn verwundert an und sie spürte, wie es um ihrem Herz wärmer wurde, als sie diese verständnisvollen Worte von ihm hörte. Ein leises Danke schlich sich unter ihrem kaum bemerkbaren Schmunzeln.
,,Miss Amelia ... Ich habe eine Bitte", begann er und sie sah ihn fragend an.
,,Könnten wir gemeinsam zur Prinzessin gehen und ihr dieses Buch zeigen? Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, aber ... vielleicht könnte dies der Schlüssel sein."
Und so geschah es, dass sie ihren Weg antraten. Amelia führte ihn zu Lavandula ins Krankenhaus, als die Besuchszeiten vorbei waren. Normalerweise wäre dies nicht möglich, doch dank der Ärztetochter ging es. Schließlich wollte sie, dass niemand dieses Gespräch stören würde. Als sie die rothaarige Schönheit trafen, war nicht nur Daniar, sondern auch Lavandula von der Begegnung des jeweils anderen sehr überrascht. Doch um darauf weiter einzugehen blieb nicht die Zeit. Sie stellten einander vor, bevor sie ihr das Buch überreichen würden. Und so las sie es. Sie las und las es, bis sie die zwei darum bat, das Buch ein anderes Mal wieder abzuholen. Schließlich verließen sie die junge Prinzessin, dessen smaragdgrünen Augen auf dem Buch ruhten. In diesem Moment spürte Amelia eine unglaubliche Ferne. Eine Ferne, die dem Schmerz der Geschichte gleich sah.
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