Kapitel 14
Mit leichterem, stärkerem Herzens betrat der schwarzhaarige Bursche das Krankenhaus. Er hatte seinen Entschluss mit großem Willen gefasst. Sein Blick lag sicher auf die Eingangshalle. Bis er sie sah.
Ihr schienen ein Heft und eine Federmappe heruntergefallen zu sein, als eine weitere Person die Gegenstände vom Boden aufhob und ihr überreichte. Wie es aussah, war sie gegen diese Person gelaufen, denn als er ihre Lippen las, fand er darin ständig die Worte „Verzeihung". Doch Jener wich nur mit gesenktem Blick ab und verschwand im Treppenhaus. James bemerkte noch, wie sie die Sachen in ihren Armen umklammerte, als sie der Person nach sah. Genau da lief er ohne nachzudenken auf sie zu. Sie schien ihn erst gar nicht bemerkt zu haben, denn als sie sich zu ihm umdrehte, schrak sie panisch auf und schritt nach hinten.
,,Warum stehst du wie ein Toter so still hinter mir?!"
Ihr Gemecker war fast in der ganzen Halle zu hören, denn einige Patienten und Krankenschwestern sahen perplex zu ihr. Mit roten Wangen verstummte sie.
,,Kennst du ihn?"
,,Wen?"
James seufzte. ,,Na, den Typen von vorhin, du Hohlbirne."
Sie sah ihn erst beleidigt an, doch sie entschied sich, dennoch zu antworten.
,,Nein, ich bin ihm gerade nur zufällig im Gang begegnet. Aber er hat mich sehr an Frau Ay erinnert. Sie und er haben einen ähnlichen Akzent und er sieht wie ein Maradahrer aus. Und sie ist ja aus Maradah, oder nicht?"
,,Du hast Recht, er ist aus Maradah."
,,Wirklich?!"
Erneut schrie sie beinahe auf und die Leute sahen wieder zu ihr. Beschämt hielt sie sich den Mund zu, ehe sie seufzte und zur Tür ging.
,,Lass uns in Shiros Zimmer weiterreden."
James nickte und folgte ihr. Sie betraten das Treppenhaus und bestiegen die Stufen. Die ganze Zeit über war nur das Hallen ihrer Schuhe beim Aufprall mit den Stufen zu hören. Schließlich drehte Jasmine irgendwann sich zu ihm um, während sie gingen.
,,Bist du irgendwie erkältet oder warum sagst du kein Wort?!"
Er sah verwundert auf, als sie ihn so ansprach. Er hatte gar nicht gemerkt, wie still er doch war. Natürlich kam es merkwürdig herüber. Doch als er genauer über ihre Worte nachdachte, grinste er.
,,Ach, machst du dir Sorgen, oder wie?"
,,Was zum-", sie stolperte beinahe, als sie das Ende der Treppe übersah. Geradewegs konnte sie sich noch halten und als sie ihr Gleichgewicht zurückgewann, drehte sie sich empört zu ihm um. ,,Natürlich nicht! Es wäre einfach nur schlecht, wenn Shiro sich wegen dir ebenso erkälten würde."
Er hob die Braue an. ,,Sehr gnädig", dann sah er zum Zeichenblock in ihren Armen und fragte ,,Ist der etwa für Shiro?"
Sie sah verwundert von ihm ab und schaute an sich hinunter.
,,Ja. Ich dachte mir, sie könnte die Dinge notieren, an die sie sich erinnert und die sie im Traum sah. Vielleicht kann sie sie auch aufzeichnen....vielleicht ist das einfacher, als es in Worte zu fassen. Außerdem, kann sie etwas malen, falls ihr langweilig sein sollte."
Der Junge musterte überrascht die Sachen, ehe ihm bei ihren Worten ein herzliches Lachen entfloh. Er tat es selten. Schon fast so selten, dass man nicht anders konnte, als zu schweigen und ihm zu lauschen.
,,Wie lieb ...", murmelte er unter seinem lachen, als er die Lachtränen wegwischte.
,,Eh?", brachte Jasmine nach einer Weile heraus. ,,Was hast du gesagt?"
,,Du bist immer noch das Kind von damals, was ?"
Mit einem Schmunzeln lief er an ihr vorbei und ging zur Tür, die zur Etage führte, in der Shiro sich befand. Er konnte noch leise Jasmine kurz jammern hören, als er in Gedanken die Tür öffnete und den Flur betrat. Anhand der Schritte merkte er, wie Jasmine ihm nachgehen wollte, doch genau so, wie er in dem Moment bei offener Tür inne hielt, hielt auch sie inne.
,,Ach ja, ich muss dich noch kurz vorwarnen", erwähnte er und hielt die Tür auf.
,,Shiro wird dir etwas erzählen, was dich sicher schockieren wird. Aber sei weder dir selbst, noch ihr böse. Manchmal braucht es einfach Zeit, um von seinen Gefühlen zu erzählen. Ich denke, das verstehen wir Beide am Besten."
Mit diesen Worten ging er durch den Flur und Jasmine rutschte durch die Tür, die er zufallen ließ. Er brauchte auf keine Antwort von ihr zu warten. Er war sich sicher, dass sie wusste, wovon er sprach. Als sie dann das Zimmer von Shiro erreichten, klopften sie an. Schließlich war es Shiro, die dieses Mal selbstständig die Tür öffnete.
,,Jasmine! James! Schön euch wieder zu sehen", begrüßte sie die Beiden und ließ sie hereintreten. Sie schien sich erholt zu haben in diesen paar Stunden. Außerdem wirkte sie sehr erleichtert, bemerkte James.
,,Hier, Shiro. Ich habe dir etwas mitgebracht", erwähnte Jasmine munter und hielt ihr den Zeichenblock und die Federmappe hin. ,,Ich dachte, es könnte dir beim Verarbeiten deiner Träume und Gefühle helfen... also, du könntest ja etwas darin schreiben oder wenn dir das zu schwer fällt, dann könntest du es auch einfach aufzeichnen."
Shiro schaute erst verwundert auf, ehe sie mit einem zierlichen Lächeln die Sachen annahm. Sie bedankte sich und stellte die Sachen auf den Tisch an der Wand hin. Ihre Hand ruhte mit ihrem Blick noch einige Sekunden auf das Geschenk, ehe sie mit einem sanfteren, aber noch recht besorgten Blick zu Jasmine aufsah.
,,Ich würde dir gerne etwas erzählen. Würdest du dich mit mir hier hin setzen?"
Jasmine zuckte kurz auf und sah von der Seite kurz zu James herüber, bevor sie Shiro zunickte und sich gegenüber von ihr hinsetzte. Auch wenn dieser Blick so kurz war, so hat James dennoch sofort bemerkt.
,,James, du kannst dich auch gerne neben ihr hinsetzen."
,,Ach, nein danke. Ich stehe lieber", lehnte er ab. Doch Shiro musterte ihn weiterhin, und schwenkte zwischendurch auch zu Jasmine. Jene jedoch schien mit ihren Gedanken nicht vor Ort, als sie auf den Tisch starrte. Sie muss wegen seiner Warnung noch nervöser sein als vorher, dachte er sich. Er seufzte und setzte sich neben ihr. Dabei stützte er seine Arme am Tisch ab und ruhte seinen Kopf auf seiner Hand, während er sich am äußersten Rand des Tisch anlehnte. Es war eine gewisse Distanz zu sehen.
,,Es tut mir Leid, dass ich es erst jetzt sage, Jasmine ... ich hatte einfach zu große Angst. Vor dem, wer ich wirklich war und was mein Dasein hier wirklich bedeuten würde. Ich erinnere mich an den Tag, an dem das Unglück mich traf. Ich erinnere mich an meine Eltern, an die Bedeutung dieser Perle und warum wir auf diesem Schiff waren. Zwar nicht an alles, aber so wie ich die Stimmen und Bilder zusammen geordnet habe, macht es anders keinen Sinn", begann sie mit ernster Miene und sogar James schaute neben der verwunderten Jasmine überrascht aus, als sie mit so viel Reife sprach.
,,... Mein Name lautet Lavandula von White Pearl. Ich bin die Prinzessin dieses Reiches."
James sah vom Augenwinkel her zu Jasmine herüber. Ihre Augen lagen geweitet auf dem Mädchen vor ihr, doch sie schwieg. Sie atmete tief ein und aus, umklammerte die Perle an ihrem Hals, ehe sie weiterführte.
,,Meine Eltern haben mir an jenem Tag das Erbstück unserer Familie überreicht. Ich hab es zwar nicht genau verstanden, aber sie meinten, dass es unheimlich wichtig und wertvoll sei. Genau deshalb sollte ich es stets bei mir halten, zum Wohle dieses Reiches. Und der Grund, warum wir uns auf dem Schiff befanden war jener, damit die Verlobung mit dem Kronprinzen von Maradah geplant und stattfinden könnte, an dem ich schon als kleines Kind versprochen wurde", schien sie ihre Erklärung zu beenden, als sie schließlich für einen Moment schwieg und abwartend ausschaute. Dann fügte sie noch etwas hinzu.
,,Es tut mir Leid."
,,Ah ...", kam es nach einer Weile noch etwas perplex von Jasmine.
,,ich ehm ... also, wir haben alle schon in gewisser Weise erahnen können, dass du etwas mit dem Königreich zu tun hattest. Es passte einfach alles zu gut...", lachte sie nervös auf, als würde sie die Atmosphäre etwas leichter machen wollen.
,,Ehm ... aber... seit wann wusstest du es?"
,,Ich ...", sie schien zu überlegen. ,,Ich hatte schon seit die Träume anfingen so eine leise Ahnung ... aber so wirklich wurde es mir vor drei Tagen bewusst."
Nun sah auch er mit großen Augen zu ihr und setzte sich auf. So lange wusste sie es? Und da erinnerte er sich an die Tage, an denen sie so erschöpft, schwach und sogar traurig wirkte. Wo sie meinte, sie erinnere sich nicht daran, was sie da träumte und was die ganze Situation zu bedeuten hatte. In Wirklichkeit wusste sie viel mehr, als dass sie zu sagen wagte.
,,Du ... vertraust uns nicht, oder?"
Sie erschrak bei seiner Frage, die eher wie eine Feststellung klang und sprang schon beinahe auf, als sie sich so zitternd erhob.
,,Das stimmt nicht! Es tut mir leid! Es tut mir so leid! Ich wusste selbst nicht, wie ich mit dieser Situation umgehen sollte! Ich soll die Prinzessin sein?! Ich war an einem Ort, an dem ich mich nicht erinnern konnte! Und niemand erinnerte sich an mich!"
Tränen bildeten sich in den Augen der Prinzessin.
,,Du hast Recht ... wir erinnerten uns nicht einmal an den Namen unserer Kronprinzessin. Niemand wusste von deinem Namen. Also sollten wir uns auch dafür entschuldigen. Und genau deshalb wollten wir dir auch umso mehr helfen."
,,Ich weiß ... ich weiß ... obwohl Ethan und ihr mir helfen wolltet ... Obwohl ihr schon so viel für mich getan habt und mir so viel Zuneigung geschenkt habt, habe ich euch belogen ... es tut mir Leid ! Es tut mir so unglaublich Leid."
Ein Schweigen umhüllte den Raum. Schließlich war nur noch Shiros Schluchzen zu hören, welches sie zu Anfang versuchte zu unterdrücken. Man merkte, dass sie kurz davor war sich erneut zu entschuldigen, als sie zum Sprechen ansetzte. James wollte sie gerade beruhigen und ihr etwas sagen. Doch genau dann hörte er Jene neben sich sanft genau das sagen, was er sagen wollte.
,,Wir verzeihen dir."
Das junge Mädchen sah mit glasigen Augen zu ihr auf und sie glänzten, als sie in das warme Lächeln von Jasmine blickte.
,,Danke, dass du dich dennoch dazu entschieden hast uns zu vertrauen. Schließlich haben wir dich alle sehr gerne. Und auch wenn du Lavandula heißt und nicht Shiro, bleibst du dennoch die Selbe."
,,Ich habe auch noch eine gute Nachricht für dich", begann James und ein herzliches Schmunzeln umschloss seine Lippen. ,,Ethan sagte, du sollst dir keine Sorgen um ihn machen. Er wird dich die Tage bald wieder besuchen kommen. Dann könnt ihr sicher über alles reden."
Das Mädchen sah ihn mit großen Augen an und genau da konnte sie die Tränen nicht mehr aufhalten. Sie wimmerte und schluchzte, als die Tränen wie ein Wasserfall fielen. Wie ein kleines Kind versuchte sie sich unter ständigem Wimmern die Tränen wegzuwischen. Selbst Jasmine hatte Tränen in den Augen, als sie sich erhob. Schließlich eilte sie aus dem Raum heraus und meinte, dass sie ein paar Tücher von den Krankenschwestern holen würde.
James sah ihr nur nach und mit der Zeit wurde das Schluchzen von dem Mädchen immer weniger und leiser. Schließlich sprach sie den Burschen nach einer Weile an. Doch als er zu ihr sah, hatte sie sich zum Fenster umgedreht, wodurch man ihr Gesicht nicht sehen konnte.
,,Du hast Gefühle für Jasmine ... oder ?"
Er war zuerst über ihre Frage verwundert, doch dann machte er einen unechten, scherzenden Ausdruck, als er über ihre Wortwahl nachdachte.
,,Was für Gefühle? Etwa solche, wie du sie für Ethan hegst?"
Plötzlich drehte sie sich rasant zu ihm um und blickte mit ihrem verweinten, roten Gesicht zu ihm. Doch sie wirkte keinesfalls beschämt oder nervös. Ihre Augen widerspiegelten eher eine Art Verzweiflung und Verwirrung. Er sah das stumme Mädchen nur an, ehe er seufzte, als nichts von ihrem erfrorenen Gesicht kam.
,,Nenn es wie du es willst. Es ist aber in unseren Situationen viel zu kompliziert, um so einfach darüber zu reden."
Das Mädchen sah von ihm ab und blickte verloren in ihren eigenen Gedanken nach unten. So sah es zumindest für ihn aus. Und er lag bei so etwas nie falsch. Er merkte es, wie gefüllt ihr Kopf sein muss und doch konnte er sich nicht vorstellen, was da alles drin herum schwirren würde. Er seufzte und blickte wieder zu Tür, als ein Klopfen ertönte. Schließlich öffnete sich die Türe und Jasmine trat herein. Doch als eine weitere Person hinter ihr erschien, spürte er ein merkwürdiges Zwicken in seinem Herzen.
Jasmine wirkte etwas angespannt, als sie mit den Taschentüchern hereintrat.
,,Shiro- Ich meine, Prinzessin Lavandula ...-"
,,Nenn mich bitte wie du es am liebsten hast, Jasmine", unterbrach sie sie.
,,Dann, Lavandula ... er meinte, er sei der Kronprinz von Maradah. Heißt das etwa, er ist...?"
,,Ihr Verlobter", gab James kalt von sich, als der Prinz herein trat. Trotz der Situation, in der er sich befand, wirkte er sehr gelassen und trat neben Jasmine schließlich herein.
,,Lasst uns gewisse Formalitäten belassen, schließlich habt ihr das Leben meiner Verlobten gerettet. Nennt mich Malik."
,,Es waren nicht wir, die ihr halfen, sondern Ethan."
,,Ethan?", kam es fragend und nachdenklich von Malik, als er sich an etwas zu erinnern schien. ,,Ah, ihr meint den Jungen, den ich bei meiner Ankunft begegnet bin. Wo ist er denn hin? Hab den Kleinen lange nicht mehr gesehen. So wie er sich verhalten hatte, versteckt er sich sicherlich, was? So viel zu Lebensretter."
,,Malik, sprich bitte nicht so von ihm."
Es war jene kleine Rothaarige, die in einem ernsten Ton ihn zum Schweigen brachte. Doch bei ihren nächsten Worten wurde ihre Stimme leiser.
,,Das ändert nichts daran, dass er die ganze Zeit für mich da war."
,,Du hast natürlich Recht", sagte er schließlich.
Jasmine kam nun auf Lavandula zu und überreichte ihr die Taschentücher. Sie nahm es dankend an und drehte sich von den Anwesenden weg, während sie die Nase schnäuzte.
,,Ich habe mit dem Arzt gesprochen. Wenn dein Zustand sich bis in zwei Wochen nicht verschlechtert, dann darfst du wieder nach Hause. In zwei Wochen kehrt auch die Königsfamilie von White Pearl zurück und würde dich bei ihrer Rückkehr wieder nach Lapiz bringen."
,,Und was ist, wenn ich mich bis dahin nicht an alles erinnern kann?"
,,Es genügt, wenn du weißt wer du bist. Außerdem bin ich mir sicher, dass du dich im Palast eher an alles erinnern wirst, als in Concha", versuchte er sie zu ermutigen und setzte ein recht charmantes Lächeln auf. Sie sah nachdenklich zu ihm, ehe sie zaghaft nickte und wieder wegsah. James beobachtete das Ganze. Ihm gefielen die Worte des Fremden nicht. Es störte ihn, wie er einfach auftauchte und so tat, als würde er die ganze Sache wieder gerade biegen. Als wäre er der Schlüssel zu allem. Es nervte ihn.
,,Kann ich Euch etwas fragen, Prinz Malik", fragte er ihn. Doch die Härte in seinen Worten ließ es gar nicht erst wie eine Frage wirken. Malik behielt sein Lächeln weiterhin auf.
,,Sicher doch."
,,Wann sind Sie genau in Concha angekommen?"
,,Vor fünf Tagen."
,,Das heißt, Ihr habt die Prinzessin genau am zweiten Tag Eurer Suche gefunden, obwohl Ihr erst an diesem Tag die Erlaubnis erhalten habt, das ganze Land zu durchsuchen?"
,,Ich sehe schon wohin es geht, aber sag; worauf willst du hinaus?"
,,Ich weiß zwar nicht wie, aber ich denke, ihr habt von irgendwoher Informationen gekriegt."
,,Ich bin der zukünftige Herrscher von Maradah. Natürlich habe ich meine Wege, Informationen zu kriegen. Ich habe eure Leute befragt und es kamen bereits Gerüchte über das Verschwinden der Prinzessin herum."
,,Das kann aber nicht sein", kam es misstrauisch von James.
,,Das Telegramm war für normale Leute nicht lesbar. Niemand hatte davon gewusst, außer jene, die das Telegramm gelesen haben."
Der Kronprinz hob nur die Hände an und zuckte mit den Schultern.
,,Das ist euer Problem und nicht meins. Weiter muss ich auf deine Fragen nicht eingehen."
,,James...", kam es leise, schon beinahe erschrocken von Jasmine. Er sah sie fragend an.
,,Ich weiß, das klingt total verrückt, aber ... Ihr hattet doch Frau Ay damals das Telegramm gezeigt. Ihr drei und dein Onkel wart die Einzigen, die es zu Gesicht bekamen."
,,Du glaubst doch nicht etwa ... aber sie meinte, sie könne es nicht lesen-"
Doch da verharrte er. Er hatte ihr Gesicht vor Augen, als sie das Telegramm in den Händen nahm. Er hatte es damals in all der Aufregung nicht bemerkt. Aber so, wie sie ihre Augen über den Text laufen ließ, zeigte, dass sie es las. Doch warum sollte ihre eigene Lehrerin, die mit ihnen alles miterlebt hat, anlügen? Er sah zu Jasmine, die ihn nun panischer ansah. Ihr Gesicht wurde blasser und Beide liefen immer mehr Hinweise durch den Kopf. Sie kam aus Maradah und war nicht sehr lange Lehrerin. Sie war wie besessen an die Geschichte der drei Länder interessiert. Und sie hatten lange nichts mehr von ihr gehört.
James sprang schließlich vom Stuhl auf und sah zu zur Rothaarigen, die verwirrt zu den Beiden sah.
,,Wir müssen los! Bleib gesund und bis dann!"
Mit diesen Worten rannte er zur Tür hinaus und verließ das Krankenzimmer. Er musste schnell zu Frau Ay und sie deswegen befragen. Er wollte sie nicht verdächtigen. Er wollte nicht glauben, dass jene Frau, die sich nichts sehnlicher zu wünschen schien, als den Jugendlichen die Wahrheit ans Licht zu bringen, ein Spitzel sei. Gerade als er die Treppen hinunter rannte und dabei war, das Krankenhaus zu verlassen, hörte er eine bekannte Stimme nach seinem Namen rufen. Er drehte sich überrascht um und fand Jasmine vor, die schwer atmend, die letzten Stufen zu ihm hinunter trottete. Sie stützte sich am Geländer ab und rang nach Atem, während der Bursche verwundert zu ihr herunter sah.
,,Jasmine, du kannst ruhig bei Lavandula-"
,,Ich...! Ich will sie selbst fragen ... ob alles gelogen war...", kam es von ihr.
,,Es kann nicht sein ... dass sie uns benutzt hat. Sie wollte doch selbst, dass wir alle, auch sie, über die Geschichte unserer Länder erfahren. Sie wollte auch die Wahrheit erfahren...", sie atmete tief ein und aus, ehe sie sich aufrecht hinstellte. Sie legte ihre Hand aufs Herz und sah zu James. ,,Also lass mich mitkommen!"
Er sah sie bei ihren Worten nur sprachlos an. Er spürte, wie sein Herz schneller schlug und ihre Ehrlichkeit und ihr Vertrauen wie eine warme Energie berührte. Ein kleines, erleichtertes Lächeln schlich sich kurz über seine Lippen, ehe er sich hastig umdrehte.
,,Dann lass uns schnell zu ihr!"
Sie stimmte ihm zu und mit diesen Worten eilten sie zum Haus von ihrer Lehrerin.
Der junge Mann war wieder kurz davor sich ein Taxi zu schnappen, doch sie hielt ihn davon ab, mal wieder zu viel Geld auszugeben. Schließlich rannten sie Straße für Straße entlang, sofern es ihre Beine erlaubten. Irgendwann erreichten sie am späten Nachmittag die ruhige Wohngegend, in der ihre Lehrerin lebte. James hielt nach dem Volkswagen Ausschau und als er ihn fand warf er sich schon beinahe darauf.
,,Du bist noch hier", sprach er zum Auto, als hätte er einen alten Freund wieder getroffen. Jasmine schüttelte nur ihren Kopf und trat zur Tür. Sie zögerte nicht und klopfte mit dem Metallring am Löwenkopf an der Tür. Nach langer Stille tat sie es erneut. Doch es kam nichts von der anderen Seite.
,,Ist sie etwa nicht da?", fragte James und sah zu ihr.
,,Aber ihr Auto ist da. Also kann sie gar nicht weit sein."
Sie schwieg und musterte die Tür. Irgendwann bückte sie sich hinunter und tastete nach Etwas am Türrahmen.
,,James, komm her! Hier ist ein Briefumschlag versteckt."
Eine plötzliche Angst überkam ihn für einen Moment. Doch diese schüttelte er hastig ab und kam zu ihr an der Tür. Sie drehte den Brief um und als sie ihre Namen las, verstummten sie erneut. James, Ethan, Jasmine und Amelia.
Jasmine öffnete schließlich den Umschlag und holte einen gefalteten Zettel heraus. Sie zögerte das Ausfalten des Briefes, bis James sie dazu aufforderte. Sie gab einen beleidigten Ton von sich, als sie nervös die Zeilen auffaltete und präsentierte.
,,Meine lieben Schüler...", begann sie zu lesen und es kam ihnen im Laufe der Worte so vor, als würden sie die Stimme ihrer Lehrerin dabei hören.
,,... wenn ihr diesen Brief gefunden habt, dann muss es bedeuten, dass ihr die Wahrheit erfahren habt. Oder mich einfach nur vermisst. Aber egal was es davon ist, ihr habt eine Erklärung verdient. Ich schreibe diesen Brief, nachdem ich mich mit Malik ibn Aadil ibn Djamal getroffen habe, als ich von seiner Ankunft in Concha erfuhr. Ihr könnt es euch sicherlich schon denken. Ich war diejenige, die ihm mitgeteilt hat, dass die Prinzessin sich hier befindet, im Krankenhaus. Dank eurem Vertrauen an mich konnte ich ihm vom Telegramm berichten. Ich bedanke mich für euer Vertrauen und entschuldige mich dafür, dass ich es ausgenutzt habe. Gerade packe ich meine Sachen. Es ist mir nicht mehr erlaubt von der Seite meines Landes aus hier zu bleiben. Nun muss ich nach Maradah zurückkehren. Doch seid euch bewusst, dass ich euch als Lehrerin nicht belogen habe. Meine Lehrzeit hier war die bisher Schönste in meinem Leben. Ich habe viel gelernt und habe euch getroffen. Nie wieder werde ich so hervorragende Schüler wie euch finden. Ihr seid ein Segen für Conchlapiz und ich bin mir sicher, dass ihr in der Lage seid, dieses Land von dem Leid zu lösen, was es schon seit dem Krieg trägt. Wir aus Maradah bezeichnen es als Fluch. Doch was es für euch sein wird, das müsst ihr noch herausfinden. Ich glaube an euch...", Jasmine's Stimme bebte, als sie die letzten Sätze las. Ihre Hände zitterten und ließen den Briefumschlag aus ihren Händen fallen. James kniete sich hinunter, um es aufzuheben, als es auf dem Tretteppich lag.
,,P.S. ... als Entschuldigung hinterlasse ich euch etwas. James, du wolltest es unbedingt haben. Hilf deinen Freunden damit, sollte der Tag dazu kommen. Es befindet sich unter dem Tretteppich", las sie weiter vor. Fragend sah sie vom Brief auf.
,,Was meinte sie nur damit?"
James war sich nicht sicher, doch ihm kam nur eine Sache in den Sinn. Sofort hob er den Tretteppich an und was er darunter fand, ließ ihn die Luft einziehen. Fassungslos nahm er es langsam in seine Hände und erhob sich. Leise musterte er den Schlüssel in seinen Händen.
,,Das ... ist doch nicht etwa...", kam es entsetzt von Jasmine. Doch er drehte sich nur zum Auto und steckte den Schlüssel ein. Ein Lachen brach aus ihm heraus und er öffnete die Tür des Volkswagens. Er musterte das gepflegte Innere und musste an ihren Ausflug denken. Das Grinsen wollte aus seinem Gesicht nicht verschwinden. Denn eines wurde ihm bewusst. Egal was sie getan hatte, ihr ursprüngliches Motiv war rein und ehrlich. Sie wollte mit ihnen die Wahrheit erfahren. Und dabei wurde ihnen und auch den Anderen sicherlich mit der Zeit klar, dass mit dem Leid das Gute folgt.
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