Vierundzwanzigster Eintrag - Im Weihnachtsdorf
Senga fand außerhalb des orangenen Zeltes ein Paar Haarbüschel des Yetis. Oder gehörten sie nur dessen Polarfüchsen?
Die Aschblonde zuckte mit den Schultern und steckte das Beweisstück ein. Ein Foto von dem riesigen Wesen zu machen, traute sie sich nicht ganz.
Von seinen Fußabdrücken hingegen landeten einige Aufnahmen im Speicher ihrer Kamera. Sie freute sich, bald alle Fotos in ihr Tagebuch einkleben zu können.
Normalerweise hatte sie künstlerische Menschen nie verstanden, doch nun konnte sie sich gut vorstellen, alles noch zu verzieren oder Schneeflocken-Sticker hinzuzufügen...
Ein Geruch nach Rauch und Holz stieg Senga in die Nase. Die Schottländerin schaute sich um und sah, wie Douglas über einem kleinen Feuer einen Topf errichtet hatte.
,,Wo hast du denn das Holz her?", fragte Senga, da weit und breit keine Bäume mehr wuchsen. Dafür befanden sie sich zu hoch im Gebirge.
,,Ich habe mir ein paar Stücke mitgenommen, weil ich mich an deine Brennesseln erinnert habe. Ich hoffe, es reicht für sie aus."
Bedächtig nickte Senga. ,,Alles klar. Versuchst du bitte, sie knusprig zu bekommen?"
,,Klar!", wiederholte der Schwarzhaarige.
𖦁༺🎅🏼༻𖦁
Die Zeit bis zum Essen hatte Senga mit Stricken verbracht. Heute war das anstrengend gewesen; ihre Finger schmerzten ein wenig, denn sie hatte oft ziemlich am Faden ziehen oder Knoten entwirren müssen.
Darum war sie froh, dass Douglas das Frühstück servierte. Die Brennesselchips waren gut geworden. Nur schade, dass die Entdeckerin kein Salz mitgenommen hatte.
Greta hatte den gesamten Rucksack auf den Kopf gestellt, um eine kleine Avocado zu finden, welche sie mit einer Gabel zerdrückten und als Dipp nutzten.
,,Ich weiß echt nicht, was wir zum Mittag essen sollen...", murmelte Douglas.
Die letzten Tage hatten sie aufs Abendbrot oder Mittagessen verzichten müssen und langsam hatte keiner von ihnen mehr Lust darauf.
Greta verschluckte sich beinahe, als der Sasquatch unerwartet seinen Kopf ins Zelt steckte.
Der Bigfoot beäugte ihre Nahrung und legte die Stirn in Falten beim Anblick der Avocado, welche der in den Bergen oder Wäldern lebende Wilde höchstwahrscheinlich noch nie gesehen hatte.
,,Ich wollde misch von euch verabschieden", begann er, nachdem er sich wieder gefangen hatte, ,,Heude gehe ich wieder weider nach unden."
Senga konnte seine Entscheidung gut verstehen, sie wäre schließlich auch nicht gerne ständig in der Nähe von jemanden, mit dem sie gestern noch gerungen hatte. Außerdem war das Geschöpf nur mit ihnen gekommen, um gegen den Yeti zu kämpfen, was sich jetzt zum Glück erledigt hatte.
,,Okay, viel..."
,Warte, was wünscht man einem Bigfoot? Glück? Spaß? Erfolg?'
,,Was auch immer du dir erhoffst oder dich glücklich macht", endete sie nervös. Sie sprachen immer noch mit einem Tier.
Greta und Douglas fanden ebenfalls ein paar nette Worte und der Sasquatch ging seinen Weg.
Auch vom Yeti verabschiedeten sie sich und die Gruppe Abenteurer durfte sogar noch einmal in die Höhle des Lepcha-Schneemenschens, wo sie den Polarfüchsen Auf Wiedersehen sagten.
Dann wanderten sie, bis sie an der Spitze des Berges ankamen. Der Himmel war klar, wenn auch weiß vom Schneefall, sodass der Ausblick atemberaubend war. Weitere kantige Berge ragten neben ihnen auf und sie konnten zwar den Wald nicht mehr sehen, dafür aber den untersten Punkt ihres Berges, wo noch reichlich Nadelbäume wuchsen.
Von dieser Position aus wirkten sie so klein wie ein Anhänger, mit welchem ein kleines Kind den Christbaum schmückte.
Noch immer konnten die drei Freunde die bunten Eier des Osterhasen sehen.
,,Der Schnee liegt jetzt auch dort, wo wir hergekommen sind. Vielleicht schneit es in unseren Dörfern!", meinte Douglas. Senga hoffte es, denn ihre Mutter liebte Schnee, obwohl er in einem Dorf mit extrem wenigen Einwohnern, also keinem Winterdienst, sehr viel Arbeit bedeutete.
Greta hatte nichts dazu gesagt, was Senga nicht wunderte. Sie interessierten ihre Dörfer vermutlich eher weniger.
Doch der wahre Grund, aus dem sie nicht nach unten schaute, war neben ihrer Höhenangst, dass der Ausblick geradeaus noch viel unglaublicher war.
Sie wurden von unzähligen Lichtern in allen möglichen Farben, einzeln oder an Ketten, und grellen Hauswänden geblendet. Viele Häuser bildeten ein Dorf am höchsten Punkt des kalten Gebirges und jedes von ihnen war unterschiedlich gestaltet.
So gab es ein grünes Haus in der Form eines Nikolausstrumpfes, eines, dessen Dach eine rot-weiß gestreifte Weihnachtsmütze darstellte oder ein klassisches Lebkuchenhaus.
Douglas gefiel ein Haus, das einen Tassenhenkel am Rand und ein weißes Dach wie Schlagsahne hatte, besonders, aber jedes einzelne war ein Hingucker.
In der Mitte der Häuser stand ein großer Weihnachtsbaum, der den leuchtenden Häusern Konkurrenz machte.
Aus einem großen Haus mit zwei Zwiebeltürmen drangen Geräusche, was Gretas Neugier weckte. Die Brünette trat vorsichtig in das Haus, welches sich als gemütliche Werkstatt herausstellte.
,,Was wird hier denn von wem gemacht?", fragte Senga, richtete es eher sich selbst.
Doch jemand antwortete ihr selbstsicher: ,,Wir, die Wichtel von Santa Claus aus dem Weihnachtsdorf, stellen hier die Geschenke jeden einzelnen Kindes zusammen!"
Senga musste den Blick senken, um den Wichtel zu sehen. Er war winzig, hatte eine große Nase und eine Zwergenmütze mit weihnachtlichen Muster.
,,Wir sind genauso beteiligt!", mischte sich da jemand anderes ein. Es war ein Elf mit roter Kleidung, der recht frech schaute.
Aus der hintersten Ecke der Werkstatt kam jemand neues gelaufen, diesmal einem Menschen sehr viel ähnlicher, wie der Elf in Rot und Weiß gekleidet und mit einem weißen Bart wie der des Wichtels.
Schnell verbeugten sich Douglas und Senga vor dem Weihnachtsmann. Santa Claus lächelte. ,,Wie seit ihr denn bitte hierher gekommen? Haben wir ein Geschenk vergessen? Kommt ihr aus den Ländern, die am Vierundzwanzigsten Geschenke bekommen?"
Senga schüttelte den Kopf und erklärte in Kurzform, wie sie hier gelandet waren.
Santa öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, wurde aber von wild umher rennenden Wichteln und Elfen unterbrochen.
,,Wir brauchen noch mehr Geschenkpapier! Geschenkpapier zu Tisch Nummer Vier!"
,,Glöckchen, du musst das orangene nach Australien bringen und das hellgrüne nach Lettland!"
,,Wir brauchen mehr Mistelzweige zur Dekoration, Berry! Und bringe gleich das Schleifenband mit!"
Jeder hier wirkte sehr gestresst. ,,Können wir helfen?", fragten Greta und Douglas wie aus einem Mund. Gretas Frage war an die Helfer des Weihnachtsmannes gerichtet, Douglas' an ihn selbst.
Die Elfen und Wichtel waren zu beschäftigt, um die Frage überhaupt wahrzunehmen, Santa Claus nickte.
,,Ihr könnt die zugeteilten Geschenke einpacken. Was das Holen von Dingen angeht, so können meine Helfer schneller rennen, aber beim Einpacken stört sie ihre Größe."
Die Gruppe akzeptierte dies und machte sich gleich an die Arbeit. Senga packte als erstes zwei Bücher in rosanes Papier ein. Währenddessen realisierte die Situation erst so richtig und konnte es kaum fassen.
,,Wir sind beim Weihnachtsmann und seinen Helfern in einer Wichtelwerkstatt und entlasten sie..."
Douglas und Greta lachten. ,,Verrückt."
Ein Wichtel reichte Senga ein paar Mistelbeeren zum Dekorieren des Päckchens. Auf das nächste kamen winzige Weihnachtssterne in Blau und Weiß.
𖦁༺🎅🏼༻𖦁
Erst mitten in der Nacht waren sie fertig. Morgen würden die schottischen Kinder ihre Geschenke erhalten.
,,Das war das Erlebnis meines Lebens!", grinste Douglas und seine Freunde konnten nicht anders, als ihm zuzustimmen.
Jetzt, wo sie fertig waren und sich nur entspannt die von der Arbeit unordentliche Werkstatt ansahen, bemerkte Senga wieder ihren Hunger.
Sie suchte Santa mit ihrem grünen Blick und lief dann zu dem Mann. Greta schien zu ahnen, was sie vorhatte und ging aus der Werkstatt, um nachzusehen, ob der Phönix vielleicht doch noch ankam. Vergeblich.
Also fragte Senga: ,,Könnten Sie uns eventuell nach Hause bringen? Wir haben kein Proviant mehr..."
Sie erklärte alles etwas genauer und der Weihnachtsmann willigte ein. ,,Setzt euch einfach in den Schlitten mit den meisten Geschenken. Das ist nämlich der, der als erstes losfahren wird. Ich sage den Elfen Bescheid."
Tatsächlich standen riesige Schlitten zwischen den Häusern. Senga fühlte sich trotz der vielen Geschenke links und rechts nicht eingeengt, sondern recht wohl.
,Wir haben etwas vergessen!', schoss es der Aschblonden durch den Kopf.
,,Ähm... Greta hier ist eine Meerjungfrau. Vielleicht könnte der Elf den Schlitten auch zu einem schönen, großen See in Schottland fahren? Er kann auch ins Meer münden."
Der Elf versprach, all das zu tun. Und dann hob der Schlitten ab, gezogen von Rentieren. Von hier konnte Senga ihre eventuell roten Nasen leider nicht sehen, aber das Gefühl mit dem Schlitten zu Fliegen war wunderbar.
Intuitiv umarmte Senga Greta und Douglas. ,,Du musst uns irgendwann besuchen! Oder bleibe in dem Gewässer, ich merke mir den Namen", sagte sie zu der Brünetten, welche sie sehr liebgewonnen hatte. Sie war traurig über den nahenden Abschied, aber nur das Wasser würde die Meerjungfrau erfüllen.
,,Ich freue mich aufs Shortbread!", rief Douglas. Senga nickte. Ihr Magen knurrte beim Gedanken an das schottische Mürbeteiggebäck.
,,Und ich mich erst auf den Plum Pudding... und noch mehr Geschenke wie das Tagebuch oder die Wolle für neue Hobbys!"
,,Aber am meisten freuen wir uns auf die Familie", ergänzte Greta, die wohl auch ihre Verwandte hatte.
,Genau, damit ist Alles gesagt', fand Senga.
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