Neunter Eintrag - Geht das auch leiser?
Nachdem die üblichen morgendlichen Aufgaben der Gruppe erledigt waren, überlegten Senga, wo sie mit dem Erkunden der Höhle beginnen sollten.
,,Wie wäre es mit dem Gang da?", schlug die Meerjungfrau vor und zeigte zu einem schimmernden Eingang, ,,Da gibt es bestimmt noch mehr dieser wunderschönen Edelsteine! Ich habe so etwas noch nie gesehen."
Douglas schüttelte leicht den Kopf. ,,In einem Gang muss es einen Fluss oder etwas Ähnliches geben, das hört man. Lasst uns dort nachsehen."
Senga lauschte einen Moment. Tatsächlich tropfte es irgendwo in der Höhle. Das weckte auch ihre Neugier. ,,Wir gehen sowieso überall einmal hin", beruhigte sie.
Greta machte ein schlechtes Gesicht, was vermutlich daran lag, dass Douglas nicht erfahren sollte, dass sie einen mit Schuppen besetzten Fischschwanz hatte. Diese Sorge war berechtigt, das musste Senga zugeben.
Dennoch sprach sie sich für den wässrigen Gang aus. Greta zog sich Sengas Pudelmütze als Schutz über und die Entdeckerin holte ihnen eine Laterne mit Teelicht im Inneren des Eisens. Daraufhin schritten sie aufmerksam durch den von ihnen aus linken Eingang.
Die Höhlendecke war nun nicht mehr einige Meter über ihnen sondern nur ein Stück über ihren Köpfen. Douglas war der größte von ihnen und beschwerte sich leise.
Im Gegensatz dazu konnte Senga sich in diesem Moment gar nicht beschweren. Von der Höhle ging eine bestimmte, ungreifbare Energie und Kraft aus. Die Aschblonde fühlte sich gestärkt und nicht wie eine Person, die seit Tagen im Wald übernachtete. All die Sorgen in ihrem Hinterkopf lösten sich in Luft auf.
Douglas wurde still und schien sich nicht mehr so arg am Platzmangel zu stören.
Der Weg war lang und es sah überall gleich aus, aber dann öffnete der Gang sich zu einem weiteren überdachten Raum aus Stein. Douglas' Mund öffnete sich vor Erstaunen.
,Was sieht er?', fragte sich Senga. Die Meerjungfrau tippte ihre Schulter an und zeigte dann vor ihren Augen Richtung Höhlendecke. Niemand von ihnen wagte es, bei diesem Anblick die respektvolle Stille zu brechen.
Die grauen, hier und da glänzenden Höhlenwände wurden mit welchen in beigem Farbton ersetzt. Vor ihnen gab es einen seichten, glasklaren See und die Höhlendecke enthielt ein paar Löcher, durch die Tageslicht drang und war wieder weiter oben. An ihr hatten sich über Jahrhunderte hinweg riesige eierschalenweiße Tropfsteine gebildet.
Ein paar dieser Steine zeigten auch mit der dünnen Spitze nach oben, weil sie aus dem Grund des Sees spießten. Von den Tropfsteinen an der Decke glitten regelmäßig Wassertropfen.
,Besteht der ganze See vor uns aus ihrem Wasser?'
,,Wer seid ihr?", ertönte es plötzlich von einer kleinen Insel aus Gestein im See aus. Sengas Blick wanderte zum Ursprung der Stimme.
Eine hübsche Frau mit unzähligen Sommersprossen und roten Haaren saß auf der kleinen Insel und schaute die Besucher fragend an. Neben ihr stand ein Wasserkrug, der in Sengas Kopf einen Klingeln auslöste, aber ganz konnte sie noch nicht fassen, was das bedeutete.
Ihr Körper schimmerte wie der eines Geistes und wirkte, als könne man hindurch fassen. Die Farben ihres Körpers waren zwar transparent, aber gut erkennbar.
,,Wir sind auf einer... Entdeckungsreise. Gestern Abend mussten wir hier Schutz suchen und weil die Höhle so spannend wirkte, schauen wir uns gerade alles an. Wir hoffen, es stört niemanden", erklärte Greta.
Die Frau, die ein kurzes und simples weißes Kleid trug, musterte Greta eingehend. ,,Ist sie auch ein Erdgeist?", fragte eine neue Stimme.
Unter einem Tropfstein am Rand dieses Höhlenteils stand eine zweite Frau mit geisterhaften Körper, heller Haut und blonden, vom Wasser gelockten Haaren. Sie hielt ihre Hände in der Luft und bewegte die Finger.
Immer, wenn sie einen davon senkte oder anders bewegte als die restlichen, glitt ein Tropfen von dem Tropfstein, unter welchem sie stand.
Die Rothaarige schüttelte den Kopf, ehe Douglas sich wundern konnte. ,,Nicht ganz."
,,Und? Was macht ihr so?", fragte das einzig männliche Wesen. ,,Wasser, äh... lenken?"
Die Blonde schüttelte den Kopf. ,,Nicht nur. Wir kontrollieren alles, was dieses Wasser angeht. Und manchmal weben wir in der Höhle, da es schön kühl ist."
Das hatte Senga doch auch schon einmal gehört...
,Natürlich! Sie sind Nymphen! Wassernymphen könnten sie sein, aber die Blonde fragte, ob Greta wie sie ein Erdgeist ist. Da bleiben nur noch Höhlen- oder Grottenymphen.'
Senga verbeugte sich ein wenig und die drei durften zusehen, wie die Nymphen sämtliche Tropfen fallen ließen, in den See lenkten und das Wasser erwärmten. Sie unterhielten sich mit den äußerst gesprächigen Nymphen und die boten ihnen an, einen Tropfen der Tropfsteine zu kosten.
Es freute Senga, dass das Grottenwasser köstlich schmeckte. Schließlich hatte sie bereits ihre Flasche damit gefüllt.
Senga erzählt den Nymphen von den Fabelwesen, die sie bisher gesehen hatten, und die Blonde informierte freundlich: ,,Wenn ihr dem zweiten Gang folgt, kommt ihr zur kleinen - zumindest für uns, für sie ist diese bestimmt groß - Miene der Zwerge."
Douglas und seine beste Freundin berieten sich kurz, dann verabschiedeten sie sich von den Höhlennymphen, um nach jenen Zwergen zu suchen. Greta wollte noch länger mit den Nymphen sprechen, was man der Meerjungfrau kaum verübeln konnte.
Ohne Douglas könnte sie im See schwimmen und sich besser mit den Erdgeistern austauschen.
Wieder an ihrem Ausgangspunkt beim Zelt angelangt, schrieb Senga das Neueste in ihr Tagebuch.
Liebes Tagebuch,
beim Erkunden der spontanen Unterkunft sind wir auf eine Tropfsteinhöhle gestoßen. Die sah wirklich unglaublich aus mit den beigen Wänden, riesigen Tropfsteinen und einem glasklaren See in der Mitte.
Aber das unglaublichste an ihr waren die zwei Höhlennymphen, die wir dort angetroffen haben. Sie haben sich um all das Wasser gekümmert und uns gezeigt, wie sie es schweben lassen oder erhitzen. Greta ist noch immer bei ihnen.
Höhlennymphen zählen zu den Erdgeistern, die normalerweise männlich sind. Ausnahmen wie die Erd-, Wald-, Grotten- und Höhlennymphen bestätigen aber die Regel.
Höhlennymphen sind wie Engel und Geister Feinstoffwesen, also haben sie keinen physischen Körper. Dafür sind sie für ihre jeweilige Naturkraft verantwortlich und können sie bis zu einem gewissen Grad kontrollieren.
,,Kommst du?", unterbrach Douglas die Schreiberin. Er stand bereits beim rechten Gang und tippte ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden.
,,Klar." Senga ging zu ihm und sie liefen durch den Gang. Die Meerjungfrau wäre wirklich so begeistert gewesen wie sie vermutet hatte, denn die Edelsteine in der Wand waren atemberaubend. Ihre Farben reichten von Blau und Grün über Gelb und Orange bis zu Rot und Lila. Ein paar waren sogar durchsichtig mit vielen bunten Flecken, die je nach Lichteinfall anders wirkten.
Auch dieser Gang endete in einem größeren Hohlraum. Darin standen mehrere selbst aus Steinen, Stöcken und von Menschen verlorenen Gegenständen erbaute Geräte. Zwergenmützen in so vielen Farben wie die Edelsteine sie vertraten eilten und huschten umher.
Jeder schien seine eigene Aufgabe zu haben und wenn alle alles richtig machten, kamen hervorragend geschliffene Steine dabei heraus.
Die meisten Zwerge waren zu beschäftigt, um Senga oder Douglas zu bemerken. Aber einer der größten mit einem Bart und großer runder Nase stellte sich mutig vor Senga auf. ,,Was macht ihr hier?", nuschelte er.
Erneut erklärte Senga, was sie auf ihrer Reise schon gesehen hatte und dass diese Begegnungen das Ziel jenes Aufbruchs gewesen waren. ,,Die Höhlennymphen auf der anderen Seite haben uns von euch erzählt und wir wollten einmal vorbeischauen. Braucht ihr vielleicht Hilfe bei etwas?"
Jene Frage hatte die Schottländerin gestellt, um nicht allzu unhöflich und neugierig zu rüberzukommen.
Das Oberhaupt der Zwerge nahm sie jedoch vollkommen ernst und beim Wort. ,,Ja, definitiv. Ihr könntet deine entzückenden Höhlennymphen dazu bringen, nicht mehr viel zu laut zu singen und alles Wasser plätschern zu lassen!", beklagte er sich.
Ein anderer Zwerg in blauer Kleidung hüpfte neben ihn. ,,Und wenn ihr sie überreden könnt, erhaltet ihr einen Teil unseres mit mühsamer und jahrelanger Arbeit angehäuften Reichtums, so unwahrscheinlich ist es, dass sie so etwas versprechen!"
Die Zwerge wirkten auf Senga tatsächlich, als hätten sie bei der Arbeit gerne ihre Ruhe, da sie bis auf die Geräusche ihrer Maschinen nichts hören konnte.
Douglas sah eine Wand mit zig alten Talern, die Bergleute verloren haben mussten und strahlenden Diamanten und Rubinen und antwortete: ,,Wir werden es versuchen."
𖦁༺💎༻𖦁
Beim Abholen der Meerjungfrau vom See der Nymphen versuchte Senga, diese davon zu überzeugen, ein wenig leiser zu sein. Aber sie sahen nichts Falsches an ihrer lauten, extravertierten Art und sie fanden keinen Kompromiss.
Also gab Senga für heute auf und fragte Greta auf dem Weg zum Zelt stattdessen, ob sie Spaß gehabt hatte.
Die Brünette erwiderte, dass sie das Gefühl warmen Wasser um sich unterschätzt hatte und überzeugte Douglas später davon, beim Abendessen nicht über die Taler der Zwerge zu sprechen, sondern den Abend ausklingen zu lassen wie sonst auch.
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