25. Geschenke & Karte
Shuumei warf Akaris Eltern einen zornigen Blick zu und folgte Akari dann eilig. Im Flur war sie nicht mehr, aber da ihre Schuhe noch an der Tür standen, war sie wohl die Treppe nach oben gelaufen.
Bevor ihn jemand aufhalten konnte, folgte er ihr und klopfte vorsichtig an der Tür, auf der ihr Name stand.
Akari lag auf ihrem Bett und hatte sich zusammengerollt, die Hände weiterhin auf ihre Ohren gepresst.
Zögerlich ging Shuumei auf sie zu. Als er neben ihr stehen blieb, hörte er, dass sie leise etwas summte. Der Ton brach immer wieder weg, aber sie hörte trotzdem nicht auf.
Vorsichtig setzte sich Shuumei neben ihrem Bett auf den Boden.
"Tut mir leid", gab er leise zu. "Es tut mir wirklich leid. Ich hätte das nicht einfach machen sollen. Aber ich war so wütend und es hat sie so gar nicht interessiert ..."
Akari reagierte nicht. Wahrscheinlich hatte sie ihn nichtmal gehört.
Vorsichtig streckte Shuumei seine Hand aus und berührte Akari an der Schulter. Statt sich zu ihm umzudrehen, rollte sich das Mädchen allerdings nur weiter zusammen.
„Es tut mir leid", wiederholte er, aber Akari reagierte nicht.
Unten im Wohnzimmer konnte er die lauten Stimmen ihrer Eltern hören, scheinbar stritten sie noch immer. Aber wahrscheinlich würden sie bald nach hier oben kommen, um ihn rauszuschmeißen.
Vielleicht hatten sie ja sogar recht damit, er hatte sich ohne nachzudenken, in etwas eingemischt, von dem er keine Ahnung hatte. Akari hatte ihm ja eigentlich nichts erzählen wollen.
Shuumei seufzte und stand auf. Akaris Zimmer war hübsch eingerichtet, ihr weißes Bett stand gegenüber der Tür, auf der rechten Seite ein ebenfalls weißer Kleiderschrank und links an der Wand, unter einem Fenster, ein Schreibtisch aus hellem Holz. Sie schien die Farbe violett wohl sehr zu mögen, denn genau wie ihr Bett war auch ihr Schreibtischstuhl mit violettem Stoff bezogen.
Sein Blick fiel auf zwei kleine Päckchen, die auf dem Schreibtisch lagen. Das eine war Noris Geschenk, er hatte es kurz gesehen, bevor Akari es eingesteckt hatte. In dem Moment hatte er sich ein wenig schlecht gefühlt, weil er ihr auch gerne ein Geschenk gegeben hätte, allerdings hatte er es daheim gelassen, weil er Sorge hatte, sie in eine unangenehme Situation zu bringen.
Aber was war das andere Päckchen?
Er hörte neben sich ein Rascheln und blickte Akari, die sich mittlerweile zu ihm umgedreht hatte, ins Gesicht. Ihre Augen waren gerötet, genauso wie ihre Wangen. Shuumei konzntrierte sich darauf, sie nicht in den Arm zu nehmen und einfach nur stehen zu bleiben. Aber sie sah so verletzt aus, dass alles in ihm danach schrie, sie zu trösten. Dabei war er ja in gewisser Weise sogar schuld daran, dass es ihr nun so schlecht ging.
„Tut mir leid", wiederholte er leise und senkte den Blick. Er sollte wirklich gehen, wenn er hier blieb, würde er die Situation für Akari nur noch schwieriger machen.
Er wandte sich zur Tür. „Ich gehe nach Hause, okay?"
Akari presste einen Moment ihre Lippen aufeinander und schien mit sich zu ringen, bis sie leicht einen Arm hob und zu ihrem Schreibtisch deutete. Shuumei sah, dass ihre Hand leicht zitterte und sein Herz zog sich zusammen.
„Das Geschenk ... rechts ... ist für dich", murmelte sie und zog ihren Arm dann schnell wieder unter die Decke zurück.
Shuumei traute einen Moment seinen Ohren nicht, lief dann aber mit langsamen Schritten zu ihrem Tisch. Tatsächlich stand auf dem rechten Geschenk mit silberner Schrift sein Name.
Wollte sie ihm wirklich jetzt ein Geschenk geben? Nachdem er gerade so ein Chaos in ihrer Familie ausgelöst hatte? Wahrscheinlich hätten sie sich ohne ihn schnell wieder vertragen und dann zumindest den zweiten Weihnachtstag gemeinsam verbracht. In seiner Familie hielten solche Unstimmigkeiten auch nicht länger als einen Tag an.
Vorsichtig hob er das Geschenk hoch. Im Gegensatz zu seinem eigenen, war es sauber verpackt, ohne unnötige Knicke oder Falten und das Klebeband hatte genau die passende Größe und Position, um gut gelöst werden zu können. Wenn er Akari nicht kennen würde und wüsste, dass sie es selbst verpackt hatte, hätte er entweder auf ihre Mutter oder eine Verpackstation getippt.
Als er sich wieder zu Akari umdrehte, hatte sie sich bereits abgewandt und zusammengerollt. Shuumei zögerte einen Moment, ging dann aber vorsichtig zu ihr und strich ihr sanft über den Kopf. Dann zog er hastig seine Hand zurück und verabschiedete sich, bevor er das Zimmer verließ und die Treppe hinunter lief.
Während er seine Schuhe anzog, lief Akaris Mutter an ihm vorbei. Sie warf ihm einen finsteren Blick zu, sagte aber nichts, sondern beeilte sich, zu Akari zu gehen.
Daheim angekommen, ignorierte Shuumei seine Schwester, die sich neugierig erkundigte, was denn so lange gedauert hatte und schlug die Tür hinter sich zu. Immerhin fragte sie nicht weiter.
Er ließ sich aufs Bett fallen und vergrub sein Gesicht in seinem Kissen. Warum war das alles so eskaliert? Natürlich war er wütend auf ihre Eltern und wollte, dass sie einsahen, was sie Akari angetan hatte. Sie sollten so etwas nie wieder tun! Aber nun hatte er Akari verletzt und diese Gewissheit nagte an ihm, seit sie aus ihrem Wohnzimmer gerannt war.
Er seufzte tief. Verdammter Mist. Womöglich hatte er jetzt nur alles schlimmer gemacht. Dabei hatte er doch nur helfen wollen!
Irgendwann fiel ihm das Geschenk wieder ein, dass er neben sich hatte fallen lassen. Immerhin war es nicht zu Boden gestürzt, hoffentlich war nichts Zerbrechliches darin.
Er setzte sich auf und begann, das mit Schneeflocken bedruckte Geschenkpapier aufzureißen. Um die Klebestreifen sauber zu lösen, fehlte ihm die Geduld.
Als erstes fiel ihm eine kleine Plastiktüte voller Weihnachtsplätzchen entgegen. Sie waren alle sorgsam und einzeln dekoriert. Sofort musste Shuumei wieder an das Kulturfestival denken und ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.
Unter den Keksen lag eine kleine Karte mit einer CD.
Frohe Weihnachten, Sasaki-san!
Ich hoffe, die Kekse werden dir schmecken, auch wenn sie nichts Besonderes sind.
Die CD ist das erste Album von Ado »Kyougen«. Ich mag die Lieder sehr, vielleicht gefallen sie dir auch.
Ich wünsche dir und deiner Familie ein schönes Weihnachtsfest!
- Akari
PS: Vielen Dank für die letzten Monate!
Sasaki las die Karte mehrfach und ein warmes Kribbeln breitete sich in ihm aus. Akaris Handschrift war wie immer winzig, aber trotzdem so ordentlich und gut lesbar. Irgendwie niedlich, überlegte er, als er die etwas übertrieben runden Zeichen betrachtete.
Die Titel aus Ados Album klangen alle interessant. Als er »Odo« in der Liste entdeckte, musste er Lächeln. Das waren also alles Lieder, die Akari gerne hörte.
Neugierig holte er seinen CD-Spieler aus dem Regal und legte die Musik ein.
Während als erstes »Ready Made« ertönte, las er die Karte erneut durch und wieder kehrte dieses warme Gefühl zurück. Wie Zuckerguss oder geschmolzene Schokolade auf frisch gebackenen Keksen.
Er musste Akari unbedingt noch sein Geschenk vorbeibringen. Aber vielleicht wäre es besser, wenn er es nur in den Briefkasten werfen würde, statt es ihr persönlich zu übergeben. Ihre Eltern würden ihn ohnehin nicht ins Haus lassen.
***
Am nächsten Morgen setzte Shuumei seinen Plan zeitnah in die Tat um, denn er wollte, dass Akari das Geschenk zumindest noch in der Weihnachtszeit erhielt.
Vor allem wollte er aber verhindern, dass sie davon ausging, dass er ihr nichts schenkte. Wahrscheinlich war es für sie noch schlimmer als für ihn, als einzige mit einem Geschenk dazustehen und zu denken, dass es der anderen Person egal war.
Er wollte nicht, dass sie sich diese Gedanken machte, schließlich war sie ihm nicht egal.
Der Drang, ihr zu sagen, was er für sie empfand, wurde langsam immer stärker. Aber gerade jetzt hatte er sich seine Chancen erstmal ruiniert.
Also brachte er sein Geschenk zu ihrem Haus und legte es vorsichtig unter der kleinen Überdachung vor die Tür, da es nicht in den Postkasten passte.
Akaris Name stand, so ordentlich er es geschafft hatte, oben drauf. Sie sollte es also bekommen, wenn ihre Eltern es fanden.
***
Die restlichen Ferien sahen sie sich nicht mehr. Shuumei hatte sich, nachdem er sein Geschenk vorbeigebracht hatte, bei ihr bedankt. Sie hatte die Nachricht erst einige Stunden später gelesen und dann das Dankeschön erwidert.
An Neujahr hatte Shuumei überlegt, ob er sie zu einem Schreinbesuch einladen sollte, aber es dann doch nicht getan, aus Unsicherheit, ob mittlerweile wieder alles in Ordnung war.
So vergingen die Ferien, ohne dass sie nochmal miteinander sprachen.
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