24. Wut & Geschrei
"Hast du ihnen erzählt, was heute Nacht passiert ist? Dass du fast ..." Shuumei stockte bei der Erinnerung. Auch wenn es erst wenige Stunden zurücklag, als er wieder daran dachte, wie sie einfach zu Boden gestürzt war und danach nahezu gewichtslos und kalt in seinen Armen gelegen hatte. Bei dem Gedanken wurde ihm kalt. Was wenn er sie nicht rechtzeitig gefunden hätte? Wäre sie dort draußen einfach erfroren?
Er musste seinen Satz gar nicht beenden, stellte er fest. Akari schüttelte vorsichtig den Kopf.
"Sie ... wissen nicht, dass ich seit gestern weg bin."
Shuumeis Augen weiteten sich erstaunt.
"Sie denken, ich bin heute morgen gegangen."
"Was?!", platzte es diesmal laut aus ihm heraus. Zu laut.
Er sah, wie Akari zusammenzuckte und sofort fiel die zornige Flamme in seinem Inneren wieder in sich zusammen.
"Sorry", murmelte er leise und Akari winkte schnell ab. Allerdings erkannte er, dass sie entspannter tat, als sie sich fühlte.
"Deine Eltern haben nicht gemerkt, dass du gestern schon weg warst?", hakte er leicht ungläubig nach.
Akari wich seinem Blick aus und nickte. Sie schien sich unwohl zu fühlen, ihm davon zu erzählen. Shuumei tat es leid, gleichzeitig wurde er aber auch traurig. Sie schien ihm nicht genug zu vertrauen, um ehrlich mit ihm zu sein. Sie wollte ihm nicht alles erzählen.
Aber daran konnte er nicht mehr genau denken. Seine Gedanken hingen an etwas anderem.
"Wir gehen zu dir, okay?"
Selbst wenn Akari sich nicht traute mit ihm zu reden und auch nicht, ihren Eltern die Wahrheit zu sagen. Es war ihm egal. Er würde mit ihnen reden und sie würden es bereuen, Akari in diese Situation gebracht zu haben.
Akari nickte langsam und folgte ihm die Treppe nach unten.
Da Akaris Kleidung noch nicht trocken war und vor allem auch nicht warm, blieb ihr nichts anderes übrig, als weiterhin Satokos Kleidung zu tragen. Diese hatte damit allerdings kein Problem, stattdessen lieh sie Akari zusätzlich noch eine Winterjacke, die sie nicht brauchte.
Dick eingepackt machten sich die beiden also auf den Weg zu Akari nach Hause.
Diesmal waren Shuumeis Schritte schneller als sonst. Die Wut in seinem Inneren trieb in immer weiter an, er wollte zu ihr nach Hause und mit ihren Eltern reden.
Nachdem sie ein paar Minuten gelaufen waren, wurde er allerdings langsamer, da er nicht wusste, wo genau sie wohnte. Nachdem er einmal gefragt hatte und Nori eine Antwort geblockt hatte, hatte er es gelassen.
Als er sich zu Akari umdrehte, merkte er, wie schnell er die ganze Zeit gelaufen war. Viel zu schnell für das Mädchen. Sofort passte er sein Tempo an ihres an und bereute, dass er nicht früher Rücksicht genommen hatte.
Es dauerte nicht mehr lange, bis sie vor Akaris Haustür standen. Shuumei blickte nur kurz auf das Namensschild, dass sowohl den Namen Kuroi als auch Chatani zeigte. Für einen kurzen Moment, kam ihm er Gedanke, ob Akaris Eltern vielleicht geschieden waren. Aber dann würden sie wohl nicht zusammen wohnen. Und Akari hatte bisher noch nie von irgendwelchen Familienproblemen erzählte. Wahrscheinlich war der Vorfall am Vortag eine Ausnahme gewesen, eine besonders heftige Ausnahme.
Er drückte auf die Klingel und blieb vor Akari stehen. Er würde sie nicht ungehindert dem Schrecken aussetzen, der auf sie lauerte.
Eine Frau mit langen, braunen Haaren, blasser Haut und hellblauen, schmalen Augen, öffnete die Tür.
"Da bist du ...", begann sie mit schriller Stimme, verstummte aber, als sie Shuumei ansah.
"Wer bist du?"
"Sasaki", erwiderte er knapp.
Akari schob sich vorsichtig hinter ihm hervor und nun schien Akaris Mutter zu verstehen.
"Du bist also dieser Freund, der sie eingeladen hat?", fragte sie scharf.
Shuumei nickte geistesgegenwärtig, auch wenn er keine Ahnung hatte, wovon die Frau redete.
"Immerhin bist du jetzt wieder da, Akari. Warum hat das so lange gedauert? Und was hast du da eigentlich an?"
Akari murmelte eine Entschuldigung und versuchte dann zu erklären, dass sie keine Jacke dabei gehabt hatte.
Sie schob sich an Shuumei vorbei und betrat das Haus.
Ihre Mutter ließ sie hinein und wollte die Tür schließen, doch Shuumei trat nun ebenfalls hinein.
Sie blickte ihn wütend an, schien aber keine Szene machen zu wollen.
"Was willst du?", fragte sie also nur spitz.
"Reden", erwiderte Shuumei und bemühte sich, nicht in einem ähnlichen Tonfall zu reagieren.
"Worüber?" Nun klang Akaris Mutter tatsächlich verwirrt.
"Warum Akari-chan bei mir war und was passiert ist."
Über die Schulter ihrer Mutter, die ein gutes Stück kleiner war als er, sah er Akaris schockierten Gesichtsausdruck. Aber diesmal würde er darauf keine Rücksicht nehmen.
Bevor Akaris Mutter widersprechen konnte, schob er sich an ihr vorbei und zog ebenfalls seine Schuhe aus.
Akari schien am liebsten die Treppe nach oben verschwinden zu wollen, aber unter dem strengen Blick ihrer Mutter lief sie durch die linke Tür in ein Esszimmer.
Mit einer Küchenzeile davon abgetrennt befand sich die Küche und um die Ecke nach links, also neben dem Flur, das Wohnzimmer.
Insgesamt war es ein hübsches kleines Haus, fand Shuumei.
Dann fiel sein Blick auf einen dünnen, schwarzhaarigen Mann mit rotbraunen Augen. Er trug eine schmale Brille und einen grauen Pullover.
Das war wohl Akaris Vater.
Er saß in der Ecke des Sofas und sein Blick war auf sein Handy gerichtet, aber als die drei eintraten, blickte er auf.
"Akari, gut dass du wieder da bist. Wen hast du da mitgebracht?"
"Sasaki. Sasaki Shuumei", stellte er sich diesmal anständig vor und nickte ihm sogar zu. Er schien sich immerhin zu freuen, Akari zu sehen.
"Was willst du jetzt?" Akaris Mutter verschränkte die Arme und blickte ihn gereizt an. Zwischendurch warf sie ihrem Mann einen eisigen Blick zu, der sie aber einfach zu ignorieren schien.
Akari selbst stand noch immer schweigend an der Seite und blickte zu Boden.
Shuumei blickte zwischen ihren Eltern hin und her und spürte seine Wut wieder hochkochen. Akaris Vater schien gar nicht zu interessieren, was geschah.
"Wissen Sie eigentlich, was passiert ist? Ist Ihnen überhaupt aufgefallen, dass Akari seit gestern Abend nicht mehr hier war?"
Nun lagen alle Blicke auf ihm.
"Ich hab sie heute morgen nicht eingeladen! Sie ist verdammt nochmal weggelaufen wegen Ihnen! Aber Sie haben es nichtmal gemerkt, es kümmert Sie doch gar nicht!"
"Was erlaubst du dir eigentlich?!", schrie Akaris Mutter schrill dazwischen und auch ihr Vater erhob sich.
Shuumei funkelte beide wütend an. Die Gegenwehr befeuerte seine Wut weiter. Sie hatten Akari verletzt, dabei waren sie ihre Eltern! Wie konnten sie sich jetzt noch rechtfertigen?
"Sie ist fast erfroren! Ich weiß nicht was Sie für beschissene Probleme haben, aber ist es so verdammt schwer, ein schönes Weihnachten zu feiern?!
Sie haben nichtmal gemerkt, dass sie weg war! Aber sie muss natürlich sofort nach Hause kommen! Wissen Sie warum Akari andere Sachen trägt? Weil ihre eigenen noch immer komplett durchnässt sind! Weil sie wegen Ihnen da draußen im Schnee saß und nicht mehr nach Hause wollte!"
Nun baute sich Akaris Vater vor ihm auf.
"Junger Mann, ich denke du solltest jetzt gehen. Sofort. Du hast in meinem Haus nichts verloren und ich werde mich nicht so anschreien lassen."
Seine Stimme klang drohend, aber Shuumei zuckte nicht mit der Wimper.
Der Mann war nicht größer als er, stattdessen sogar noch schmaler. Einschüchtern konnte er ihn so nicht.
"Ich werde erst gehen, wenn Sie sich bei Akari entschuldigen. Wenn Sie sehen, was sie ihr angetan haben. Ihre Tochter wäre beinahe gestorben wegen Ihnen!"
"Das reicht jetzt", erklang die Stimme von Akaris Mutter schrill in der sich ausbreitenden Stille.
"Ich verbiete dir den Umgang mit meiner Tochter! Und jetzt verschwindest du auf der Stelle, bevor du weiter solche Lügen ausspuckst! Ich liebe Akari, ich würde bemerken, wenn sie verschwindet! Unterstell mir so etwas nicht!"
Shuumei fuhr herum und trat drohend auf sie zu. Seine Finger kribbelten und er bemühte sich, nicht mit den Knöcheln zu knacken, aber er wusste, dass er sowieso schon auf einem viel zu schmalen Grat wandelte.
"Haben Sie gestern nach ihr gesehen? Haben Sie wirklich nachgeschaut, wie es ihr geht? Oder waren Sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt?"
Akaris Mutter blieb nichts anderes übrig als zu ihm nach oben zu blicken.
Für einen Moment wurde ihr Blick unsicher. Sie hatte nicht nach Akari gesehen und das wusste sie.
"Es ist mir scheiß egal, ob Sie mir den Umgang verbieten. Aber immerhin ist Akari bei meiner Familie jederzeit willkommen. Immerhin sind dort Leute, die sich wirklich um sie sorgen. Und keine Eltern, vor denen sie zu große Angst hat, um den Mund zu öffnen."
"Raus! Verschwinde!", brüllte plötzlich Akaris Vater los. Shuumei fuhr erschrocken herum.
Allerdings war es nicht er, der den Raum verließ, sondern Akari.
Ohne ein Geräusch zu machen, rannte sie hinaus, die Hände auf ihre Ohren gepresst.
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