20. Videos & Weihnachten
Als Akari und Nori am nächsten Schultag in der Pause von Noris Auftritt erzählten, war Sasaki sehr beeindruckt. Akari konnte ihm leider keine Videos zeigen, da Aufnahmeverbot gegolten hatte, aber Nori rettete die Situation.
„Meine Tanzschule hat unsere Auftritte aufgenommen, also so offiziell, um damit auf der Webseite Werbung zu machen", erklärte sie und suchte kurz auf ihrem Handy.
„Hier."
Sie reichte ihr Handy an Sasaki, der ganz leise, um niemanden zu stören, den Ton anmachte.
„Wow, das sieht echt gut aus. Bisschen gruselig aber", stellte er fest und starrte gebannt auf den kleinen Bildschirm. Akari, die den Tanz ja bereits kannte, musterte ihn aufmerksam.
Seine Augen funkelten ein wenig und zwischendurch zuckten seine Mundwinkel nach oben. Irgendwie süß.
Nori wischte zur Seite und Sasaki konnte sich auch das zweite Video ansehen. Als Nori in die Mitte trat lachte er kurz.
„Ich wusste vorher gar nicht, dass du überhaupt tanzt", stellte er fest und blickte einen Moment nach oben.
Nori zuckte mit den Schultern und grinste. „Hat ja bisher auch nicht interessiert."
Sasaki nickte nur und blickte dann weiter auf das Handy.
Er schien Noris Tanz wirklich witzig zu finden, denn er grinste immer wieder.
„Hat jemand die Jacke gefangen?", erkundigte er sich am Ende und reichte Nori ihr Handy zurück.
„Jap, so ein Verwandter von einem aus der Theatergruppe", erzählte Nori und Akari blickte sie neugierig an. Davon wusste sie auch nichts.
„Er hat sie mir hinter der Bühne am Ende gegeben, als er seinen Bruder dort gesucht hat."
Noris Freunde nickten neugierig. War das schon alles? Hatten sie sich nicht noch irgenwie unterhalten?
Nori grinste, als die beiden auf eine Fortsetzung warteten.
„Er meinte, dass seine Schwester enttäuscht war, dass sie nicht an seinem Platz saß. Er hat mir dann ein paar Sätze von ihr ausgerichtet."
Diesmal lachte Akari leicht.
„Was genau denn?", hakte Sasaki nach.
„Nur eine Einladung ins Kino, ein paar Tage nach Weihnachten."
Nori begann zu lachen, als sie Sasakis verdutzten Gesichtsausdruck sah. Akari stimmte leise mit ein.
„Achso und er hat nach meiner Nummer für sie gefragt, aber die hab ich ihm dann nicht gegeben. Aber die Einladung klingt süß, ich hab gesagt, dass ich hingehe."
Sasaki nickte langsam, dann schien ihm endlich ein Licht aufzugehen.
Akari musterte ihn ein paar Sekunden lang, aber er meinte nur lächelnd: „Wird bestimmt schön."
Nori nickte und grinste breit.
"Aber apropos Weihnachten, wisst ihr schon was es bei euch an Heilig Abend zu essen gibt? Oder macht ihr irgendwas Besonderes?" Nori blickte Akari und Sasaki erwartungsvoll an.
"Das Übliche." Sasaki zuckte mit den Schultern. "Chicken Karaage und Kuchen. Und bei dir, Akari-chan?"
Das rothaarige Mädchen zuckte mit den Schultern. "Wahrscheinlich auch. Weiß nicht ..."
Nori nickte nachdenklich. "Bei uns kommt die ganze Verwandtschaft, also wird es garantiert ein riesiges Buffet! Ich freu mich schon so drauf!"
Sie strahlte über das ganze Gesicht.
"Ihr feiert so groß?" Sasaki blickte Nori neugierig an. "Bei uns sind es nur meine Eltern, ich und meine Schwester. Und bei dir, Akari?"
Schon lag sein Blick wieder auf Akari.
"Nur ich und meine Eltern."
"Ich bin echt froh, dass wir endlich Ferien haben", gab Sasaki grinsend zu. "Die Hausaufgaben bringen mich um. Und früh aufstehen sowieso."
Nori warf Akari einen vielsagenden Blick zu. Wahrscheinlich, um sie darauf aufmerksam zu machen, dass Sasaki ohne sie viel länger schlafen würde. Er tat es also in gewisser Weise für sie. Das war zumindest Noris Perspektive.
Akari ging eher davon aus, dass Sasaki froh war, pünktlich zur Schule zu kommen. Seine Mutter sowieso, deshalb empfing sie Akari auch immer so fröhlich.
Bevor sie sich weiter unterhalten konnten, ging der Unterricht weiter. Es war bereits die letzte Stunde und nachdem die Schulglocke läutete, packten sie schnell zusammen. Am letzten Schultag wollte niemand unnötig lange in der Schule bleiben.
"Nochmal danke für das Geschenk, Akari! Ich freu mich schon auf heute Abend. Pack du deins dann auch aus und schreib mir, ja?" Nori drückte ihre beste Freundin fest an sich, dann lief sie winkend davon.
Akari spazierte neben Sasaki her zur Haltestelle. Die Stille war angenehm und Akari war sehr froh, nicht reden zu müssen.
Daheim angekommen wurde Akari von Geschrei empfangen. So ging es bereits seit mehreren Tagen.
Denn zur Weihnachtszeit, wenn alle Welt glücklich mit der Familie beisammen war, wurde ihren Eltern wieder klar, dass sie kein Interesse an gemeinsamer Zeit hatten. Aber niemand konnte Akari für sich alleine haben, also waren sie gezwungen, Zeit zusammen zu verbringen.
Akari stellte ihre Schuhe ab, hielt sich die Ohren zu und rannte die Treppe nach oben in ihr Zimmer. Auch nachdem sie die Tür geschlossen hatte, schien das Geschrei weiter anzuschwellen. Hastig steckte sie sich ihre Kopfhörer in die Ohren und startete eine Playlist von Ado. Gerade war es ihr egal, welches Lied ertönte. Hauptsache es war laut genug, um alles andere auszublenden.
Nachdem sie sich wieder ein bisschen beruhigt hatte, lief sie zu ihrem Schreibtisch und strich nachdenklich über das kleine Geschenk, das dort ordentlich verpackt lag.
Sie hatte sich am Morgen nicht getraut, es mitzunehmen. Nun bereute sie es zwar, denn damit hatte sie ihre Chance vertan, aber andererseits war sie auch ein bisschen froh. Denn Sasaki hatte ihr auch nichts geschenkt. So war es immerhin nicht unangenehm geworden.
Seufzend ließ sie sich auf ihr Bett fallen und stellte sich vor, wie sie vor etwa fünf Jahren mit ihren Eltern Weihnachten gefeiert hatte. Damals hatte es unglaublich viele Süßigkeiten gegeben, ihre Eltern hatten zusammen in der Küche gestanden und alles vorbereitet. Damals hatte sie sich auch noch so unglaublich über Geschenke gefreut, dass sie es gar nicht bis abends abwarten konnte. Bis auf das Lachen der glücklichen Familie war es immer schön still gewesen.
Und während Akari darüber nachdachte, gelang es ihr, Weihnachten doch ein bisschen zu genießen.
Ein lautes Klopfen an ihrer Tür schreckte sie aus ihren Gedanken hoch.
"Akari Schatz, kommst du essen?"
"Ja", erwiderte Akari viel zu leise und ließ ihre Kopfhörer auf ihrem Bett liegen, nachdem sie die Musik gestoppt hatte.
Ihr Handy steckte sie schnell in die Tasche ihrer Strickjacke.
Ihre Mutter wartete vor der Tür, um mit ihr gemeinsam nach unten zu gehen. Währenddessen begann sie direkt mit einer Erklärung: "Dein Vater hat sich wie jedes Jahr angestellt, dass er nicht beim Kochen helfen will, deshalb musste ich jetzt alles allein machen. Und weil er es nichtmal schafft, richtig einzukaufen, konnte ich leider keinen Kuchen backen. Wenn es dich stört, beschwer dich gerne bei deinem Vater."
Akari nickte ergeben und betrat hinter ihrer Mutter das Esszimmer.
Ihr Vater hatte alles gehört und warf ihrer Mutter zornige Blicke zu. "Das ist typisch für dich, du hast deinen Einkaufszettel einfach so bescheuert geschrieben. Was ist es meine Schuld, wenn du die Hälfte vergisst?"
"Ich hab also was vergessen? Du kannst doch einfach nicht aufmerksam lesen, was da steht. Wo ist denn sonst der Zettel? Du willst einfach nicht zugeben, dass du Mist gebaut hast, deshalb hast du ihn natürlich verloren!"
Anstatt dass Akari und ihre Mutter sich hinsetzten, stand nun auch ihr Vater auf.
"Was ist eigentlich dein scheiß Problem?! Warum sollte ich so einen Fresszettel aufbewahren? Ich hab ihn einfach weggeworfen, als ich fertig mit einkaufen war! Bedank dich doch lieber, dass ich das für dich gemacht hab!"
"Bedanken?!" Die Stimme ihrer Mutter ging nun in ein Kreischen über. "Willst du mich verarschen?! Ich soll mich bei dir bedanken?! Was machst du denn, außer herumsitzen? Ich muss mich hier um alles kümmern! Alles! Dich interessiert es doch nicht einmal, was mit Akari ist! Ich bin diejenige, die sie immer fragt, wie die Schule läuft, obwohl ich schon mit dem Haushalt genug zu tun hab!"
"Jetzt mach aber mal nen Punkt!" Akaris Vater brüllte so laut das Akari mehrere Schritte zurückwich und sich mit panisch aufgerissenen Augen die Ohren zuhielt. Ihr Herzschlag raste wie laute Paukenschläge in ihren Ohren.
"Ich mache mehr als genug und du bedrängst Akari doch nur, merkst du gar nicht, dass sie keine Lust hat mit dir zu reden? Unglaublich, du fragst sie was! Aber sie antwortet nie, merkst du das eigentlich!"
Akari wich weiter zurück. Es brachte nichts, sich die Ohren zuzuhalten. Die Stimmen ihrer Eltern waren zu laut. Ihr Kopf würde platzen, wenn sie das noch länger mit anhören musste.
"Deine Essenswünsche stehen für dich doch an erster Stelle! Dass es an Weihnachten Akaris Lieblingskuchen geben sollte, geht dir doch am Arsch vorbei! Sie interessiert dich kein bisschen! Wegen dir ist Weihnachten jedes Jahr so zum Kotzen, das ist alles deine Schuld!!"
Das stimmte alles gar nicht.
Der Sahnekuchen war gar nicht ihr Lieblingskuchen. Ihre Eltern waren beide schuld. Aber Akari dachte nichtmal daran, diese Gedanken laut auszusprechen. Sie wollte weg. Irgendwohin, wo sie ihre Eltern nicht hören konnte.
Ohne eine Sekunde zu zögern, rannte sie in den Flur, zog im Laufen ihre Schuhe an und stürmte aus dem Haus.
Weg. Einfach weg. Sie hielt sich weiter die Ohren zu und versuchte, die Tränen zurückzuhalten. Aber es gelang ihr nicht. Sie zitterte am ganzen Körper und rannte einfach weiter, bis sie nicht mehr konnte.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro