19. Nori & Tanzen
Trotz Akaris Versprechens, nochmal mit Sasaki zum Karaoke zu gehen, zogen die Wochen dahin und es kam zu keinem Treffen. Das galt nicht nur für Sasaki, sondern auch für Nori.
Akaris beste Freundin hatte zur Weihnachtszeit, die kurz bevor stand, immer einige Auftritte und auch ihr Tanzunterricht fand entsprechend häufig statt.
Akari freute sich sehr über die Videos, die Nori ihr jedes Wochenende schickte, in denen sie in verschiedensten Gewändern tanzte. Es war alles dabei, von Latein, über Hip-Hop, bis zu House. Akari verstand nicht viel von den Begriffen, aber die Videos fesselten sie alle.
Etwa eine Woche vor Weihnachten lud Nori sie zu einem Auftritt in der Stadthalle ein.
Nachdem Akari ihre Eltern überzeugt hatte, dass sie auch ohne ihre Aufsicht dorthin gehen durfte, obwohl es spät werden würde, war ihre Mutter beleidigt, weil sie ihre Tochter begleiten wollte.
Das Argument, dass Akari ihr Ticket nicht selbst besorgt hatte, und daher nichts tun konnte, zählte nicht. Sie hätte Nori sagen müssen, dass ihre Mutter auch ein Ticket brauchte.
Ihr Vater war dabei außen vor, er hatte von Anfang an kein Problem damit gehabt, Akari zum Auftritt gehen zu lassen. Und selbst würde er ohnehin nicht hingehen wollen.
Am Nachmittag machte sich Akari also aufgeregt, aber auch genervt, auf den Weg und wurde am Eingang der Halle direkt von Nori entdeckt. Darüber war sie recht froh, denn es wimmelte bereits von Menschen, die sich ihre Plätze suchten oder sich etwas Warmes zu trinken kauften.
Es trat nicht nur Noris Tanzschule auf, sondern noch eine weitere, ein Blasorchester, ein Kirchenchor und eine Theatergruppe.
Dank Nori, die Akari zu ihren Familienmitgliedern gezählt und daher für sie ein reduziertes Ticket bekommen hatte, setzte sich die Rothaarige nun neben die Eltern ihrer besten Freundin in eine der vordersten Reihen. Die Aufsicht ihrer Eltern brauchte sie hier definitiv nicht.
Es vergingen einige Minuten, bis alle Plätze belegt waren und der Saal dunkel wurde. Dann öffnete sich der dunkelrote Vorhang und die Bühne wurde beleuchtet.
Die vielen metallenen Instrumente glänzten gold und silbern. Das Blasorchester saß in drei Reihen auf ihren Stühlen, vor ihnen der Dirigent, der sich nun zum Publikum umdrehte und sich verbeugte.
Akari klatschte mit allen anderen, dann drehte sich der Dirigent um und hob die Arme. Auf seinen Einsatz hallten die verschiedenen Klänge der Instrumente durch den Saal. Die Querflöten hoch und luftig, die Posaunen tief und vibrierend, die Trompeten und Saxophone laut und aufregend, als würden sie sich um die Melodie streiten.
Auch wenn es recht laut war, vor allem so weit vorne, lächelte Akari und genoss die Musik.
Als das Orchester nach vier Stücken fertig war, räumten sie unglaublich schnell und koordiniert ihre Stühle weg, während ein Mann im schwarzen Anzug mit einem Mikrofon auf die Bühne trat und alle Gäste begrüßte. Er führte sie kurz durch das Programm und wünschte ihnen dann viel Freude.
Gerade rechtzeitig war auch das Orchester mit dem Abbau fertig und die Bühne war nun freigegeben für die anderen Künstler.
Nun war Noris Tanzschule an der Reihe.
Das Licht ging aus und Akari konnte nur undeutliche Schatten erkennen, die auf der Bühne umherliefen, bis sie alle ihre Position gefunden hatten.
Als die Musik begann, hellte sich Akaris Blick auf.
»You are my special!«
Sofort musste sie lächeln. Warum hatte Nori ihr nicht erzählt, dass sie eine Aufführung zu »Specialz« von King Gnu haben würden?
Während die ersten, leicht schaurigen Töne erklangen, wurde die Bühne rot beleuchtet. Die Tänzer passten sich den unheimlichen Geräuschen an und schienen wie Bäume im Wind zu schwanken.
Mit dem Gesang begannen sie alle, sich zu bewegen. Zunächst mit unregelmäßigen, ruckartigen Bewegungen, die stark an Zombies erinnerten.
Doch sobald sich die Musik veränderte, strömte die zweite Reihe mit fließenden Bewegungen nach vorne.
Akari starrte gebannt auf die beiden verschiedenen Gruppen, die immer wieder miteinander verschmolzen, nur um dann auf einmal auseinanderzuspringen.
Durch das rote Licht erhielt das Geschehen einen mysteriösen Touch, der alle Zuschauer fesselte. Vielleicht hätte der Auftritt an Halloween besser gepasst?
Leider konnte Akari Nori in der Menge nicht ausmachen, dazu war es zu dunkel. Allerdings hatte sie doch eine Vermutung, als beim Refrain drei Leute nach vorne kamen. Nori hatte eine ganz besonders energische Art, mit der sie ihre Arme bewegte oder sich drehte.
Eine Gänsehaut breitete sich auf Akaris Armen aus und sie konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Mit diesem Auftakt konnte sie die nächsten Tänze kaum abwarten.
Mit jedem »we're special« gingen mehr Tänzer auf den Boden und blieben regungslos liegen, ihre Silhouetten weiterhin schaurig beleuchtet.
Die übrigen rutschten immer weiter zusammen, bis letztendlich nur noch zwei Gestalten standen. Akari war sich sicher, dass die Vordere Nori war, die beim letzten »You are my special« zu Boden fiel.
Der Junge, der hinter ihr gestanden hatte, reckte einen Moment seinen Arm in die Höhe, bis er auf die Knie ging und sein Gesicht in den Händen vergrub.
Dann ging das Licht aus und dröhnender Applaus erfüllte den Saal.
Akari strahlte über das ganze Gesicht und schloss sich dem lauten Pfeifen an.
Nach einigen Sekunden wurde es wieder still und das nächste Lied begann.
Akari musste sich zusammenreißen, kein Geräusch zu machen, als sie »Odo« von Ado erkannte. Im selben Moment wusste sie, dass es Noris Lied war. Auch wenn sie mit ihrer Gruppe auftreten würde, es war definitiv Noris Auftritt. Denn »Odo« war das einzige Lied, dass »I'm Invincible« seinen Platz als Noris Lieblingslied streitig machen konnte.
Die Tanzgruppe klatschte passend zur Musik, während das Licht langsam immer heller wurde. Zwischendurch flackerte es hell auf und zum ersten Mal an diesem Abend konnten die Zuschauer die Tänzer wirklich erkennen.
Wie erwartet stand Nori ganz vorne in der Mitte und zog alle in ihren Bann. Mit einem selbstbewussten, frechen Grinsen im Gesicht, hieb sie ihre Ellenbogen nach außen. Ihre offene, schwarze Jacke folgte ihren energischen Bewegungen und gab den Blick frei auf den ebenfalls schwarzen Sport BH und ihren gebräunten Bauch.
Die anderen hielten einen gewissen Abstand um sie und bewegten sich synchron, wodurch Nori noch mehr herausstach.
Aber das machte ihr nichts. Und auch den Tanz beeinträchtigte es nicht im geringsten. Denn Nori gehörte genau dort hin.
Auf eine Bühne, in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und zu einem Lied, das sie liebte.
Sie bewegte sich, als wäre sie dafür geboren. Wirbelte herum und blickte das Publikum direkt an. Es war ohne Frage ihr Lied.
Erst als der Gesang eine Pause machte, trat sie nach hinten und die übrigen Tänzer füllten ihre Lücke. Sie ergänzten die elektrisch klingenden Geräusche gut mit einer fast roboterhaften Performance.
Doch Akari wartete nur darauf, dass Nori wieder nach vorne kam.
Und tatsächlich schon ein paar Augenblickte später bildete sich ein Gang, durch den Nori nach vorne stolzierte und mit einer Faust in ihre Handfläche schlug.
Die Musik betonte dieses arrogante, aber dennoch energische Verhalten perfekt.
Bevor sie vorne ankommen konnte, schloss sich der Gang aber auf einmal wieder und sie ging in der Mitte unter. Gebannt verfolgte Akari, wie die Gruppe wieder auseinander strömte. Nori lag allein am Boden, während die anderen mehrere Ringe um sie bildeten. Sie klatschten alle mit zur Musik und sahen zu, wie sich Nori langsam aufsetzte und dann aufstand, während sie sich den Kopf hielt.
Das war alles so täuschend echt, als hätte sie sich tatsächlich verletzt.
Erst als sie zum Refrain auf einmal wieder aufsprang und sich genauso energisch wie zuvor bewegte, wurde klar, dass alles nur gespielt war. Sie wirbelte herum, bewegte schwungvoll ihre Arme und stieß sich kraftvoll vom Boden ab. Alles an ihr schrie von Stärke und Selbstbewusstsein. Die anderen Tänzer wirbelten ebenfalls im Kreis um sie herum und schienen sie mit ihrem Klatschen anzufeuern.
Nori grinste sie an und forderte sie mit einer Armbewegung dazu auf, noch lauter zu werden.
Kurz bevor das Lied schlagartig endete, lief Nori an den Rand der Bühne und warf ihre Jacke ins Publikum, während Ado den letzten Vers sang: »It's time to say bye-bye, let go!«
Noch bevor ihre Jacke zu Boden gefallen oder die Musik verstummt war, ging das Licht aus und hüllte alle Tänzer in Schatten.
Tosender Applaus hallte durch den Saal. Akari pfiff laut und fühlte sich vom Lärm zum ersten Mal nicht eingeschüchtert, sondern in einer gewissen Weise berauscht. Es war ein unglaubliches Gefühl, hier in dieser Menschenmenge zu sitzen und gemeinsam zu jubeln.
Der Applaus verklang nicht, bis die Tanzgruppe nach einer Verbeugung die Bühne verlassen hatte und sich die nächsten Darsteller bereit machten. Schon wenige Minuten später huschte Nori, noch immer ohne Jacke, auf ihren Platz neben Akari und grinste sie stolz an.
Bevor Akari den Mund aufmachen konnte, um ihre Begeisterung auszudrücken, hatte ihre beste Freundin sie schon in eine enge Umarmung gezogen. Sie war noch leicht verschwitzt, hatte sich aber offensichtlich schon etwas abgekühlt.
Als sie sie wieder losließ und beide ihren Blick auf die Bühne richteten, waren weitere Worte bereits überflüssig.
Nach Noris Auftritt war Akaris Interesse zu großen Teilen verschwunden. Die andere Tanzschule war zwar gut, aber sie hatten sowohl sehr junge als auch deutlich ältere Tänzer dabei, was zu einer merkwürdigen Mischung führte, die mit Noris Tanzschule nicht mithalten konnte.
Die Theatergruppe am Schluss führte drei kleine Weihnachtsszenen auf, die alle sehr schön und emotional waren, in Akari allerdings eher ein beklommenes Gefühl auslösten. Während sie den gespielten Familien dabei zusah, wie sie ihr Weihnachtsfest verbrachten, wurde ihr klar, wie sehr sie diesen Frieden vermisste.
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