18. Idols & YouTube
Der Anfang war geheimnisvoll und doch hart durch den Rap, der Akari nicht ganz gelang. Doch als es dann weiterging, nahm ihre Sicherheit zu.
Das Lied war gleichzeitig niedlich, schön und trügerisch. Akari nahm all die Gefühle des Liedes in sich auf und versuchte, sie wieder auszustrahlen mit ihrem Gesang.
Es war egal, wer sie selbst war. Das Einzige, was zählte, war die Show, die sie abzog. Das Selbst, das sie allen anderen spielte.
Sie hatte keine Persönlichkeit, keine die sie zeigen konnte, ohne dass jemand sie dafür verurteilte, ohne dass sie für Probleme sorgte.
Akari verinnerlichte all diese Emotionen, doch als sie dann anfing zu singen, verwandelten sie sich in etwas Eigenes. Das Lied berührte wohl doch etwas in ihrem Inneren. Aber dieser Gedanke ging direkt in der Musik unter.
»Reagiere auf alle Fragen, die dir gestellt werden, nur vage!«
Und dabei durfte sie sich niemals anmerken lassen, wie sie sich wirklich fühlte. Sie saß in einem Glashaus, in dem ihr die Luft ausging.
Aber wenn sie aufhören würde, eine brave Tochter zu sein, würde alles einstürzen. Und dann würde sie sich nur an den Splittern verletzen und ihre Eltern würden ein neues Glashaus errichten.
Wenn sie einfach weiter lächelte und die richtigen Worte benutzte, so gelogen sie auch waren, würde sie die Situation nicht weiter eskalieren.
Dennoch regte sich ein Funke Trotz in ihr. Ein Funke, der ihren Eltern sagen wollte, wie schrecklich sie die Situation fand. Dieser Teil von ihr hasste das ewige Schauspiel und das brave Lächeln, das sie vor Problemen bewahrte.
Sie wusste, dass sie nicht anders zurechtkommen würde. Oder zumindest wusste sie nicht wie. Denn sie erinnerte sich gut daran, was passierte, wenn sie diesem rebellischen Teil nachgab. Als sie ihrer Mutter gesagt hatte, sie wollte ihr Bento nicht. Und als sie ihren Eltern gesagt hatte, dass sie das Kulturfestival nicht mit ihnen verbringen würde.
»Dinge, die niemand hören will, sollten nicht ausgesprochen werden!«
Diese Regel hätte ihr wahrscheinlich geholfen. Denn auch wenn es sich gut anfühlte, ihre Meinung zu sagen, sorgte es nur für Konflikte. Letztendlich waren die Lügen ihr bester Schutz, um noch das letzte bisschen Familienfrieden zu bewahren.
»Eines Tages werde ich alles erreicht haben, was ich mir wünschte!«
Ganz sicher. Eines Tages würde alles wieder gut werden. Vielleicht war dann Sasaki an ihrer Seite! Ihre Eltern würden sich vertragen! Sie könnten wie früher zusammen lachen, ihre Mutter würde ihr an manchen Tagen ein Bento mit ganz viel Ei und Gemüse machen, vielleicht könnten sie sogar mal zusammen zum Karaoke gehen! Ihre Eltern hatten sie schließlich noch nie singen gehört.
Bis es soweit war, würde sie weiter lächeln und ihre Rolle spielen. Denn irgendwann würde alles gut werden, ganz sicher.
Nun mischte sich helle Hoffnung in ihren Gesang. Sie würde das schaffen! Sie war kein Idol, sie war nur sie selbst. Akari.
Und das reichte aus, um ihre Familie zusammenzuführen. Um endlich dafür zu sorgen, dass »Ich liebe dich« wieder die Wahrheit war. Dass es überhaupt ausgesprochen wurde.
»Das ist ganz sicher keine Lüge. Ich liebe dich.«
Und obwohl ihre Gedanken die ganze Zeit an ihrer Familie gehangen hatten, sah sie nun ein ganzes anderes Gesicht vor Augen.
Akaris Wangen brannten, als sie der Musik lauschte, bis das Lied vorbei war. Sie hatte gar nicht über den Text nachgedacht, als sie zugestimmt hatte das Lied zu singen.
Andererseits konnte Sasaki unmöglich wissen, dass sie bei den letzten Worten an ihn gedacht hatte. Es gab keinen Zusammenhang, den er herstellen konnte. Er hatte sich das Lied schließlich selbst gewünscht.
Das Mädchen atmete tief durch und drehte sich dann mit einem Lächeln zu ihren Freunden um, während hinter ihr mit einem Trompetengeräusch ihre Score angezeigt wurde. Es war alles in Ordnung.
Einen Moment starrten beide sie erstaunt an, dann grinste Nori noch breiter und klatschte.
"Und das war unser Idol Akari!", rief sie lachend und pfiff laut.
Sasaki brauchte einen Moment länger, bis er sich gefangen hatte. Er blickte Akari staunend an und das Mädchen meinte zu sehen, dass sich Röte auf seinen Wangen ausgebreitet hatte. Sicher war sie sich aber nicht und als sie ihren Blick kurz auf Nori richtete und dann wieder zu ihm zurück sah, hielt er sich eine Hand vors Gesicht. Sein Lächeln konnte Akari dennoch erkennen.
"Das war unglaublich!"
Nun war es Akari, die rot anlief und sich hastig bedankte.
"Du hattest richtig diese Ausstrahlung! Ich muss kurz was suchen, warte!" Er strahlte sie begeistert an und holte hastig sein Handy heraus.
Nach ein paar Sekunden reichte er es ihr.
"Du kennst doch Ai, oder? Die aus »Oshi no Ko«?"
Akari nickte und betrachtete neugierig das Bild auf Sasakis Handy. Ai, ein unglaublich talentiertes Idol, lächelte ihr entgegen. Typisch mit einem Finger am Mund und schiefgelegtem Kopf, während die Sterne in ihren violetten Augen funkelten.
Auch Nori blickte nun neugierig auf das Bild und nickte grinsend.
"Ich finde, als du dich so umgedreht hast, hattest du auch so eine Ausstrahlung", erklärte Sasaki und fuhr sich, nun doch verlegen, durch die Haare.
Akari wusste nicht wie sie darauf reagieren sollte. Hatte Sasaki sie mit einem Idol verglichen? Und dann sogar mit Ai, deren Rolle in »Oshi no Ko« wirklich das perfekte Idol war?
"Jaaa! Das dachte ich mir auch!", stimmte Nori aufgeregt zu. Sasaki sah offensichtlich erleichtert aus, dass er nun nicht mehr allein mit seinem Vergleich war.
Akari lächelte verlegen. "Danke. Aber ich glaube nicht, dass es so beeindruckend war. Ich hab den Rap am Anfang nicht gut hinbekommen, Yoasobi kann das viel besser."
Sie reichte Sasaki sein Handy zurück und der Junge sah sie an, als wollte er widersprechen.
"Trotzdem wirklich danke", beeilte sich Akari zu sagen und lächelte ihn kurz an, dann setzte sie sich wieder auf die Bank.
"Sag mal, hast du eigentlich schonmal überlegt, ob du Lieder aufnehmen und irgendwo hochladen willst?", fragte Sasaki neugierig, als er und Nori sich ebenfalls wieder hinsetzten.
Akari verschluckte sich fast an ihrem Eistee und stellte ihn schnell weg.
"Nein ... also ... ich hab daran noch nie gedacht", stotterte sie. "Außerdem ... ich glaube nicht. So gut bin ich nicht. Und ich weiß nicht wo oder dürfte ich das überhaupt?"
Wie kam Sasaki auf diese Idee? Sie konnte doch nicht einfach ihren Gesang hochladen. Sie war ja nichtmal eine richtige Sängerin! Mehr als Cover hatte sie noch nie gesungen.
Zu ihrem Erstaunen war ausgerechnet Nori begeistert. Dass sie ihren Gesang in den Himmel lobte, wusste Akari ja. Aber Nori würde doch wissen, dass es nicht möglich war, oder?
"Stell dir vor du wirst dann wie Ado!"
Akari starrte sie verdutzt an. "Ado?"
"Ja klar! Sie hat doch auch mit fünfzehn oder sechzehn angefangen, ihre Cover hochzuladen! Und jetzt ist sie mega berühmt! Stell dir mal vor, du würdest das auch machen und in ein paar Jahren bist du dann eine berühmte Sängerin!"
Akari zog verlegen den Kopf ein. Es war wohl tatsächlich möglich, in ihrem Alter etwas online hochzuladen.
"Aber ... Ado ist besonders. Sie hat das nur geschafft, weil sie so unglaublich singen kann. Du kannst nicht einfach ..." Akari stockte, unsicher, wie sie fortfahren sollte. "Du kannst das nicht einfach mit jemand Normalem wie mir vergleichen."
Nun richteten sich zwei entschlossene Augenpaare auf sie.
"Du bist nicht normal", widersprach Nori entschieden.
"Ich weiß nicht, wer Ado ist. Aber wenn sie eine gute Sängerin ist, kann man dich definitiv mit ihr vergleichen", stimmte Sasaki zu.
Akari wusste nicht, was sie antworten sollte und griff wieder nach ihrem Eistee.
"Du musst ja nicht wie Ado sein", erklärte Nori. "Du bist eben du! Und selbst wenn du nicht ganz so erfolgreich wirst, du könntest so viele Menschen erreichen und ihnen vielleicht sogar helfen. Du singst wirklich wundervoll!"
Akari nahm einen kleinen Schluck und blickte ihre Freundin an. Noris Blick war entschlossen, aber sie schien sich auch über die Idee zu freuen.
"Ich überlegs mir", lenkte Akari ein, da keiner ihrer Freunde vorhatte, nachzugeben.
"Wir können ja erstmal schauen, wie sowas überhaupt funktioniert", stimmte Nori zu. "Ich hab keine Ahnung, wie man einen YouTube Kanal anfängt."
"Ich auch nicht", gab Sasaki zu und sie stellten fest, dass niemand von ihnen sich mit dem Thema auskannte.
"Aber wer ist Ado? Von ihr war nichts in deiner Playlist, oder?", erkundigte sich der Junge nun und Akari und Nori wechselten einen schnellen Blick.
"Sie ist eine Sängerin", erklärte Akari. "Sie ... ist wahrscheinlich meine Lieblingssängerin. Wir können dir vielleicht nächstes Mal ein paar Lieder von ihr zeigen."
Sasaki nickte, schien allerdings ein bisschen enttäuscht.
"Wer will noch was singen?", versuchte Nori die Stimmung zu retten und glücklicherweise funktionierte es.
Die nächsten zwei Stunden verbrachten sie abwechselnd mit Singen und bestellten noch zwei weitere Getränke und etwas kleines zu Essen.
Akari genoss die Zeit mit ihren Freunden und es war schön, Sasaki auch in so einer Umgebung besser kennenzulernen. Dass er Süßes liebte, war offensichtlich. Er überlegte eine Weile, bis er ein Erdbeer-Parfait bestellte.
Als eine Angestellte ihnen ihre Bestellung brachte, nahm er das Tablet entgegen und bedankte sich freundlich, bevor er sich wieder zu Akari und Nori setzte.
Wahrscheinlich hatte er eine Menge von seiner Mutter gelernt oder wusste, wie es war, andere zu bedienen und wollte ihnen daher das Leben angenehmer machen.
In jedem Fall konnte Akari ein Lächeln nicht verbergen, was Nori mit einem amüsierten Blick kommentierte.
Daheim angekommen, nachdem sie mit Sasaki nach Hause gefahren war, überlegte sie ein bisschen, suchte dann aber ein paar Lieder von Ado heraus und schickte sie an Sasaki.
Mittlerweile schämte sie sich dafür, dass sie Sasaki nichts von Ado hatte erzählen wollen. Er interessierte sich doch einfach nur dafür, was für Musik sie gerne hörte und sang ... Er würde nicht komisch reagieren, auch wenn Ados Liedtexte oft etwas provokanter waren.
Allerdings war es ihr dann auch lieber, wenn sie ihm bestimmte Lieder schickte, als wenn er wahllos verschiedene anhörte, denn manche ihrer Texte waren tatsächlich sehr eigen und sie wollte verhindern, dass er direkt einen schlechten Eindruck bekam.
Also schickte sie ihm »New Genesis« und »Where the wind blows«, die Ado für den One Piece Film gesungen hatte, und »Ready Made« und »Odo«, zwei ihrer berühmtesten Lieder.
Kurze Zeit später erhielt sie ein »Danke! Die klingen alle voll gut!« von Sasaki.
Sie lächelte erleichtert.
»Kannst du die alle singen?«
Akari zögerte, bevor sie mit »ja« antwortete.
»Cool«, erhielt sie als Antwort. »Singst du die nächstes Mal?«
»Kann ich machen«
Nervös legte sie ihr Handy weg. Jetzt hatten sie Sasaki schon zweimal versprochen, dass sie nochmal mit ihm zum Karaoke gehen würden. Allerdings freute sie sich darüber auch.
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