Kapitel 9
Einen Scheiß hätte sie vergessen. Weder die Tage am Nordpol, noch Nicolas.
Als sie zu Hause angekommen war, hatte sie gesehen, dass irgendwer einen geschmückten Baum in ihrem kleinen Wohnzimmer aufgebaut hatte. Außerdem waren da viele Geschenke.
Lisa schloss die Augen und schluchzte leise. Sie erkannte die Handschrift.
Nicolas hatte das alles gemacht. Bestimmt hatte er darauf gehofft, dass sie noch länger als nur diesen einen Tag zusammen verbrachten.
Sie holte die Geschenke hervor und stapelte sie aufeinander. Nach den Feiertagen würde sie alles nach Los Angeles schicken, denn sie war sich sicher, dass Nicolas es bereute, ihr alles geschenkt zu haben. Sollte er es wieder zurückbringen und das Geld behalten.
Auf einmal stutzte sie.
Peter Miller
Angela Miller
Brandon Miller
Savannah Miller
Das war ihre Pflegefamilie. Nicolas hatte ihr Geschenke für ihre Pflegefamilie gebracht? Was dachte er sich dabei?
Leise schluchzte sie und wischte sich die Tränen von der Wange.
Nicolas hatte wohl etwas mehr geplant, als sie erst vermutete. Und er wollte sie mit ihrer Familie zusammen bringen. Es war offensichtlich, dass er wirklich mit ihr länger zusammen bleiben wollte und sie hatte es versaut.
Die Tränen liefen immer weiter über ihre Wange. Sie kauerte sich zusammen und umarmte ihre Knie.
Warum hatte sie ihm nicht geglaubt, als er ihr immer wieder gesagt hatte, dass er sie gerne geküsst hatte? War das nicht auch eine Art zu sagen, dass er sie mochte? Warum hatte sie ihn von sich gestoßen?
Gerade als sie sich voll und ganz ihrem Schmerz hingeben wollte, klopfte es an der Tür. Schnell stand sie auf und wischte sich über das Gesicht.
War Nicolas gekommen?
Sie rannte beinahe zur Tür und schloss sie auf. Aber sie brachte kein Ton heraus. Sie konnte nur ihr Gegenüber anstarren.
"Himmel, Mum hatte Recht! Dir geht es schlecht!"
Nicht Nicolas stand vor ihr. Es war ihr Pflegebruder Brandon.
"Was ist nur geschehen, Lissy?"
Ohne auf ihr Zögern zu achten, nahm er sie in seine Arme und drückte sie fest an sich. Lisa wollte das nicht. Sie war doch immer so unabhängig gewesen. Deswegen hatte sie von Brandon und Savannah nie als ihre älteren Geschwister gesprochen, obwohl die beiden sie immer wieder darum gebeten hatten.
Und nun hielt Brandon sie in seine Arme und wiegte sie wie ein kleines Kind. Lisa musste zugeben, dass es gut tat. Es dauerte nicht lange, dann schmiegte sie sich an Brandon.
"Mum hat mich heute morgen angerufen und gesagt, dass irgendwas nicht in Ordnung sei. Sie hat irgendwie ein Gespür darin, wenn es und schlecht geht, findest du nicht Lissy? Deswegen schickte sie mich hier her. Und nun lässt du es zu, dass ich dich tröste? Dann geht es dir worklich schlecht. Was ist nur passiert?"
Er führte sie zur Couch und setzte sich mit ihr hin. Dabei ließ er sie nicht aus seinen Armen und wischte ihr immer wieder tröstend über die Wangen. Erst als sie sich etwas beruhigt hatte, ließ er seinen Blick durch das Wohnzimmer schweifen.
"Wow. Deine Wohnung ist wirklich ganz toll geschmückt. Du könntest dich doch bei Mum und Dad mal austoben. Aber ich habe das Gefühl, dass du gar nicht hier warst."
Sie schniefte leise.
"Wie kommst du darauf?"
Ein Zittern ging durch seinen Körper.
"Es ist arschkalt hier, Lissy. Sag mir nicht, dass du die letzten paar Tage nonstop im Krankenhaus warst."
Sie schüttelte den Kopf.
"Nein. Natürlich nicht."
Er hob eine Augenbraue.
"Wo warst du dann? Sind wir dir so zuwider, dass du dich über Weihnachten versteckst, nur damit du uns nicht begegnen musst?"
Sie schüttelte den Kopf.Wie sollte sie Brandon erklären, was Nicolas so passend erklärt hatte? Sie hatte Angst, jemanden an sich heran zu lassen. Sie hatte Angst davor. Gerade die Millers, bei denen sich Lisa zum ersten Mal nach dem Tod ihrer Eltern richtig wohl gefühlt hatte. Zumindest für einen kurzen Augenblick, als sie sich der Illusion hingegeben hatte, sie könnte wieder eine Familie haben. Doch erst kam die Trauer wieder in ihr durch, dann die Angst, dass sie ihre Eltern irgendwie enttäuschte, wenn sie sich selbst als Mitglied der Familie Miller sah und zu guter Letzt war sie wirklich der Meinung gewesen, wenn sie sich emotional auf die neue Familie einließ, würde sie das Andenken an ihre Eltern beschmutzen.
Erst seit Nicolas sie so wütend angebrüllt hatte, war ihr klar geworden, dass das alles Blödsinn war. Sie würde ihre Eltern nie vergessen und sie war sich auch sicher, dass ihre Eltern nie enttäuscht von ihr waren und sie Lisa sogar aufgefordert hätten, wieder Liebe anzunehmen, um innerlich nicht zu zu erkalten.
Doch das war nun zu spät. Sie war innerlich schon so kalt wie der Schnee am Nordpol. Vielleicht war das auch ein Grund dafür, dass sie Nicolas nicht an sich heranlassen wollte. Nicht nur, dass sie sich für unzureichend hielt. Sie war doch nicht hässlich. Sie war einfach nicht hübsch, aber das schien ihn nicht zu stören.
Das war es aber nicht nur. Nicolas war innerlich voller Wärme. Er war eben der Sohn von Santa Clause und auch wenn er es bestritt, war er ein guter Mensch, der allen helfen wollte. Eben wie der Weihnachtsmann zu sein hatte. Sie wollte nicht, dass sie ihn herunter zog mit ihren Problemen und er sollte auch nicht innerlich so kalt werden wie sie.
Sie schluchzte leise und versuchte Brandon ihre Gedanken zu erklären. Er hörte ihr eine ganze Weile zu, dann schnaubte er böse.
"Ich würde dich am liebsten schütteln, Lissy. Du warst immer so ein schlaues Mädchen, aber das, was du gerade vom Stapel gelassen hast, ist der größte Blödsinn, den ich je gehört habe."
Er stand auf und ging zum Fenster. Sie sah, wie er tief Luft holte.
"Wir lieben dich. Lisa. Das haben wir schon, als du das erste Mal vor uns standst. Ich bin drei Jahre älter als du und war wirklich nicht begeistert davon, dass meine Eltern ein Pflegekind aufnahmen. Wir haben auch keine Ahnung, warum sie gerade auf die Idee kamen, denn vorher hatten sie nie davon gesprochen. Ich denke, Savannah ging es genauso wie mir. Aber dann brachten sie dich mit nach Hause und du sahst aus wie ein verschrecktes Reh. Ehrlich, ich wusste sehr lange Zeit nicht, was deine Augenfarbe war, weil du immer deinen Kopf gesenkt hieltst. Wir Älteren hatten sofort das Gefühl, dass wir dich beschützen müssen und das haben wir getan, bis du ausgezogen warst. Wusstest du, dass Mum und Dad dich adoptieren wollten? Aber du hast nie ein Anzeichen gezeigt, dass du uns magst. Deswegen trauten sie sich nciht, dich zu fragen."
Sie starrte ihn an.
"Aber...aber, ich mochte euch doch!"
Wieder hob er eine Augenbraue.
"Aha? Und deswegen warst du in den letzten Jahren nie bei uns? Weil du uns so magst? Wir haben nie etwas von dir erfahren. Immer nur von anderen mussten wir hören, was mit dir war. Aber was mich richtig traurig macht, ist dein Gedanke, dass du innerlich kalt bist. Das bist du nicht, Lissy. Du bist weder innerlich kalt, noch leer. Und dieser Mann, der dich offensichtlich sehr mag, hat das auch erkannt. Wenn du denkst, du bist alleine, merkt man, dass du voller Freude bist. Einmal habe ich Dad erwischt, der im Flur stand und dir beim Singen zu hörte. Ich bin mir nicht ganz sicher, wie lange er da gestanden hat, aber er hat gelächelt und dann gesagt, dass er dich am liebsten immer so glücklich haben wollte."
Er zeigte auf die Geschenke, die Nicolas für die Familie besorgt hatte.
"Dein Kerl hat das alles erkannt."
Sie schnaubte.
"Er ist nicht mein Kerl ! Ich habe es versaut!"
Brandon nickte.
"Ja, das hast du!"
Sie sah ihn entsetzt an.
"Brandon!"
Er lachte leise.
"Was? Erwartest du jetzt von mir, dass ich dir Mut zuspreche und dir versichere, dass alles wieder gut wird? Und dass du einfach nur Trübsal blasend hier sitzen musst, weil er dann kommt? Nein! Das mache ich nicht, Lissy. Ich bin dein Bruder und erstens hasse ich den Gedanken, dass irgend so ein Kerl dich küssen und sogar..." Er schüttelte sich. "Man, das ist eklig. Du bist meine kleine nervige Schwester! Das macht keiner mit dir!"
Sie kicherte.
"Sorry. Das habe ich schon getan!"
Er seufzte.
"Das habe ich befürchtet. Nein, was ich aber sagen will, ist, dass er wohl das Beste war, was dir passieren könnte.Und du musst deinen Hintern bewegen, um ihn wieder zurück zu holen. Aber dann muss er erst einmal an mir und Dad vorbei."
Er zog seine Jacke wieder an.
"Und jetzt zieh dich an und hole deinen Kater."
Sie runzelte die Stirn.
"Warum?"
Er packte die Geschenke.
"Wir gehen nach Hause. Und dort werden wir futtern, bis wir platzen. Und du wirst mit uns lachen und Mum und Dad glücklich machen. Wenn sie dich umarmen, wirst du sie auch umarmen und nicht steif wie ein Brett da stehen. Haben wir uns verstanden? Und dann überlegen wir, wie wir diesen Nicolas überreden können, dich wieder zu nehmen."
Lisa schnaubte.
"Du kannst ein ganz schöner Tyrann sein, Brandon!"
Er grinste sie an.
"Ich bin dein großer Bruder. Ich muss das so machen! Kapier das endlich mal."
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