Insecure Bunny
Zwei Tage geprägt von Schlaf später fand ich mich selbst bei meinem 18 000 Teile Puzzle wieder, im Hintergrund beruhigende Musik von 92914. Ich hatte nicht gedacht, dass ich so viel schlafen würde, aber jetzt fühlte ich mich wieder fit. Es war später Nachmittag und ich hatte den Drang, etwas zu unternehmen. Diesen Drang hatte ich schon seit einer Stunde ignoriert und ich hatte auch vor, es weiterhin zu tun. Was sollte ich denn machen? Ich könnte Jeonggukie schreiben, aber was, wenn er keine Lust hatte? Nervig sein wollte ich wirklich nicht. Die Mädchen hatte ich auch erst gestern gesehen, außer Bea. Sollte ich einfach allein nach Wien fahren und mich überraschen lassen? Könnte interessant werden.
Doch wie so oft, gingen meine Pläne nicht über das Stadium des Tagtraums hinaus. In meiner Gedankenwelt stieg ich in den nächsten Zug ein, schlenderte durch die Stadt und plauderte einfach mit fremden Leuten. Ich schlürfte einen eiskalten Smoothie in einem Sitzsack neben der Donau und genoss die vibrierende Atmosphäre. Die Sachen in meinem Kopf zu erleben, machte mir meistens genauso viel Spaß wie in echt. Nur viel leider der Faktor der Überraschung weg, da ja alle Handlungen von mir selbst erdacht wurden.
Während ich in Gedanken Wien erkundete, läutete unten die Türklingel. Seit wir vor einem halben Jahr eine neue gekauft hatten, hörte man das Läuten im ganzen Haus. Da meine Eltern am Feld waren und ich meinem Bruder nicht zutraute, die Tür selbstständig zu öffnen, setzte ich mich in Bewegung und schaltete im Vorbeigehen die Musik aus. Strom sparen und so.
Ich trippelte die Stufen runter und hatte irgendwie das Gefühl, dass Jeonggukie vor der Tür stand. Fragt mich nicht, aber wir hatten uns zwei Tage lang nicht gesehen. Ich hatte während dieser Zeit auch nicht mein Handy eingeschaltet, also wären eventuelle Nachrichten von ihm nicht mal angekommen. Er musste es einfach sein. Oder hoffte ich nur so sehr, dass er angeläutet hatte?
Wie dem auch sei, ich sperrte die Tür auf und bamm, da stand Jeonggukie, prachtvoll wie eh und je. Weite schwarze Shorts verdeckten seine Waden zur Hälfte und sein weißes Shirt reichte ihm bis zu den Oberschenkeln. Er hatte wieder seine lila Crocs an, die Haare waren schön frisiert. Zwar lächelte er mich an, aber irgendwie wirkte er verunsichert. Er stand nicht stramm wie sonst da, sondern hatte das Gewicht auf ein Bein verlagert und hielt sich selbst bei den Händen.
"Hi", begrüßte er mich mit lächelnden Augen und zu hoher Tonlage. Jap, definitiv verunsichert.
"Hey. Magst du reinkommen?", lud ich ihn kurzerhand ein.
"Äh ja, wenn's okay ist, dass ich so random vorbeikomme"
"Sicher. Komm rein"
Ich trat weg von der Tür, sodass er durch die Tür schlüpfen konnte, ehe ich sie wieder schloss. Auf dem Rücken seines Leiberls stand Rather be dead that cool. Hatte er das selbst drauf geschrieben?
"Alles okay bei dir?", erkundigte ich mich, während er seine Crocs abschüttelte.
"Jaja", antwortete Jeonggukie zu schnell. Der war ja noch ein schlechterer Lügner als ich lmao.
"Komm, gehen wir in mein Zimmer"
Vielleicht erweist du dich dort ja als kooperativer.
Ich stapfte vor ihm nach oben in mein Zimmer, wo ich mich auf den Schreibtischsessel sinken ließ und er sich auf mein Bett hockte. Für das Chaos entschuldigte ich mich nicht einmal. Es sah doch eh in jedem Zimmer von Jugendlichen wie in einem Saustall aus, da brauchte ich mich wirklich nicht zu schämen.
"Was hast du so gemacht, seit wir uns gesehen haben?", fragte ich ihn.
"Nichts Großartiges, war zweimal am Spielplatz und ja, bisserl trainieren halt. Du?"
"Geschlafen hab ich. Sonst war ich am Feld und gestern baden"
"Wo kann man hier baden?"
"In der Schottergrube, das ist so ein kleiner Teich in der Nähe"
Jeonggukie nickte langsam und senkte fast enttäuschte den Blick. Ich hielt das nicht aus, was ging bitte in seinem Kopf vor? Vielleicht konnte ich ihn mit Kaugummi in Schwung bringen, den verschlang er doch sonst so gern.
"Magst einen Kaugummi?"
"Ich hab eh einen eingesteckt, danke", lehnte er ab, machte aber keine Anstalten sich einen herauszuholen. Wie schlimm stand es bitte um ihn???
"Jeonggukie, ich merk doch, dass was nicht stimmt"
Aufmerksam sah ich ihn an und mit einem Mal traf es mich: Ich machte gerade genau das, was mich immer überforderte. Ich stellte persönliche Fragen und observierte ihn wie mit einer Lupe. Fuck, mein Verhalten war absolut aufdringlich. Schnell wandte ich den Blick ab.
"Schau vielleicht mal auf dein Handy", schlug er vor und verzog seine Lippen zu einem halben Grinsen. Also hatte er mir doch geschrieben, hoppla.
Wie geheißen drehte ich das unzerstörbare Nokia auf und schon trudelten die Nachrichten von Jeonggukie ein.
Hi
Schläfst du noch?
Schreib mir wennst wach bist
I bin heut wieder am Spielplatz nur so zur Info
Schlaf gut
Bin heut auch am Spielplatz
Wir könn auch was andres machen wennst ned am Spielplatz gehen magst
Bitte schreib was
Ich war am Ende des Chats angelangt und starrte auf die letzte Nachricht. Damn, so ein einseitiger Spam war schon trostlos. Rasch drückte ich auf den Tasten einen Text und schickte ihn ab. Etwas verwirrt fischte Jeonggukie sein Handy aus seiner Hosentasche und entsperrte es.
"Würde gern was mit dir machen", las Jeonggukie leise meine Nachricht vor und ein zittriges Lächeln spannte sich über sein Gesicht.
Hatte er mich vielleicht auch vermisst, wie er Wien und seine Freunde vermisste oft? Keine Ahnung, aber er hatte ja letztens gesagt, dass er sich oft Sorgen machte und das ganze Programm. Hoffentlich war er jetzt beruhigt, aber es schien so.
Während Jeonggukie meine Nachricht nochmal durchging, als wollte er sicher gehen, dass sich diese Worte an ihn richtete, betrachtete ich ihn von oben bis unten. Filigrane dunkle Härchen sprießten auf seinen Zehen und die Nägel waren ausgefranst, wahrscheinlich hatte er sie abgerissen. Seine Beinmuskulatur war beeindruckend, genauso wie die seiner Arme. Die ästhetische Krümmung seiner jawline war scharf gestochen. Seine Haare hätte ich sowieso 24/7 durchwuscheln können.
Ich konnte es nicht verleugnen, ich fühlte mich hingezogen zu ihm. Sein aufgeladener Charakter faszinierte mich und wenn ich seine Hände anschaute, in denen er sein Handy hielt, konnte ich nicht anders als an die gezeichneten Sternbilder zu denken. Der Zauber dieser Erinnerung, den ich schon geglaubt hatte, verloren zu haben, senkte sich wieder über meine Gedanken und polierte den vergangenen Moment erneut auf. Von meinem Herzen aus rankten sich wilde Pflanzen durch meinen ganzen Körper und pulsierten unter meiner Haut. Sie wanden sich nach außen, wuchsen von mir zu Jeonggukie über die Luft. Wie Arme streckten sich die Blätter und Stängel nach ihm aus, schlangen sich um seine Hüfte, seine Brust, seine Arme. Sie trugen ihn zu mir, verbanden uns, vereinten uns.
"Danke für die SMS auf jeden Fall", summte Jeonggukie und steckte sein Handy wieder weg.
Halleluja, in welcher Parallelwelt war ich denn bitte grade gewesen? Wenn meine Gedanken sich selbstständig machten, konnte das schnell in einem drogenähnlichen Zustand enden.
"Äh ja, kein Problem", faselte ich noch immer etwas benommen von der Phantasie, "Und ich will dir was sagen"
Erstaunt schlug er seine Augen auf und widmete mir seine volle Aufmerksamkeit mit großen Rehaugen. Mir war pudelwohl zumute.
"Ja, was gibt's?"
"Ich mag dich wirklich, Jeonggukie", teilte ich meine Gefühle mit ihm, während meine Lippen sich zu einem breiten Lächeln verzogen. Und wie ich ihn mochte!
tekoo cool
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