8/2 Flaschenpost
Das Meer der Stürme lag verhältnismäßig ruhig unter einem sonnigen Himmel, den nicht mal der weiße Tupfen einer verirrten Schäfchenwolke verunzierte. Doch Yaris wusste, wie schnell das Wetter in der Nähe des Kaps der Stürme umschlagen konnte; wusste, dass es Wahnsinn gewesen war, dem Ruf seines Kapitäns zu folgen und an diesem Morgen mit dem Fischerboot rauszufahren. Es war Mer'Bal, das Fest der Seegeister. An diesem Tag blieb jeder vernünftige Mensch zu Hause und erledigte seine Geschäfte an Land. Aber Pongur, der alte Griesgram bei dem Yaris seinen kläglichen Lebensunterhalt verdiente, hatte es noch nie mit Vernunft gehabt.
Mühsam hievte Yaris das schwere Fischernetz, das Pongur und Piotre soeben am Flaschenzug nach oben gezogen hatten, über die Reling. Es war ein mickriger Fang, der auf dem Markt der Hauptstadt kaum Gewinn bringen würde. Auf den ersten Blick konnte Yaris nur Fecherfische erkennen, die ihren Namen trugen, weil sie ihre Flossen, wie Fecher auseinanderbreiten konnten. Sie waren nichts wert, da an ihnen kaum etwas dran war und sie zudem einen unangenehmen, bitteren Nachgeschmack hatten. Zwei Goldrücken waren auch mit im Netz, wie er feststellte, als er damit begann den Fang in die dafür vorgesehenen Körbe zu verfrachten. Die schweren, eine Armeslänge messenden Fische waren eine Köstlichkeit. Womöglich würde Pongur sie an den Palast verkaufen können.
„Das reicht nicht!", grollte der Kapitän, zog lautstark die Nase hoch und spuckte anschließend angewidert aus. Direkt auf das Deck vor Yaris's Füße.
Der Jüngling runzelte verärgert die Stirn, war aber klug genug, den Mund zu halten.
„Bringt das Netz ins Wasser. Wir versuchen es weiter."
„Aber Käpt'n", wandte Piotre ein, „sollten wir nicht lieber ..."
„Klappe halten!", blaffte der drahtige Kerl. „Ihr tut, was ich euch sage! Sonst könnt ihr euch die Heuer bei den verdammten Seegeistern holen."
Wie befohlen, ließen sie das Netz erneut ins Wasser. Yaris Blick glitt abermals zu den Klippen des Kaps der Stürme hinüber. Sie waren zu weit entfernt, als dass der Jüngling die Hauptstadt oder die Türme des Palasts über ihnen thronen sehen konnte. Die schwarzen Wolken, die sich über dem Festland türmten konnte er allerdings mühelos erkennen. Besorgt runzelte er die Stirn, als die ersten lauen Ausläufer des drohenden Unwetters ihren Weg zu ihnen aufs offene Meer fanden und das kleine Fischerboot zum Schaukeln brachten.
„Wir sollten hier verschwinden", murrte Yaris, als sein Blick auf etwas fiel, das im Licht der Sonne reflektierte. Er bückte sich nach der bauchigen Flasche mit dem breiten Hals, die im Schatten der Reling gelegen hatte. Sie war nass. War sie gemeinsam mit den Fischen aus dem Meer zu ihnen an Bord gekommen?
„Was hast'n da?", wollte Piotre wissen.
Verwundert zeigte Yaris ihm das mundgeblasene Gefäß. Es war meisterhafte Handarbeit, wie er sie nicht mal aus Ter Aran kannte, das für seine Glaswaren auf dem ganzen Kontinent bekannt war.
Ein Zettel steckte darin. Sorgfältig zusammengerollt und mit einer geflochtenen Goldkordel am Korken befestigt. Er brauchte einen Moment, bis er den festsitzenden Stopfen herausbekam und das Pergament herausholen konnte.
Piotre lugte ihm neugierig über die Schulter, obwohl er gar nicht lesen konnte. „Was steht'n drauf? Hä?"
Yaris schluckte. Unfähig laut auszusprechen, was seine Augen lasen, starrte er mit plötzlich kalten Fingern und rasendem Herzen auf die Nachricht, die in meerblauer Tinte auf beigem Grund stand:
~Das Meer wird Euch und Eure Begleiter verschlingen, Yaris, da Ihr es wagtet, am Tag der Feste der Seegeister unser heiliges Reich zu betreten. Der Sturm kommt. Und die Wellen nehmen sein Geschenk eurer Leben als Sühne entgegen.~
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