Chào các bạn! Vì nhiều lý do từ nay Truyen2U chính thức đổi tên là Truyen247.Pro. Mong các bạn tiếp tục ủng hộ truy cập tên miền mới này nhé! Mãi yêu... ♥

2/3 Geister der Vergangenheit

...

Eine der Wunden, die ihre Seele nicht ruhen ließen, stand vor ihr. Eigentlich war er inzwischen sehr viel älter, aber es war sein sechzehnjähriges Ich, das ihr das damals angetan hatte, also war es auch dieses Ich, das ihr nun gegenüberstand. Doch Nele war nicht mehr neun Jahre alt. Sie war inzwischen dreißig.

Seine blonden Haare waren schulterlang.

Das war vermutlich der Grund, aus dem Nele Langhaarfrisuren bei Männern eher abstoßend fand.

Seine blauen Augen sahen sie aufmerksam an, als sie zu sprechen begann. »Wir müssen das klären.«

Er nickte nur.

»Ich war neun!«, fuhr sie ihn anklagend an. Eine zeitlang hatte sie geglaubt, es sei ihre Schuld gewesen, denn sie hatte zugestimmt, bei ihm zu übernachten. Es waren ja Freunde der Familie und sie hatte ihn gemocht; wäre im Traum nicht auf die Idee gekommen, mitten in der Nacht aufzuwachen, während er sich über sie beugte, ihren Hals ableckte und mit seinem Finger zwischen ihren Beinen herumstocherte.

Inzwischen wusste sie es besser. Sie musste mit ihm und mit sich selbst darüber reden, um es ins Reine zu bringen. Denn dieses Erlebnis hatte sie lange Zeit geprägt. Sie wollte es endlich loslassen.

Sie war nicht deshalb lesbisch geworden. Das war Unfug. Ihm und diesem nächtlichen Missbrauch in ihrer Kindheit, hatte sie vielmehr zu verdanken, dass sie sich in ihren jugendlichen Jahren jedem Mann beinahe wahllos an den Hals geworfen hatte, bevor sie endlich den Mut aufgebracht hatte, zu Sinah zu stehen.

Warum das so war, konnte sie gar nicht genau sagen. Es hatte ihr allerdings viele Gelegenheiten beschert, bei denen sie sich selbst verachten und hassen konnte. Wenn auch erst im Nachhinein.

Der Sechzehnjährige hob entschuldigend die Hände. »Ich weiß, dass es falsch war. Ich weiß, dass es dafür keine Entschuldigung gibt. Dennoch tut es mir unendlich leid. Ich kann dich nur bitten, mir zu vergeben.«

Nele nickte. Sie konnte ihm vergeben. Denn sie erinnerte sich an seinen Vater. An den alten Wirt mit Bierbauch und dicker Hornbrille, der ihr immer Zungenküsse gegeben hatte, nachdem er sie unter dem Vorwand, ihr ein Bonbon geben zu wollen, in die Küche gelockt hatte. Wer wusste schon, was der Sechzehnjährige von seinem Vater zu erdulden gehabt hatte? Seine Entschuldigung klang aufrichtig. Und es tat gut, sie ausgesprochen zu hören. Er zugegeben, dass es seine und mitnichten ihre Schuld gewesen war. Ja, vielleicht konnte sie ihm vergeben.

***

Eine weitere Wunde, oder besser gesagt mehrere, blickten der erwachsenen Nele entgegen. Es waren fünf Mädchen. Höchstens fünfzehn oder sechzehn Jahre alt. Sie kannte sie, denn sie waren in dieselbe Klasse gegangen.

Schon damals war Nele mit Sinah zusammengekommen und sie machten zu Beginn kein Geheimnis aus ihrer Beziehung. Sie hielten Händchen, tauschten Küsse und verliebte Blicke. Und dafür bezahlten sie. Jeden Tag.

»Scheiß Lesben!«

»Igitt, die Lesben!«

»Fotzenleckerinnen.«

Nur eine Auswahl der Dinge, die sie sich anhören mussten. Die ganze Schule, selbst die Fünftklässler, die vermutlich nicht mal eine Ahnung davon hatten, worüber sie sprachen, beteiligten sich daran. Aber diese fünf waren die Schlimmsten. Weil sie falsch waren. Die Lieblinge der Lehrer. Musterschülerinnen. Drei von ihnen sogar Schulsprecherinnen!

Nele erinnerte sich besonders an eine Situation, als sie morgens, gemeinsam mit Sinah den Schulhof betreten hatte.

»Könnt ihr mal kurz kommen? Wir möchten mal mit euch sprechen!« Mit diesen Worten lockten sie das gleichgeschlechtliche Paar in eine abgelegene Ecke.

Misstrauisch gingen die beiden mit; waren auf der Hut, als sie fragten, was denn los wäre.

»Wir wollen euch nur etwas fragen. Ihr seid doch verliebt. Also, ihr seid ja ein Paar. Also habt ihr auch Sex.«

Nele und Sinah schwiegen. Sie wollten keine Angriffsfläche bieten.

Eines der Mädchen fuhr dennoch unbeirrt fort: »Wir wollten das nur wissen, weil wir finden, dass ihr aus dem Mund nach Fisch riecht. Also solltet ihr euch gründlicher die Zähne putzen, wenn ihr euch gegenseitig geleckt habt.«

Giggelnd zogen sie von dannen; hatten jedoch weitere Wunden gerissen; hatten dafür gesorgt, dass Nele sich fortan ängstlich umblickte, wenn sie Sinah in der Öffentlichkeit küsste, um die Reaktionen der Mitmenschen abzuchecken. Jahre hatte es gedauert, bis sie wieder unbeschwert Händchen halten konnten, ohne dass Nele sich dabei irgendwie schuldig und angegafft fühlte.

»Wir waren total albern«, sprach nun eines der Mädchen die erwachsene Nele an. »Heute habe ich selbst homosexuelle Freunde. Einer davon ist sogar mein bester Freund. Es tut mir leid, dass wir euch das Leben zur Hölle gemacht haben.«

Nele nickte. Man machte manchmal dumme Dinge, wenn man jung und unerfahren war. Sie selbst war davon nicht ausgenommen. Aber es tat gut, zu hören, dass sie ihren Fehler von damals einsahen. Es machte nichts ungeschehen. Aber es machte es leichter loszulassen. Sie konnte es abhaken. Es war Vergangenheit.

***

Im Rahmen ihrer Therapie hatte Nele vor vielen Wunden gestanden.

Vor ihrem Vater, der mit seiner Alkoholabhängigkeit ihre halbe Kindheit versoffen hatte und schließlich gestorben war, als sie gerade einmal achtzehn war.

Vor ihrer ältesten Schwester, die ihr in der Jugend den Freundeskreis zerstört und mit ihren manipulativen Psychospielchen die ganze Familie gegen Nele gehetzt hatte. Die Erklärung dafür war erst später gekommen. Auch sie litt unter Depressionen und dazu unter Schizophrenie.

Vor Fremden, die sie nach Nichtigkeiten beurteilt hatten, ohne sie zu kennen.

Vor allen hatte sie nur imaginär gestanden. Aber es hatte geholfen. Nele war in der Lage gewesen, abzuschießen. Die Wunden. zu Narben zu machen, die zwar nicht schön anzusehen waren, die aber zu ihr gehörten, ohne ihr andauernd wieder neue Qualen zu bereiten.

Die Wunden verblassten. Zurück blieb vernarbte Haut. Aber es war ihre Haut – in der sie sich nun wieder etwas sicherer fühlte.

»Nele!« Sinahs Stimme drang durch die geschlossene Badezimmertür. »Nele, bitte! Tu' das nicht!«

Natürlich ahnte sie, was ihre Frau im Innern tat. Und sie wusste auch, weshalb sie es tat. Immerhin hatte Nele es ihr oft genug erklärt, damit Sinah begriff, dass es nicht ihre Schuld war, sondern einzig und allein Neles Verantwortung oblag.

Aber Nele wusste, dass Sinah sich trotzdem schlecht fühlen würde und sich wider aller Vernunft zumindest eine Mitschuld gäbe, wenn sie sich nun schnitt. Aber genau das wollte sie ja nicht. Sie wollte Sinah nicht wehtun. Deshalb hatte sie die Therapie gemacht. Damit alles besser wurde.

Nicht gut; das würde es nie, aber eben besser. Ihre Therapeutin hatte es ihr gesagt: Eine kaputte Seele kann nie völlig geheilt werden, aber sie kann Linderung erfahren.

Nele ließ das Messer ins Waschbecken fallen. Hastig zog sie den Ärmel über die intakte Haut und wandte sich ruckartig der Tür zu. Sie schloss auf und schaute aufgewühlt in Sinahs braune Augen.

Ihre Frau ließ den Blick prüfend über ihr Gesicht wandern, ehe sie vorsichtig die Ärmel ihres Pullovers hochschob. Die Erleichterung, die über ihre Züge wanderte, tat Nele beinahe körperlich weh.

Sinah streckte die Arme aus, zog sie in eine liebevolle und schützende Umarmung. »Es tut mir leid. Ich will nicht mit dir streiten.«

»Mir tut es auch lied.« Endlich konnte Nele weinen. Es war ein erleichterndes Gefühl. Mit den heißen Tränen quollen auch die Verzweiflung und der Schmerz, die Hilflosigkeit und die Wut heraus. Aber dies war anhaltender, befriedigender und reiner als es das Blut war, das sie durch das Ritzen herauslaufen lassen hätte.

Heute hatte sie es geschafft, ihren Dämonen zu trotzten. Sie würden immer da sein. Das wusste sie. Das Leben hatte ihr Gewalt angetan und hatte diese Dämonen hinterlassen.

Aber das Leben hatte ihrauch Sinah geschenkt. Und eine liebevolle Familie. Und die wiederum schenktenihr die Kraft, den Kampf gegen sich selbst aufzunehmen. Und sie würde kämpfen.Denn Nele wollte leben. Sie wollte nicht verblassen!

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro