10/2 Gespalten
»Heute Morgen ist von Spaziergängern eine weitere Leiche gefunden worden, die im nahen Stadtwald abgelegt und regelrecht zur Schau gestellt worden ist. Die Polizei von King County hat bestätigt, dass es sich offenbar um ein weiteres Opfer des sogenannten Spalters handelt. Demnach sind Schädel und Genitalbereich des zwanzigjährigen, lateinamerikanischen Arbeiters mit einer Axt auf brutalste Weise gespalten worden. Es ist anzunehmen, dass ...«
Micky griff durch das Seitenfenster des fremden Wagens und schaltete das Radio ab. Es war sehr leise eingestellt gewesen, sodass man die Nachrichtensprecherin drei Schritte weiter schon nicht mehr hätte hören können, aber er wollte keinerlei Ablenkung in dieser Nacht. Geräusche jeder Art konnten ihm gefährlich werden, konnten über Leben und Tod entscheiden.
Nebel lag über den Feldern der Umgebung, kam aus dem nahen Wald gekrochen wie ein hungriges Wildtier, das sich nur widerwillig und scheu der Zivilisation näherte. Wobei das eine viel zu hochtrabende Bezeichnung für das alte, verfallende Farmerhaus und die baufällige Scheune war, vor denen der Streifenwagen parkte. Im Lichtkegel der Scheinwerfer waberten die Dunsttentakel träge dahin wie Späher, die ihre kalten Finger über das Gelände gleiten ließen, um es zu erkunden. Durch den Nieselregen, der seit Stunden unablässig fiel, glänzte der bröckelige, gelbe Verputz feucht. Die schwarzen Öffnungen der Fenster wirkten wie tiefe Wunden in der fettigen Haut eines lebendigen Wesens.
Micky zog ein letztes Mal an seiner Zigarette, dann stieß er sich von der Seite des Polizeiautos ab und ging mit ruhigen Schritten auf das verlassene Gebäude zu.
Seine Sohlen erzeugten ein leises Schmatzen im feuchten Gras. In seinen Ohren dröhnte es viel zu laut, als reibe jemand Schmirgelpapier über Holz. Einbildung, wie er nur zu gut wusste.
Durch nichts durfte er seine Anwesenheit verraten; um keinen Preis das Überraschungsmoment verlieren, sonst wäre das sein sicheres Ende.
Von der Novemberkälte waren seine Finger klamm und vor seinem Mund bildeten sich kleine, weiße Wölkchen, wann immer er ausatmete. Er fröstelte, wünschte sich zurück in die Wärme seines Heims, wollte nichts sehnlicher, als in Ruhe einen beruhigenden Tee trinken und den wohltuenden Klängen von Chopin lauschen.
Doch heute Abend hatte er anderes vor. Es galt, ein für alle Mal die Fronten zu klären. Wenn es ihm heute nicht gelang, diesen verdammten Kerl unschädlich zu machen, dann vermutlich niemals.
Wie eine Raubkatze, die sich an ihre Beute heranpirscht, stieg Micky die drei Stufen empor, die ihn auf die Veranda führten. Der Holzboden knarrte verräterisch unter seinen Füßen, aber im Innern würde man den Laut nicht hören können.
Die morsche Holztür öffnete sich mit einem nervtötenden Quietschen. Für Micky fühlte es sich an als schneide ihm jemand bei lebendigem Leib die Haut von den Knochen.
Er hielt inne, eine Hand an der Klinke, einen Fuß schon über die Schwelle geschoben. Sein Herz raste, schlug unkontrolliert gegen seinen Brustkorb. Angestrengt lauschend zählte er bis zehn, während das unangenehme Brennen in seinem Nacken und auf seinen Unterarmen langsam nachließ.
Als sich seine Augen allmählich an die Dunkelheit im Flur gewöhnt hatten, trat Micky durch die Türöffnung.
Leise schob er sich an der Wand entlang Richtung Kellertreppe, die gleich neben dem Aufgang zum ersten Stock durch eine weitere, sehr schmale Tür zu erreichen war.
Er kannte sich hier aus.
Das Haus hatte sein eigenes Leben. Besonders bei Nacht. Es schien ihm, als würde es atmen, kam ihm vor wie ein riesiges Tier, das krank und sterbend in einer Höhle lag und darauf wartete, dass sich seine Beute von allein zu ihm begab; das darauf hoffte, ein unschuldiges Opfer käme ihm nahe genug, um es zu verschlingen, auf das der Hungertod noch ein paar Tage auf sich warten ließe. Dieses Gebäude barg grausame Geheimnisse, wusste von all den fürchterlichen Dingen, die hier geschehen waren. Es besaß eine eigene Seele, die so schwarz und böse war wie die seines Besitzers.
Micky atmete tief durch. Heute würde das Haus wieder Zeuge werden, wie ein Leben aus dem Gefängnis seines menschlichen Körpers wich. Noch war es unklar, ob es Mickys letzter Atemzug sein würde oder der des Mannes, der irgendwo in der Stille und Dunkelheit auf ihn wartete.
Micky überlegte, ob er wirklich sofort in den Keller gehen sollte. Wäre es nicht zu einfach? Vermutlich würde sein Widersacher genau das von ihm erwarten.
Im Erdgeschoss befanden sich die Küche zu seiner Linken und der Wohnraum zu seiner Rechten – beide waren ins Dunkel der Nacht getaucht. Nur das Licht der Scheinwerfer des Streifenwagens drang durch die Ritzen der geschlossenen Fensterläden. Es waren nur die Fetzen dämmriger Beleuchtung, die sich bereits durch einige Meter Nebelschwaden gekämpft hatten und im Innern des Hauses so viel ihrer Kraft verloren hatten, dass lediglich die Umrisse der Möbelstücke erkennbar waren.
Soweit Micky es beurteilen konnte, hielt sich dort niemand auf. Der Kerl war also entweder im Obergeschoss oder wartete unten in der Kühle des Kellergemäuers auf ihn.
Während er versuchte, eine Entscheidung zu treffen, öffnete er in Zeitlupe die Tür zur Treppe, die nach unten führte. Dabei drückte er sie mit beiden Händen in den Angeln nach oben, weil das schwere Teil sonst entsetzlich knarrte. So schwang sie allerdings geräuschlos auf und offenbarte den Abstieg in den Keller. Wie ein pechschwarzer Schlund präsentierte sich der Zugang zu dem, was für so viele Männer das Tor zur Hölle geworden war.
Das Adrenalin schoss durch Mickys Adern, das Blut rauschte in seinen Ohren. Angestrengt lauschte er, ob von unten ein Geräusch zu ihm heraufdrang, doch das Haus blieb stumm. Wenn er einen Vorteil erringen wollte, musste er sich etwas einfallen lassen.
Es war anzunehmen, dass sein Gegner sich bereits seit Stunden hier aufhielt und sich vorbereitet hatte.
Sicher konnte Micky aber nicht sein. Es gab verdammt viele Unbekannte in dieser Gleichung. Aber er hatte keine andere Wahl. Er musste mit allem rechnen.
Ein Knarren, das in der absoluten Stille wie ein Paukenschlag durch das Haus dröhnte, ließ Mickys Augen nach oben zucken. Es war aus dem ersten Stock gekommen. Jemand befand sich direkt über ihm. Da, wo das Schlafzimmer lag. Dort lauerte der Bastard also auf ihn. Hoffte, dass er kopflos das Haus nach dem Eindringling absuchen würde und ihm auf diese Weise in die Falle ging.
Aber nicht mit ihm. Er kannte sich hier aus. Er würde den Spieß umdrehen.
Micky war nicht der Hund, der zum Knochen kam. Wenn der Kerl ihn wollte, dann musste er schon zu ihm kommen. Es war Micky, der hier die Regeln machte.
Entschlossen setzte er einen Fuß auf die Kellertreppe und lief vier Stufen hinunter, bis er jene erreichte, die bereits morsch war. Ging man an den Stein des Fundaments gepresst ganz am Rand entlang, konnte man lautlos ins Untergeschoss gelangen. Wenn man aber, so wie Micky, genau in die Mitte trat, knarzte die Stufe. Laut. Noch lauter als die Dielen im Schlafzimmer.
Obwohl Micky mit dem Lärm rechnete, schnitt er ihm bis ins Mark und erzeugte ein flaues Gefühl in seiner Magengegend.
Nun wusste der Mistkerl, dass er ebenfalls im Haus war; wusste, dass sein Opfer sich unter ihm befand. Er würde kommen, würde der Versuchung, ihn möglichst schnell zur Strecke zu bringen, nicht widerstehen können.
Micky eilte die Treppe wieder hinauf, ließ die Tür sperrangelweit offen. Er durchquerte den Flur, schlüpfte in die Küche und kroch dort unter den kleinen, viereckigen Esstisch, an dem gerademal zwei Leute Platz fanden.
In der dunklen Ecke würde man ihn nicht sehen können, da Tisch und Stuhlbeine ihre Schatten warfen, in denen er sich verstecken konnte.
Von hier aus hatte er sowohl die Treppe als auch Teile des Flurs und des Wohnzimmers im Blick. Vor allem aber den Zugang zum Keller.
Es dauerte nicht lange, bis die düstere Silhouette einer Gestalt leise und lauernd aus dem ersten Stock hinabgeschlichen kam.
Ein Lächeln legte sich auf Mickys Lippen. Sein Trick hatte funktioniert. Jetzt würde es losgehen. Jetzt zählte jeder Vorteil. Und noch immer war das Überraschungsmoment auf seiner Seite, wähnte sein Widersacher ihn doch unter, nicht hinter sich.
Am Fuß der Treppe blieb der Schatten stehen und spähte in den angrenzenden Wohnraum. Als er dort anscheinend nichts entdecken konnte, ging er weiter den Flur entlang. Er sah die offenstehende Tür und erstarrte. Vermutlich überlegte er, wie er vorgehen sollte.
Micky beobachtete, wie er langsam und behutsam die Pistole aus dem Holster an seiner Hüfte zog. Mit einem kaum hörbaren Klicken entsicherte er sie.
»Miguel?« Der tiefe, selbstsichere Bariton vibrierte durch das ganze Haus, riss ein schauerliches Loch in die angespannte, lauernde Stille.
Micky lächelte.
Er wollte also reden, wollte, dass er ihm antwortete, um seinen Aufenthaltsort im Haus zu verraten. Für wie dumm hielt er ihn denn?
Vielleicht ging es ihm aber auch nur darum, Zeit zu schinden. Oder darum, sein Gewissen zu beruhigen.
Letztlich war Micky das völlig egal. Er hatte längst die Fäden in der Hand, war zum Spielmacher geworden, als er diesen Ort betreten hatte.
»Miguel, bist du das? Hör zu! Lass uns reden, ja?« Während der Mann sprach, schob er sich durch die Schwärze des Flurs, die Waffe mal auf die Öffnung zum Keller, mal zu den Durchgängen zu Wohnzimmer und Küche gerichtet. In der Stube knackte es und er fuhr herum, stieß gegen die elfenbeinfarbene Kommode, die rechts von ihm an der Wand stand. Ein unterdrückter Fluch war zu hören, als er in letzter Sekunde eine gerahmte Fotografie auffing. Dann nur noch der aufgeregte Atem, der stoßweise ging und keuchend in Mickys Ohren hallte.
Micky unterdrückte ein erheitertes Lachen.
Das Haus war alt und das Holz atmete. Es knackte und knarrte des Öfteren, doch er konnte sich des Gedankens nicht erwehren, dass das Gebäude seine Seele teilte, dass es dem Eindringling einfach einen Schrecken hatte einjagen wollen.
Mit grimmigem Amüsement beobachtete er, wie sein Widersacher das Bild zurück an seinen Platz stellte. Natürlich konnte er in der Finsternis nicht erkennen, was auf der Aufnahme zu sehen war, aber er wusste es. Es war das einzige Familienporträt, das im ganzen Haus zu finden war. Micky war darauf zu sehen, mit freudigem Lächeln und verstrubbelten Haaren. Neben ihm seine Mutter mit ihrer blassen Haut und dem zu einem strengen Dutt gebundenen, blondem Haar. Und auf der anderen Seite sein Vater. Juan. Ein rassiger Latino mit feurigem Blick.
Micky hasste das Foto. Aber er behielt es, damit er nicht vergaß.
Die Sekunden dehnten sich. Es schien ihm, als stelle dieser verdammte Kerl den Rahmen in Zeitlupe zurück an seinen Platz.
Dann stockte der Eindringling ein weiteres Mal und nahm etwas von der Kommode herunter, um es in seine Tasche zu stecken.
Mickys Dienstmarke.
»Miguel! Ich weiß, dass du hier irgendwo bist. Im Keller?«
Ja, Chuck, im Keller. Warst du denn noch nicht da unten?
Seine Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt, als er beobachtete, wie der leichtsinnige Idiot auf die offenstehende Tür zum Untergeschoss zu ging.
»Mach keine Dummheiten, Kleiner. Wir können über alles reden.«
Mach du keine Dummheiten. Du hättest nie herkommen sollen.
Mickys Atemzüge wurden schneller und sein Herz hämmerte so laut, dass es in seinen Ohren pochte, als er sah, wie der andere Polizist die ersten Stufen hinunterstieg und langsam in der undurchdringlichen Dunkelheit des Untergeschosses verschwand.
Ein lautes Knarren verriet ihm, dass Chuck die fünfte Stufe erreicht hatte. Sein Zeichen. Es war Zeit zu handeln.
Lautlos kroch er unter dem Küchentisch hervor. In geduckter Haltung eilte er bis zur Treppe. Ganz an das kühle Gemäuer gedrückt, stieg er hinab. Stille. Kein Geräusch begleitete ihn. Das verräterische Knarren blieb aus, als er die heikle Stelle erreichte. Den letzen Absatz nahm er schnell. Er hatte nicht viel Zeit, bis Chuck merken würde, dass er sich nicht in den Nischen des Gewölbes versteckte.
Unten lehnte eine Axt am Geländer. Wenn er die erreichte, war das Leben seines Partners Geschichte.
Micky gelangte ans Ende der morschen Holzkonstruktion. Mit dem Fuß stieß er gegen etwas, das da nicht stehen sollte. Ein blechernes Scheppern zerriss die angespannte Stille.
Dosen. Leere Konserven, die sonst in einem klapprigen Regal an der Wand standen. Wie kamen die dahin?
Verwirrt und alarmiert versuchte Micky, zu erspüren, wo Chuck sich befand. Hatte sein Kollege ihm diese Falle gestellt?
Grelles Licht blendete seine Augen. Instinktiv hob er zum Schutz eine Hand vor das Gesicht.
»Miguel.« Chucks Stimme klang sanft und bedauernd. »Hast du gedacht, ich würde dir so leicht ins Netz gehen? Ich mag vielleicht zum alten Eisen gehören, aber dumm bin ich nicht.«
Zumindest nicht so naiv, wie ich dachte.
»Jetzt lass' uns eins nach dem anderen tun, Miguel, ja?«
Micky konnte das Gesicht des anderen Polizisten nicht sehen.
Chuck hatte nicht nur seine Waffe, sondern auch die Taschenlampe direkt auf sein Gesicht gerichtet. »Ganz langsam. Schritt für Schritt.« Nervosität und Konzentration lagen in Chucks Tonfall. Er war bei weitem nicht so cool und besonnen wie er tat. »Leg' deine Waffe auf den Boden. Dann schieb sie mit dem Fuß zu mir rüber.«
Micky nickte, um seinem Partner zu zeigen, dass er seine Anweisung verstanden hatte. Extrem langsam zog er mit der linken Hand seine Dienstwaffe aus dem Holster. Die Rechte hielt er in die Höhe, damit Chuck sie sehen konnte.
Ein überlegenes Lächeln schlich sich auf Mickys Lippen, als er seine Glock 17 auf den Boden legte und sie kurz darauf zu dem Mann, der ihn so vieles gelehrt hatte, hinüberkickte. Glaubte Chuck wirklich, er sei ohne seine Pistole unschädlich? Micky fühlte sich erst jetzt richtig lebendig. Jetzt begann das spannende Spiel.
»Chuck, es tut mir leid.«
Für den Bruchteil einer Sekunde genoss Micky die Verwirrung, die spürbar zwischen ihnen im Raum hing. Dann handelte er. Blitzschnell sprang er nach vorn, direkt auf Chuck zu. Er wusste, sein Partner würde nicht auf ihn schießen. Konnte es nicht. Wollte nicht.
»Miguel!« Der Name war Gebet und Fluch zugleich. Das Flehen, es gut sein zu lassen und das Entsetzen darüber, dass Micky zum Angriff überging, waren gleichermaßen darin zu hören.
Es waren nur drei Schritte. Sekundenbruchteile.
Mit der rechten Hand schlug er seinem Partner die Taschenlampe aus der Hand. Klappernd traf sie auf dem nackten Betonboden auf. Schlagartig wurde es wieder dunkel im Keller.
Er sah nichts mehr. Alles war schwarz.
Chuck stand noch direkt vor ihm. Er hörte seinen keuchenden Atem, roch den sauren Schweiß der Angst. Als er seine Hand nach vorn streckte, spürte er den Stoff der Uniform an seinen Fingerspitzen.
Ein lauter Knall explodierte direkt vor ihm.
Die Überraschung zog wie ein Windhauch an ihm vorbei. Also hatte der alte Hund doch geschossen. Zu seinem Pech daneben.
Der Keller lag plötzlich im Stillen. Der angestrengte Atem des anderen, war für Micky nicht mehr zu vernehmen. Der Schuss hatte sein Gehör betäubt.
Vorübergehend.
Es war wichtig, ruhig zu bleiben. Er durfte nicht in Panik geraten.
Schnell und zielsicher packte er das Hemd seines einstigen Mentors, holte aus und rammte seine geballte Faust dorthin, wo er Chucks Gesicht vermutete.
Schmerz schoss in seine Fingerknöchel und raste seinen Arm hinauf.
In rascher Folge schlug er mehrmals zu.
Chuck war offenbar von seiner Attacke überrascht worden, denn ihm blieb keine Gelegenheit zur Gegenwehr.
Micky spürte, wie warme, klebrige Flüssigkeit über seine Hand lief. Blut.
Hastig tastete er nach den Armen seines Gegners, erreichte schließlich dessen Hände und stellte fest, dass sie leer waren.
Was mit der Waffe war, konnte er nicht sagen. Vielleicht war sie schon zu Boden gefallen.
Der ältere Polizist versteifte sich plötzlich, versuchte, sich aus Mickys Griff zu winden. Es gelang ihm, seine Hände zu befreien und Micky spürte einen heftigen Schmerz an der Schläfe, wo sein Partner ihn mit der Faust erwischte.
Mehrmals bekam er Chucks Unterarme zu fassen, musste sie aber wieder loslassen, weil der Mann sich vehement zur Wehr setzte.
Die betäubte Stille, in der ihr Kampf ums Überleben stattfand, war gespenstisch. Dann endlich gelang es Micky, seinen ehemaligen Mentor zu fixieren, sodass dieser ihn nicht mehr mit den Fäusten erreichen konnte. Eine Mischung aus Erheiterung und Bedauern durchströmte ihn. Mit einem heftigen Tritt gegen die Knöchel nahm er seinem Partner das Gleichgewicht, schickte ihn zu Boden und sprang über ihn, sobald er spürte, dass er nach hinten kippte.
Er suchte den Kopf des Mannes und nahm ihn in beide Hände. Abermals versuchte der andere Polizist, sich zu wehren, bäumte sich unter ihm auf und stemmte sich mit den Armen gegen Micky.
Doch er ließ sich nicht abschütteln. Innerlich war er kalt, zielorientiert. Brutal schlug er den Hinterkopf seines Mentors auf den harten Beton des Kellerbodens. Er spürte das widerliche Knacken, das seine Ohren nicht wahrnahmen in seinen Fingern. Chucks Körper erschlaffte sofort unter ihm und Micky krabbelte keuchend von ihm herunter.
Noch immer war die Welt still und dunkel.
Für ein paar Sekunden blieb er einfach neben dem Bewusstlosen sitzen, starrte ins Nichts und lauschte in sich hinein.
Das war knapp gewesen. Der Schuss hätte ihn ebenso gut treffen können. Oder Chuck hätte seinen Angriff vorausahnen und ihn doch überwältigen und verhaften können.
Ein raues Lachen stieg in seiner Kehle auf. Das Vibrieren seines Adamsapfels war allerding sein einziger Anhaltspunkt dafür, dass der Laut tatsächlich seinen Mund verließ.
Nachdem er sich beruhigt hatte, stand er auf und schaltete das Kellerlicht ein. Eine einzige nackte Glühbirne, die über einem alten Holztisch hing, der im hinteren Teil des Raumes stand.
Inzwischen kehrte ein Rauschen in seine Ohren zurück und er nahm seine eigenen Schritte und Bewegungen als dumpfe Geräusche wahr, als befinde sich sein Kopf unter Wasser.
Eisige Ruhe ergriff erneut von ihm Besitz, als er Chucks Körper hochhob und ihn zu dem Tisch hinüber trug. Dort legte er ihn auf den Rücken und band seine Hand- und Fußgelenke mit den dafür vorgesehenen Lederfesseln fest.
Bei seinen sonstigen Opfern war das dringend nötig. Sie zuckten, zappelten und wehrten sich immer so sehr, wenn er mit der Axt nach ihren dreckigen Schwänzen hieb.
Bei Chuck war es reine Vorsichtsmaßnahme. Eigentlich war es traurig, dass er ihn töten musste. Er war in Ordnung. Aber er war ihm zu nahe gekommen. Sein Partner hatte zu begreifen begonnen. Schuld waren die Rosen. Die hatten seinen Mentor auf seine Fährte gebracht.
Micky hatte unbedingt gewollt, dass die Presse darüber berichtete, dass der Spalter seinen Opfern stets eine rote Rose zwischen die Zähne gesteckt hatte, aber sein Team –allen voran Chuck – hatten das zurückhalten wollen, da es sich um Täterwissen handelte.
Aber Micky war die Botschaft doch so wichtig gewesen. Er hatte der ganzen Welt mitteilen wollen, dass es gerade die gottverdammten Rosenkavaliere waren, denen man misstrauen musste.
»Aber du wolltest das nicht«, flüsterte er nun und strich sanft mit dem Zeigefinger über die zertrümmerte Nase seines Partners. »Du hast mir im Weg gestanden. Das war okay für mich, weißt du, Chuck? Aber dass du in meiner Vergangenheit schnüffelst, mit meiner Mutter sprichst, es wagst, hierher zu kommen – das ist nicht okay für mich!«
Er wandte sich um, ging zur Treppe und griff sich die Axt, die dort am Geländer lehnte.
Er würde Chucks Leiche auf ähnliche Weise drapieren wie die ganzen lateinamerikanischen Kinderficker, denen er den Schwanz und das Hirn spaltete. Auch wenn sein Mentor das sicher nicht verdiente, bestand so vielleicht die Chance, dass man den Mord einem Nachahmungstäter zur Last legen würde.
Mit gespreizten Beinen, um einen möglichst festen Stand zu haben, stellte Micky sich an das Fußende des Holztisches. An der Wand vor ihm, direkt über Chucks Kopf, hing ein plakatgroßes Porträt von Juan.
Sein Vater war sonntags mit roten Rosen von der Kirche nachhause gekommen, um seine Mutter zu umwerben. Aber geliebt hatte er abends stets Micky. Jeden Sonntag.
»Tut mir leid, Chuck«, flüsterte Micky. »Jetzt sind wir beide seine Opfer.«
Dann rammte er seinemPartner die Axt in den Schädel.
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