1/5 Die Zwillinge
Zwei Tage später hatte sich der Sturm, der über die verfluchte Burg Richtung Landesinnere hinweggefegt war, längst verzogen und war der strahlenden Spätsommersonne gewichen.
Kayo und seine beiden weiblichen Begleiterinnen, befanden sich nun auf dem letzten Drittel ihrer Reise zum Drachenhort. Sie durchquerten die Steinwüste, die, wie ihr Name schon sagte, nur aus kargen und scharfkantigen Felsen bestand. Konzentriert lenkten sie ihre Pferde über das trostlose, graue Land, damit sich die Tiere ihre schlanken Fesseln nicht verletzten. Der Halbelf dirigierte seinen schwarzen Hengst allein durch Schenkeldruck, während die beiden Frauen, die hinter ihm ritten, ständig an den Zügeln ihrer Stuten zerrten.
Amazonen ritten nicht gerne. Sie verließen sich lieber auf ihre eigenen Füße. Auch wenn Zisi und Zara ihm nun schon seit vielen Jahren dienten, hatten sie die Abneigung sich auf dem Rücken eines Vierbeiners fortzubewegen, niemals abgelegt.
Kayo wandte sich kopfschüttelnd von dem schmerzhaften Anblick ab und ließ den Blick über die felsige Landschaft schweifen. Mehrere hundert Meter östlich von ihnen erhob sich eine Steinformation in den Himmel und warf einen langen Schatten auf die Erde. Er wirkte wie ein dunkler, ausgestreckter und mahnender Finger. Treffend. Denn bei den hohen Felsen, die scheinbar in zwei hohen Türmen gipfelten, handelte es sich tatsächlich um eine Festung. Die Heimat der Nachtschwärmer.
Für Zara und Zisi musste die Formation ganz normal wirken, denn sie konnten aus dieser Entfernung die schwarzen Löcher in den grauen Wänden, die als Fenster dienten nicht erkennen. Auch die mit schwarzen Tüchern vermummten Wesen, die sich am Fuße des Gebildes tummelten, sahen sie nicht.
Aber Kayo, der mit der Scharfsichtigkeit der Lichterelfen gesegnet war, hatte keine Mühe die Einzelheiten auszumachen. Während der goldene Sonnenball weiter dem Horizont entgegen sank, glitt der Blick des Drachentöters immer wieder gen Osten. Dabei ballte er die Hände zu Fäusten und unterdrückte den Drang einen Abstecher zum Volk seines Vaters zu machen. Gerne hätte er sich vor den blassen Gestalten in die Bügel seines Sattels gestellt und mit Inbrunst erklärt, er werde der nächste König Taerins werden. Und sie sollten sich in Acht nehmen, denn er werde nicht nur die Menschen für ihren Hochmut richten. Sie würden es früh genug merken.
Die leise Stimme, die ihm zuflüsterte, er fürchte sich vor seinen Blutsverwandten und habe Angst davor, sie könnten ihn aufhalten, ignorierte er. Es war seine Entscheidung weiter zu reiten. Und sie hatte einzig und allein damit zu tun, dass sein Bestreben den Drachen zu töten, nicht warten konnte!
Als am Himmel nur noch rötliche Schlieren davon zeugten, dass die Sonne vor kurzen Untergegangen war, ließ Kayo seinen kleinen Trupp anhalten.
„Es ist Zeit für eine Rast. Ihr beide braucht Erholung, bevor wir morgen auf den Gegner treffen." Er sprang aus dem Sattel und breitete seinen zerschlissenen Umhang, den er über der leichten, schwarzen Lederrüstung trug, auf dem Boden aus. Dann setzte er sich mit überkreuzten Beinen darauf und beobachtete das Treiben, der beiden Frauen.
Sie kletterten von den Rücken ihrer Pferde und legten ihnen Fußfesseln an, damit sie nicht wegliefen. Kayo brauchte das bei seinem Rappen nicht. Er blieb immer in seiner Nähe.
Die Tiere begannen damit das vertrocknete Pflanzengeflecht zu knabbern, das den Felsen nur spärlich überzog, während die Zwillinge zusammengebundene Holzbündel von den Sätteln lösten und begannen ein Feuer zu entzünden.
Im Normalfall wäre es vielleicht schwer für ihn geworden, die Schwestern auseinanderzuhalten. Sie trugen beide einen braunen Brustschutz aus leichtem Leder und eine dazu passende Hose, die in hochgeschnürten Stiefeln verschwand. Das lange, dunkelbraune Haar hatten sie sich zu einem dicken Zopf geflochten, den sie über der Schulter trugen. Zisi über der Linken. Zara über der Rechten. Aber das war es nicht, was es letztlich doch leicht machte, die beiden voneinander zu unterscheiden. Zara fehlte das linke Auge. Es schwamm in einer hellen Flüssigkeit in einer von Morssas Phiolen.
Unwillkürlich tastete Kayo nach dem Fläschchen mit dem Gift, das die Schwarze Priesterin ihm gegeben hatte. Wenn die Hexe recht hatte, dann musste er die ehemaligen Amazonen beseitigen. Eigentlich war ihm das nicht recht, denn die beiden, waren gute Kriegerinnen, die ihn stets zufrieden gestellt hatten. Er würde nicht sagen, dass er die beiden mochte – der Drachentöter mochte niemanden. Aber er respektierte sie. Außerdem ließen sie sich gut benutzen, denn egal, was er ihnen befahl, sie taten es. Aus Dankbarkeit dafür, dass er sie aufgenommen hatte, als sie auf der Suche nach Schutz gewesen waren und als Zisi todkrank gewesen war und er Morssa befohlen hatte, sie zu retten.
Treue aus Dankbarkeit war vielleicht besser, als Treue aus Angst. Andererseits behauptete die Hexe, dass zumindest Zara nur so tat, als sei sie ihm hörig.
Wütend ballte er die Hand um die Phiole mit dem Gift. Er biss die Zähne zusammen und musterte die Schwestern misstrauisch. Wenn das stimmte ...
Mühsam unterdrückte er den heißen Zorn, der bei diesem Gedanken durch seine Adern schoss und zwang sich zur Raison. Er musste Geduld haben. Noch brauchte er die beiden.
Zisi war es inzwischen endlich gelungen ein Feuer zustande zu bringen und Zara machte sich eifrig daran, in einem kleinen Kessel Wasser zu erhitzen.
„Bereitet ihr schon wieder dieses abscheuliche Gebräu zu?", erkundigte sich Kayo. Er musste den Anschein der Normalität wahren.
„Suhlblättertee", konkretisierte Zisi.
Kayo schüttelte sich und wandte angewidert den Kopf ab, als Zara die vierfingrigen Blätter der Suhlpflanze in das brodelnde Wasser war. Kurz darauf verbreitete sich der typische Geruch des Gebräus, der Kayo immer an eine Mischung aus verschimmeltem Käse und Ochsenmist denken ließ.
„Wieso trinkt man das freiwillig?", murmelte er vor sich hin.
Zara schien ihn aber gehört zu haben, denn sie wandte sich lächelnd zu ihm um. „Zum Einen erhöhen die Suhlkräuter die Konzentration und die Energie. Deshalb wäre er auch für Männer sehr empfehlenswert."
„Wie meinst du das?", wollte er stirnrunzelnd wissen.
Zisis kicherte leise. „Meistens trinken ihn Frauen, denn er verhindert, dass ein kleines Balg in ihrem Bäuchen heranwächst." Sie ignorierte das eine Auge ihrer Schwester, das sie warnend anfunkelte. „Gerne wird dieser Tee von Zofen und Dienstmägden zu sich genommen, die ein Verhältnis mit dem Herrn des Hauses haben." Sie zwinkerte ihm schälmisch zu.
Aber Kayo gab sich von ihrer anzüglichen Anspielung unbeeindruckt. Das war nicht schwer, da er tatsächlich keinerlei sexuelles Interesse an einer der Schwestern hatte. Sie waren Krieger. Genau wie er. Nicht mehr und nich weniger.
Stattdessen beugte er sich vor und taxierte die einstige Amazone mit einem kalten Blick. „Du meinst sie greifen zu solchen Mitteln, weil der Hausherr sich an ihnen vergeht. Das entspricht eher der Realität, die ich erlebt habe."
Zisi zuckte unbekümmert mit den Achseln. „Kann auch sein."
Zara zupfte an ihrer schwarzen Augenklappe, während sie ihn mit schiefgelegten Kopf ansah. „Nimm' es ihr nicht übel. Sie war schon immer mannstoll."
„Welch hilfreiches Attribut für eine Amazone", entgegnete er trocken.
Die Einäugige nickte und verzog die Lippen zu einem wehmütigen Lächeln, während ihre Schwester lauthals auflachte. „Es hatte ja einen Grund, warum wir die Amazonen verlassen haben."
„Verlassen haben? Wir wurden gebeten zu gehen, weil du ständig abtrünnig warst und man dich dann in den Betten irgendwelcher Kerle wiederfand!" Zara klang nicht so, als sei sie wirklich böse auf ihre Schwester. Eher, als habe sie längst resigniert und sich mit den Umständen abgefunden.
Dieser Verdacht bestätigte sich, als sie die Hände spreizte und erklärte: „Sie war nie glücklich bei den Amazonen."
„Du aber schon?" Kayo beugte sich vor und versuchte dabei den scheußlichen Geruch des Suhlblatttees zu ignorieren. Er wollte, dass sie mitbekam, dass er ihre Mimik studierte.
Prompt senkte sie den Blick und drehte sich von ihm weg, während sie zwei Blechbecher aus den Satteltaschen hervorkramte. „Ja", gab sie kurzangebunden zurück.
Kayo schwieg. Oftmals war das der beste Weg, um andere zum Weitereden zu verleiten, denn sie wollten die unangenehme Stille füllen.
„Aber ich liebe meine Schwester mehr als alles andere auf dieser Welt. Deshalb bin ich mit ihr gegangen. Ihr Glück ist mir wichtiger als meins. Ihr Leben teurer, als mein eigenes." Sie wandte ihm wieder das Gesicht zu und nun konnte er Entschlossenheit in ihrem Blick erkennen.
Er legte bedächtig den Kopf schief und sagte mit bewusst sanfter Stimme: „Ihre Gesundheit mehr wert, als dein Auge."
Ihr knappes Nicken war ihm Antwort genug.
Nachdenklich ließ er die Giftphiole tiefer in seiner Tasche verschwinden. Möglicherweise irrte Morssa sich. Wenn Zara ihrer Schwester so treu ergeben war, dann gab es vielleicht gar keinen Grund die Zwillinge zu beseitigen. Nun, er würde noch einmal darüber nachdenken. „Trinkt euren widerlichen Tee und dann schlaft", beschied er ihnen. „Ich halte Wache."
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro