1/3 Mischwesen
Kayo leckte sich über die von der Kälte aufgesprungenen Lippen und erhob sich. Der Feuerschein der Kerzen und Fackeln schien vor ihm zurückzuweichen, während sich die Schatten umschmeichelnd an ihn schmiegten. Selbst Shariel, der diesen Anblick schon seit mehreren Jahren gewohnt war, zog sich unwillkürlich ein Stück zurück, um ihn aus sicherer Entfernung zu beobachten.
Kayo trat an das kühle Gemäuer heran, um auf das Spektakel hinabschauen zu können, das sich am Fuße des Turms ereignete. Da er durch die angelaufenen Scheiben nur schwer etwas erkennen konnte, öffnete er das Fenster. Sofort schlug ihm der kalte Wind entgegen und trieb die Regentropfen ins Innere des Gemaches. Eisig traf das Wasser auf seine Haut, doch es kümmerte ihn nicht. Er beugte sich vor und wurde von einer fiebrigen Hitze erfasst, als er das Bild, das sich ihm bot, in sich aufsog.
In der Mitte des Hofes, im gespenstischen Schein dutzender Laternen, hatten sich die Schlächter eingefunden. Die zwei Männer hätten unterschiedlicher nicht sein können. Wo der eine hochgewachsen und schlaksig war, da war der andere klein und dickbäuchig. Beide hatten sich in schwarze Mäntel aus Ölzeug gekleidet, um wenigstens notdürftig vor dem Wetter geschützt zu sein, wenn sie sich bei einem solchen Sturm schon im Freien aufhalten mussten. Kayo konnte ihre Gesichter nicht erkennen, denn sie wurden von den weiten Kapuzen verborgen. Ihre Arbeit war bereits verrichtet, daher nahm der Kleinere gerade das Henkersbeil zur Hand und trug es zu dem niedrigen Unterstand aus Holz, der sich im Schatten der Burg neben dem großen Haupttor befand. Dort bewahrten die Schlächter und Schmiede ihre Werkzeuge auf.
Der Größere der beiden, widmete sich derweil ihrer gerichteten Beute, die auch Kayos Blick magisch anzog.
Das geflügelte Pferd war auf die Seite gefallen. Die Schwingen, welche die Farbe flüssigen Sonnenlichts besaßen, hingen leblos hinunter. Regen perlte auf dem schimmernden Fell und den Schuppen und tropfte von ihnen hinab, auf die kalten Pflastersteine des Burggeländes. Der zierliche Kopf des Tieres war abgetrennt worden und lag ein Stück vom Torso des gezüchteten Wesens entfernt. Aus den dunklen Nüstern löste sich kein Atemhauch und die roten Augen starrten glanzlos in den düsteren Himmel. Goldenes Blut rann aus Rumpf und Hals und mischte sich mit dem schmutzigen Wasser am Boden.
Verschwendung! Aber Kayo wusste, dass es unmöglich war, jeden Tropfen des kostbaren Lebenselixiers für sich zu nutzen. Er würde auch gar nicht alles benötigen, um sich die Herrschaft über Taerin zu sichern.
„Eine Schande, dass man das Vieh nicht weiterverarbeiten kann", brüllte der breitschultrige Hüne seinem kleineren Kumpanen hinterher. „Hätte nichts gegen ein bisschen mehr Fleisch auf unseren Tellern einzuwenden." Der Schlächter machte sich mit mehreren Glaskaraffen und einem Schlauch ans Werk und begann damit, das Blut des geflügelten Pferdes aufzufangen und zu verkorken.
„Bäh! Das ist ungenießbar!", schallte die Antwort seines Kollegen durch den Sturm zurück. „Die schmecken so parfümiert, wie 'se auch stinken tun!"
Kayo ließ seinen Blick nachdenklich über den Körper des Wesens gleiten und ignorierte das raue Gelächter seiner Gefolgsleute im Hof. Sie mochten sich darüber lustig machen, das Geflügelte Pferd nicht schlachten und zu Schinken verarbeiten zu können, aber keiner von ihnen würde tatsächlich den Frevel begehen und von diesen Kreaturen essen. Sie waren gesegnet. Allein sie zu töten, war sowohl Sünde, als auch Verbrechen. Aber es zu tun, um sich an ihnen zu laben, würde den Unmut der Naturgötter über sie bringen. Zumindest erzählten das die Zwerge und Elfen.
Aber Kayo glaubte nicht an die Gerüchte Divenars. Die Hüter des Kristallwalds, der hinter der ewig glücklichen Stadt Taerin lag, drehten sich die Gesetze so, wie sie sie brauchten. Und sie ängstigten andere, um zu erreichen, was sie wollten und um zu erhalten, was sie ihre Schöpfungen nannten. Koste es, was es wolle. Es gab nur eine Ausnahme.
Neben den geflügelten Pferden gab es eine Menge unnatürlicher Dinge, die dort mit Hilfe von Magie und anderen Methoden, die er nicht verstand, erschaffen wurden. Auf diese Weise kreierten die Feen und Kobolde merkwürdige Mischwesen und manchmal auch ganz neue Spezies. Sie nannten es Wissenschaft und rechtfertigten ihre Experimente mit der Vielfalt des Lebens, mit dem sie das Reich des Goldkönigs bevölkerten.
Er hielt nichts von alledem, obwohl auch er aus solchen Versuchen resultierte. Genau genommen war seine eigene Existenz einer der Gründe, aus denen er die Forscher Taerins verachtete - ja sogar hasste. Wie waren sie nur auf die Idee gekommen, einen Nachtschwärmer mit einer Lichterelfe zu paaren?
Kayo hatte versucht, beim Volk seines Vaters zu leben. Doch die düsteren, menschenähnlichen Kreaturen der Steinwüste blieben in ihrer Festung meist unter sich. Ihr Äußeres wäre unter den Menschen Taerins kaum aufgefallen, wenn man von der blassen Haut und der düsteren Aura absah. Aber in ihrer Art unterschieden sie sich vollkommen. Kühl und unbarmherzig waren sie. Außerdem sagte man ihnen nach, dass ein Fluch auf ihnen laste, da sie fähig waren, mit den Schatten zu verschmelzen. In der Dunkelheit konnten sie überall hingelangen, und das erfüllte die Bewohner der Hauptstadt mit Angst.
Er selbst hätte sich bei den Kriegern der Nacht vielleicht wohlfühlen können, wenn sie ihn wie einen der Ihren behandelt hätten. Aber für sie war er eine Ausgeburt des Feindes gewesen. Der Balg einer Lichterelfe. Abschaum. Seine hellere Hälfte, die Fähigkeit mit Sonnenstrahlen zu spielen und Schatten und Licht miteinander tanzen zu lassen, hatten ihn zum Außenseiter gemacht. Selbst die Erinnerung an jene Tage, sorgte dafür, dass sich seine Wangen vor Scham röteten. Wie sehr hatte er dazugehören wollen und wie verletzt war gewesen, auf diese Weise verstoßen zu werden.
Unterbewusst ballte er die Hände zu Fäusten, während er seine Gedanken weiterschweifen ließ.
Auch im Reich seiner Mutter hatte er versucht, zurechtzukommen und war abermals an seiner Andersartigkeit gescheitert. Mitleidige Blicke hatten die sanften und übernatürlich schönen Wesen ihm zugeworfen, wann immer es ihm wieder nicht gelungen war, die Magie des Lichts im selben Ausmaß, wie sie es taten, zu nutzen. Zu hitzköpfig war er gewesen. Zu jähzornig und aufbrausend. Sie hatten seine Wutausbrüche gefürchtet, bei denen er unkontrolliert Blitze durch die Luft gejagt hatte - oder flackernd zwischen Sonne und Dunkelheit zur Hälfte sichtbar gewesen und wieder verschwunden war. Schließlich hatten sie ihn gebeten, zu gehen und er war ihrem Wunsch nachgekommen.
Er biss die Zähne aufeinander, sodass sein Kiefer knackte. Noch immer verspürte er diesen heißen Zorn auf das Volk der Lichterelfen, das ihn schlicht nicht bei sich haben wollte. Sie hatten sich keine Mühe mit ihm gegeben, weil sie seine Dunkelheit nicht in ihrer Welt haben wollten. Arrogantes Pack!
Aber am Schlimmsten war es in der Goldenen Stadt gewesen, im Herzstück des Landes, dem ganzen Stolz des lächelnden Volkes. Kayo war den Hüllen der Menschen so ähnlich und doch so anders. Sie hatten Angst vor ihm gehabt und seine Düsternis gefürchtet. Hatten Furcht empfunden, wenn er auf den Schatten geritten war und an einer Stelle verschwunden und an einer anderen wieder aufgetaucht war. Auch seine Spielereien mit dem Licht, hatte ihnen die verurteilenden Gedanken nicht nehmen können. Wenn er strahlende Kugeln, die scheinbar aus puren Sonnenstrahlen bestanden, hervorgezaubert und damit für die Kinder jongliert hatte, war ihnen nichts Besseres eingefallen als von verbotener Hexerei zu sprechen. Unnatürlich sei er. Eine Unmöglichkeit, die weder zur Nacht noch zum Tag gehöre.
Im Schatten des herrlichen Schlosses, in dem Seine Majestät lebte, hatte Kayo seine dunkelsten Tage erlebt. Unter dem Deckmantel der Höflichkeit und des barmherzigen Gebarens, für das sich die Bewohner Taerins selbst lobpreisten, war er misshandelt, verkauft und versklavt worden.
Noch immer jeden Muskel angespannt, zitterte der Herr der Burg inzwischen am ganzen Leib. Das Erlebte würde ihn nie loslassen und noch immer hatte es ihn fest im Griff, wann immer er nicht aufmerksam genug war, sich vor seinem eigenen Entsetzen und der Panik zu schützen, die ihn regelmäßig in den dunklen Stunden der Nacht heimsuchten.
Verfluchtes Eigentum hatte jedoch niemand lange besitzen wollen und so war er von Hand zu Hand gereicht worden und jede hatte ihn schlechter behandelt als jene davor.
Er hatte oft darüber nachgedacht, einfach im Schatten oder auch im Licht zu verschwinden, aber wenn man ihn doch irgendwann wieder gefunden hätte, wäre er für seine Flucht mit dem Tod bestraft worden. Und vor nichts fürchtete Kayo sich mehr als vor dem Sterben.
Schließlich war er von seinem letzten Besitzer vertrieben und verbannt worden.
Ab diesem Moment war er frei gewesen. Und allein. Er war kein Mensch, kein Nachtschwärmer und auch kein Lichterelf. Er war die Ausnahme Divenars. Ein missglücktes Experiment, für das es keinen Platz auf der Welt gab, außer dem steinernen Fluch, die Burg, die er erobert und zu seinem neuen Zuhause gemacht hatte.
Als ihm bewusst wurde, dass er zitternd am Fenster stand, entspannte er bewusst seinen Kiefer und spreizte die Hände. Er atmete tief durch und lenkte seine Erinnerung in andere Bahnen. Ersetzte die Angst mit Wust und nährte den Hass auf die Lebenden Taerins, damit er sie nicht mehr fürchtete.
Er lächelte grimmig musterte das Geflügelte Pferd abermals. Sie waren einander gar nicht so unähnlich.
Auch diese Wesen hatten nie eine richtige Heimat besessen. In den Familien der Einhörner waren sie nicht akzeptiert worden, denn die zarten Geschöpfe, fürchteten sich vor den riesigen, schuppigen Schwingen und den roten Augen der Hybriden. Und auch bei den Drachen hatten sie keinen Anschluss gefunden, denn die vier Beschützer Taerins blieben unter sich.
Also waren die Geflügelten Pferde im Kristallwald geblieben. Doch selbst die Feen und Kobolde hatten zugeben müssen, dass sie dort nicht glücklich waren. Genau wie Kayo waren sie missratene Kreaturen und so hatte man aufgehört, sie zu züchten. Insgesamt gab es zehn von ihnen und sie alle unterschieden sich in der Farbe ihrer Flügel.
Kayo hatte das mit den goldenen Schwingen nicht zufällig eingefangen und zu seinen Schlächtern gebracht. Er brauchte genau dieses, denn es trug die Gene Solaraneos, dem Letzten der vier Beschützer des Landes und der Stadt Taerin in sich. Nur das Blut dieses einen Geflügelten Pferdes war pures Gift für den mächtigsten der Drachen.
Drei der Mischwesen hatte Kayo bereits töten lassen, um sein Schwert mit der todbringenden Substanz einzureiben, ehe er gegen die Herren der Lüfte ins Feld gezogen war. Jedes Mal hatte eine majestätische Kreatur mit ihrem Leben für den Forschungsdrang der Kobolde und Feen bezahlen müssen. Und auch dieses Mal würde am Ende ein Himmelshüter an dem Gift sterben, das einer seiner eigenen Bastarde in sich trug.
Daran gab es keinen Zweifel, denn Morssa, die schwarze Priesterin, hatte es ihm gesagt. Sie hatte ihm davon erzählt, dass die Drachen allergisch auf das Blut ihrer eigenen Ableger reagierten und dass schon kleinere Mengen davon, wie ein starkes Nervengift wirkten. Sie hatte ihn angeleitet und unterstützt und hatte seine letzten drei Erfolge mit derselben berauschenden Euphorie gefeiert wie er.
Bisher waren alle ihre Vorhersagen zutreffend gewesen. Kayo hatte keinen Grund, ihr zu misstrauen, denn nachdem sie aus den Reihen der Hexen verstoßen worden war, weil sie mit Schwarzer Magie experimentiert hatte, war er ihr einziger Anker im Leben. Sie hatte keine Heimat, außer dem steinernen Fluch und sie hatte keinen Schutz in diesem Reich, außer dem, den er ihr gewährte. Wenn er König Taerins werden würde, dann würde auch Morssa wieder frei leben können und sogar einen hohen Posten bekleiden, in dem sie Macht und Wohlstand erlangen konnte. Sie hatte also keinerlei Interesse daran, ihn zu belügen. Erst, wenn es so weit war, und er den Goldenen Thron besteigen würde, wäre es für ihn an der Zeit, die schwarze Priesterin mit Vorsicht zu genießen. Doch bis dahin konnte er sich auf ihr Wort verlassen.
Kayo lächelte boshaft, als er seinen Kopf zurückzog und seinen Berater anblickte. „Sag' den Zwillingen Bescheid. Sie sollen bei Sonnenaufgang zum Aufbruch bereit sein. Wir haben einen Drachen zu töten!"
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