Kapitel 6 Vertrauen
Die Tage gingen dahin und die Ausdauer der Kinder wuchs mit jedem Tag. Max musste nicht mehr ganz so viel durch die Gegend getragen werden und die kleinen Hilfestellungen ihrer Knappen erhöhte die allgemeine Laune der Soldaten und somit ihre Zuneigung für die Kinder spürbar. Die enge Zusammenarbeit und die gegenseitige Nähe sorgten auch dafür, dass Max in Gesellschaft der Soldaten langsam auftaute. Der lustige Koch war dabei ein wichtiges Bindeglied zwischen den Kindern und den Soldaten. Seine Albernheiten sorgten nicht selten dafür, dass die Männer ihre Augen verdrehten, Sam nur seinen Kopf schüttelte und Mäxchen so laut und lange darüber lachte, bis er alle anderen damit angesteckt hatte. "Dies ist definitiv der lustigste Einsatz den wir je hatten", gestand der Koch eines Morgens nach einem besonders harten Marsch mit Tränen in den Augen und der Anführer seufzte gespielt auf. "Lächerlich, einfach nur lächerlich", gab er ein Zitat aus einer beliebten Kinderserie im Netz zum besten und alle lachten erneut.
Während ihrer Märsche saugte Sam begierig jedes neue Wissen auf, dass sich ihm bot in dem er das Verhalten der Männer genau beobachtete und ihren Lektionen stets mit Enthusiasmus lauschte. "Hörst du das?" Der Späher sah Sam fragend an und der versuchte verzweifelt zu erkennen, worauf der Mann hinaus wollte, doch schließlich schüttelte er entschuldigend den Kopf. "Ich höre nichts, nicht einmal das Fiepen der Feldmäuse, oder das zirpen der Grillen" gab er leise zu. Der Späher nickte jedoch nur und wirkte erstaunlich begeistert von dieser Antwort. "Ganz genau." Vorsichtig sahen sich die beiden weiter um und entdeckten bald darauf einen trockenen Busch, der in Flammen stand. Schnell erstickten sie das Feuer mit Sand und Erde, damit es nicht auf andere Dinge übersprang, auch wenn es in dieser Gegend wohl kaum genug Nahrung finden würde, um sich all zu weit auszubreiten. So lernte er, dass es beim Spähen nicht nur darauf ankam etwas zu bemerken, was da war, wo es nicht hin gehörte, sondern auch zu erkennen, wenn etwas fehlte, wo es eigentlich vorhanden sein müsste.
Auch die Kinder hatten besonderes Wissen, und begannen langsam damit, dieses mit den Männern zu teilen. "Riechst du das?" Max sah den Koch mit begeisterten Augen an, während sie durch ein kleines Wäldchen marschierten. "Puh, ja, das stinkt furchtbar. Was ist das?" Max lachte. "Lass uns nachsehen." Die Männer waren alarmiert und versuchten, das fröhliche Kind zurück zu halten, weil es um so stärker nach Verwesung roch, je näher sie ihrem Ziel kamen. Erst als sie die ersten Stinkmorcheln entdeckten, entspannten sie sich wieder. "Gott, ist das obszön," schüttelte sich einer der Soldaten bei dem Anblick dieser Pilze und alle überlegten, ob sie den kleinen Jungen besser zurückhalten sollten, als dieser in die Hocke ging um etwas auszugraben was wie halb vergrabene, schmutzige Hühnereier aussah. Vorsichtig legte er sie dem Koch in die Hände, der das Gesicht verzog. Die Dinger fühlten sich an wie hochreife Tomaten, prall aber auch fragil, als ob sie jederzeit platzen könnten. Nur der stolze Blick des Kindes hielt ihn davon ab, sie sofort fallen zu lassen. Zum Glück stanken diese Dinger nicht so fies wie die Pilzen um sie herum. "Hexeneier, lecker" erklärte Sam, als er hinzu kam. Schnell nahm er sein Messer zur Hand entfernte bei jedem einzelnen Ei die weiße Außenhaut, die bräunliche Gallertmasse und die braungrüne Schicht darunter und operierte so die weißen Kerne heraus, um sie einzustecken. "Die können wir vor dem Schlafen gehen anbraten. Mit etwas Salz sind die echt lecker und schmecken kaum pilzig." So lernten die Männer von den Kindern unbekannte Geräusche und Gerüche den Tieren und Pflanzen dieser Gegend zuzuordnen.
In den Pausen begann Sam immer öfter, Fragen zu stellen, zuerst zögerlich, denn niemand in den Außenlanden verriet gerne seine Geheimnisse, doch dann immer öfter, als er bemerkte, dass die Soldaten bereitwillig Auskunft erteilten. "Warum hast du mich vorhin entscheiden lassen, ob wir noch den Schlenker durch das Wäldchen machen sollen oder nicht? Du bist doch der Anführer." Sams Frage entsprang der reinen Neugier und enthielt keinerlei Vorwurf und so erhielt er eine offene und ehrliche Antwort. "Du scheinst die Gegend hier besser zu kennen als wir, also vermutete ich, dass du besser als ich weißt, ob sich der Umweg lohnt oder die Gefahren die Vorteile überwiegen. Außerdem kannst du besser als ich einschätzen, ob Max und du den zusätzlichen Weg noch schafft." Sam war erstaunt, weil ihm ein Erwachsener nicht nur zugehört sondern auch seiner Entscheidung vertraut hat. "Es ist wichtig, deinen Leuten zu vertrauen und sich auf ihre Fähigkeiten zu verlassen. Unser Späher hat mir von deinem Wissen erzählt und mir ist dein Können ebenfalls aufgefallen, warum soll ich also nicht darauf zurückgreifen?" Der größere der beiden Kinder nickte verstehend und erkannte nun, warum dieser Mann so ein guter Anführer war und warum ihm seine Truppe bedingungslos vertraute, weil er dieses Vertrauen erwiderte.
Irgendwann im Laufe ihrer Reise war ihm klar geworden, dass er die offenen Freundlichkeiten der Männer erwidern musste. Die Holzsammlerin kam ihm wieder in den Sinn, die ihnen den Zugang zu ihrem eigenen Heim verwehrte, weil sie ihnen nicht vertraute. Und wie sollte man Vertrauen aufbauen, wenn man all seine Geheimnisse für sich behielt? Wenn er von diesen Männern nach Europa gebracht werden wollte, dann müsste er sich zunächst einmal selbst öffnen und ihnen vertrauen. Bisher hatte keiner der Männer etwas getan, dass dieses Vertrauen nicht rechtfertigen würde. Schließlich gab er sich einen Ruck und begann ebenfalls von seinem Leben und seiner Familie zu erzählen.
Als sie an einem geplünderten aber nicht zerstörten Gewächshaus ankamen und dort nach nachgewachsenem Gemüse und Kräutern suchten, halfen Sam und Max bei der Ernte. "Wir haben hier fast alles zusammen, was wir für Mamas Gemüsepaste bräuchten, nur Gewürze und etwas Rauchspeck fehlen." Die Augen des kleinen Kochs funkelten neugierig. "Das haben wir alles dabei, wollen wir die Paste vor dem Schlafen gehen gemeinsam zubereiten?" Sam gab sein Einverständnis mit einem Lächeln und einem Nicken. Dieses Geheimnis zu teilen, damit könnte er anfangen und die Paste würde alle glücklich machen.
Der gebrandschatzte Hof, der zu dem Gewächshaus gehörte, wurde derweil von den anderen Soldaten untersucht und als man den Weg fortsetzte hörte Sam die Männer fluchen. "Wenn ich diese verdammten Mistkerle in die Finger bekomme, dann Gnade ihnen Gott!" Ihr Anführer schüttelte daraufhin traurig seinen Kopf. "Am Ende können wir doch wieder nichts ausrichten, weil wir keine Beweise für ihre Beteiligung haben. Solang wir sie nicht auf frischer Tat ertappen und alle Zeugen immer tot oder verschwunden sind, haben wir keine Handhabe gegen diese Banditen." Sam verfiel daraufhin in gedankenverlorenes Schweigen. Schließlich räusperte er sich, sah verstohlen zum Anführer hoch und gestand: "Ich habe die Männer gesehen."
Abrupt kam die ganze Truppe zum Halt und versammelte sich um die Kinder, auch wenn ihre Augen dabei die Umgebung im Blick behielten um Überraschungen zu vermeiden. "Du hast sie gesehen? Ich dachte ..." Sam nickte und brachte damit die Frage eines Soldaten zum abwartenden Schweigen. "Ich habe einen kurzen Blick aus dem Fenster geworfen, bevor ich zu Mama in die Küche gegangen bin." Die anderen seufzten enttäuscht auf, doch der freundliche Diplomat beugte sich zu Sam herunter und blickte ihm interessiert in die Augen. "Du hast sie also einmal kurz gesehen als sie noch weit weg und auf dem Weg zum Haus waren, ist es das, was du uns erklären willst?" Sam nickte und erneut erklang enttäuschtes Gemurmel von den Umstehenden. "Es waren 5 Männer und einen konnte ich nicht genau erkennen, weil er hinter einem der anderen her ging, aber die anderen Banditen kann ich beschreiben und würde sie auch wiedererkennen."
Ungeduldig setzte der Trupp seinen Weg fort, nun sehr daran interessiert, den nächsten Unterschlupf schnellstmöglich zu erreichen. Dort angekommen deutete der Späher gen Osten. "Es sind noch zwei Nachtmärsche bis zu unserem Ziel", dann sah er auf die Kinder und verbesserte sich, "drei, wenn wir im aktuellen Tempo weiter gehen." Und obwohl sich die Zeit wegen der Kinder verlängerte klang es doch nicht wie ein Vorwurf sondern eher wie ein Lob, denn die Kinder hatten sich wirklich gemacht und das wussten alle Männer zu schätzen. Sam deutete daraufhin mit dem ausgestreckten Arm und Finger in die andere Richtung. "Drei Nachtmärsche in diese Richtung liegt unser Hof." Dann ergänzte er zwinkernd: "Zwei, beim aktuellen Tempo." Das entlockte den Männern ein Lachen und dem Anführer einen interessierten Blick.
"Wenn ihr einmal dort hinkommt dann geht vom Haus aus zu dem großen Baum am Ende des Gartens, dann wendet euch nach rechts, bis ihr zu einem dichten Dornengestrüpp kommt. Ein Teil davon lässt sich an die Seite räumen und verbirgt eine Falltür die in unser Mauseloch führt. Es ist nicht viel Platz dort, aber der Kleinste unter Euch", er deutete auf den Koch, "kann dort sicher hinunter und die Vorräte holen, die dort noch lagern." Er zog die Schultern unsicher hoch, weil er nicht wusste ob das wirklich nützlich für die Soldaten sei, doch die nickten erfreut und dankbar.
Am Ende dieser Nacht half Sam zuerst beim Kochen und freute sich über das Lob der Soldaten, weil es ihnen allen so gut schmeckte. "Verdammt, zum sattwerden taugen diese Hexeneier nicht, aber diese Mischung aus milder schärfe und leichter süße zusammen mit dem erdigen Nachgeschmack ist fast wie ein Männer-Bonbon." An diesem Abend übernahmen die Soldaten das spülen damit Max sich etwas früher hinlegen konnte. Sobald der Jüngste im Trupp eingeschlafen war kam der redegewandte Kamerad zu Sam. "Können wir reden?" Der Junge nickte nur denn er wusste, es war an der Zeit alle Karten auf den Tisch zu legen und ihnen zu vertrauen. "Hast du was dagegen, wenn ich deine Worte aufzeichne?" Lächelnd schüttelte er den Kopf und beobachtete den Fragenden, wie der seiner Uhr am Handgelenk einen Befehl gab. "PEA, Aufnahme!" Schließlich begann der ältere der beiden Brüder die Männer zu beschreiben. Dabei verwandelte sich die zunächst noch verhaltene Hoffnung auf brauchbare Informationen schon bald in begeistertes Erstaunen, als er die Männer so detailliert beschrieb, dass die Soldaten drei von ihnen ihrer aktuellen Fahndungsliste zuordnen konnten.
Durch ihre Gehorsamkeit und ihre guten Dienste, weil sie in beidem nie nachließen und weil sie bereit waren selbst zu vertrauen erarbeiten sie sich letzteres auch von den Männern. Und mit jeder gemeinsamen Stunde wurde dieses gegenseitige Vertrauen stärker und deshalb schliefen die beiden jede Nacht noch ruhiger und erholsamer.
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