8
Ungeachtet des pfeifenden Windes nimmt die Stille zu und das Pochen wird dringender. Artema gräbt unruhig in der Erde zu ihren Seiten herum. Sie braucht etwas an der Haut zwischen ihren Krallen zu spüren, kann nicht tatenlos abwarten. Aufmerksam lauscht sie hin, ob ein Wort von Arnt zwischen dem Windspiel erklingt. Sie weiß genau, dass er weiß, worum es geht. Und sie weiß ebenso ganz genau, dass er weiß, dass sie das weiß. Wissen. Eine tolle Sache. Wenn es denn vorhanden ist.
»Auch wenn es Völker gab, die den Kürbis als Sinnbild für Dummheit angesehen haben«, beginnt Arnt wieder mal einer seiner Lehrstunden, unterbricht sich dann jedoch mit dem Kopf schüttelnd, weil er dieses Denken sichtlich eher für das hält als den Kürbis selbst. »Nur weil etwas von innen hohl ist, heißt das doch nicht, dass es das auch ist.«
Artema kann zwar den Worten folgen, doch begreift sie ganz und gar nicht, wie ihr das bei der Entscheidung helfen soll, wo sie ihr Winterquartier hier in dieser Umgebung aufschlagen soll – und welcher Art.
»Anderen wiederum dient er als Symbol für das Gleichgewicht und ewiges Leben. Ob jemand daran glauben mag, sei mal dahingestellt. Was viele Völker gemein haben, ist, dass dieses Gewächs für Wachstum, Wandel und auch Schutz steht, nicht nur für oder vor Hexen«, eult Arnt klug weiter.
Schlau ist er, das mag Artema gar nicht abstreiten und sie glaubt ihm, aber wie soll ihr dieses Wissen denn nützen? Gegen ihn kommt sie sich mal wieder mächtig dumm vor. Hohl wie der Kürbis. Wo hat sie denn die Abbiegung verpasst, um eine sinnvolle Verknüpfung ziehen zu können?
»Siehst du, nun habe ich dich irritiert«, bemerkt Arnt offensichtlich auch. Artema schaut zu ihm auf. Arnt will ihr nur helfen, nun scheint auch er geknickt zu sein. »Ich habe dir gesagt, ich bin ein Adler und kein Bär.«
»Also war das gar kein Rat, wie und wo ich mir meine Winterhöhle schaffen kann? Ob selbst graben oder eine bestehende suchen?«
»Doch schon, aber aus meiner Perspektive. Die eines Adlers.«
Artema lässt ihren Kopf wieder senken und denkt über seine Worte nach; grübelt, wie sie seine Denkweise auf sich selbst übertragen kann. Doch es will ihr nicht gelingen. Sie ist eine Bärin und er ist ein Adler, das stimmt. Aber muss das bedeuten, dass sie damit rein gar nichts anfangen kann?
Auch wenn ihr diese angesprochene scheußliche Suppe noch im Rachen hängt, war das Gespräch über Essen nicht sonderlich hilfreich. Seitdem flutscht ihr Gehirn immer wieder zu einem anderen Bedürfnis, was nach und nach auch bei ihrem Körper ankommt. Der knurrende Magen zeugt davon. Appetit – und vielleicht auch Hunger!
So ein Mist aber auch, dann ist kein Wunder, dass sie den Fokus nicht beibehalten kann. Letztes Jahr und das Jahr davor und das davor ... »Hach, was würde ich für ein paar Pelmeni geben«, schmachtet sie.
Die hatte sie sonst oft zu dieser Jahreszeit irgendwo aufspüren können. Ein paar waren Herumstreuenden heruntergefallen, die sie dann genüsslich auflesen konnte oder sie buddelte sie aus bestimmten Behältnissen aus ... Es soll ja schließlich nichts verkommen.
»Pelmeni?«, reißt der Adler sie aus ihren geliebten Erinnerungen.
»Arnt, kennst du die auch schon wieder nicht?«, fragt Artema überrascht nach. Obwohl er ihre liebsame Gedanken unterbrochen hat, wird ihr etwas leichter ums Herz. Nicht, dass sie Arnt nun für hohl empfindet, aber sie freut sich, dass sie ihm auch etwas erzählen kann.
»Es sagt mir etwas, doch ich kann es gerade nicht verknüpfen. Hilf mir doch mal bitte schnell auf die Sprünge.«
»Ja ja«, meint sie, weiß jedoch genau, dass ihm Pelmeni nichts sagt. Doch das muss sie ihm ja nicht unter den Schnabel reiben. »Die sind so sehr lecker und köstlich. Das sind kleine Teigtaschen, gefüllt mit–«
»Ah ja, na klar!«, unterbricht er sie. »Wie Maultaschen, Pierogi, Tortellini und und und.«
»Wie bitte?« Nun scheinen sich ihre Rollen bereits wieder zu tauschen, viel zu schnell für ihren Geschmack.
»Es gibt überall Teigtaschen auf der Welt«, gibt er stolz von sich.
»Echt?«
»Ja, aber natürlich«, sagt er so, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt.
»Und die sind alle gleich, haben nur einen anderen Namen?«, vergewissert sich Artema. Vielleicht würde sie dann hier auch irgendwo Pelmeni unter einem anderen Namen finden. Der Name ist ja gleich, wenn es dieselben sind. Sie beugt sich vor, bereit zum Losmarschieren, sobald Arnt ihr erzählt hat, wo sie Pelmeni finden kann.
»Aber natürlich nicht«, betont er genau so wie seine vorherige Antwort, wodurch sie anfangen muss zu lachen. »Sie unterscheiden sich schon«, fährt Arnt fort. »Von Land zu Land. Natürlich haben sie Gleiches, aber auch Unterschiedliches.«
Seufzend lässt sie sich wieder nach hinten auf den Po plumpsen. Nun haben die beiden so viel über Essen geredet, ohne auch nur ein Krümel zu sich genommen zu haben. Wie kann sie da nicht frustriert sein? Und dazu kommt, dass sie nicht einen Schritt – weder gedanklich noch körperlich – weitergekommen ist, was ihre Ursprungsfrage angeht. Alles ziemlich frustrierend, befindet Artema.
»Nun haben wir ewig über Essen gequatscht ...«, gibt Artema wehleidig von sich. »Und ich habe absolut keine Ahnung, wie mir das alles – Pelmeni und Kürbissuppe, eins davon himmlisch schmeckend, das andere widerlich – weiterhelfen soll und wie ich nun zu einer Entscheidung kommen soll«, brummt sie gegen den heulenden Wind an und hofft, dass Arnt sie versteht, damit sie nichts wiederholen muss.
Momentan kommt ihr der Herbst gar nicht mehr so farbenfroh vor.
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