10
Hektisch. Nicht um ihn herum, sondern in ihm drin. Was soll er nur mit seiner Zeit anfangen? Nichts scheint mehr los im Wald zu sein. Kein Treiben, kein Gewusel, nun ist es vorbei. Jetzt sind sie alle endgültig verschwunden.
Alle Jahre wieder ...
Doch nicht mit Arnt, ihm ist das zuwider. Und genau aus diesem Grund spannt er seine Flügel auf, stößt sich mit seinen Krallen vom frostigen Ast ab und fliegt. In die eine Richtung, die sich stets bewährte. Nach oben. Er schwingt und schwingt, lässt kahle und unbewohnte Baumkronen hinter sich.
Immer weiter und noch höher hinauf. Durchstößt die ersten merklichen Wolkenschichten. Immer frischer werdend. Kühl und feucht. Bis er eisig-klirrende Wolken durchbricht. Kurz keimt in ihm die Sorge, dass seine Federn mit ihnen eine Einheit bilden könnten.
Doch dann besinnt er sich: Seine Flügel können nicht schockgefrieren – ein Hoch auf die Natur. Sein Gefieder strotzt allem.
Auch diesen wundervoll magischen Flöckchen – oder vielmehr Flocken –, die sich hier um ihn herum am Himmel bilden. Da können sie noch so groß erscheinen, als würden sie ihm seinen Rang streitig machen wollen.
Zwischen den Wolken sind kaum noch Abstände vorhanden. Arnt drosselt sein Tempo. Der Himmel verdichtet sich zunehmend und damit auch die Luft. Sie ist dicht und ungetrübt zugleich wie ein durchsichtiger Nebelschleier. Zu spüren, aber nicht zu sehen – im Gegenteil. Es ist in jeder Hinsicht fühlbar. Eine reine Luft, aus der so viel entspringt.
Arnt gleitet nun so langsam voran, dass er beinahe zwischen den Eiskristallen verharrt. Ihnen schaut er auf ihrem Weg hinab nach. Gemächlich lassen sie sich fallen, schweben sie daher, bis sie von der Erde willkommen geheißen werden.
Ist dort noch jemand, der auf ihn wartet; der ihn braucht? Und was ist mit Artema? Vielleicht hat die Bärin sich doch noch zu einem Winterschlaf aufgerafft. Seufzend schlägt er seine Augenlider zu und versucht auf neue Gedanken zu kommen, anstatt immer wieder das Gleiche durchzugehen.
Der Himmel scheint sich ihm anzupassen, es kühlt weiter ab, wodurch die Luft mit einem melodischen Klirren erfüllt wird. Der Klang wirkt nicht beruhigend auf ihn ein, eher wie ein Beschleuniger für sein Inneres. Was soll er nur mit sich anfangen?
Die unzähligen vielen weiteren Flöckchen, die sich ihren Weg an ihm vorbei nach unten bahnen, lassen sich nicht von ihm beirren. Und erschwerend – was noch viel schlimmer für ihn ist – hinzu kommt: Sie brauchen ihn ebenso wenig.
Nicht einmal der Himmel vermag ihm weiterzuhelfen. Es bleibt, wie es ist. Der Winter ist die schwerste Saison für ihn.
Doch eins gibt es noch, was er machen kann; was er machen möchte: nach Artema zu schauen.
Mit dem Schnabel piekt er in die dichten, klaren Wolken und durchstößt sie schwungvoll. Für einen klitzekleinen kurzen Moment lässt er sich von dem Anblick der Kristalle verzaubern, bevor er nochmals die volle Kraft seiner Flügel nutzt, um nach unten zu sausen, vorbei an den unzähligen Flocken, die erst lange Zeit nach ihm dort unten auftreffen und sich zu den ihren gesellen.
Als er die gröbsten Wolkenschichten durchdringt, behält er sein Ziel die ganze Zeit im Fokus, doch schaut auch abseits Ausschau. Bei Artema weiß Arnt nie genau, wo sie sich herumtreibt. Sie bummelt immer mal wieder gerne dort und hier herum. Stets auf der Suche nach dem nächsten Spaß, ob es Rutschen auf dem gefrorenen See oder von einem Waldhang ist – Artema macht das, was und wie es ihr beliebt.
Seine Adleraugen würden das braune Fellknäuel schon erhaschen. Immerhin bei einer Sache ist er sich nach wie vor sicher.
Sein Blick gleitet von ihrer Freundschafts-Birke über den Pfad, der von da wegführt, hinzu ihrer Winterhöhle, die sie doch tatsächlich in der Nähe der Kürbisfelder gegraben hat. Ganz gegen seinen Rat. Obwohl, denkt er sich, sie fand die Erläuterungen zu dem Gewächs zu interessant, wie sie ihm erklärte und hat dabei darauf geachtet, dass sie zwar in der Nähe ist, aber dennoch ungestört liegt.
Arnt kommt der Erde immer näher, doch braunes Fell wird nicht sichtbar. Womöglich hat sie sich doch schlafen gelegt, vermutet er. Dabei möchte er sie selbstverständlich nicht stören.
Seine Flügelschwünge werden schleifend, sein Haupt passt sich an und er ... gibt auf. Nicht wissend, was er mit sich anfangen soll, lässt er sich auf den nächstbesten Ast plumpsen. Nicht mal für eine geschmeidige Landung hat er noch die Energie. Jetzt sitzt er hier alleine auf ihrer Birke.
Durch die Erschütterung seiner Landung rasselt eine Menge Schnee hinunter. Der wiederum auf anderen Schnee aufkommt, was dumpfe Geräusche unter ihm verursacht.
Darauf folgt jedoch ein anderer Laut: »Pfff«, was nicht vom Schnee kommen kann.
Neugierig beugt sich Arnt herunter. Doch er sitzt noch sehr weit oben im Baum und kann dadurch nichts erkennen. Kurz wartet er ab, doch es regt sich nichts weiter. Er schaut sich um. Nichts. Dann erklingt wieder dieses »Pfff«, was ihn dazu animiert, der Sache auf den Grund zu gehen. Vielleicht braucht da jemand seine Hilfe.
Er hüpft von Ast zu Ast weiter hinab. Doch zu sehen ist nur weiß – ganz viel Schnee. Der Boden ist bedeckt davon. Doch dann regt sich etwas unter dem ganzen Pulver und als er sieht, was gleich geschehen wird, hält er inne. Bevor er etwas unternehmen kann, ist es jedoch zu spät. Er kann es nicht mehr verhindern. Weiß kommt auf ihn zu. Ganz viel weiß. Wie Wattebäusche, nur fester. Die weiße Pracht trifft ihn. Schwallartig.
»Schneeschlacht!«, wird freudig gejubelt, während er versucht, alle seine Körperöffnungen zu schließen und dem Unausweichlichen entgegen starrt.
Das hätte er sich ja denken können: Artema!, grummelt er gedanklich, denn nicht mal meckern kann er laut, weil er unter einer weißen Decke begraben ist, die sie gerade noch umhüllt hat.
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