Kapitel 16
Doch der Ausbilder schien sie nicht wissen lassen zu wollen, was sie besprochen hatten, denn er fuhr ungehindert fort: "Also, dreht euch jetzt zu eurem Nachbarn rechts von euch". Ruckartig drehten sich alle um, wobei Ruby direkt in Yaras Gesicht schaute. Das war okay, fand sie. Yara war gut, aber auch nicht die Beste. Bei den umstehenden wurde teils lautes Gestöhne breit, welches jedoch mit einem Blick des Großmeisters sofort verstummte.
„Als erstes führt ihr bitte den leichten Linkshieb aus", fuhr Yengon fort. Eins war klar, er würde sie definitiv noch viel zu lange quälen, bevor diese Stunde des Grauens endlich sein Ende finden würde.
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Schwitzend ließ Ruby sich ins weiche Gras fallen. Ihr Gewand klebte feucht an ihr, während die brüllende Sonne unbarmherzig ihren Anteil dazu gab. Zerschlagen hievte sie sich in den Schatten der Bäume.
„Das war anstrengend", keuchte Flynn und ließ sich mit Kayra, Neo und Alina neben sie fallen. „Vor allem der große Kampf am Ende", ergänzte Neo. Müde schloss Kayra kurz ihre Augen. „Ohne die Sonne wäre es definitiv angenehmer", murmelte sie leise.
„Willst du lieber im Regen im Schlamm ausrutschen", fragte Flynn sie mit hoch gezogener Augenbraue. „Nein, du Nervensäge", stöhnte die Brünette. „Dir würde das aber mal ganz gut tun", fuhr sie konternd fort. „Sähe bestimmt witzig aus. Dann könnte man dich endlich gar nicht mehr erkennen", meinte sie unschuldig.
"Sagt die richtige", war das einzige, was sie von Flynn zurückbekam.
Neben ihnen strömten die anderen Auszubildenden in den rettenden Wald hinein, der gerade wirkte, als wäre er ein schöner, kühler See in dem man baden könnte.
„Bald gibt es Mittagessen!", rief Alina auf einmal und ihre Augen begannen wieder zu leuchten. „Du und Essen", prustete Ruby los, stand aber dennoch langsam auf.
„Komm, wir müssen los. Sonst kriegen wir nichts mehr!", mit weitaus mehr Energie, als noch beim Training zog Alina Kayra und Neo energisch auf die Füße. Diese hatten sich eigentlich schon protestierend hinlegen wollen.
Flynn brachte sich lieber selbst schnell in Sicherheit und sprang mit seinem teuflischen Grinsen hastig auf, bevor Alina ihn erreichte.
„Ist auch besser so", meinte diese und versuchte ein Lachen zu unterdrücken. Dann schritt sie allen voran in den Wald hinein. Ruby drehte sich noch einmal den Bergen zu, bevor sie ihrer Freundin folgen wollen würde. Sie wollte wissen, ob sie die letzten waren. Irgendetwas drängte sie dazu, dies zu überprüfen.
Langsam ließ sie ihren Blick über die weite Landschaft schweifen, dann besann sie sich auf die Wiese direkt vor ihr. Friedlich lag sie dort. Die kleinen Halme wiegten sich bedächtig in der sanften Brise. Beruhigten. Der Steinkreis lag wie immer unverändert vor. Auch die einzelnen Felsbrocken waren, wie sonst auch, auf dem Gras verteilt. Doch eines war anders.
Ausbilder Yengon machte sich gerade auf den Weg zu einem anderen Pfad, der zum Lager führte. Von der Wiese aus führten zwei dorthin. Den zweiten nutzten allerdings meist nur die Ausbilder. Doch das komische daran war, war, dass er alleine war. Großmeister Zhan war nicht bei ihm. Sie hatte ihn bis jetzt - mal abgesehen von der Begegnung im Felsenkessel - noch nie ohne einen Ausbilder an seiner Seite gesehen.
Aufmerksam prüfte sie schnell, ob sie ihn noch irgendwo sah. Tatsächlich. Etwa fünfzig Meter entfernt von ihr ging er in den Wald hinein. Einfach durch das Geäst und über das Unkraut am Boden. Und am Arm hielt er Yara. Schleifte sie achtlos hinter sich her.
Mit Tränen in den Augen drehte das Mädchen sich um und versuchte sich zu wehren. Da entdeckte sie Ruby. Schnell überkreuzte sie ihren Zeigefinger und ihren Ringfinger miteinander. Sie brauchte Hilfe. Dieses Zeichen hatten sie in Strategie gelernt. Dieses und viele weitere. Sehr nützlich.
Ruckartig drehte Ruby sich zu ihren Freunden um. Alina und Neo waren schon zu weit im Wald, aber Flynn und Kayra hatten etwas abseits auf sie gewartet. Schnell winkte sie die beiden zu sich. Einen Finger legte sie auf ihre Lippen. Die beiden verstanden und kamen schnell, aber dennoch vorsichtig, zu ihr gerannt. „Was ist los?", flüsterte Flynn sobald er in Hörweite war.
„Yara. Irgendetwas ist passiert. Wir müssen ihr helfen", berichtete Ruby kurz und knapp und schlich im Schatten der Bäume zu der Stelle, wo der Großmeister mit dem Mädchen verschwunden war. Sie hatte Sichtkontakt verloren. Im stillen verfluchte Ruby sich selbst.
Kayra und Flynn stellten keine weiteren Fragen. Sie bemühten sich schlicht, leichtfüßig zu sein und keine Geräusche zu verursachen. Dankbarkeit durchströmte Ruby. Dankbarkeit für so tolle Freunde.
Aber sie schob diese schnell beiseite. Das lenkte sie jetzt nur ab. Sie sah gerade noch das graue Gewand Zhans hinter dem nächsten Baum verschwinden. Kayra hatte dies ebenfalls bemerkt und übernahm nun die Führung. Zielsicher führte sie sie, immer in angemessenem Abstand, hinter den beiden her.
Die Sonne stieg derweil immer höher, während sie durch den Wald tappten. Doch noch immer schien der Großmeister seinem Ziel nicht wirklich näher zu kommen.
Skeptisch betrachtete Ruby ihn. Er war erst einen Sonnenaufgang hier und trotzdem kannte er sich so gut aus? Für Außenstehende sah in einem fremden Wald doch immer alles gleich aus. Misstrauen umwaberte sie wie eine dunkle Wolke. Sie selbst wurde in eben dieser gefangen. Sie konnte ihr nicht entfliehen. Doch wollte es auch nicht. Zhan war ihr einfach nicht geheuer.
Schon in allen Erzählungen wirkte er irgendwie anders. Irgendwie sogleich unecht und auch wieder echt. Es war schwer zu beschreiben. Er war außergewöhnlich. Das musste nicht unbedingt etwas schlechtes sein, doch bei ihm schien es so. Er verhielt sich eben einfach verdächtig.
Seine komische Andeutung von wegen, dass sie anders sei, spukte noch immer in ihrem Kopf herum. Mittlerweile war sie sich nicht mehr ganz so sicher, ob er damit nicht recht haben könnte.
„Das Mittagessen ist gleich vorbei", durchbrach Flynn plötzlich leise die Stille und unterbrach somit Rubys Gedankenstrom. „Wir sollten uns beeilen. Ich glaube, er hat sein Ziel bald erreicht", meldete sich Kayra ebenso leise von vorne. „Er wird langsamer." Zustimmend nickte Ruby.
Wieder hochkonzentriert lief sie aufgeregt näher zu Kayra. Diese hatte an einem schrägen Baum gehalten. Er beugte sich stark nach rechts und bildete ein Kreuz mit einem anderen nach links gebogenen. Dazwischen befand sich ein großes Gebüsch, hinter welchem sich die drei super verstecken konnten. „Volltreffer", murmelte Ruby vor sich hin, während die Freunde gespannt beobachteten, was da vor sich ging. Der Großmeister hatte Yara immer noch am Arm gepackt. Er sah nun schon so rot aus, dass es höllisch schmerzen musste.
Mitgefühl überkam die drei. Yara wehrte sich nicht mehr. Schlaff ließ sie sich von dem Großmeister ziehen. Gab sich ergeben ihrem Schicksal hin.
Doch als Zhan sich einmal kurz wegdrehte, schaute sie nach hinten. In ihren Augen glänzte Triumph. Sie schaute direkt in Rubys Gesicht. Sie schien glücklich zu sein. Zumindest so lange, bis Großmeister Zhan sich wieder zu ihr drehte und sie hastig ihren Kopf wieder auf den Boden senkte. Ihre grau/blauen Augen sahen nun wieder so trostlos aus wie zuvor.
Verwirrt starrte Ruby sie an. „Was war das denn?", fragte nun auch Flynn und sprach damit das aus, was alle dachten. Doch niemand konnte diese Frage beantworten.
Hätte die Freunde so jemand gesehen, hätte dieser jemand drei fünfzehnjährige gesehen, die mit einem großen Fragezeichen im Gesicht hinter einem Busch hockten und durch die Zweige misstrauisch zwei weitere Menschen ausspionierten. Ein seltsamer Anblick. Selbst für ihre Verhältnisse.
„Schaut!", rief Kayra auf einmal erschrocken aus. Der Großmeister hatte damit begonnen auf einen kleinen Hügel zu steigen, der sich vor ihnen befand. Drei Birken standen nah beieinander auf ihm. Das dichte, saftig grüne Gras neben ihnen sprühte nur so vor Leben und richtete sich sofort voller Energie wieder auf, nachdem es von den zweien platt getrampelt wurde.
Ein frischer Geruch lag in der Luft, obgleich es lange nicht mehr geregnet hatte. Kein einziger Windstoß wehte über das Land, sondern überließ der Sonne all ihre Macht.
Zwischen den drei Bäumen blieb Zhan stehen. Er inspizierte die Stelle genau, hockte sich dann nieder und bedeutete Yara dasselbe zu tun. Diese tat, ohne den geringsten Widerstand, wie ihr geheißen.
Neugierig reckte Ruby ihren Kopf weiter nach vorne. Was ging da gerade nur vor sich? Zu gerne hätte sie die Frage beantworten können, aber musste sich wohl oder übel noch etwas gedulden. Nicht ihre größte Stärke.
Mit geschlossenen Augen, die genau in ihre Richtung gingen, setzte Großmeister Zhan sich auf seine Knie. Die Oberarme mit den dicken Muskeln angewinkelt am Körper. Die Unterarme von sich gestreckt. Die Finger weit auseinandergespreizt. Er legte den Kopf in den Nacken. Sein mystisches Antlitz wurde von der Sonne, die fröhlich auf ihn nieder strahlte und sein Gesicht erhellte, nur noch verfeinert. Interessiert schaute Yara ihm über die Schulter. Den Großmeister scherte es nicht.
Mit all seiner Kraft hob er seine Hände langsam in die Höhe. So langsam, dass man schon meinte, er würde bald den Schnecken angehören. Doch die Mühe lohnte sich. Langsam aber sicher öffnete sich der Boden. Nein, das war nicht ganz richtig. Ein Quadrat von Rasen hob sich wie von selbst in die Lüfte. Löste sich aus der Erde und schwebte wie ein fliegender Teppich über ihnen.
Laute Stimmen drangen aus dem Loch zu Ruby. Gequälte Stimmen. Stimmen, die ohne Hoffnung nach Hilfe schrien. Ihren Klagegesang über sie verbreiteten. Es wollte einfach nicht aufhören. Man hörte weinende Stimmen. Schluchzer, Schreie. Alles aus der dunklen Leere. Gespenstig hallte es nach oben. Erschrocken wich Yara zurück.
Doch der Großmeister schien damit schon gerechnet zu haben. Gewaltsam hielt er sie zurück und warf sie achtlos in das Loch. Ihr erstickter Schrei wurde von einem dumpfen Aufprall unterbrochen.
Dann war alles still.
Wie erstarrt saßen die drei hinter ihrem Busch. Keiner wagte sich zu rühren. Geschweige denn zu atmen oder etwas zu sagen. Geschockt von dem, was gerade geschehen war, schienen sie zum Eisblock erstarrt.
Großmeister Zhan hingegen ging gelassen wie eh und je hinfort. Ohne die drei zu bemerken. Ihr Glück. Doch sie konnten sich noch immer nicht rühren. Den Kopf hielten sie weiter Richtung Hügel.
Die Sonne hatte schon fast ihren Höchststand erreicht und schien nun brennend heiß auf Kayra, Flynn und Ruby hinab. Langsam aber sicher schienen es die Strahlen zu schaffen, durch sie hindurch zu dringen. Den Eisblock in ihnen schmelzen zu lassen und sie wieder beweglich zu machen.
Allmählich rührten sie sich wieder. Kayra war die erste. Dicht gefolgt von Ruby und dann Flynn. „Was zur Hölle war das?", rief Ruby aus. Niemand antwortete ihr.
Wie mechanisch drehten sie sich alle einfach nur um und preschten durch den Wald zurück zum Lager. Unfähig das zu verdauen, was sie gerade gesehen hatten. Denn, wenn sie richtig lagen, war das kein gutes Zeichen. Ganz und gar kein gutes Zeichen. Das war katastrophal. Das übertraf einfach ihre schlimmsten Vorstellungen.
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