Kapitel 11
In einem Höllentempo raste sie über den trockenen Boden. Ein paar kleine Staubwölkchen stoben in die Luft und wirbelten um sie herum. Doch Ruby wurde nicht langsamer. Im Gegenteil. Wie sollte sie auch? Noch einen Regelbruch durfte sie sich nicht leisten!
In Rekordtempo preschte sie zurück ins Lager und kam völlig außer Atem dort an. Erschrocken flogen über ein Dutzend Köpfe zu ihr herum. Teils Neugierige, teils Verschreckte und auch besorgte Blicke trafen sie. Alle starrten sie sie nur an, ohne einen Laut von sich zu geben.
Verwirrt stand Ruby zwischen dem großen Essenszelt und einem der Zelte am äußeren Kreis. Kein Ausbilder war zu sehen und doch waren selbst Kayra, Neo und Alina wie zu Eis erstarrt. Flynn hingegen schaute extra in eine andere Richtung, um sie nicht sehen zu müssen. Verletzt ignorierte Ruby diese Tatsache.
Die ergebenen Gesichter der anderen hingegen, verängstigten sie. Was wurde hier gespielt? Misstrauisch tat sie noch einen weiteren Schritt auf die Gruppe zu, als Regung diese durchfuhr. Eine kleine Schneise bildete sich genau vor ihr und gab den Blick auf eine mächtige Gestalt frei. Die Zeichen waren unverkennbar. Großmeister Zhan. Wie hatte er es nur so schnell hierher geschafft?!
Konfus blickte Ruby an ihm hoch. Breitbeinig hatte er sich mit gezücktem Schwert vor ihr aufgebaut.
Nun schien er noch autoritärer als zuvor. Eine eigenartige Aura ging von ihm aus, die jedem sofort das Blut in den Adern gefrieren ließ. Sein graues Haar glänzte im Sonnenlicht, dass nun nur noch für ihn zu scheinen schien. Unterstrich sein glanzvolles Auftreten.
Es kam Ruby so vor, als würde sie mindestens um einen Meter schrumpfen. Zumindest war es in diesem Moment ihr allergrößter Wunsch ganz zu Staub zu zerfallen. Stumm verfluchte sie sich selbst. Wieso musste sie sich auch immer in solche Situationen bringen?
Aus angstvollen Augen blickte sie an ihm hoch, versuchte, in seinem Gesichtsausdruck zu lesen, doch keine Chance. Sein Blick glitt prüfend, aber doch unergründlich über sie hinweg.
Einige Sekunden, die sich zogen wie Stunden, gingen vorüber. Dann sprach er endlich: "Wer bist du?", war das einzige was aus seinem Munde drang.
Ihrer allerdings war so trocken, dass kein einziger Ton über ihre Lippen kommen wollte. Sie schloss die Augen, besann sich auf etwas positives. Etwas in ihr schien sich zu verwandeln, mutig trat sie ihm entgegen.
"Ruby", sagte sie voller Stolz. Ihr Name bedeutete Kämpferin in der Kultur, aus der sie stammte. Und genau diese war sie schon immer gewesen und wollte sie auch immer bleiben.
"Und weiter?", fragend zog er eine seiner buschigen Augenbrauen hoch. "Kolyta", mit jedem Wort wurde sie sicherer. "Nun gut. In einer Reihe aufstellen", war das einzige was Großmeister Zhan von sich gab. Es klang gleichgültig, aber dennoch war da auch noch etwas anderes in seiner Stimme. Ruby kam nicht darauf, was es war, aber gut war es sicher nicht.
Zhan wandte sich derweil wieder an alle. Gehorsam stellten sie sich vor ihm auf und senkten den Blick zu Boden. Niemand wollte jetzt groß auffallen. "Das ist ja nochmal gut gegangen!", flüsterte Fenris ihr von der Seite zu. Zufällig stand der dünne Junge neben ihr. "Da wäre ich mir nicht so sicher", meinte Ruby sorgenvoll. Eine dunkle Vorahnung machte sich in ihr breit. Dies war erst der Anfang so viel war klar.
Großmeister Zhan führte ohne weitere Umschweife seinen Vortrag, den er wohl eben erst begonnen hatte, fort. "Also, wie ihr schon wissen solltet, bin ich Großmeister Zhan", mit hoch erhobenem Haupt schritt er vor der Reihe der Auszubildenden auf und ab.
"Ich werde diese Kriegsschule bis auf weiteres übernehmen. Es ist lächerlich was hier in den letzten Mondzyklen passiert ist. Ihr Auszubildenden müsst mehr Disziplin-", sein Blick streifte hinüber zu Ruby, „-und Anstand lernen. An beidem weist ihr erhebliche Mängel auf. Ich werde jetzt eure Lernstände kontrollieren. Ihr werdet einzeln gegen mich kämpfen. Wen ich nicht für würdig halte hier weiter unterrichtet zu werden, der wird woanders hin gebracht", ohne weitere Erklärungen dessen, blieb er stehen und ließ den ungewöhnlich kalten Schein seiner braunen Augen über sie gleiten.
"Ruby, möchtest du nicht anfangen?", fragte er. Erleichtertes Aufatmen unter den anderen war zu hören. Doch auch wenn er es wie eine höfliche Bitte formulierte, war es definitiv keine. Mit all ihrer vorhandenen Würde trat Ruby einen Schritt vor und versuchte sich nicht ihre Verunsicherung anmerken zu lassen.
Kurz musterte Zhan sie noch einmal. Dann nickte er und winkte sie weiter zu sich. Ein klein wenig nervös trat sie einen Schritt näher zu ihm. In einer einzigen, flüssigen Bewegung zog Ruby ihr Schwert von ihrem Rücken. Leider hatte sie es in letzter Zeit nicht so oft schärfen können. Bedauernd betrachtete sie kurz die schon ein wenig abgestumpfte Klinge.
"Greif mich an", forderte der Großmeister sie auf. Doch Ruby zögerte. Eine Frage quälte sie. Sollte sie ihr Kampfritual vollführen oder nicht? Es war für ihren Stamm im Zweikampf heilig, allerdings im richtigen Krieg unnütz. Also, was erwartete Zhan? Sollte sie es tun? Zwiegespalten rührte sie sich erstmal nicht. Zhan bedachte sie mit einem strengen Blick. Hastig entschied sie sich für das Ritual. Ohne fühlte es sich einfach nicht richtig an.
Also nahm sie das Schwert knapp oberhalb des Griffes zwischen die geöffneten Handflächen, legte den Kopf in den Nacken, warf die Waffe in die Lüfte und stürzte im Sprung auf den Großmeister zu. Kurz bevor sie ihn erreichte, fing sie ihr Schwert wieder auf und machte Anstalten es durch seine Kehle zu ziehen - natürlich würde sie vorher anhalten - doch er reagierte blitzschnell und blockte ihren Angriff ohne große Mühe ab.
Ruby bekam Probleme. In der Luft das Gleichgewicht zu halten, war nicht unbedingt einfach. Demensprechend flog sie nach hinten und landete ungeschickt auf dem Boden. Hämisch grinsend beugte sich der Großmeister über sie, doch Ruby dachte nicht mal daran sich so schnell geschlagen zu geben.
Schnell sprang sie auf und stellte sich ihm feindselig gegenüber. Ihre Augen fokussierten ihn, achteten auf jede seiner Bewegungen. Diesmal würde sie ihn angreifen lassen. Doch er wartete ebenfalls. Mit erhobenem Schwert, leicht in den Knien gebeugt, machte er keinerlei Anstalten sich zu bewegen.
Ruby besann sich auf all ihre Trainingsstunden. Besonders waren jetzt die Geduldsübungen bei Ausbilder Rion gefragt. Sie hatte sie immer gehasst, doch jetzt wusste sie, wozu diese gut waren.
Großmeister Zhan wollte wissen, wie töricht sie vorging, dessen war sie sich sicher. Also wartete sie. Minuten verstrichen und Ruby gebot all ihre Kraft auf, nicht einfach loszuspringen. Schließlich nickte Zhan und stellte sich gerader hin. "Gut", war das einzige, was aus seinem Mund kam, dann ignorierte er sie vollkommen und drehte sich zu ihren Mitauszubildenden, die nervös in der Schlange warteten.
Betont beiläufig lief der Großmeister an Ruby vorbei. Ohne dass es irgendjemand anderes zu merken schien, zischte er ihr ins Ohr: "Geh sofort in den Wald. Du weißt wohin." Ruby gefror auf der Stelle alles Blut in den Adern.
Großmeister Zhan bedachte sie noch mit einem Blick der keine Wiedersprüche zuließ, dann war er weg. Ruby schluckte schwer und brachte es irgendwie über sich unmerklich zu nicken. Dann ging sie außer Sichtweite der anderen um das große Essenszelt herum und hinter diesem in Richtung Wald.
Eigentlich sträubte sich alles in ihr seiner Aufforderung seiner Aufforderung folge zu leisten, aber es schien nicht, als hätte sie eine andere Wahl, wenn sie die nächsten Tage überleben wollte. Schnell schlich sie sich außen um das Lager herum und schlug wieder den gewohnten Pfad ein, bis sie beim Felsenkessel angelangt war.
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