
Kapitel 1
Sengend heiße Sonnenstrahlen trafen auf das schon annähernd braune Gras. Keine einzige Wolke wagte es, sich am hellblauen Himmel blicken zu lassen und selbst der sonst so präsente Wind machte sich nicht bemerkbar. Stattdessen füllte brüllend heiße Luft die Umgebung und machte das Leben für alle Anwesenden noch schwerer, als es sowieso schon war.
Trotz allem hätte es ganz vielleicht noch ein schöner, wenn auch ziemlich warmer, Sommertag werden können. Doch für Ruby war es der auf keinen Fall. Der Grund dafür war schwer zu übersehen. Er stand in Form eines kräftig aussehenden Mannes auf der Mitte eben jener Wiese. Vor ihm eine Scharr an Auszubildenden.
"Still gestanden!", donnerte der komplett in schwarz gehüllte Mann los. Das ferne Echo seiner durchdringenden Stimme hallte noch lange über der weiten Wiese nach. Dröhnte in den Ohren der vor ihm stehenden. Seine Augen hatten sich zu engen Schlitzen zusammen gezogen und sein Mund war kaum mehr als ein dünner Strich. Wütend blitzte er alle Anwesenden an. Ließ den kalten Schein seiner durchdringenden, eisblauen Augen über sie streifen.
Mit straffen Schultern entgegnete Ruby mutig seinem Blick. Der pure Hass sprach aus ihren blutroten Augen. Auch wenn sie ihn noch so mühsam zu unterdrücken versuchte, die Augen, die logen nun einmal nicht.
Anstatt wie die anderen Mädchen und Jungen neben ihr eingeschüchtert den Kopf zu senken, hielt sie ihm aufrecht stand und starrte ebenso hasserfüllt zu dem Mann mittleren Alters hinauf, wie er auf sie.
Dass sie dabei den kürzeren ziehen würde, war jedem der hier Anwesenden nur zu gut bewusst, doch davon ließ sie sich nicht unterkriegen. Oder besser gesagt: Ihre Wut konnte sie dadurch auch nicht besser kontrollieren, also war sie ihr hilflos ausgeliefert. So wie das schwächste Glied einer Schafherde, drohte sie dem bissigen Wolf zum Opfer zu fallen.
Aber geschlagen geben? Kampflos? Nein, das wollte und konnte sie nicht! Mit einer kurzen, aber energischen Handbewegung, wischte sie sich den Schweiß von der Stirn und strich hastig ein paar Falten auf ihrem weißen Trainingsgewand glatt. Die eng anliegende Hose und das dazu passende Shirt ließen sie harmlos erscheinen. Doch in ihr drin, da sah es ganz anders aus.
Zu gerne hätte sie dem brutalen Mann vor ihr gerne mal ganz genau ihre Meinung gezeigt, doch an Vorschriften halten, musste sie sich leider noch. Auch wenn sie diese mit ihrem Auftreten sowieso schon ein wenig verletzte.
"Du! Was soll das? Richte den Kopf gefälligst zu Boden", spie der Ausbilder ihr da auch schon ins Gesicht. Doch Ruby dachte nicht mal daran sich seinem Willen zu beugen. Er und seine blöden Vorschriften konnten sie mal! Der Zorn in ihr wuchs immer weiter, bis ins unermessliche. Obgleich sie ihn auch jetzt kaum noch zügeln konnte.
Regungslos verharrte sie in ihrer Position - was einer Verspottung eines höher gestellten gleich kam und das war definitiv etwas, was man sich nicht leisten durfte.
Ihr Ausbilder schien das genauso zu sehen.
Gefährlich nah kam er an sie heran. Die anderen Auszubildenden wandten den Kopf ab. Ruby musste schlucken. So langsam dämmerte auch ihr, was sie gerade getan hatte.
Der Ältere war jetzt kaum mehr eine Armeslänge von ihr entfernt. Einen Kopf größer wie er war, überragte er sie um Längen. Seine Augen brannten wie kalter Frost auf ihrer Haut. Trotz der Sommerhitze war Ruby augenblicklich eiskalt. In Kitteka würde sie jetzt ein paar Tage Gefängnisluft erwarten, hier in Nymea waren sie nicht ganz so streng, aber dennoch war mit den Menschen hier nicht zu spaßen. Vor allem nicht mit ihm. Ausbilder Yengon.
Mit einem Mal war ihre Wut verraucht, als wäre sie nie da gewesen. Hastig senkte sie ihren Kopf und machte einen tiefen Knicks. Das verletzte zwar ziemlich viel ihres Stolzes, war jedoch besser als die Alternativen, die auf sie warteten.
Dabei wollte wieder dieser Zorn in ihr aufkeimen. Sie wollte sich nicht unterordnen müssen. Vor allem nicht ihm gegenüber und dann auch noch mit so einer vielsagenden Geste. Aber sie hatte keine Wahl. Hastig biss sie sich auf die Unterlippe, in der Hoffnung, so ihre Zunge zügeln zu können, die Yengon schon ein paar äußert kreative Beleidigungen an den Kopf werfen wollte.
"Ist auch besser so", knurrte dieser gefährlich leise als sich nichts weiter tat und entfernte sich wieder ein wenig von ihr, um vor der ganzen Truppe zu sprechen.
"Ruby möchte heute wohl gerne in der Küche aushelfen und euch als Lignatura dienen", sagte er mit einem schelmischen Grinsen auf seiner hässlichen Visage.
Ruby richtete sich wieder kerzengerade auf, wagte es aber diesmal nicht, wieder zu ihm auf zu blicken. An ihrer ablehnenden Körperhaltung hätte man aber nur zu gut ihre Missbilligung ablesen können.
In der Küche auszuhelfen war noch eine einigermaßen erträgliche Aufgabe, aber die Lignatura spielen? Wie konnte er nur! Das hatte sie auch die letzten drei Male schon machen müssen, weil auf seiner Liste anscheinend nur ein Name stand. Und zwar ihrer. Ihm fiel immer wieder eine neue Ausrede ein, wieso ausgerechnet sie das tun sollte. Doch widersprechen durfte sie nicht. Das war dann doch etwas zu viel des Guten. Aber vergleichsweise war sie wohl noch glimpflich davon gekommen.
Einmal tief ein- und ausatmend machte sie sich in steifer Körperhaltung auf den Weg zum Rand des angrenzenden Waldes. Nur um den Blick dann wieder auf die Wiese vor sich zu werfen. Naja, besser gesagt, um die Berge zu bestaunen, die in weiter Entfernung, noch hinter dem Abhang, lagen und eine Ruhe ausstrahlten, die Ruby gerade dringend nötig hatte.
Sie brachte all ihre noch verbliebene Konzentration auf, um die Gespräche um sie herum in den Hintergrund rücken zu lassen und sich nur auf die Berge zu fokussieren. Wie beständig sie sich gen Himmel reckten und sich dabei von nichts aus der Ruhe bringen ließen. Kein Windhauch, kein starker Regen, kein fieser Ausbilder. Nichts konnte sie aus ihrer Bahn bringen. Sie waren einfach da und würden es auch immer sein.
Langsam spürte Ruby, wie sie ruhiger wurde und allmählich mit ihrem Schicksal abschloss. Dann war sie wohl wieder die Lignatura.
"Hallo?! Hast du mir überhaupt zugehört?", hörte sie auf einmal eine anklagende Stimme neben sich. Erst da nahm sie auch die wild vor ihrem Gesicht auf und ab wedelnde Hand war, die der Junge sofort zurück zog, als er merkte, dass sie endlich wieder geistlich anwesend war.
"Entschuldige. Nein. War es irgendwas wichtiges?", fragte sie, wobei ihr Desinteresse durchaus gut zur Geltung kam.
Genervt nahm der andere es hin. Er hatte anscheinend heute mal keine Lust einen Streit anzufangen, also überging er ihre Reaktion einfach und wiederholte seine Worte. Dabei sprach er allerdings so laut und langsam, dass es schon fast an Verspottung grenzte: "Ich habe gesagt, dass wir anfangen sollen." Fordernd stellte er sich kampfbereit vor sie.
Ruby überlegte kurz, ob sie nicht doch lieber schmollen und dies verweigern sollte, doch das würde ihr nur noch mehr Ärger einhandeln. Sie war zwar impulsiv, aber nicht blöd. Also nahm sie seufzend ihr geliebtes Schwert von ihrem Rücken.
Federleicht lag der angenehm vertraute, lederne Griff in ihrer Hand. Geschmeidig zerschnitt die silberne Klinge die Luft, ohne auch nur einen einzigen Ton von sich zu geben.
Ruby brannte darauf ihre Schwertkunst zu demonstrieren, doch der Unterricht war für sie wohl eher nur daneben stehen und sich von anderen schlagen lassen.
Sie machte sich nicht einmal die Mühe das altbewährte Ritual ihres Stammes vor jedem Kampf zu vollführen, denn viel zum Zuschlagen würde sie in ihrer Funktion als Lignatura sowieso nicht kommen.
Mit einer kurzen Handbewegung signalisierte sie ihrem Gegenüber, dass sie bereit war und wartete ungeduldig auf seinen Angriff. Sie sollte nur abblocken. Mehr stand ihr nicht zu. Sie war wie einer der großen Bälle, die man aus langen Lianen und anderen Gräsern hier flochte, um so die Zuschlagskraft zu trainieren. Der Ball durfte auch nicht zurückschlagen, sondern nur die Schläge einstecken. Das war das, was sie bei Ausbilder Yengon lernte. Prima, nicht?
Die nächsten Minuten zogen sich wie Stunden. Immer mehr Schläge musste Ruby aushalten. Immer weiter sank ihre Motivation dem Nullpunkt entgegen und immer mehr Hass empfand sie gegenüber diesem Mann, der jedes Mal vom einen Ohr bis zum anderen grinste, wenn sie einen weiteren Treffer kassierte.
So war sie mehr als froh, als diese Stunde des Grauens endlich sein Ende fand und sie müde und zerschlagen - im wahrsten Sinne des Wortes - den Weg zum Essenszelt einschlagen konnte. Wo sie später auch noch ihre zweite Strafe würde absitzen müssen. War das Leben nicht hervorragend?
Ruby rollte mit den Augen. Nein, das war es natürlich nicht.
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