19 - Alex
[Louis]
"Wo zur Hölle warst du?" hörte ich Harry's wütende Stimme.
"Scheiße, Harry, sorry! Er hat mich angeschrien!" Das war Niall.
"Na und? Dann weist man ihn in seine Schranken und fertig!" fauchte Harry wieder. Ich ließ die Augen geschlossen und lehnte meinen Kopf gegen Harry.
Er legte mich in ein Auto, ich ließ mich wie ein nasser Sack fallen und er stützte mit einer Hand meinen Kopf, legte ihn vorsichtig auf dem Polster ab.
"Was ist denn passiert? Ich war maximal fünf Minuten nicht bei ihm!" fragte Niall
"Heroin, das ist passiert!"
Harry schien aufgebracht. „Wo hat er das überhaupt her? Ich bringe Blake um!"
„Harry, also..." murmelte Niall. „Es muss mir aus der Tasche gefallen sein. Ich..."
„Scheiße, das war von dir? Niall, schau mich ja nicht so an, spar's dir!" rief er wütend. „Wir bringen ihn in's Hotel und du orderst einen Rettungswagen an!"
Rettungswagen? Ihre Worte zogen an mir vorbei, doch das ließ mich hellhörig werden. Ich öffnete die Augen und sah Harry an.
Er wirkte so wütend und gleichzeitig ängstlich.
„Ist das nötig?" hörte ich Niall vorsichtig fragen.
Harry's Kopf schoss zu ihm herum. „Ruf einen Rettungswagen zum Hotel! Jetzt! Oder weißt du, welche Dosis er sich reingezogen hat?!" Er war laut geworden.
Ein Teil von mir wusste, dass ich Scheiße gebaut hatte. Der andere, größere Teil, war unheimlich froh, dass keine Ängste und schlimme Gedanken mehr spürbar waren. Ich fühlte mich, wenn überhaupt, unheimlich friedlich.
Harry ließ sich neben mich auf den Sitz nieder und strich mir durch die Haare.
Es war ein so angenehmes Gefühl und ich schloss die Augen wieder.
Ich fühlte mich wie taub, doch seine Berührungen spürte ich dennoch klar und deutlich.
„Harry" flüsterte ich leise.
„Ich bin bei dir." sagte er leise zurück und strich sanft weiter durch meine Haare, hörte nicht mehr damit auf. „Du bekommst gleich Hilfe."
Als wir im Hotel ankamen, wollte Harry mich wieder tragen, doch vor dem Hotel warteten Paparazzi.
„Fuck. Lou, kannst du laufen?" fragte er mich leise und ich nickte leicht.
„Klar..." antwortete ich ihm.
Er zog mir die Kapuze meines Hoodies vorsichtig weit in das Gesicht und sah dann zu Niall.
„Du gehst mit ihm. Ich weiß nicht, wie das aussieht, wenn ich mit ihm gehe." Er schien unsicher. Die Publicity Sache war auch für ihn neu, das wusste ich. Aber ich war kein guter Ratgeber. Mir war das alles absolut scheißegal.
„Harry, bitte nicht." sagte ich dennoch und sah ihn an und er erwiderte meinen Blick, nickte nach einem Moment. „Okay, okay. Ich bin an deiner Seite. Los, wir gehen rein." sagte er sanft und zog mich auf die Beine.
"Sicher?" hörte ich Niall.
"Du links, ich rechts. Dann fällt es denen vielleicht nicht so krass auf."
Gemeinsam mit Niall liefen wir in das Hotel, sie stützten mich so gut es ging, doch ich konnte erstaunlich gut noch selbst laufen, wieso auch immer. Vermutlich weil ich nicht mehr darüber nachdachte, wie das wohl aussah. Noch wahrscheinlicher war, dass ich es mir nur einbildete, dass ich noch aufrecht stehen konnte.
Kaum waren wir auf meinem Zimmer, klopfte es bereits und ein Sanitäter betrat den Raum zusammen mit einem Arzt. Harry half mir, mich vorsichtig in das Bett zu legen.
„Guten Tag, was ist denn passiert?" hörte ich eine neue Stimme und Harry erklärte ihnen den ungefähren Verlauf, während ich die Augen wieder schloss, ich wollte niemanden sehen.
Ich bekam so halb mit, wie ich untersucht wurde und dann wurde mir eine Infusion gesetzt und als die Nadel zustach, erschrak ich mich und zuckte zusammen. Ich wollte den Arm wegziehen, doch jemand hielt ihn so fest, dass es nicht möglich war.
Harry strich mir unentwegt durch die Haare und ich genoss seine Berührungen.
„Was haben Sie ihm gespritzt?" fragt er.
„Ich habe ihm einen kompetitiven Opioidantagonisten gespritzt. Die Wirkung des Heroins wird damit aufgehoben, er sollte sich also bald besser fühlen. Wir überwachen seinen Puls und seine Atmung solange. Ich vermute er wird einschlafen. Das Mittel war notwendig, schließlich können Sie mir keine Aussage geben, wieviel er genommen hat."
Ich hätte es ihnen auch nicht sagen können. Doch es fühlte sich gut an. So ruhig und als hätte ich keine Sorge auf der Welt.
Es gefiel mir.
Ich ließ die Augen geschlossen und atmete ruhig ein und aus, konzentrierte mich auf Harry's Berührungen und seine Anwesenheit.
„Es sollte ihm in ca. einer halben Stunde wieder deutlich besser gehen. Wenn er eingeschlafen ist, werden wir gehen können."
„Vielen Dank."
Es dauerte nach meinem Gefühl ewig, doch irgendwann schlief ich einfach ein.
***
Als ich wieder aufwachte, blinzelte ich zunächst und verzog das Gesicht, da die Sonne mir direkt in mein Gesicht schien.
Langsam setzte ich mich auf und ließ den Kopf hängen, ich hatte böse Kopfschmerzen und war absolut nicht fit.
Müde sah ich mich um und sah Harry, der sich einen Sessel an das Bett heran gezogen hatte und darauf saß und schlief. Sorgenfalten waren zu erkennen und ich schluckte leicht.
Das gestern war nicht nach Plan gelaufen.
Ich fühlte mich beschissen und das aus gutem Grund, dessen war ich mir bewusst.
Die Erinnerungen an gestern, an die veröffentlichten Videos vor allem, kam mit einem Schlag zurück und ich ließ mich seufzend zurück in das Kissen fallen.
Harry wurde sofort wach. "Lou!" sagte er leise und setzte sich zu mir auf die Bettkante, sah mich besorgt an. "Wie fühlst du dich?" fragte er mich leise.
"Wie ausgekotzt." murmelte ich. "Ich hab Durst."
Er griff neben das Bett und hielt mir eine Wasserflasche hin. Ich schenkte ihm ein leichtes, dankbares Lächeln und öffnete die Flasche, leerte sie gleich darauf in einem Zug. Das tut gut und ich merkte, dass ich das gebraucht hatte.
Alle Angstgefühle waren zurückgekehrt und ich sah zu Harry, der mich nach wie vor beobachtete.
"Wo bist du gestern hingegangen?" fragte ich ihn.
"Ich habe Zayn angerufen, damit das Sicherheitsteam in London in deine Wohnung geht und sie gründlich durchsucht." erklärte er mir und ich nickte.
Kameras in der Wohnung.
Jemand war bei mir eingebrochen und hatte Kameras in der Wohnung verteilt.
"Haben sie was gefunden?" fragte ich dennoch mit der leisen Hoffnung, dass dieser Gedanke absurd war und das nicht passiert war.
Harry seufzte. "Schlafzimmer, Bad, Küche...überall Kameras."
Erschrocken sah ich ihn an und schluckte, atmete etwas schneller, Panik stieg in mir auf. Wer war so krank und tat so etwas?
"Lou, ich muss dich das fragen" fing Harry an und ich sah zu ihm. "Wieso hast du das Heroin genommen?"
Ich presste die Lippen aufeinander und sah weg von ihm, zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung" murmelte ich.
Er hob die Hand an meine Wange und streichelte mit dem Daumen über die Haut.
"Sieh mich an, Love." flüsterte er.
Er hatte mich Love genannt. Mein Herz setzte einen Moment aus und ich sah zu ihm, direkt in seine Augen. Sein Blick war so besorgt, dass ich es kaum aushielt.
"Es war...es war zu viel." antwortete ich ihm mit zittriger Stimme.
"Ich weiß, dass das ein Schock war, aber Lou, Lindsay und das PR Team kriegen das in den Griff. Die Sache mit den versteckten Kameras wird all das vermutlich sogar überschatten, es wird alles gut, glaub mir!"
Ich rechnete ihm hoch an, dass er mich beruhigen wollte, doch es half nichts.
Meine Augen füllten sich unaufhaltsam mit Tränen.
Als die erste Tränen ihren Weg über meine Wange fand, strich er sie mir sanft weg.
"Rede mit mir." bat er mich leise.
Ich schluchzte leise auf, sah ihn wieder an und kämpfte innerlich mit mir. Ich wollte ihm erzählen, was passiert war. Ich wollte ihm einfach alles erzählen.
"Ich habe...es war eine Panikattacke. Mir war alles zu viel. Und dann diese Flashbacks...sie kamen immer wieder und...und dann habe ich das Zeug auf dem Boden liegen sehen, es ist Niall aus der Tasche gefallen. Und dann...die Panik hat nicht aufgehört, die ganzen Erinnerungen..." stammelte ich zusammenhanglos vor mich hin.
"Lou, ganz ruhig. Was für Erinnerungen?" fragte er sofort.
"Von Alex..." hauchte ich zittrig und brach nun vollends in Tränen aus, versteckte mein Gesicht in meinen Händen.
Harry zog mich in seine Arme und ließ mich weinen, strich mir über den Rücken, küsste meinen Kopf und flüsterte mir beruhigende Worte in mein Ohr.
Es war das erste Mal, dass ich meine Gefühle rausließ. Und ich beschloss in diesem Moment, dass ich mich jemandem anvertrauen musste, wenn ich es aus dieser Hölle raus schaffen wollte.
Ich beruhigte mich nach einigen Minuten etwas und löste mich von Harry. Unsicher sah ich ihn an und atmete tief durch. "Wenn du wirklich wissen willst, was mir passiert ist, dann erzähle ich es dir." sagte ich leise.
Er wirkte überrascht, aber das konnte ich ihm nicht verübeln.
"Das musst du nicht tun, wenn du nicht willst, Lou."
"Ich weiß. Aber ich vertraue dir. Ich weiß, dass du mich nur schützen willst, auch wenn es nur dein Job ist."
Harry seufzte leise. "Das ist doch nicht mehr nur ein Job..." murmelte er.
"Ich erzähl dir alles. Die Sache mit meinen Eltern kennst du ja schon. Ich war mit im Auto, doch ich hatte nur ein paar Schrammen. Sie hingegen waren sofort tot." begann ich. Das war der einfachste Teil, das wusste er schließlich schon.
Ich lehnte mich gegen die Rückenlehne des Bettes, spielte mit meinen Fingern und dann fing ich an, zu erzählen.
"Als ich in der Schule war, so mit fünfzehn, da lernte ich Alex kennen. Er war bereits auf dem College, er sah so gut aus und er wollte mich kennenlernen. Ich war noch total unschuldig und hatte von nichts eine Ahnung. Niall hatte mich gewarnt, er fand ihn seltsam und er machte ihm Angst. Doch ich hörte nicht auf ihn. Alex ging mit mir illegal in Bars, in Clubs, er zeigte mir aufregende Dinge und wir kifften viel gemeinsam. Es war anfangs alles noch ganz harmlos, doch er wurde von mal zu mal kontrollierender, cholerischer."
Ich kniff die Augen zusammen für einen Moment, versuchte mich zu kontrollieren und Harry nahm meine Hand und drückte sie leicht. Es half mir sofort.
"Es ging alles los, als ich mit Niall in's Kino wollte und Alex nicht Bescheid gesagt hatte. Das war das erste Mal, dass er mir in's Gesicht schlug. Die Vorfälle häuften sich, irgendwann schlug er stärker zu, sobald ich etwas Falsches sagte. Und dann, an meinem 16. Geburtstag, als ich mit Niall auf der Tanzfläche eines Clubs ausgelassen tanzte, zerrte er mich aus dem Club in sein Auto."
Meine Stimme brach für einen Moment und ich wischte mir Tränen weg. Harry setzte sich neben mich auf das Bett, zog mich vorsichtig in seine Arme und ich ließ mich gegen ihn sinken, legte den Kopf auf seiner Brust ab und erzählte weiter.
"Er sagte mir, dass ich mich wie eine Nutte verhielt, dass ich ein Opfer wäre, wertlos. Dass ich es nicht verdient hätte, gut behandelt zu werden und dass er mir Manieren beibringen würde. Dann...a-also, dann hat er..." ich atmete tief durch. "...hat er mich, A-Alex hat sich an mir vergriffen."
Ich konnte es einfach nicht aussprechen, Harry zog mich fester an sich.
"Oh mein Gott" murmelte er fassunglos.
"Das hat er..er hat das oft getan. Er hat mich wie ein wertloses Stück Dreck behandelt und mir eingeredet, dass mich sonst niemand lieben würde. Dass sich keiner für mich interessieren würde. Ich war in meiner Angst gefangen und fühlte mich absolut verloren. Niall hat gespürt, wie ich mich veränderte. Er hat versucht mir zu helfen."
"Und er hat es geschafft am Ende, oder?" fragte Harry leise, während er mir weiter durch die Haare strich, was mich dazu brachte, mich etwas zu entspannen.
"Das hat er" bestätigte ich ihm. "Alex hat mich irgendwann nicht einmal mehr aus dem Haus gehen lassen. Er hat mich da rausgeholt, aber der Preis war hoch. Er hat ein Jahr Gefängnis bekommen, natürlich hat das seine Jobchancen ganz schön eingeschränkt."
"Ich kann ihn nicht so richtig leiden, aber er war dir ein guter Freund." bemerkte Harry und ich sah hoch zu ihm.
"Das war er. Deshalb habe ich nicht gezögert, ihn bei mir in das Team aufzunehmen, als ich plötzlich erfolgreich wurde mit der Musik." antwortete ich.
Ich spürte, dass es mir gutgetan hatte, Harry alles zu erzählen. Ich fühlte mich ein wenig freier und die Panik war auch weniger geworden.
Harry küsste meine Stirn. "Es tut mir unfassbar leid, was dir geschehen ist. Das ist furchtbar und er sollte dafür bestraft werden."
"Das wurde er. Keine Sorge." sagte ich leise. Tief atmete ich durch.
"Vielleicht verstehst du mich jetzt besser. Ich kann einfach Menschen nicht vertrauen. Zumindest den meisten."
"Ich dachte mir schon, dass der Grund für dein Verhalten ein heftiger sein muss. Deshalb auch die Drogen?" fragte er vorsichtig.
Ich nickte. Wenn ich schon ehrlich war, dann komplett. "Es lindert den Druck."
"Druck?"
Wieder nickte ich leicht. "Wenn ich nicht high bin, habe ich in mir immer diesen Druck. Als krampft mein Herz und ich habe Schmerzen, wenn ich mich bewege."
Harry nickte und vergrub sein Gesicht in meinen Haaren. "Ich wünschte, ich hätte dich vor all dem schützen können." murmelte er.
Verwirrt sah ich hoch zu ihm. "Wir kannten uns doch noch gar nicht."
"Ich weiß" sagte er sofort. "Es ist eine blöde Redewendung. Es tut mir leid."
Vorsichtig lehnte ich mich höher zu ihm und legte die Lippen auf seine. Er erwiderte den Kuss zaghaft, löste die Lippen schnell wieder und sah mich an.
"Danke, dass du dich mir anvertraut hast." sprach er leise und ich nickte. Ich hatte das nicht leichtfertig getan und das wussten wir beide.
Doch ich vertraute ihm und ich wollte, dass er mich verstand. Ich wollte, dass er bei mir blieb. Harry sollte, wenn es nach mir ging, niemals mehr meine Seite verlassen.
Doch das sagte ich ihm nicht. Das traute ich mir einfach nicht.
Er atmete tief durch und strich mir über den Arm.
"Ich finde, du hast dir eine Auszeit verdient. Ich würde dich heute gern ausführen. Irgendwohin, wo es friedlich ist und keiner uns stören kann."
Ich musste lächeln und sah zu ihm hoch in seine wunderschönen Augen.
"Ich freu mich schon drauf."
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